Hohelied, Kapitel 1
1:1 Das Hohelied Salomos.
1:2 Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist lieblicher als Wein.
Nichts gewährt dem Gläubigen so große Freude, wie die Gemeinschaft mit Christo. Daran hat er seine Wonne und seine Freude, wie andre an den Dingen dieses Lebens; er kann fröhlich sein, beides, über Gottes Gaben und über Gottes Werke. Aber in alle dem besonders, und in diesem allen wieder zusammen, findet er dennoch solche wesentliche Wonne und Freude nimmermehr, wie in dem reinen, unvergleichlichen Wesen seines Herrn Jesu. Er hat einen Wein, wie ihn kein Weinberg der Erde je getragen hat; Er hat ein Brot, wie es alle Korngefilde Ägyptens nie hervorbringen können. Es sind die Freuden der Erde wenig besser, als Treber, die die Schweine fressen, im Vergleich mit Jesu, dem himmlischen Manna. Wir möchten lieber einen Bissen von der Liebe Christi und einen Trunk von seiner Gemeinschaft, als eine ganze Welt voll irdischer Genüsse. Was hat die Spreu mit dem Weizen zu schaffen? Wie kann der nachgemachte Edelstein sich mit dem echten Diamant vergleichen? Was ist ein Traum gegen die herrliche Wirklichkeit? Was ist der zeitliche Glanz in seiner höchsten Entfaltung gegen die Herrlichkeit unsers Herrn Jesu in seiner allertiefsten Erniedrigung? Wenn dir das innere Leben auch nur von fern bekannt ist, so musst du gestehen, dass unsre höchsten, reinsten und beständigsten Freuden am Baume des Lebens gereift sein müssen, der mitten im Paradiese Gottes steht. Kein Quell gibt so köstliches Wasser, wie das Brünnlein Gottes, das des Hauptmanns Speer gegraben hat. Alle irdische Wonne ist vergänglich, weil sie von der Erde stammt; aber die Seligkeit der Gegenwart Christi ist wie Er selbst, himmlisch, unverwelklich. Wenn wir auf unsre Gemeinschaft mit Christo schauen, so finden wir keine Seufzer der Leere und Öde darin; in seinem Wein sind keine trüben Hefen, in seiner Salbe gibt‘s keine toten Fliegen. Die Freude am Herrn ist fest und dauerhaft. Die Eitelkeit hat ihrer nicht geachtet, aber die Weisheit und Wahrheit bezeugen, dass sie die Jahre überdauert, und dass sie in Zeit und Ewigkeit des Namens wert ist: „Einzig wahre Wonne“. An Kraft, Trost, Belebung und Erquickung kommt kein Wein der Liebe Jesu gleich. So wollen wir denn heute Abend den vollen Becher dieser Liebe kosten. (Charles Haddon Spurgeon)
Er küsse mich, spricht Christus1), mit dem Kusse seines Mundes. - Doch hebe sich die Seele nicht verwegen zu dem Munde des freundlichen Bräutigams, sondern zitternd liege sie mit mir zu den Füßen des strengen Herrn und blicke mit dem Zöllner2) zur Erde, nicht zum Himmel, daß nicht das Antlitz, das gewöhnt ist an Finsternis, geblendet durch das himmlische Licht, nachher in die Blindheit um so dickerer Finsternis geworfen werde. Nicht scheine dir, o Seele, dieser Ort verächtlich, wo die heilige Sünderin ihre Sünden abtat und Heiligkeit anzog3). Beuge dich bis zur Erde, umfange seine Füße, küsse sie und benetze sie mit Tränen, mit denen du nicht ihn, aber dich selbst abwaschen wirst; so jedoch, daß du dein von Scham und Trauer überströmtes Antlitz nicht eher aufzuheben wagst, als du jene Worte vernimmst: Deine Sünden sind dir vergeben. - Wenn du aber so den ersten Kuß auf die Füße getan hast, so wird dein nächster Schritt sein, daß du ihm die Hand küssest. Durch die Hand geht es aufwärts; die richte dich auf, indem sie dir das schenkt, womit du es wagen kannst; den Schmuck des guten Gewissens und würdige Früchte der Buße, nämlich die Werke der Frömmigkeit. - Zuletzt erst wagen wir es, zu dem heiligen Munde das Haupt zu erheben; doch zitternd, weil vor unserm Angesicht Christus, der Herr, ist, durch dessen Gnade wir, wenn wir im heiligen Kusse mit ihm verbunden sind, zu einem Geiste mit ihm geschaffen werden. (Bernhard von Clairvaux)
1:3 Es riechen deine Salben köstlich; dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe, darum lieben dich die Jungfrauen.
