Jesaja, Kapitel 26
26:1 Zu der Zeit wird man ein solch Lied singen im Lande Juda: Wir haben eine feste Stadt, Mauern und Wehre sind Heil.
26:2 Tut die Tore auf, daß hereingehe das gerechte Volk, das den Glauben bewahrt!
26:3 Du erhältst stets Frieden nach gewisser Zusage; denn man verläßt sich auf dich.
26:4 Verlasset euch auf den HERRN ewiglich; denn Gott der HERR ist ein Fels ewiglich.
Verlaß dich auf den Herrn, heißt nicht: Lege die Hände in den Schoos, und kümmer dich nicht um diene Seligkeit; sondern: Geh' mit unerschütterlichem Muthe und grenzenloser Zuversicht an das Werk. Der Herr ist ein unüberwindlicher Fels, eine unbesiegbare Festung nicht nur für sich, sondern auch für dich; wenn du dich in diese Festung hineinwirfst, wird seine Gnade dich bewahren und zu Allem allmächtig stärken. Setze deine Hoffnung ganz auf die Gnade, heißt nicht: Thue nichts, laß die Gnade machen; sondern: Bei allem möglichen Eifer und Streben nach Seligkeit hoffe und vertraue nicht auf dich und deine eigne Kraft; hoffe auf die Gnade, die dich nie verläßt, mit der du Alles vermagst, die aber ohne dich, d.h. wenn du nicht ernstlich willst, dich nicht selig machen kann. So wie du ohne sie Nichts vermagst, so kann und will sie Nichts ohne dich in dir wirken. (Johannes Goßner)
Wenn wir sehen, daß wir einen solchen Gott haben, auf den wir uns verlassen dürfen, so wollen wir auf Ihn trauen mit aller Macht; wir wollen entschieden allem Unglauben absagen und danach streben, daß wir alle unsre Zweifel und Befürchtungen los werden, die uns so schändlich um unsern Trost betrügen; denn wo Gott der Grund unsers Vertrauens ist, haben wir keine Entschuldigung für unsre Furcht. Eine liebevolle Mutter wäre tiefbetrübt, wenn ihr Kind kein Zutrauen zu ihr haben wollte; wie verachtungswürdig, wie undankbar ist also unser Betragen, wenn wir so wenig Zutrauen zu unserm himmlischen Vater haben, der uns noch nie versäumt hat und nie versäumen will. Es wäre wahrlich gut, wenn alle Zweifel aus dem Haushalte Gottes verbannt wären; aber es ist zu fürchten, daß der alte Unglaube heutigentags so geschäftig ist, als damals, wo der Psalmist fragte: „Ist es denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat die Verheißung ein Ende?“ David hatte das Schwert Goliaths nicht oft und lange erprobt, und dennoch sprach er: „Es ist seinesgleichen nicht.“ Er hatte es einmal erprobt in der Stunde seiner jugendlichen Siegestat, und es hatte sich bewährt, daß es von gutem Stahl sei, und darum rühmte er es später immer; und so sollten wir auch rühmen und reden von unserm Gott, denn es ist Ihm keiner gleich, weder im Himmel, noch auf Erden, noch unter der Erde. „Wem sollt ihr denn mich nachbilden, dem ich gleich sei? spricht der Heilige.“ Es ist kein Fels wie der Fels Jakob, des sind selbst unsre Feinde Zeugen. Wenn wir bis jetzt noch Zweifel geduldet haben, so wollen wir das ganze schändliche Heer derselben ergreifen, wie Elias die Propheten Baals ergriff, und wollen sie schlachten am Bach; und wenn wir einen Wasserstrom suchen, der sie ersäufe, so nehmen wir unsre Zuflucht zu dem heiligen Strom, der aus unsers verwundeten Heilandes offener Seite hervorquillt. Wir sind schon in vielen Versuchungen gewesen, aber noch nie sind wir so weit gekommen, daß wir in unserm Gott nicht alles gefunden hätten, was wir bedurften. So laßt uns denn aufs neue Mut fassen, und auf den Herrn vertrauen ewiglich, in der Gewißheit, daß seine ewige Kraft wie bisher allezeit unsre Hilfe und unser Trost sein wird. (Charles Haddon Spurgeon)
Jesaias weissagt Kap. 26. von einer großen Gefahr und Noth, worin die Kirche Christi stecken werde, aber auch von einer gnädigen Errettung aus derselben, und von einer Erweisung der Herrlichkeit Gottes, die nach und nach unter den Heiden geschehen, und womit der HErr bis an der Welt Ende fortfahren werde. Es wird unter Anderem V. 5. gesagt, daß der HErr Leute, die in der Höhe wohnen, das ist vornehme und gewaltige Menschen beugen, und eine gewisse hohe Stadt, die sich dem Reich Christi widersetze, erniedrigen, ja zur Erde stoßen werde, daß sie im Staub liegen werde. Ehe aber dieses geschehe, werde dem Volk Gottes sehr bange sein, wie einem schwangern Weib, das gebären soll, und es werde alsdann gestehen müssen, daß es der Erde nicht