Jesaja, Kapitel 40
40:1 Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott;1)
40:2 redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, daß ihre Dienstbarkeit ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben; denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.
40:3 Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem HERRN den Weg, macht auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserm Gott!
Die Himmel haben Jesus aufgenommen; aber wenn auf Erden alles erfüllt und zubereitet sein wird, so wird der ewige, treue Gott Seinen Sohn zum zweiten Male senden. Ja, der Herr ist schon im Worte und mit Seinem Geiste in unsere Mitte getreten. Und was hat Er gesprochen? Tut Buße, dann komme ich wieder zu euch, dann kann ich euch Erquickungszeiten schenken, dann will ich mein himmlisches Königreich unter euch aufrichten. Die Enden der Erde werden mein Eigentum werden. Wann bricht Heil an für kleine Kreise, für die Gemeinde des Herrn, für die ganze Welt? Wenn wir Buße tun, sagen uns die Apostel. Wir wollen keine Bedenken äußern und Zweifel laut werden lassen, wir wollen Gott keinen Damm entgegensehen, sondern aufrichtig Buße tun. Bleibe du nicht zurück! Überlas es nicht andern, sondern bereite mit den Weg dem großen Herrn. Mach auch du ernst und tue auch du Buße. Wer weiß, Gott möchte uns gnädig sein, sich über uns erbarmen und ein Ende machen der großen Not unter Seinen Gläubigen. Lasst uns Einkehr halten, die Gnade ist vor der Tür. Alles wird bald anders werden, lasst uns nur selber Buße tun und dann ernste Bußprediger sein unter unseren Mitchristen. Gehen wir mit gutem Beispiel voran, andere werden nachfolgen, und bald wird der Bußgeist weitere Kreise ergreifen, erwecken, zum Heiland führen. Wo Buße ist, da ist Erquickung, Bußzeiten sind Segenszeiten. Der Herr kommt zu den Bußfertigen. „Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn gehet auf über dir.“ (Markus Hauser)
40:4 Alle Täler sollen erhöht werden und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was ungleich ist, soll eben, und was höckericht ist, soll schlicht werden;
40:5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat es geredet.
Lieber himmlischer Vater, wir preisen Deine große Barmherzigkeit, die uns auch heute wieder gnädiglich bewahret und mit dem Brode des ewigen Lebens gespeiset hat. Du thust überschwänglich über all’ unser Bitten und Verstehen. Wir haben durch so viele Sünden Deinen Zorn und Ungnade verdient. Du aber hast Dich bisher herzlich unserer angenommen. Ja, in Deinem lieben Sohne schenkst Du uns die Verheißung, daß unsere Missethat vergeben sein und die Herrlichkeit des Herrn offenbart werden soll allem Fleisch. O laß doch diese seligmachende Wahrheit uns allezeit in Gedanken sein, mache dieses Dein göttliches Gnadenlicht recht helle in unserer Finsterniß. Jesus allein ist das Licht und das Leben der Welt, o so laß uns keine Ruhe, wir seien denn festgewurzelt im rechten Glauben an Ihn; gieb, daß unser ganzes Leben uns ausführe aus uns selbst und einführe in Jesum Christum; wirke durch Deinen heiligen Geist, daß alle unsere Freuden und Leiden, alle Demüthigungen, Sünden und Verirrungen uns zum Sohne treiben; ja, laß all’ unser Arbeiten und Nachdenken, Hören und Lesen, Sehen und Empfinden, Dichten und Trachten nur dazu gesegnet sein, daß uns Jesus Christus werde Alles in Allem. Du hast ihn ja gesetzt zum Haupt und König der ganzen Welt und es ist Dein Wohlgefallen gewesen, daß in Ihm alle Fülle wohnen sollte, und Alles durch Ihn versöhnt würde zu Dir selbst, damit daß Er Frieden machte an seinem Kreuze durch sich selbst. Solchen Frieden in Ihm schenke auch uns, daß wir nicht länger uns vergeblich abmühen in dieser verkehrten Welt, auch nicht löchrichte Brunnen graben, die kein Wasser geben. Gieb uns einen rechten Durst nach Dir als der lebendigen Quelle, und schenke uns in Deinem geliebten Sohne das Wasser, das in das ewige Leben quillt. Laß uns jetzt schon aus aller Noth dieser Zeit hinausscheuen auf die große Siegeszeit, da Dein eingeborner Sohn seine Herrlichkeit auch denen mittheilen wird, die Ihm hier nachgefolgt sind. Auch in dieser Nacht umgieb uns mit Deinem Gnadenschein, bedecke uns mit Deinem Schutze und segne unsere Ruhe, daß wir morgen zu Deinem Preise erwachen. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Wir schauen hinaus auf den seligen Tag, wo die ganze Welt wird zu Christo bekehrt sein, wo die Götter der Heiden werden gestürzt und zermalmt werden; wo der Aberglaube wird ausgerottet, und der stolze Wahnglaube vernichtet werden, um nie wieder ihre düstern Flammen anzuzünden unter den Völkern; wo alle Könige sich beugen werden vor dem Fürsten des Friedens, und alle Völker ihren Heiland selig preisen. Etliche wollen hieran verzweifeln. Sie schauen auf die Welt, wie auf ein scheiterndes Schiff, das in den Fluten untergeht und spurlos verschwindet. Wir aber wissen, daß die Welt und alles, was in derselben ist, einst in Flammen untergehen wird, um einem neuen Himmel und einer neuen Erde Raum zu machen; wir aber können Gottes Wort nicht lesen, ohne die Überzeugung zu gewinnen, daß das Reich und die Macht wird Gottes und seines Christus sein. Wir lassen uns nicht entmutigen durch sein langes Ausbleiben; wir lassen uns nicht zum Zagen verleiten durch den langen Zeitraum, den Er seine Gemeinde läßt ohne sichtbaren Erfolg, ja, mit scheinbarem Unterliegen ringen und kämpfen. Wir glauben, Gott wird nie zugeben, daß diese Welt, welche einst Christi Blut hat vergießen sehen, auf immer des Teufels Bollwerk bleibe. Christus ist gekommen, diese Welt von der unseligen Gewalt der Mächte der Finsternis zu befreien. Was wird das für einen Jubel geben, wenn Menschen und Engel in den Ruf zusammenstimmen: „Halleluja, Halleluja, denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen!“ Welch eine Befriedigung werden wir empfinden an jenem Tage, daß wir am Kampfe teilgenommen haben, daß wir geholfen haben, die Pfeile des Bogens zu zerbrechen, die wir Zeugen gewesen sind von dem herrlichen Siege unsers Herrn! Selig, wer sich auf diesen seinen allüberwindenden Herrn verläßt und an seiner Seite kämpft und in seinem Namen und in seiner Kraft sich am Streit beteiligt! Wie unglückselig, wer auf Seiten des Feindes steht! Dort ist sicherer Untergang, ein Unterliegen und eine Verdammnis in alle Ewigkeit. Auf welcher Seite stehest du? (Charles Haddon Spurgeon)
40:6 Es spricht eine Stimme: Predige! Und er sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.
40:7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Geist bläst darein. Ja, das Volk ist das Gras.
40:8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort unsres Gottes bleibt ewiglich.2)
Wenn irgend eine Zeit in der Natur die Wahrheit dieser Worte predigt, so ist es die gegenwärtige Winterzeit. Die Bäume sind längst entlaubt und ihres Schmuckes beraubt. Die Sonne hat nur noch einen kurzen Gang am Himmel. Schon sind die kürzesten Tage angebrochen, welche fast nur aus Morgen und Abend bestehen. Der Frost faßt schon hin und wieder das Leben in seine kalten Todesarme. Die ganze Natur redet von den letzten Dingen, alles Fleisch ist wie Heu und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. – Giebt es denn nichts Bleibendes unter diesem Hauch der Vergänglichkeit? nichts Festes unter dem unaufhörlichen Wechsel? nichts Warmes und Erwärmendes mitten im Winterfrost? nichts ewig Lebendiges, diesem allgemeinen Sterben gegenüber? Der Prophet sagt: „Das Wort unseres Gottes bleibet ewiglich.“ Gottlob, was auch vergangen ist in der Welt und seine Sterbestunde hat kommen sehen, Gottes Wort ist nicht vergangen, es ist nicht einmal alt geworden, es ist geblieben und hat in seiner Wahrheit und Göttlichkeit sich unaufhörlich kund gemacht. Wohin es gekommen ist, hat es seine Triumpfe gefeiert, und seine glorreiche Vergangenheit ist das beste Unterpfand für seine noch glorreichere Zukunft. Wie es bisher unter uns geblieben, so wird es auch bleiben ewiglich, und weder kurze Tage noch Frost kennen, sondern, wo es erscheint, den hellen Tag bringen mit seiner fruchtbaren Wärme. O wir wollen es ergreifen, das theure Wort, mit beiden Händen; wir wollen es ans Herz drücken und täglich lesen und anwenden zu unserm Seelenheil, daß es uns nähre und labe auf unserer Pilgrimschaft durchs Erdenthal. Die Winterabende sind lang, wir sollen sie durch dies Lesen verkürzen. Die Wintertage sind kalt, wir wollen sie durch dies Lesen erwärmen. Das Jahr eilt seinem Ende zu: dies Gnadenwort segne unsern Ausgang und Eingang durch die Nachricht der großen Freude, daß uns der Heiland geboren ist. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Der Schmuck, mit dem der Frühling die palästinische Erde kleidet, stellt Wunder neben Wunder; sie sind durch die Pracht ihrer Farben und die Zierlichkeit ihres Baus unvergleichlich schön, ein Ueberfluß von Leben und Blühen, das kein Kargen kennt. So sit die Menschheit, sagt der Prophet; in Kraft ihrer natürlichen Regsamkeit gleicht sie der blühenden Flur. Sie bringt vieles hervor, was Bewunderung verdient, Kraft betätigt und schimmernde Pracht besitzt. Aber auf die Blätter- und Blütenfülle fällt die unbarmherzige Glut der Sonne herab. Darum verschwindet die ganze Pracht und der ausgedörrte Boden wird dürr. Der Prophet dachte zunächst an das emsige Schaffen und künstlerische Bilden, das die Babylonier betrieben, an die Pracht ihrer Städte und Tempel, an die imponierenden Leistungen ihrer Kunst, an die gewaltigen Machtmittel ihres Staats. Doch mehr als das Werk des Fleisches ist dies alles nicht; es entsteht aus dem, was die Natur dem Menschen reicht, und schafft nichts Bleibendes. Von ihr hat der Prophet seinen Glauben gänzlich weggezogen und er tut dies ohne Groll und Gram; denn er hat einen Besitz, der nicht vergeht. Er hat die Rede Gottes vernommen und sagt dem Volk das göttliche Wort. Mit klarer Deutlichkeit unterscheidet sich dieses von allem, was das Fleisch in seiner natürlichen Regsamkeit erzeugt. Denn das Wort, das der Prophet hört und sagt, beschreibt nicht den Menschen und seine Pracht, sondern verkündet Gottes Willen. Gibt es etwas Flüchtigeres als ein Wort? und dennoch besteht es, wenn Babylons Größe im Wüstensand versunken sein wird. Denn es gibt nichts, was so innig und vollständig mit Gott eins wäre als sein Wort. Darum ist es mit ewiger Kraft und Wirkung gefüllt.