1:4 Zieh mich dir nach, so laufen wir. Der König führte mich in seine Kammern. Wir freuen uns und sind fröhlich über dir; wir gedenken an deine Liebe mehr denn an den Wein. Die Frommen lieben dich.
Wir freuen uns und sind fröhlich über Dir! Nicht für die Trauerklänge der Posaune, nein, sondern für die lieblichen Harfentöne der Freude, für die laut schallenden Zimbeln des Jubels wollen wir die Pforten eines neuen Jahres weit auftun. „Kommet herzu, lasset uns dem Herrn frohlocken und jauchzen dem Hort unsers Heils; lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen, und mit Psalmen Ihm jauchzen.“ Wir, die Berufenen und Gläubigen und Auserwählten, wir lassen alle unsre Sorgen hinter uns zurück; und „im Namen unsers Gottes werfen wir Panier auf.“ Andre mögen klagen und jammern ob ihrer Trübsal, wir aber legen den heilkräftigen, versüßenden Baum in die bittern Wasser des Marasumpfes und loben den Herrn mit Freuden. Ewiger, Heiliger Geist, wahrhaftiger Tröster, der Du in uns als in Deinen Tempeln wohnest, nie wollen wir aufhören, den Namen Jesu zu loben und zu preisen. Wir wollen, das ist unser fester Entschluss, dass Jesus die Krone unsrer Herzenswonne empfange; wir wollen unsern Bräutigam nicht verunehren mit Trauern vor seinem Angesicht. Wir sind berufen zu himmlischen Sängern, so wollen wir denn die himmlischen Dankchöre fleißig einüben, ehe wir sie in den Hallen des neuen Jerusalems erschallen lassen. Wir freuen uns und sind fröhlich; zwei Wörter von gleichem Inhalt, doppelte Freude, Wonne über Wonne. Was hindert‘s, dass wir nicht jetzt schon uns im Herrn freuen allewege? Ist nicht der Herr seinen Begnadigten Narden mit Safran, Kalmus und Einnamen schon hienieden; und welch bessre Würze böte ihnen der Himmel selbst? Wir freuen uns und sind fröhlich über Dir. Dies letzte Wort ist das Gericht auf der Schüssel, der Kern in der Schale, der Geist in der Schrift. Welche Himmelsgüter sind in Jesu vereinigt! Welche Ströme unendlichen Segens haben ihre Quelle in Ihm und empfangen jeden Tropfen ihrer Fülle aus Ihm. Weil Du denn, Du süßer Herr Jesu, Deines Volkes Teil bist, so erquicke uns in diesem Jahre mit einem solchen Gefühl Deiner Gnadenfülle, dass wir vom ersten bis zum letzten Tage uns freuen und fröhlich seien über Dir! Der erste Monat eröffne den Jahresreigen mit Freude im Herrn, der letzte schließe mit Wonne in Jesu! (Charles Haddon Spurgeon)Wir freuen uns und sind fröhlich über Dir! Nicht für die Trauerklänge der Posaune, nein, sondern für die lieblichen Harfentöne der Freude, für die laut schallenden Zimbeln des Jubels wollen wir die Pforten eines neuen Jahres weit auftun. „Kommet herzu, lasset uns dem Herrn frohlocken und jauchzen dem Hort unsers Heils; lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen, und mit Psalmen Ihm jauchzen.“ Wir, die Berufenen und Gläubigen und Auserwählten, wir lassen alle unsre Sorgen hinter uns zurück; und „im Namen unsers Gottes werfen wir Panier auf.“ Andre mögen klagen und jammern ob ihrer Trübsal, wir aber legen den heilkräftigen, versüßenden Baum in die bittern Wasser des Marasumpfes und loben den Herrn mit Freuden. Ewiger, Heiliger Geist, wahrhaftiger Tröster, der Du in uns als in Deinen Tempeln wohnest, nie wollen wir aufhören, den Namen Jesu zu loben und zu preisen. Wir wollen, das ist unser fester Entschluss, dass Jesus die Krone unsrer Herzenswonne empfange; wir wollen unsern Bräutigam nicht verunehren mit Trauern vor seinem Angesicht. Wir sind berufen zu himmlischen Sängern, so wollen wir denn die himmlischen Dankchöre fleißig einüben, ehe wir sie in den Hallen des neuen Jerusalems erschallen lassen. Wir freuen uns und sind fröhlich; zwei