helfen könne, und die Einwohner auf dem Erdboden, welche Feinde Gottes seien, nicht fallen wollen. Unter diesen Umständen muß das prophetische Wort zum Glauben ohne Schauen und zur Geduld in der Noth erwecken und stärken, und wenn die göttliche Hülfe angefangen hat, der Zuruf des Heiligen Gottes: verlasset euch auf den HErrn ewiglich, denn Gott der HErr ist ein Fels ewiglich, den Glauben zur Ehre Gottes noch weiter stärken. Freilich darf man sich auf den HErrn ewiglich verlassen, denn Er ist in Seiner Wahrheit, Gerechtigkeit und Güte ein Fels ewiglich. Sein Wesen und Wille, Seine Macht und Seine Treue wanket nicht. Er gedenket alter Verheißungen wie der neuen, und erfüllet jene wie diese. Ps. 93. wird von Ihm gesagt: der HErr ist König, und herrlich geschmücket; der HErr ist geschmücket, und hat ein Reich angefangen, so weit die Welt ist, und zugerichtet, daß es bleiben soll. Von dem an stehet Dein Stuhl fest, Du bist ewig. HErr, die Wasserströme erheben sich, die Wasserströme erheben ihr Brausen, die Wasserströme heben empor die Wellen. Die Wasserströme im Meer (der Welt) sind groß und brausen greulich: der HErr aber ist noch größer in der Höhe. Ihn, den ewigen und erhabenen Felsen können die Wellen des menschlichen Trotzes und der irdischen Macht nicht einmal berühren, zu geschweigen überstürmen und wegdrücken. Dieses Alles ist klar, und wird von einem Menschen leicht bejahet: wenn man aber in der Noth und Angst nichts als Verderben vor sich sieht, und kein Ende der Noth erblicken kann, wenn man mächtige Feinde wider sich hat, die nicht fallen wollen, wenn weder Rath noch Kraft bei dem Menschen ist, so ist das Glauben eine sehr ernsthafte Sache, und erfordert einen kräftigen Beistand des Heiligen Geistes, und ziehet sich oft in ein unaussprechliches, doch aber zuversichtliches Seufzen zusammen. Der sterbliche Mensch kann aber Gott durch nichts so hoch ehren, als durch’s Glauben, und er darf gewiß sein, daß Gott alsdann auch an ihm das Wort erfüllen werde: wer Mich ehret, den will Ich wieder ehren. Verlasset euch also auf den HErrn ewiglich, das ist ohne Aufhören, und seid nicht von denen, die da weichen, sondern von denen, die bis an ihr Ende glauben, und ihre Seelen retten. HErr, ich verlasse mich auf Dich, erhalte und mehre meinen Glauben. Menschen sind schwach und sterblich, auch vergehen Himmel und Erde, Du aber bist ewiglich ein Fels, und wirst mich bei dem Vertrauen auf Dich nicht zu Schanden werden lassen. (Magnus Friedrich Roos)
26:5 Und er bewegt die, so in der Höhe wohnen; die hohe Stadt erniedrigt er, ja er stößt sie zur Erde, daß sie im Staube liegt,
26:6 daß sie mit Füßen zertreten wird, ja mit Füßen der Armen, mit Fersen der Geringen.
26:7 Aber des Gerechten Weg ist schlicht; den Steig des Gerechten machst du richtig.
Weil die Kirche alles, was sie hat, von Christo hat, und alles, was sie thut, durch die Wirkung Christi thut; und weil die Stärke, die Weisheit, die Gerechtigkeit, so sie hat, Christi ist, deßwegen wird sie in Ewigkeit sicher stehen bleiben. Im Gegentheil, weil der Widersacher ihre Gerechtigkeit, Macht, Werke aus ihren eigenen Kräften berühren, deßwegen werden sie untergehen. (Martin Luther)
26:8 Denn wir warten auf dich, HERR, im Wege deiner Rechte; des Herzens Lust steht zu deinem Namen und deinem Gedächtnis.
26:9 Von Herzen begehre ich dein des Nachts; dazu mit meinem Geist in mir wache ich früh zu dir. Denn wo dein Recht im Lande geht, so lernen die Bewohner des Erdbodens Gerechtigkeit.2)
26:10 Aber wenn den Gottlosen Gnade widerfährt, so lernen sie nicht Gerechtigkeit, sondern tun nur übel im richtigen Lande, denn sie sehen des HERRN Herrlichkeit nicht.
26:11 HERR, deine Hand ist erhöht; das sehen sie nicht. Wenn sie aber sehen werden den Eifer um dein Volk, so werden sie zu Schanden werden; dazu wirst du sie mit Feuer, damit du deine Feinde verzehrst, verzehren.
26:12 Aber uns, HERR, wirst du Frieden schaffen; denn alles, was wir ausrichten, das hast du uns gegeben.
26:13 HERR, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns denn du; aber wir gedenken doch allein dein und deines Namens.
26:14 Die Toten werden nicht lebendig, die Verstorbenen stehen nicht auf; denn du hast sie heimgesucht und vertilgt, und zunichte gemacht all ihr Gedächtnis.