Nicht deshalb, weil wir das Wort deiner Hand und das Gebilde deiner schaffenden Macht sind, ist ewiges Leben in uns hineingelegt. Du hast uns, die von dir Geschaffenen, der Eitelkeit und Vergänglichkeit untertan gemeacht. Aber zu uns, die wir blühen und welken, ist dein Wort gekommen und nun, Herr, empfangen wir das, was bleibt. Dir, dem ewigen bleibenden Wort, gebührt mein Dank und meine Anbetung. Amen. (Adolf Schlatter)
40:9 Zion, du Predigerin, steig auf deinen hohen Berg; Jerusalem, du Predigerin, hebe deine Stimme auf mit Macht, hebe auf und fürchte dich nicht; sage den Städten Juda's: Siehe, da ist euer Gott!
Unsre Erkenntnis Jesu Christi hat einige Ähnlichkeit mit dem Besteigen hoher Gebirge. Wenn ihr euch am Fuß eines Berges befindet, so seht ihr wenig; der Berg selber erscheint euch kaum halb so hoch, als er in Wirklichkeit ist. Umschlossen von einem engen Tal, erblickt ihr kaum etwas anderes, als die rauschenden Bäche, die hinabstürzen, um sich in den Strom zu ergießen, der sich in der Tiefe der Ebene hinwälzt. Erklettert jetzt den ersten aufragenden Hügel, so erweitert und dehnt sich das Tal unter euern Füßen. Geht weiter hinauf, und ihr überschauet die Gegend auf stundenweite Entfernung in die Runde, und werdet mit Entzücken erfüllt über die erweiterte Aussicht. Steigt immer höher, und die Aussicht wird noch großartiger; bis endlich, wenn ihr auf dem Gipfel angelangt seid, und nach Ost und West, nach Nord und Süd euch umschaut, ihr ein weites Ländergebiet unter euch ausgebreitet seht. Dort liegt ein Wald, Tagereisen weit von uns entfernt, auf blassem Bergesrücken, hier unten ein See, wie ein Spiegel hingegossen, dort schlängelt sich der silberne Faden eines Flusses zwischen lachenden Gefilden hindurch, und vor uns erheben sich die träge rauchenden Kamine einer betriebsamen Fabrikstadt, oder es drängen sich die Maste der Schiffe im dammumgürteten Hafen zusammen. Das alles gefällt und erfreut euch, und ihr ruft aus: „Wer hätte geglaubt, daß sich auf dieser Höhe eine so herrliche Aussicht biete?“ Nun wohl, des Christen Leben entfaltet sich in der nämlichen Ordnung. Wenn wir anfangen, an Christum zu glauben, so sehen wir nur wenig von Ihm. Je höher hinan wir steigen, um so mehr Schönheiten entdecken wir an Ihm. Aber wer hat je den Gipfel erreicht? Wer hat alle Höhen und Tiefen der Liebe Christi erkannt, die alle Erkenntnis übersteigt? Als Paulus alt geworden war und mit weißen Silberlocken in einem kalten, feuchten Kerker zu Rom saß, da konnte er mit größerem Recht als wir ausrufen: „Ich weiß, an welchen ich glaube;“ denn jede Erfahrung war für ihn das Ersteigen eines Hügels, jede Prüfung das Erklimmen eines neuen Gipfels, und sein Tod erschien ihm wie das Erreichen der höchsten Höhe des Gebirges, von welchem aus er die ganze Treue und Liebe Dessen überblicken konnte, dem er seine Seele übergeben hatte. Steige, o lieber Freund, auf einen hohen Berg. (Charles Haddon Spurgeon)