Wörter von gleichem Inhalt, doppelte Freude, Wonne über Wonne. Was hindert‘s, dass wir nicht jetzt schon uns im Herrn freuen allewege? Ist nicht der Herr seinen Begnadigten Narden mit Safran, Kalmus und Einnamen schon hienieden; und welch bessre Würze böte ihnen der Himmel selbst? Wir freuen uns und sind fröhlich über Dir. Dies letzte Wort ist das Gericht auf der Schüssel, der Kern in der Schale, der Geist in der Schrift. Welche Himmelsgüter sind in Jesu vereinigt! Welche Ströme unendlichen Segens haben ihre Quelle in Ihm und empfangen jeden Tropfen ihrer Fülle aus Ihm. Weil Du denn, Du süßer Herr Jesu, Deines Volkes Teil bist, so erquicke uns in diesem Jahre mit einem solchen Gefühl Deiner Gnadenfülle, dass wir vom ersten bis zum letzten Tage uns freuen und fröhlich seien über Dir! Der erste Monat eröffne den Jahresreigen mit Freude im Herrn, der letzte schließe mit Wonne in Jesu! (Charles Haddon Spurgeon)
Jesus will den Seinen seine Liebe nicht in Vergessenheit geraten lassen. Wenn all die Liebe, die sie genossen haben, vergessen sein sollte, dann will Er sie mit neuer Liebe heimsuchen. „Vergissest du mein Kreuz?“ spricht Er. „Ich will dir die Erinnerung daran erneuern; denn an meinem Tische will ich mich dir aufs neue bezeugen. Hast du vergessen, was ich an dir getan habe im ewigen Rat der Gerechtigkeit? Ich will dich daran erinnern, denn du brauchst einen Fürsprecher, und ich werde bei dir stehen, wenn du meiner bedarfst.“ Mütter sorgen, dass ihre Kinder sie nicht vergessen. Wenn der Sohn nach Australien gegangen ist, und nicht heimschreibt, dann schreibt die Mutter ihm: „Hast du, mein Sohn, deine Mutter vergessen?“ Dann erfolgt ein liebevoller Brief, zum Beweis, dass die zärtliche Erinnerung nicht umsonst war. So verhält sich‘s mit dem Herrn Jesu; Er spricht zu uns: „Gedenke mein,“ und unsre Antwort lautet: „Wir gedenken an Deine Liebe.“ Wir gedenken an Deine Liebe und ihre unvergleichliche Geschichte. Sie ist so alt wie die Herrlichkeit, die Du hattest bei dem Vater, ehe denn die Welt war. Wir gedenken, o Herr Jesu, an Deine ewige Liebe, da Du der Bürge für uns wurdest, und uns Dir anvertrauet hast als Deine Braut. Wir gedenken an die Liebe, die Dich zum Opfer für uns dahingab, an die Liebe, welche bis zur Erfüllung der Zeit über dies Opfer nachdachte und sich nach der Stunde sehnte, von welcher im Buche von Dir geschrieben steht: „Siehe, ich komme.“ Wir gedenken an Deine Liebe, o Jesu! wie sie sich uns geoffenbart hat in Deinem heiligen Leben, von der Krippe in Bethlehem an bis zum Garten Gethsemane. Wir begleiten Dich von der Krippe bis zum Grabe, denn jedes Deiner Worte und jede Deiner Taten war Liebe, und wir freuen uns Deiner Liebe, die der Tod nicht auslöscht; Deiner Liebe, die so herrlich strahlt in Deiner Auferstehung. Wir gedenken an jenes brennende Feuer der Liebe, das Dir weder Rast noch Ruhe lässt, bis dass alle Deine Auserwählten selig daheim sind bei Dir, bis Zion verherrlicht ist, und Jerusalem gegründet auf ihren ewigen Gründen voll Licht und Liebe, im Himmel. (Charles Haddon Spurgeon)
Gläubige Seelen lieben den Herrn Jesum mit innigerer Zuneigung, als sie irgendeinem anderen Wesen angedeihen lassen. Lieber möchten sie Vater und Mutter verlieren, als Christum verlassen. Alle vergänglichen Freuden und allen irdischen Besitz halten sie nur locker in der Hand; Ihn aber tragen sie fest verwahrt in ihrem Busen. Gern verleugnen sie sich selbst um seinetwillen, aber nichts kann sie dazu bringen, Ihn zu verleugnen. Das ist eine schwache Liebe, die vom Feuer der Verfolgung kann verzehrt werden; des wahrhaft Gläubigen Liebe ist ein viel zu tiefer Strom, als dass die Hitze der Trübsal ihn