Besser, Friedrich Wilhelm - Predigt am Landesbußtage 1881.
Matthäus 7, 13. 14.
Text:
Geht ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt; und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist enge, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden.
„Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des HErrn willen,“ so wurden wir am vorigen Sonntage ermahnt, und heute folgen wir einer menschlichen Ordnung, indem wir einen Bußtag feiern, welchen unsre Landesobrigkeit uns gesetzt hat, der wir von ganzem Herzen untertan sind. Und wie sollten wir des nicht froh sein und uns freuen, dass wir unter einer Obrigkeit leben, die noch Landesbußtage einsetzt und die von einem Landesbußtage noch Förderung und Segen für die Landeswohlfahrt erwartet? Nun meine Lieben! So lange Landesbußtage gehalten worden sind, von denen namentlich auch das Alte Testament uns berichtet, da sind sie gehalten worden, um abzuwenden Gottes Strafgerichte von einem abtrünnigen Volke und ihm wieder zuzuwenden Gottes Segen. Denn dass an Gottes Segen alles gelegen ist, dass, wo der HErr nicht das Haus baut, umsonst bauen, die daran arbeiten, dass, wo Er nicht die Stadt behütet, die Wächter umsonst wachen, nun in unserer Zeit vor jeder anderen ist das zum Händegreifen offenbar. Und was die Strafgerichte betrifft, die wir von uns abwenden möchten, wie die Leute von Ninive, die in Sack und Asche Buße taten, damit sie von alledem verschont blieben, was der HErr wider sie geredet hatte, davon verspüren doch jetzt auch Weltmenschen etwas. Erinnert euch, meine Lieben, wie wir dies Jahr Kaisers Geburtstag gefeiert haben, wie das ganze Land erbebte von dem in Petersburg Geschehenen, wo der Sprengstoff der Gottlosigkeit zu einer so furchtbaren Explosion gekommen war. Und sind wir bei uns nicht auch von allerlei Sünden- und anderer Not umgeben? Und werden nicht auch bei uns deren immer weniger, die des Glückes und des Segens ihrer Arbeit sich freuen, mit stillem Vertrauen desselbigen genießen können? Ach, wie nimmt das so sehr ab in dieser letzten betrübten Zeit! Nun, meine Geliebten, Bußtag halten hilft! Buße tun hilft, so wie sie in Ninive geholfen hat: „und den HErrn reute des Übels, das Er geredet hatte, und tat es nicht“. Seht auch auf Sodom! Durch zehn Fromme hätte Sodom gerettet werden können. Heute, am Landesbußtage wollen wir uns an einander drängen und uns die Hände reichen und zu denen gehören, von denen das Liedeswort gilt: „Sie bleiben ohnmächtig und schützen die Welt.“ So möge uns der HErr einen Bußtag nach Seinem Herzen schenken.
„Geht ein durch die enge Pforte,“ so ruft unser lieber Heiland uns hier zu am Schluss der Predigt, worüber sich ihre ersten Hörer entsetzt hatten, „denn Er predigte gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten“ (Matth. 7,29). Er ruft es uns heute von neuem zu: „Geht ein durch die enge Pforte“ und die zwei Teile unserer Predigt ergibt der Text von selbst: „Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt,“ das ist der eine; „Und die Pforte ist enge und der Weg ist schmal, der zum Leben führt,“ das ist der andere.
„Ach so wache doch von Sünden
Auf, o du mein sicherer Geist!
Suche Gott, weil Er zu finden,
Weil Er noch dein Vater heißt.
Komme, weil die Gnadentür
Nun noch stehet offen dir.