Jeder Gläubige sollte nach Gott dürsten, nach dem lebendigen Gott, und Verlangen tragen, auf den Berg des Herrn zu gehen, und Ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Wir sollten uns nicht mit den Dünsten der Tiefe begnügen, wenn der Gipfel des Berges Tabor uns winkt. Meine Seele sehnt sich nach tiefen Zügen aus dem Gnadenbecher, welcher denen bereitet ist, die des Berges Höhe erreichen, und ihr Haupt im Himmel baden. Wie rein und erquickend ist der Tau der Höhen, wie erquickend die Gebirgsluft, wie reich der Ausblick seiner Bewohner, die hinüberschauen nach den Palästen des Neuen Jerusalems! Viele Heilige ergeben sich darein, in den Kohlengruben zu leben, wie Menschen, die nie das Licht der Sonne erblicken, sie leben vom Staub wie die Schlange, während sie die ambrosische Himmelsspeise der Engel genießen könnten; sie tragen willig des Bergmannes Kittel, während sie sich schmücken könnten mit eines Königs Mantel; Tränen entstellen ihr Antlitz, während sie sich salben könnten mit himmlischem Freudenöl. Mancher Gläubige schmachtet im engen und dumpfen Kerker, während er auf des Palastes Zinne wandeln und das gottselige Land und seinen herrlichen Libanon betrachten könnte. Mache dich auf, gläubige Seele, erhebe dich aus deiner Dunkelheit! Wirf deine Trägheit, deine Unbeweglichkeit, deine Kälte und alles, was deine reine und zarte Liebe zu Christo, deinem Bräutigam, hindern mag, hinter dich. Mache Ihn zur Quelle, zum Mittelpunkt und zum Umfang der Wonne und Freude deiner Seele. Was verzaubert dich zu solcher Torheit, daß du in der Grube sitzen magst, statt auf dem Throne zu ruhen? Lebe nicht in den Niederungen der Sklaverei jetzt, da dir das Hochland der Freiheit zu eigen gegeben ist. Laß dich nicht länger von deinen kleinlichen Rücksichten gefangen nehmen, sondern dringe voran zu höheren himmlischen Dingen. Strebe nach einem höheren, edleren, volleren Leben. Empor zum Himmel! (Charles Haddon Spurgeon)
40:10 Denn siehe, der Herr HERR kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm und seine Vergeltung ist vor ihm.
40:11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte; er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen und die Schafmütter führen.
Wer ist es, der mit solchen gnadenreichen Worten gepriesen wird? Er ist der gute Hirte. Warum trägt Er die Lämmer in seinem Busen? Weil Er ein zärtliches Herz hat, und jede Schwachheit Ihm sogleich das Herz zerschmelzt. Die Seufzer, die Unwissenheit, die Schwachheit der Kleinen in seiner Herde bewegten Ihn zum Mitleid. Es ist sein Amt, als ein treuer Hoherpriester acht zu haben auf die Schwachen. Zudem hat Er sie mit seinem Blut erkauft, sie sind sein Eigentum; Er will und muß sich derer annehmen, die Ihn einen so teuren Preis gekostet haben. Dann ist Er auch verantwortlich für ein jedes Lamm; Er ist kraft seines Testamentes und Bundes verpflichtet, ihrer keines zu verlieren. Endlich sind sie sein Ruhm und sein Lohn.
Wie aber haben wir den Ausdruck zu verstehen: „Er wird sie tragen?“ Oft trägt Er sie, weil Er nicht zuläßt, daß sie viel Trübsal leiden. Die Vorsehung geht zart mit ihnen um. Oft werden sie „getragen“, weil Er sie mit einem ungewöhnlichen Maß seiner Liebe erfüllt, so daß sie sich aufrichten und feststehen. Ob auch ihre Erkenntnis nicht tief ist, so haben sie doch große Freude an dem, was sie erkannt haben. Häufig „trägt Er sie“, indem Er ihnen einen recht einfältigen Glauben schenkt, der die Verheißung gerade so nimmt, wie sie geschrieben steht, und mit jeder Prüfung sogleich zu ihrem Jesus eilt. Die Einfalt ihres Glaubens verleiht ihnen ein ungewöhnlich zuversichtliches Vertrauen, das sie über die Welt erhebt.