könnte austrocknen. Die Welt hat versucht, die Treuen im Lande von ihrem Herrn und Meister abzuziehen, aber ihre Anstrengungen sind zu allen Zeiten fruchtlos geblieben. Weder Ehrenkronen noch Zornesblicke haben je diesen festgeknüpften Knoten zu lösen vermocht. Das ist keine Alltagsneigung, denn sonst wäre sie schon längst unter dem stürmischen Andrang des Weltgetümmels zusammengebrochen. Weder Mensch noch Teufel haben einen Schlüssel gefunden, der dies Schloss öffnet. Noch nie ist Satans List ärger zuschanden geworden, als wenn er versucht hat, diese Vereinigung zweier göttlich verschmolzenen Herzen aufzulösen. Es steht fest: „Die Frommen lieben Dich.“ Die Innigkeit der Liebe der Frommen darf jedoch nicht sowohl danach beurteilt werden, wie sie erscheint, sondern danach, was sie nach dem Verlangen der Frommen sein sollte. Täglich seufzen wir darüber, dass wir nicht stärker lieben können. Ach, dass doch unsre Herzen imstande wären, mehr Liebe in sich zu fassen, und weiter zu werden. Mit einem teuren Gottesmann seufzen wir und rufen wir aus: „O, dass ich doch Liebe hätte, die um die ganze Erde reichte, und alle Himmel umspannte, ja, aller Himmel Himmel und zehntausend Welten, und dass ich sie dann ganz ausgießen könnte auf den lieben, lieben, einzig lieben Jesus.“ Ach! unser weitestes Umfangen ist nur eine Spanne Liebe, und unsre innigste Anhänglichkeit ist nur ein Tropfen im Eimer im Vergleich mit seinem Wert. Wenn unser Wunsch das Maß unsrer Liebe wäre, o, dann wäre sie schon groß; und gewiss, wir dürfen‘s hoffen, Gott sieht‘s so an. Ach, dass wir doch alle Liebe aller Herzen in ein einziges großes Maß zusammenfassen könnten, um diese Summe aller Liebesempfindung Ihm darzubringen, der so ganz lieblich ist, ja, ganz lieblich! (Charles Haddon Spurgeon)
1:5 Ich bin schwarz, aber gar lieblich, ihr Töchter Jerusalems, wie die Hütten Kedars, wie die Teppiche Salomos.
1:6 Seht mich nicht an, daß ich so schwarz bin; denn die Sonne hat mich so verbrannt. Meiner Mutter Kinder zürnen mit mir. Sie haben mich zur Hüterin der Weinberge gesetzt; aber meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet.
Die wahre Kirche Christi, so wie die ächten Kinder Gottes, sind schwarz in den Augen der Welt, unansehnlich, theils wegen ihres äußern geringen Standes oder wegen ihrer kleinen Anzahl gegen den großen Haufen der Welt, theils wegen der Trübsale, die sie treffen; aber ihre innere Gestalt ist desto schöner und lieblicher vor Gott. Von außen sehen sie den schlechten Hütten der Kedarener im wüsten Arabien gleich; aber innerlich sind sie wegen der Gaben des heiligen Geistes und der himmlischen Segnungen so herrlich, wie die mit Gold gewirkten Teppiche Salomons. Man ärgere sich daher nicht an der äußeren Schwärze der Braut Christi; sie ist von der Hitze der Verfolgung oder Anfechtung so verbrannt und verdunkelt, daß sie oft einer Elenden und Trostlosen gleicht, über die alle Wetter gehen (Ps. 54, 11.). Sie wird auch nicht nur von Ungläubigen, Juden, Heiden und Türken geplagt, sondern von den Kindern ihrer Mutter, d. i. von solchen, die im Schooße der Kirche sein wollen. Wahre Christen müssen von falschen Brüdern oder äußerlichen Gliedern, die immer mächtiger sind, allezeit Gewalt leiden; aber das macht sie vor Gott schön und herrlich, das reinigt und fegt sie, daß sie ihrem Herrn und Könige gleichen, der, obwohl er der Allerverachtetste war, und von außen gar keine Schönheit hatte, doch der Schönste unter den Menschenkindern war. (Johannes Goßner)
1:7 Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo du weidest, wo du ruhest im Mittage, daß ich nicht hin und her gehen müsse bei den Herden deiner Gesellen.