Jesu! zu so gutem Werke
Mich mit Herzensandacht stärke!“
„Geht ein durch die enge Pforte!“ Welche ist diese? Welche ist die Pforte, von welcher der HErr Jesus spricht: Geht durch diese ein? Nun, meine Lieben, welche andere sollte es sein, als die durch Ihn Selbst aufgetane Pforte des Himmelreichs? Er redet ja so oft vom Himmelreich, gerade in dieser Bergpredigt. Lasst uns zuerst fassen, dass es eine Pforte gibt und einen Eingang zum ewigen Leben, und diese Pforte heißt Jesus Christus, und man geht ein durch sie in der Buße und im Glauben. Mag man nun die Pforte Bußpforte oder Glaubenspforte nennen, die zum Leben führt, immer ist und bleibt es der HErr selber, durch den wir eingehen. Und diese Pforte ist enge. Doch weist uns der HErr in unserm Text zuerst auf die entgegengesetzte Pforte hin: „denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt.“ Welche Pforte ist diese, die weite? welcher Weg der breite? Nun, wie wir von der ersten gesagt haben: sie heißt Christus, Er ist die Pforte, Er ist der Weg, so haben wir von der zweiten zu sagen: die heißt Adam, Adam, die wölbt sich über Jedem von uns, sie ist die Pforte der Sündigkeit wir können auch sagen: die Lustpforte. Dass die Pforte weit und der Weg breit ist, das verstehen wir, wenn wir uns nur ordentlich darauf besinnen wollen, und dabei halte der heilige Geist uns heute fest. Freilich, immer war diese Pforte weit, die auf den Weg des Fleisches führt; aber doch in jeder Zeit hat diese Pforte noch ihre besondere Weite, der Weg seine besondere Geräumigkeit und am Landesbußtage sollen wir merken, in was für einer bösen Zeit gerade wir leben und dem Rufe unsers HErrn Jesu die Herzen wieder aufs Neue auftun: „Geht ein durch die enge Pforte.“
„Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt.“ Meine Geliebten, wir können uns das recht veranschaulichen, wenn wir die zehn Gebote vor uns nehmen, die in unserm Katechismus mit ihrer Erklärung alle also anfangen: „Wir sollen Gott fürchten und lieben.“ Das ist die enge Pforte, durch welche Christenmenschen zum göttlichen Leben eingehen, und was darauf folgt, ist der schmale Weg: der Christengehorsam nach Gottes heiligen Geboten. Ach, bei der weiten Pforte, da ist der Weg so: wir wollen uns folgen, nach unserm Gutdünken und Belieben leben und unser Tun und Lassen danach einrichten, und darum ist er so breit, der Weg, der zur Verdammnis abführt und „viele sind, die darauf wandeln,“ ach, wie viele, wie unendlich viele! Ach, Gott vom Himmel, sieh darein und lass dich des erbarmen. „Wie wenig sind der Heil'gen Dein,“ gar wenige, die den schmalen Weg finden, und gar so viele, die durch die weite Pforte hin auf dem breiten Wege wandeln nach den Gelüsten ihres bösen adamitischen Sinnes. Der Geist unserer von Gott abgefallenen bösen Zeit streckt zuerst frech seine Hand aus nach diesem „Ich“, das da spricht: „Ich bin der Herr, dein Gott“ und leugnet und spricht: „Es ist kein Gott,“ und weil die Welt immer voller wird von Abgötterei, darum folgt auf diese Übertretung des ersten Gebots die der andern alle auch immer heilloser. Der Name Gottes, dieser Name, der unser hohes Gut sein will im Leben und im Sterben, ach! wie wird dieser Name geschändet! Lasst mich da nur auf eins hinweisen, ich meine auf das furchtbare Fluchen! Man kann nicht mehr über die Straße, auf keiner Chaussee mehr gehen, ohne dies zu hören, und was hört man für Flüche von solchen, die diesen heiligen Namen zu keinem andern Gebrauche in den Mund mehr nehmen als zum Fluchen! Und nun erst das dritte Gebot, die Predigt des Wortes Gottes, durch die uns soll das Gewissen geweckt werden! Das aber ist ein unbequemes Ding, und sie haben es längst als unbequem in die Rumpelkammer der Toren verwiesen, denn sie wollen sich nicht von ihm strafen lassen. Seht mal allein auf die entsetzliche Sonntagsentheiligung! Unser geliebter Landesvater hat oftmals wiederholt und es auch öffentlich ausgesprochen, dass unserm armen, verblendeten Volke die Religion wiedergegeben werden müsse, wenn die Zustände bessere werden sollten. Aber wie soll das geschehen, wenn man Gottes Wort nicht mehr hören, sich nicht mehr von ihm strafen lassen will? Ach, wie betrübt ist es, dass die Sonntagsentheiligung immer mehr überhand nimmt und nun auch hier unter uns. Ich kann euch nicht beschreiben, wie das war, als ich am stillen, heiligen Karfreitage hinausging und da sah, wie hier die Schornsteine rauchten und dort das Arbeitsleben ohne Ruh und Rast seinen gewöhnlichen Tageslauf ging. Und am ersten Osterfeiertage Nachmittags wars ebenso, und ich begegnete einem der unsrigen, der auch im Arbeitsanzuge mit den andern dahineilte. „Ihr auch?