„Er trägt die Lämmer in seinem Busen.“ Hier ist eine unbegrenzte Liebe. Würde Er sie in seinen Busen nehmen, wenn Er sie nicht sehr lieb hätte? Hier ist zarte Innigkeit: sie sind Ihm so nahe, daß sie Ihm gar nicht näher sein könnten. Hier ist geheiligte Vertraulichkeit: ein köstlicher Liebesverkehr findet zwischen Christo und seinen Lämmern statt. Hier ist völlige Sicherheit: wer kann sie in seinem Busen beschädigen? Hier ist vollkommenste Ruhe und süßester Friede. Wahrlich, wir sind nicht zartfühlend genug für die unendliche Zärtlichkeit Jesu! Wie wohl sollte uns sein, daß Er uns in seine Arme nimmt und in seinem Busen trägt! (Charles Haddon Spurgeon)
Unser guter Hirte hat unter seiner Herde Schafe von gar verschiedener Gemütsart; etliche sind stark im Herrn, andre sind schwach im Glauben; aber Er macht keinen Unterschied in der Sorgfalt, mit der Er über alle seine Schäflein wacht, und das schwächste Lamm ist Ihm so teuer als das kräftigste der Herde. Lämmer gehen gern hintendrein, verirren sich leicht von den übrigen und sind bald müde; aber vor allen Gefahren dieser Schwäche bewahrt sie der Hirte mit seinem mächtigen Arm. Er findet wiedergeborne Seelen, welche als junge Lämmer in großer Gefahr stehen umzukommen, die ernährt Er bis sie erstarken. Er findet schwache Gemüter, welche beinahe die Besinnung verlieren und fast sterben; die tröstet Er und erneuert ihre Kräfte. Er sammelt alle die Kleinen, denn es ist nicht unsers himmlischen Vaters Wille, daß derselben eines verloren gehe. Was für ein wachsames Auge muß Er haben, um sie alle zu beobachten! was für ein zärtliches Herz, um für alle zu sorgen! was für einen weitreichenden und mächtigen Arm, um sie alle zu sammeln! In seinen irdischen Tagen war Er ein großer Sammler der Schwachen, und jetzt, da Er im Himmel wohnt, wallt Ihm sein liebendes Herz gegen die Demütigen und Zerknirschten, die Furchtsamen und Schwachen, die Geängstigten und Ohnmächtigen hienieden. Wie liebevoll hat Er mich zu sich gesammelt, zu seiner Wahrheit, zu seinem Blut, zu seiner Liebe, zu seiner Gemeinde! Mit welcher überwältigenden Gnade hat Er mich gezwungen, zu Ihm zu kommen! Wie oft hat Er mich seit meiner ersten Bekehrung wieder von meinen Verirrungen herumgeholt und mich immer wieder in seine ewigen Arme eingeschlossen! Und das beste ist, daß Er dies alles selber tut und seine Liebespflicht auf keinen andern überträgt, sondern sich herabläßt, seinen unwürdigen Knecht zu erretten und zu bewahren. Wie kann ich Ihn genug dafür lieben oder Ihm würdiglich dienen? Ich möchte so gern seinen Namen verherrlichen bis ans Ende der Welt; aber was vermag meine Schwachheit für Ihn? Großer Hirte, füge Deinen Gnadenbeweisen auch noch den bei, daß Du mir mögest ein Herz schenken, das Dich treuer liebt. Laß mich nicht, und tue nicht von mir die Hand ab, Gott, mein Heil! (Charles Haddon Spurgeon)
40:12 Wer mißt die Wasser mit der hohlen Hand und faßt den Himmel mit der Spanne und begreift den Staub der Erde mit einem Dreiling und wägt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage?
40:13 Wer unterrichtet den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn?
40:14 Wen fragt er um Rat, der ihm Verstand gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn die Erkenntnis und unterweise ihn den Weg des Verstandes?
40:15 Siehe, die Heiden sind geachtet wie ein Tropfen, so im Eimer bleibt, und wie ein Scherflein, so in der Waage bleibt. Siehe, die Inseln sind wie ein Stäublein.
40:16 Der Libanon wäre zu gering zum Feuer und seine Tiere zu gering zum Brandopfer.
40:17 Alle Heiden sind vor ihm nichts und wie ein Nichtiges und Eitles geachtet.
40:18 Wem wollt ihr denn Gott nachbilden? Oder was für ein Gleichnis wollt ihr ihm zurichten?
40:19 Der Meister gießt wohl ein Bild, und der Goldschmied übergoldet's und macht silberne Ketten daran.
40:20 Desgleichen wer nur eine arme Gabe vermag, der wählt ein Holz, das nicht fault, und sucht einen klugen Meister dazu, der ein Bild fertige, das beständig sei.
40:21 Wisset ihr nicht? Hört ihr nicht? Ist's euch nicht vormals verkündigt? Habt ihr's nicht verstanden von Anbeginn der Erde?
40:22 Er sitzt auf dem Kreis der Erde, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken; der den Himmel ausdehnt wie ein dünnes Fell und breitet ihn aus wie eine Hütte, darin man wohnt;
40:23 Der die Fürsten zunichte macht und die Richter auf Erden eitel macht,
40:24 als wären sie nicht gepflanzt noch gesät und als hätte ihr Stamm keine Wurzel in der Erde, daß sie, wo ein Wind unter sie weht, verdorren und sie ein Windwirbel wie Stoppeln wegführt.
40:25 Wem wollt ihr denn mich nachbilden, dem ich gleich sei? spricht der Heilige.
40:26 Hebet eure Augen in die Höhe und sehet! Wer hat solche Dinge geschaffen und führt ihr Heer bei der Zahl heraus? Er ruft sie alle mit Namen; sein Vermögen und seine Kraft ist so groß, daß es nicht an einem fehlen kann.