Diese Worte drücken das Verlangen des Gläubigen nach Christo aus und seine Sehnsucht nach dem Umgang mit Ihm. „Wo weidest Du Deine Herde?“ In deinem Hause? Dann will ich gehen und sehen, ob ich Dich daselbst finde. – Im Gebetskämmerlein? Dann will ich beten ohne Aufhören. – Oder im Wort? Dann will ich es fleißig lesen. – In Deinen Geboten? Dann will ich darin wandeln von ganzem Herzen. Sage mir an, wo Du weidest; denn wo Du stehest als der Hirte, will ich mich niederlegen als Dein Lamm; kein andrer als Du kann mein Verlangen stillen. Ich kann mich nicht zufrieden geben, wenn ich nicht in Deiner Nähe bin. Meine Seele hungert und dürstet nach der Erquickung von Deinem Angesicht. „Wo ruhest Du am Mittage?“ Denn es sei Tag oder Nacht, Morgen oder Abend: – meine einzige Ruhe finde ich nur, wo Du bist mit Deiner geliebten Herde. Die Ruhe meiner Seele muss ein Gnadengeschenk sein und kann nur in Dir gefunden werden. Wo ist der Schatten dieses Felsens? Warum sollte ich nicht daselbst ruhen? Warum sollte ich sein wie einer, der „hin- und hergehen müsse bei den Herden Deiner Gesellen?“ Der Satan spricht zu mir, ich sei Deiner unwürdig; aber ich war ja immer unwürdig, und doch hast Du mich von alters her geliebt, und darum kann meine Unwürdigkeit keine Schranke sein, die mich ausschlösse von der Gemeinschaft mit Dir. Wohl ist mein Glaube schwach und droht zu sinken; aber gerade meine Schwachheit ist ja ein Grund mehr, warum ich allezeit um Dich sein sollte, an dem Ort, da Du Deine Herde weidest, damit ich gekräftigt werde und wohl behütet an den frischen Wassern. Oder sollte ich mich von Dir abwenden? Ich wüsste dafür keinen Grund; aber es sind tausend Gründe da, dass ich bleibe, denn Jesus lockt mich zu sich. Wenn Er sich mir eine kleine Weile verbarg, so will Er mir damit nur die Köstlichkeit seiner Gegenwart umso fühlbarer werden lassen. Und obgleich ich jetzt traurig und betrübt bin, dass ich seine Nähe nicht fühlen kann, so weiß ich doch, dass Er mich wieder zur bergenden Hürde führt, wo die Lämmer seiner Herde vor den brennenden Sonnenstrahlen geschützt sind. (Charles Haddon Spurgeon)
Köstlich ist‘s, wenn wir imstande sind, ohne alle „Wenn“ oder „Aber“ zum Herrn Jesus zu sagen: „Du, den meine Seele liebt.“ Manche können von Jesu nur so viel sagen: sie hoffen, sie lieben Ihn, sie glauben, sie lieben Ihn; aber nur armselige und oberflächliche Erfahrung kann sich hiermit begnügen. Keiner sollte seinem Geist die geringste Ruhe gönnen, bis dass er sich in einer so wichtigen, tief ins innerste Leben eingreifenden Sache völlige Gewissheit verschafft hat. Wir sollten uns nicht mit einer oberflächlichen Hoffnung, dass Jesus uns liebe, nicht mit einem haltlosen Vertrauen, dass wir Ihn lieben, zufrieden geben. Die Heiligen der Vorzeit sprachen nicht so unbestimmt mit „Aber“ und „Wenn,“ mit „Hoffen“ und „Vertrauen,“ sondern sie redeten aufrichtig und offen. „Ich weiß, an welchen ich glaube,“ spricht der Apostel Paulus. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt,“ spricht Hiob. Gewinne eine sichere Erkenntnis von deiner Liebe zu Jesu, und begnüge dich nicht mit weniger, als dass du mit völliger Gewissheit bezeugen kannst, du habest teil an Ihm; und das wird dir zur Gewissheit, wenn du empfangen hast das Zeugnis des Heiligen Geistes, und sein Siegel auf deine Seele durch den Glauben. Wahre Liebe zu Christo ist in allen Fällen das Werk des Heiligen Geistes und wird von Ihm im Herzen gewirkt. Er ist die wirksame Ursache dieser Liebe; aber der innere Grund, warum wir Jesum lieben, liegt im Heiland selbst. Warum lieben wir Jesum? „Weil Er uns zuerst geliebt hat.“ Warum lieben wir Jesum? Weil Er „sich selbst für uns dargegeben hat.“ Wir haben das Leben empfangen durch seinen Tod; wir haben Frieden erlangt durch sein Blut. Ob Er gleich reich war, ist Er doch arm geworden um unsertwillen. Warum lieben wir Jesum? Um der Vortrefflichkeit seiner Person willen. Wir sind erfüllt von der Bewunderung seiner Schönheit! von dem Entzücken über seine Liebenswürdigkeit! von der Erkenntnis seiner unendlichen Vollkommenheit! Seine Größe, seine Güte, sein liebliches Wesen verschmelzen sich in einen glänzenden Strahl, der die Seele entzückt, und sie in ein solches Meer der Wonne eintaucht, dass sie ausrufen muss: „Ja, Er ist ganz lieblich, ganz lieblich ist Er!“ O, selige Liebe - eine Liebe, die das Herz mit Seilen bindet, die sanfter sind denn Seide, mit Fesseln, die fester sind denn Diamant. (Charles Haddon Spurgeon)
1:8 Weiß du es nicht, du schönste unter den Weibern, so gehe hinaus auf die Fußtapfen der Schafe und weide deine Zicklein bei den Hirtenhäusern.
1:9 Ich vergleiche dich, meine Freundin, meinem Gespann an den Wagen Pharaos.
1:10 Deine Backen stehen lieblich in den Kettchen und dein Hals in den Schnüren.
1:11 Wir wollen dir goldene Kettchen machen mit silbernen Pünktlein.
1:12 Da der König sich herwandte, gab meine Narde ihren Geruch.
1:13 Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten hanget.
Myrrhen können als ein gar schönes Vorbild auf Jesum gelten, wegen ihrer Kostbarkeit, ihres Wohlgeruchs, ihrer Lieblichkeit, ihrer Heilkraft, ihrer reinigenden und erhaltenden Wirkung und ihrer Verwendung beim Opferdienst. Aber warum wird Er mit einem „Büschel Myrrhen“ verglichen? Erstens, um damit eine Fülle anzudeuten. Er ist nicht nur ein bisschen, Er ist ein ganzes Kästchen voll. Er ist nicht ein einzelnes Blatt oder Blümchen, sondern ein ganzes Büschel. In Christo ist volle Genüge für alle meine Bedürfnisse; drum will ich nicht verziehen, sondern von Ihm nehmen, was ich brauche. Unser Freund wird einem „Büschel“ verglichen, um der Mannigfaltigkeit willen; denn in Christo ist nicht nur das eine Notwendige, sondern in Ihm „wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig;“ was wir nur wünschen können, ist in Ihm vorhanden. Nimm den Herrn Jesum nach seinen verschiedenen Eigenschaften, so eröffnet sich dir ein wunderbarer Reichtum seines Wesens: Prophet, Priester, König, Bräutigam, Freund, Hirte. Betrachte Ihn in seinem Leben, seinem Tod, seiner Auferstehung, Himmelfahrt, zweiten Zukunft; schaue Ihn an in seiner Tugend, Sanftmut, Selbstverleugnung, Standhaftigkeit, Liebe, Treue, Wahrheit, Gerechtigkeit; immer und überall ist Er ein Bündel von Schätzen. Er ist ein „Bündel Myrrhen,“ des Aufbewahrens wert; hier sind nicht einzelne auf dem Boden zerstreute Blätter, die man zertritt, sondern zusammengebundene Myrrhen, die man in einem Kästchen verwahrt. Wir müssen Ihn für unsern höchsten Reichtum achten; wir müssen seine Worte und seinen