“ fragte ich wehmütig, und er antwortete sehr betrübt: „Ja, ich auch! Ich muss, sonst werde ich abgelohnt.“ Und die armen Post- und Eisenbahnbeamten hier tut es sehr not, wieder „Religion in die Leute zu bringen“. Möchte doch der heutige Bußtag vieler Herzen rühren auch unter denen, die die Macht in Händen haben, damit hier Wandel geschafft würde. Und das vierte Gebot? Ach, wie weit ist die Pforte hier zu der immer mehr überhandnehmenden Unbotmäßigkeit unter Eltern und Kindern, Herrschaften und Dienstboten, Obrigkeit und Untertanen, wie weit die Pforte, wo es heißt: „Wir wollen Gott nicht fürchten und lieben, wir wollen nur unsere Lust lieben.“ Ja, wo es so steht, wo es so frech übertreten wird, wo soll da die Verheißung erfüllt werden: „auf dass dir's wohl gehe und du lange lebst auf Erden.“ Ach, der ungehorsamen Söhne und Töchter unter uns werden immer mehr, immer mehr der heißen Tränen ihrer armen Eltern. - Nun zum fünften Gebot. Es hat neulich einer gesagt: zweierlei Häuser würden jetzt am meisten gebaut, nämlich einerseits Schank- und Lust- und Wirtshäuser und auf der andern Seite Zuchthäuser und Gefängnisse; Gefängnisse, weil die nirgends mehr hinreichten für die täglich zunehmende Zahl der Verbrecher! O, es ist schrecklich! Kein Zeitungsblatt kann man mehr in die Hand nehmen, wo man nicht von dergleichen liest. Mag man die Todesstrafe abschaffen, Mord und Totschlag werden nur immer mehr dabei zunehmen. Und wo die weite Pforte so weit aufgesperrt ist zur Übertretung der fünf ersten Gebote, wie steht es da um die Keuschheit und um die Zucht mit den Eheleuten, die im heiligen Ehestande wandeln sollen in der Furcht Gottes und in der Liebe Gottes? Ach, wie viele, viele, im Ehestande und außer dem Ehestande, wandeln auf dem breiten Wege der Zuchtlosigkeit! Und dieser Weg ist sehr breit und sehr abschüssig und läuft jählings zur Hölle hinunter. Und wie steht es mit Treue und Glauben im Lande? Ach, Geliebte, wie müssen wir die Augen niederschlagen und das Angesicht verhüllen, wenn wir das siebente Gebot uns näher ansehen. Diejenigen, die da sagen: wir wollen nur unsern Willen tun, die nicht danach fragen, dass sie Gott fürchten und lieben sollen, die regiert freilich die Habsucht und der Geiz und durch diese breite Pforte gelingt es ihnen gar leicht, auch die Säcke hindurch zu bringen, mit denen sie beladen sind. O, siebentes Gebot, wie bist du so zerrissen! Von solchen groben Sünden, wie stehlen und rauben, sollte wohl unter uns nicht mehr die Rede sein, denn es liegt ja auf der Hand: ein Dieb kann doch kein Christ sein. Auf eines gerade in diesem Gebot auch unter uns noch näher einzugehen, spare ich mir auf bis zum zweiten Teil. Nehmt nun noch diese Sünden dazu, die das kleine Glied in unserm Leibe anrichtet, dieses feurige Rad, die Zunge, dass keiner dem andern mehr trauen kann in unserer Zeit. Weit, weit ist auch hier die Pforte und sagst du, dass du Gott nicht fürchten und lieben willst zum Tun des achten Gebotes, so willst du deines Vaters Lust tun, welcher ist der Teufel und ein Lügner von Anfang. Ach, unser ganzes gesellschaftliches Leben ist durchsetzt von Lüge, ein großer Knäuel der Lüge. Im neunten und zehnten Gebot heißt es: „Du sollst nicht begehren“ und zum Schluss: „Gott droht zu strafen alle, die Seine Gebote übertreten.“ Wo ist nun dieser Gott, den sie nicht fürchten wollen? Er wird von der Welt immer mehr und mehr abgesetzt, und die Züge dieses lebendigen, strafenden Gottes verbleichen immer mehr in dem Gemüte der Menschen!