Wo ist es denn nun immer möglich, dass wir so wie die Kühe in die Natur hineingehen können, dass wir in unsere Gärten, in unsere Felder und Wälder gehen können, als wenn wir Tiere wären? Sollten wir nicht vielmehr die Ermahnungen Gottes zu Herzen nehmen, da er spricht: „Ihr Menschenkinder, hebt doch die Augen in die Höhe und seht, wer alle solche Dinge gemacht hat!“ Der Geist des Herrn ist es, der das alles hervorgebracht hat, um uns zu sich selber zu weisen und zu erheben. Ist es möglich, dass wir diese Dinge ansehen können, ohne an den, der sie gemacht hat, zu denken? Dass wir eine solche Schönheit, eine solche Proportion in der äußeren Natur wahrnehmen können, ohne zu überlegen, was der Beweggrund davon sei, und wer in allen diesen Dingen eigentlich wirke? Täten wir dies, so würden wir finden, dass es nicht zu viel gesagt ist, wenn es heißt: 'Der Weltkreis ist voll Geistes des Herrn.' Ja, wir würden an allen Orten und Enden den Geist des Herrn, den Geist der Weisheit, den Geist der Macht erblicken, der alle diese Dinge schön macht. Dadurch würden wir in eine tiefe Bewunderung seiner göttlichen Majestät gesetzt werden.
Lasst uns demnach die Natur nicht nach der alten Gewohnheit ansehen! Sie ist hervorgebracht durch die Obermacht Gottes. Wenn man im Winter einen Baum in hunderttausend Stücke zerschnitten hätte, man würde nicht ein einziges Blättlein oder Blümlein in demselben finden und viel weniger aus demselben hervorbringen können. Dennoch aber bringt es die Wunderhand Gottes hervor. Wir sollen in dem allen Gottes unerschöpfliche Macht sehen, wodurch er alle diese Dinge hervorbringt. Wir sollen seine wundervolle Weisheit darin anbeten, die nicht nur so ein einziges schönes Blättlein, sondern so viele tausend Millionen hervorbringen und erhalten kann. Wir sollen die unendliche Mildtätigkeit Gottes darin beschauen, die für Menschen und Vieh eine solche Menge Wohltaten hervorbringt und zu unserer Beschämung darstellt.
Aber dies soll auch dienen zu unserer Erweckung, Gott selbst zu suchen und seine ewigen himmlischen Güter zu genießen. (Gerhard Tersteegen)
40:27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber?
40:28 Weißt du nicht? hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt; sein Verstand ist unausforschlich.
40:29 Er gibt den Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.
40:30 Die Knaben werden müde und matt, und die Jünglinge fallen;
40:31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.
Der Zustand der Gläubigen im alten Testament war gewiß der besondersten Erbarmung, Treue und Stärkung Gottes benöthigt. Es ist nichts Geringes, etliche Tausend Jahre auf die Erfüllung einer einzigen, und zwar der unentbehrlichsten Verheißung, daß ein Erretter und Heiland kommen solle, zu hoffen. Die zunehmende Gottlosigkeit, die häufigen Gefangenschaften und schweren Gerichte, der immer längere Verzug der Ankunft Jesu mußten wohl manche in eine dem Verzagen nahe Verlegenheit versetzen. Eben darum aber häufte auch der Herr in den Propheten seine köstlichen Verheißungen. Er stärkt sie, Er bittet sie gleichsam von einer Zeit zur andern, noch ein wenig zu harren und sich indessen auf Ihn zu verlassen. Das ist der Inhalt der obigen Worte. Auf die Klage: mein Weg ist dem Herrn verborgen, mein Recht geht vor Ihm über, spricht der Herr: „Ich werde nicht müde und matt! Ich will die Müden stärken.“ – Ach, oft geht es auch mir so in meinem Unglauben, daß ich denke: „Vielleicht bin ich Ihm zu gering, daß Er meiner achten sollte? Habe ich Ihm doch schon Mühe genug mit allen meinen Sachen gemacht,“ oder: „Dieses Kreuz, diese Versuchung muß dem Herrn verborgen sein. Könnte Er sie schicken, warum werde ich denn müde und matt? Oder wenn Er es weiß, warum läßt Er mich denn in solchem Zustande?“ Gottlob, daß Er sich selbst den unerforschlichen Verstand nennt, dem nichts verborgen ist, und den unermüdeten Gott, der stark genug ist, die Müden zu stärken, und uns vorhält, daß, da die Schöpfung der ganzen Welt seine Kräfte nicht erschöpft habe, die Stärkung eines armen, dürftigen Menschen sie gewiß nicht erschöpfen werde. Wir können niemals sagen: Dies oder jenes ist Gott zu viel. Er braucht nie Stillstand und Ruhe. Er ist immer thätig und wirksam. Er giebt aus seiner ewigen Fülle uns armen Sündern Kraft so viel wir bedürfen, die eine, daß wir wie die Adler uns im Gebet und Glauben zu Gott emporschwingen dürfen, die andere, daß wir in der Heiligung laufen und wandeln, ohne müde zu werden. Goldnes Sprüchlein! Bin ich denn müde, Gott giebt Kraft den Müden; bin ich unvermögend, Er giebt Stärke genug den Unvermögenden; meine Ohnmacht ist so klein, wie ich selbst bin, aber Seine Kraft ist so groß, wie Er ist. Wohl mir, aus dem Müden soll zuletzt noch ein Laufender, aus dem Klagenden ein Jauchzender werden! Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Jünglinge, muthige Anfänger, wenn sie auf sie selbst vertrauen, und wähnen, es könne ihnen nun nicht mehr fehlen, wenn sie Luftsprünge machen, über Andere wegspringen wollen, fallen oft jämmerlich zu ihrer Demüthigung. Wer sich aber immer schwach und klein fühlt, soll nicht ermüden noch verzagen, denn der Herr ist seine Kraft. Er ist in den Schwachen mächtig, nicht in den Starken; er giebt Vermögen denen, die sich unvermögend fühlen. Die sich vermögend dünken, läßt er sinken. Ihr also, die ihr eure Schwachheit kennet, beseufzet, verzaget nicht; denn der Herr läßt euch durch seinen Propheten wissen, daß bei hm Kraft genug für euch bereit liege. Holet sie nur durch gläubiges, anhaltendes Gebet. Er giebt den betenden Müden Kraft. O ihr Müden! kommet zur Kraft-Quelle Gottes, zu Jesus, er will euch erquicken. Wer soll verzagen, der Herr ist hier und will stärken; der Allvermögende, Allgenugsame ruft dir; warum willst du nicht zu ihm kommen? warum lieber in deinem Unvermögen liegen bleiben, da der Allvermögende dir seine Hand reicht? (Johannes Goßner)
Gottes Inwohnung ist der große Segen der Welt-überwinder. Siehe, mein Freund, das ist des Herrn Rat und Weg, Er will dich besitzen und beglücken. Er will mit Seinem Geiste und mit Seinem Frieden bei dir einkehren, mit köstlicher Gottesfülle, mit Erkenntnis, Weisheit und Milde will Er dich erfüllen. Darum nur leitet Er dich in die Wüste, macht Er dich los vom Erdentand, wurzelt Er dich aus der Welt aus. Heilig ist Sein Wille, gnadenvoll Sein Walten, Er ist auf dein Glück bedacht, du sollst selig sein. Treue Überwinder finden unvergängliche Lebensfreuden. Wir wollen es mit warmem Dank bekennen und bezeugen, dass uns niemand bedauern noch bemitleiden soll; der Herr ist das Teil der Überwinder. Fahre hin, o Welt, mit deinen Schäden und Vergnügungen, wir haben Besseres, Größeres gefunden. Wer in die Welt verstrickt ist, bringt dem Tode Frucht. Genieße diese Welt und ihre Lust, und du verlierst deine Zukunft und jede Hoffnung. Alles, was du hervorbringst, geht unter, sinkt in den Tod. O, dass alle Berufenen es verstehen könnten, um was es sich bei der Weltentsagung handelt! Um zu geben, nimmt der Herr. Nicht ins Elend, in ein wonnereiches Siegesleben mit wirklichen himmlischen Gütern führt Er die Begnadigten ein. Im Tränental Jesus haben, ist echte Glückseligkeit. Singet und spielet dem Herrn in eurem Herzen, ihr Überwinder der Welt, und lasset es durch das Wort eures Zeugnisses viele„ wissen, wie reich in Gott die Erlösten sind. Eine Ermunterung auf dem Lebensweg sei dir der Segen, der treuen Überwindem hienieden schon zuteil wird. (Markus Hauser)
Unermüdlichkeit ist nicht ein Segen, den uns die Natur spenden könnte. Denn die natürlichen Kräfte haben alle ein bestimmtes Maß und jeder Bewegung sind Widerstände entgegengestellt, so daß sie langsamer werden muß und schließlich endet. Nur die Verheißung spricht von einer unermüdlichen Bewegung. Der Prophet verspricht sie Israel und sagt ihm, sein Lauf werde nicht enden, sondern durch den Zufluß frischer Kraft immer wieder erneuert werden. Was aber der Gemeinde verheißen ist, senkt sich auch als göttliche Gabe in das Leben jedes Einzelnen hinein, der an der Gemeinde Anteil hat, da sich ja die Gemeinde dadurch bewegt, daß sich ihre Glieder bewegen. Ihnen allen ist die Füllung des Lebens mit einer Kraft verheißen, die nicht versagt. Ihnen ist ein Lauf beschieden, bei dem sie nicht erlahmen, eine Arbeit geschenkt, an der man nicht satt wird, und eine Liebe gewährt, die nicht verwelkt. Denn sie harren auf den Herrn. Daß sie auf ihn warten, das gibt ihnen die Unermüdlichkeit. Wie kann ich ermatten, wenn Gott noch am Werke ist, wie die Arbeit beiseite legen und mich zur Ruhe begeben, solange Gott sein Ziel noch nicht erreicht hat? Gehöre ich zu den Wartenden und Hoffenden, so bin ich in Spannung und diese bringt mich in eine Bewegung, die nicht aufhören kann, solange mich die Hoffnung treibt, und diese kann nicht verblaßen, weil sie in Gott begründet ist. Wer müde geworden ist, schaut nur noch rückwärts; wer aber harrt, der schaut vorwärts, und wer vorwärts schaut, bewegt sich und diese Bewegung kann nicht enden; denn Gottes Gnade endet nicht und sein Werk geht voran nicht bloß von Tag zu Tag oder von Geschlecht zu Geschlecht, sondern auch von Ewigkeit zu Ewigkeit, weil Gottes Reichtum nie ausgeschöpft wird. Der Quell des Lebens, der in ihm entspringt, läßt neues Leben Welle um Welle strömen und verarmt nie.