Willen teuer schätzen; wir müssen unsere Gedanken an Ihn und unser Wissen von Ihm gleichsam unter Schloss und Riegel halten, damit nicht der Teufel komme und uns beraube. Dann ist der Herr Jesus „ein Büschel Myrrhen“ um seiner seltenen Vorzüglichkeit willen. Das Gleichnis schließt die Vorstellung von einer besondern, auserwählenden Gnade in sich. Vor Grundlegung der Welt wurde Er für die Seinen ausgesondert; und Er gewährt seinen Wohlgeruch nur denen, die des vertrautesten Umganges mit Ihm fähig sind. O seliges Volk, das der Herr eingeweiht hat in seine Gnadengeheimnisse, und welchem Er sich vor allem erschließt und widmet. O, überglücklich und selig, wer sagen kann: „Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen.“ (Charles Haddon Spurgeon)
1:14 Mein Freund ist mir eine Traube von Zyperblumen in den Weinbergen zu Engedi.
1:15 Siehe, meine Freundin, du bist schön; schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen.
1:16 Siehe, mein Freund, du bist schön und lieblich. Unser Bett grünt,4)
In jeder Hinsicht ist unser teurer Freund sehr schön. Unsre mannigfaltigen inneren Erfahrungen sollen nach der Absicht unsers himmlischen Vaters uns auf ebenso viele neue Standpunkte stellen, von wo aus wir die Lieblichkeit unsers Herrn Jesu betrachten können. Wir haben Ihn erblickt „von der Höhe Amana, von der Höhe Senir und Hermon,“ und Er hat seine Strahlen über uns ausgegossen, wie die Sonne in ihrer Kraft; aber wir haben Ihn auch gesehen „von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Leoparden,“ und Er hat nichts verloren von seiner Lieblichkeit. Von dem Schmachten auf dem Krankenbett, von dem Rande des Grabes her haben wir unsre Augen hingewendet zum Bräutigam unsrer Seelen, und nie ist Er uns anders erschienen, als „ganz lieblich.“ Viele seiner Heiligen haben auf Ihn geschaut aus dem Dunkel ihres Kerkers, und aus den feurigen Flammen des Scheiterhaufens; dennoch haben sie nie mit einem Wort gegen Ihn gezeugt, sondern vielmehr in der Todesstunde seine unaussprechliche Liebe gepriesen. O, welch ein edles und angenehmes Geschäft, allezeit unsern süßen Herrn Jesum vor Augen zu haben und Ihn betrachten zu dürfen! Ist es nicht etwas unnennbar Seliges, den Heiland in allem seinem Amt zu schauen, und Ihn unvergleichlich zu erfinden überall; seine Eigenschaften gleichsam in immer neuer Mischung zu bewundern und jederzeit wieder andre Bilder seiner unvergleichlichen Schönheitsfülle zu erblicken? In der Krippe und in der ewigen Herrlichkeit, am Kreuz und auf dem Throne, im Garten Gethsemane und in seinem Reich der Gnade, unter den Schächern und mitten unter Seraphim und Cherubim, überall ist Er „ganz lieblich.“ Prüft jede kleinste Tat seines Lebens und jeden Zug seines Charakters mit Sorgfalt, so ist Er lieblich im kleinen wie im erhabenen. Verurteilt Ihn, wie ihr wollt, ihr findet nichts an Ihm zu tadeln; wägt Ihn, so erfindet ihr Ihn nie zu leicht. Die Ewigkeit wird auch nicht den Schatten eines Fleckens an unserem Freund entdecken; vielmehr strahlen seine verborgenen Herrlichkeiten, wenn die Äonen vorüberziehen, mit immer herrlicherem Glanze hervor, und seine unaussprechliche Lieblichkeit entzückt uns je länger je mehr. (Charles Haddon Spurgeon)
1:17 unserer Häuser Balken sind Zedern, unser Getäfel Zypressen.