Nun kommen wir zu dem andern: „Die Pforte ist enge und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden.“ An Ihm, unserm lieben Heilande, liegt es ja wahrlich nicht, dass die Pforte so enge ist. Weit genug aufgetan ist sie, um alle aufzunehmen, die da selig werden wollen, und darum ergeht ja auch heute an dich, liebe Seele, wieder der Ruf: „Gehe ein, durch die enge Pforte.“ Es gilt einzugehen durch tägliche Buße und Glauben, und die Pforte ist eine enge Pforte, durch täglich festeres Sichhalten auf dem rechten einigen Wege ist dieser Weg schmal, und wenige sind ihrer, die ihn finden. Aber daran sind wir schuld, wir, denn so wie wir von Natur sind, können wir doch unmöglich da hindurch, wie auch im 38. Psalm davon steht: „Ich gehe krumm und sehr gebückt; den ganzen Tag gehe ich traurig.“ Gebückt musst du kommen, ganz gebückt und ganz ausgezogen, ja nackt und bloß musst du kommen. Auf einem Wege, wo du dich selber mitbringen willst, bepackt mit all dem Flitterstaat deiner Lüste und Begierden, und auf einem Staatswagen vortrefflicher Werke fahrend, da kannst du durch die enge Pforte nicht hindurch, da kannst du auf dem schmalen Wege dich nicht halten, das ist ganz unmöglich. Nun lasst uns wahrnehmen, warum die Pforte immer enger, der Weg immer schmaler wird zu dieser unserer Zeit. Das rührt eben daher, dass die weite Pforte so überaus weit, der breite Weg so überaus breit geworden ist, und dass die beiden Wege nicht so von einander abgeschieden sind, dass wir mit dem breiten Wege gar nicht mehr in Berührung kämen. Ich habe die weite Pforte immer bei mir, und sobald ich mich gehen lasse in meiner Lust an der Sünde, so wandle ich schon auf dem breiten Wege, und der Verkehr mit den vielen, die ihn täglich wandeln, stumpft auch unser Gewissen allmählig so ab, dass wir es mit dem richtigen strengen Gericht über unsere Sünde ach! so leicht nehmen. Lasst uns einmal in den Spiegel hineinsehen, den Gottes Gebot uns vorhält, denn weil derer immer mehr werden, die auf dem breiten Wege wandeln, da können wir uns leicht betrügen und uns sagen: „So wie du die vorhin gezeichnet hast, bin ich noch lange nicht, so sind wir noch lange nicht.“ Ach, weil wir von solchen groben offenbaren Ausbrüchen der Sünde vielleicht frei sind, da kann ein feiner Selbstbetrug sich einschleichen, und du glaubst leicht, dass, weil du es nicht so schlimm gemacht wie jene, da seiest du schon auf dem schmalen Wege. Hüte dich wohl! Im Katechismus haben die Gebote nicht bloß eine verneinende, sie haben auch eine bejahende Seite. Den heiligen Namen Gottes sollen wir nicht bloß nicht entheiligen, sondern wir sollen ihn auch heiligen, wir sollen ihn heiligen mit Anrufen, Beten, Loben und Danken! Wie steht es bei uns damit? O, da muss ich täglich aufs neue durch eine enge Pforte, wenn der Pulsschlag meines Umganges mit Gott im Gebet nicht soll ins Stocken geraten. Und wie ist es mit dem Loben und Danken? Folgen wir des Apostels Ermahnung: „Haltet an am Gebet, und seid dankbar in allen Dingen?“ Beim dritten Gebot nun, es sind wohl keine unter euch, von denen es absolut heißt, dass sie „verlassen die Versammlungen“ wiewohl oft genug leere Kirchenbänke Klage führen - aber wie steht es bei den Kirchgängern mit dem gerne hören und lernen des lieben Gotteswortes, auf dass es ein Salz der Würze werde? Geht ein durch die enge Pforte, lasst euch zur Buße über euren Kaltsinn, über eure Lauigkeit, über eure Sattigkeit bewegen im Hören des Wortes Gottes. Im vierten Gebot heißt es: Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten, sondern ihnen dienen, ihnen gehorchen, sie lieb und wert halten. Wie steht es damit? Ich bin doch noch nicht auf dem schmalen Wege, wenn ich