Wie der Glaube und die Liebe, so bleibt, Herr Gott, auch die Hoffnung, die du uns schenkst. Auf dich hoffen wir, der nicht schläft noch schlummert und weder arm noch müde wird, und du erneuerst mit jedem Erweis deiner Gnade auch die Kraft der Hoffnung, die auf dich harrt. Amen. (Adolf Schlatter)
Diejenigen, die in der Noth auf den HErrn harren, oder mit Zuversicht auf Seinen Trost und Seine Hülfe warten, haben schon eine Kraft in ihren Seelen, weil ohne dieselbe dieses Harren nicht möglich wäre. Wenn sie aber so auf den HErrn harren, so bekommen sie bald nach der Regel Christi: wer da hat, dem wird gegeben – eine neue Kraft. Sie verwechseln ihre kleine Kraft mit einer größern, weil der lebendige Gott, der nicht müde noch matt wird, sie gnädig heimsucht, ansieht und stärkt, und ihnen ein neues Maß des Heiligen Geistes schenkt. Alsdann können sie nicht nur harren, wie vorher, sondern auffahren mit Flügeln wie die Adler. Ihr Geist wird über die ganze Welt und alle Nöthen und Gefahren erhoben, und zu dem hohen und erhabenen Gott gezogen. Die Noth und Gefahr, welche ihnen vorher groß zu sein geschienen hat, däucht sie nun klein zu sein; dagegen fühlen sie aber eine Annäherung zu Gott, der in der Höhe und im Heiligthum wohnet, und erkennen, daß sie in Seine Gnade eingeschlossen seien, und durch Seine Kraft Alles weit überwinden können. Ein solches Auffahren oder eine solche Erhöhung der Seele ist etwas sehr Erquickliches. David hat sie erfahren, da er Ps. 18,29.33.34. schrieb: Du erleuchtest meine Leuchte; der HErr, mein Gott, machet meine Finsterniß licht; Gott rüstet mich mit Kraft und stellet mich auf meine Höhe. In eben diesem Verstand wird Ps. 27,5. von der Erhöhung auf einen Felsen, und Ps. 89,18. Ps. 92,11. und Ps. 112,9. von einer Erhöhung des Horns oder der Kraft geredet, und Ps. 71,20.21. gesagt: Du, HErr, lässest mich erfahren viele und große Angst, und machest mich wieder lebendig, und holst mich wieder aus der Tiefe der Erde herauf. Du machest mich sehr groß und tröstest mich wieder u.s.w.
Bei diesem Auffahren aber oder bei dieser Erhöhung des Geistes wird der Christ innerlich und äußerlich erinnert, daß er auch im Dienst Gottes laufen und wandeln müsse, und es nicht nur mit Gott, welcher den Geist mit Seinem Licht erleuchtet und mit Seiner Rede erquickt, sondern auch mit dem Nächsten zu thun habe. Er wendet also die empfangene neue Kraft zum Laufen und Wandeln an, wie David Ps. 18,37. und Ps. 71,16. sagt, und merkt, daß er dabei nicht matt noch müde werde. Die Knaben, die sich auf ihre natürlichen Kräfte verlassen, werden freilich müde und matt, und Jünglinge, die ihre eigene Stärke zum Laufen anwenden wollen, fallen, V. 30. Wie Viele haben Vorsätze gefaßt, sich wohl zu halten! Wie viele gute Vorsätze und Versprechungen sind bei den Meisten vorhanden, die ein Amt antreten: wie bald sind sie aber müde und matt! wie bald fallen sie! Die Kraft Gottes aber wehrt der Ermüdung und dem Fallen. Auch im Alter ist man noch fruchtbar und frisch. Den Willen Gottes thun, hält man für seine Speise, wie Christus Joh. 4,34. gesagt hat. Man fängt seinen Lauf nicht nur muthig an, sondern vollendet ihn auch. Sinkt die Seele zuweilen als matt wieder in die Tiefe herab, so harret sie wieder auf den HErrn, und bekommt wieder neue Kraft. (Magnus Friedrich Roos)