26:15 Aber du, HERR, fährst fort unter den Heiden, du fährst immer fort unter den Heiden, beweisest deine Herrlichkeit und kommst ferne bis an der Welt Enden.
26:16 HERR, wenn Trübsal da ist, so sucht man dich; wenn du sie züchtigst, so rufen sie ängstlich.
26:17 Gleichwie eine Schwangere, wenn sie bald gebären soll, sich ängstet und schreit in ihren Schmerzen: so geht's auch, HERR, vor deinem Angesicht.
26:18 Da sind wir auch schwanger und ist uns bange, daß wir kaum Odem holen; doch können wir dem Lande nicht helfen, und Einwohner auf dem Erdboden wollen nicht geboren werden.
26:19 Aber deine Toten werden leben, meine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn dein Tau ist ein Tau des grünen Feldes; aber das Land der Toten wirst du stürzen.
Jesaias weissagt Kap. 24-34. von den harten Strafen, welche über die Königreiche Juda und Israel durch die Assyrer ergehen sollten, deutet aber zugleich auf das große Heil, welches dem Volk Israel in der letzten Zeit widerfahren werde, da Gott eine hohe Stadt, die sich Seinem Reich entgegensetze, erniedrigen, Kap. 26,5., den Antichrist, der einer geraden Schlange, und den falschen Propheten, der einer krummen Schlange ähnlich sein wird, mit Seinem harten, großen und starken Schwert heimsuchen, und die Drachen im Meer, das ist die mächtigen und schädlichen Anhänger jener Beiden, erwürgen werde, Kap. 27. Das 26. Kapitel gehört also in diejenige Zeit, in welcher, was Offenb. Joh. 16.17.18. und 19. geweissagt ist, erfüllt werden wird. V. 14. sagt das Volk Gottes frohlockend: die Todten (die uns, alldieweil sie lebten, geplagt hatten) werden nicht wieder lebendig, die Tyrannen stehen nicht wieder (zu diesem Leben) auf (man ist also ihrer auf immerhin los), denn Du hast sie heimgesucht und vertilgt, und zunicht gemacht all‘ ihr Gedächtniß. Hingegen wird V. 19. zu Gott gesagt: aber Deine Todten werden wieder leben und mit dem Leichnam auferstehen. Es gibt also Todte, von denen man zu dem HErrn sagen darf: sie sind Deine Todten. diese Todten sind diejenigen, die in dem HErrn sterben, und von denen das Wort des Paulus gilt: wir leben oder sterben, so sind wir des HErrn. Diese Todten werden zu derjenigen Zeit, auf welche der Geist Gottes durch den Jesajas deutet, wieder leben und mit dem Leichnam auferstehen. Ohne Zweifel ist hier von der ersten Auferstehung die Rede, welche Offenb. 20,4.5. beschrieben wird, durch welche die Todten des HErrn zwar nicht zum irdischen, aber doch zu einem himmlischen Leben werden erweckt, und Thronen und ein Richteramt empfangen, folglich eine Gewalt über die Dinge, die auf der Erde geschehen, bekommen werden. Die Gewißheit dieser Auferstehung zu bestätigen, ruft der Heilige Geist schon durch den Jesajas diesen Todten des HErrn zu: wachet auf und frohlocket, die ihr unter der Erde lieget; und sagt hierauf zu dem HErrn: denn Dein Thau ist wie der Thau, welcher die welken Pflanzen wieder aufrichtet, und das Feld grün macht. Dieser Thau ist ohne Zweifel etwas, das sich vom Himmel herablassen wird, um die todten Leichname zu berühren, lebendig zu machen und zu verklären. Paulus nennt es 1 Kor. 15,53. die Unverweslichkeit und Unsterblichkeit, das ist etwas, das eine unverwesliche und unsterbliche Kraft in sich hat, und dem Verweslichen und Sterblichen sich mittheilt. Wehe denen, derenthalben die Knechte Gottes V. 18. klagen müssen, daß sie nicht fallen, und dem Reich Gottes durch ihren Fall nicht Platz machen wollen, s. Luk. 13,7. Wehe den Todten, wegen welcher man froh sein muß, daß man ihrer auf immerhin los ist, und sie nicht wieder zum Herrschen auf der Erde auferstehen! Glückselig aber sind die Todten, die des HErrn sind, weil sie entweder in der ersten Auferstehung, oder am Ende der Welt zum ewigen Leben, ja zum Herrschen mit Christo werden auferweckt werden! HErr laß auch mich als lebendig und todt Dein sein, und an der Hoffnung der Deinigen Antheil haben. (Magnus Friedrich Roos)
26:20 Gehe hin, mein Volk, in deine Kammer und schließ die Tür nach dir zu; verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe.
26:21 Denn siehe, der HERR wird ausgehen von seinem Ort, heimzusuchen die Bosheit der Einwohner des Landes über sie, daß das Land wird offenbaren ihr Blut und nicht weiter verhehlen, die darin erwürgt sind.