weiter nichts tue, als dass ich mich mit einem gewissen Anstand im Verkehr mit meinen Eltern benehme. O, wie viele Sünden gegen das vierte Gebot fallen mir da ein! Und das fünfte? Sollen wir danach bloß nicht töten und dem Nächsten keinen Schaden tun an seinem Leibe, sondern nicht vielmehr ihm helfen und fördern in allen Leibesnöten? Wie stehen wir dazu? Ferner das sechste. Fliehet, flieht die Unzucht! Wenn wir sie nicht fliehen, wird sie uns erhaschen. Wie stehts in diesem Stück mit dir? wie steht's mit deinen Gedanken? Seufzest du recht aus tiefster Seele: Schaff in mir, Gott, ein reines Herz,“ dann schenkt es dir Gott, und empfindest du die Schranken, die gerade diesen schmalen Weg dir einschränken. Lass sie stehen! Gott hat ihn mit großen und kleinen Steinen zum Schutz besetzt, reißt sie nicht weg und haltet sie auch nicht für unnötig. Wache und bete, liebe Seele! Wache dazu auch für dich, für dein Fleisch und Herze, damit es nicht lüderlich Gottes Gnad verscherze. Denn es ist voller List und kann sich bald heucheln und in Hoffart schmeicheln.“ Nun, Geliebte, beim siebenten Gebot hatte ich vorhin euch auf eine besondere Ermahnung noch warten lassen! Wir sollen nicht stehlen, was heißt das? Das heißt: wir sollen mit den Händen arbeiten im Dienste der Liebe. Das ist der schmale Weg; der breite ist der Weg des Vergnügens, der schmale ist, dass ich arbeite und mit meinen Händen Gutes schaffe, „auf dass ich habe zu geben dem Dürftigen“. O kommt und lasst uns besonders hier recht in die Tiefe gehen und uns nicht daran genügen lassen, dass wir vor der Welt als ehrbare Leute gelten. Was vor der Welt uns ein Ruhm ist, das ist noch kein Ruhm vor Gott; vor Gott gilt nur das etwas, wenn wir mit allem, was Er uns gegeben hat, uns als Haushalter Seiner Güter ansehen und danach betragen. „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen.“ Afterreden wir nicht? Afterreden wir nicht? Ist in unsern Gesellschaften nichts von diesem Afterreden und bösen Leumund machen zu finden? Schlagt die Augen nieder, Geliebte, und bändigt doch eure Zunge, dass sie nicht ferner sich hergebe zum Afterreden und Richten, sondern ein Werkzeug der Lindigkeit und Lieblichkeit werde. Lasst mich beim neunten Gebot noch eine besondere Bitte an euch richten! Prozessiert nicht mit einander! Prozessiert nicht, ehe ihr nicht das Schiedsgericht der Brüder in eurer Sache angerufen habt. „Wie darf Jemand unter euch, so er einen Handel hat mit einem andern, hadern vor dem Ungerechten und nicht vor den Heiligen?“ (1. Kor. 6,1.) Zum zehnten Gebot: O, die Freunde werden immer seltener, von denen es heißt: „Ich suche nicht das deine, dich suche ich, dich habe ich lieb.“ O, dass es so wäre unter uns, dass wir in wahrer Liebe zu einander stehen, in der Liebe, die nicht das ihre sucht, sondern das Beste des andern, und so danach trachteten, Gott wohlzugefallen. Freilich, das ewige Leben damit erwerben, das können wir nicht, da schreien wir bei jedem Gebote: „Ach Blut, ach Blut von Deinem Sohne, schrei für uns um Barmherzigkeit“ aber das können wir damit erlangen, dass wir auf dem schmalen Wege feste Tritte tun, der zum ewigen Leben führt.
So schenke es uns allen Gott, dass wir diesen schmalen Weg finden, obwohl er so schmal ist, dann werden wir es auch wohl erfahren, dass er dennoch nicht zu schmal, sondern voll Süßigkeiten ist, wie es in dem Liede: „Der schmale Weg ist breit genug zum Leben“ heißt:
Des HErren Weg ist voller Süßigkeiten,
Wenn man es nur im Glauben recht bedenkt,
Wenn man das Herz nur fröhlich dazu lenkt:
Man muss sich recht dazu bereiten,
So ist der schmale Weg voll Süßigkeiten.
Darum kommt, stärkt euern Mut und geht ein durch die enge Pforte! Amen.