Besser, Wilhelm Friedrich - Achter Sonntag nach Trinitatis.
Röm. 8, 12-17.
Text: So sind wir nun, lieben Brüder, Schuldner, nicht dem Fleisch, dass wir nach dem Fleisch leben. Denn wo ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater. Derselbige Geist gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben, und Miterben Christi, so wir anders mit leiden, auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.
Die Epistel unsers heutigen Sonntages spricht die Summe alles Segens, den wir in Christo Jesu empfangen haben, darin aus, dass wir Gottes Kinder sind. Die Vaterschaft Gottes aber und die Kindschaft der Menschen wird gar vielfach missbraucht. Die sündliche Welt sagt in ihrer Verkehrtheit, Gott sei ein liebender Vater, der könne nicht zürnen. Ja, sie macht wohl einen alten schwachen Mann aus ihm, der aus Schwäche der Liebe zu aller Sünde schweigt. Die sich selbst Leid und Elend zugezogen haben durch die Sünde, welche da ist der Leute Verderben, sie wähnen, nun müsste der gute Vater sie schleunigst erretten und sie für die ausgestandene Not zwiefach entschädigen. Jeder, wie schlimm er auch gelebt hat und wie wenig er sich um seinen Vater im Himmel auch gekümmert hat, wenn es zum Sterben mit ihm kommt, soll er in den Himmel eingehen. Dem ist nicht so, liebe Gemeinde, das ist Missglaube und falscher Trost; das heißt die Gnade auf Mutwillen ziehen. Hören wir, wie St. Paulus in unserer Epistel davon lehrt. Wir fragen:
Wer ist in Wahrheit ein Kind Gottes?
Antwort: 1. Wer in der Kraft des Geistes sein Fleisch tötet. 2. Wer in kindlichem Gebetsumgang mit Gott bleibt. 3. Wer mit Christo leidet und seines ewigen Erbes gewiss ist.
Der barmherzige Gott segne die Predigt Seines heiligen Wortes an uns allen, dass wir die Lehre und Strafe, den Trost und die Mahnung desselben hören und zu Herzen nehmen, uns zum Heil und Frieden zu Seines hochgelobten Namens Preis und Ehre. Amen.
„So sind wir nun,“ schreibt Paulus an seine christlichen Brüder, „Schuldner, nicht dem Fleische, dass wir nach dem Fleische leben.“ Will sagen: Sollten Kinder Gottes, in denen der Geist Christi wohnt, an die Lust der Welt und des Fleisches sich wegwerfen, sich wieder in die Knechtschaft der Sünde begeben, woraus sie so teuer erkauft sind? Mitnichten! Nicht dem Fleische verpflichtet sind wir, wiederum nach dem Fleische zu leben, nicht „Schuldner“ sind wir, nicht genötigt dem Fleische zu folgen und ihm den Willen zu tun. Gehorchen soll uns das Fleisch und nicht befehlen, nicht unsern Wandel bestimmen und ordnen soll es, sondern untertänig sich fügen dem Gesetze des Geistes. Verrat an unserem Erlöser begingen wir, denn wir sind Sein teuer erkauftes Eigentum, wenn wir den Neigungen und den Leidenschaften des alten Menschen frönen wollten. Nicht also, nicht also meine Lieben. Was hätten wir zu erwarten, wenn wir hier auf Erden ein Fleischesleben führten, wie es sich für die Kinder eines solchen Vaters nicht ziemt? Wir fielen unzweifelhaft einem Dasein anheim, welches das Gegenteil ist von allem wahren Leben, aller Freude, aller Seligkeit. „So sind wir nun nicht Schuldner dem Fleisch“, denn wer nach dem Fleische lebt, anstatt wider das Fleisch, kann weder den Glauben noch ein unbeflecktes Gewissen sich erhalten. Wie so ganz anders aber ist es, wenn wir durch den heiligen Geist, den wir bereits in der heiligen Taufe empfangen haben, des Fleisches Geschäfte töten; tun wir das, so werden wir leben, d. h. einen Zustand erlangen, welcher in Wahrheit Leben ist, so werden wir hindurchdringen zu der Herrlichkeit des ewigen Lebens. Höre doch! wie Paulus fortfährt: „Wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben.“ Denn seht! Ehe wir es uns versehen, spielt uns das Fleisch in seiner nie müßigen Geschäftigkeit einen bösen Streich und übereilt uns und wir fühlen‘s täglich, ach, wie schmerzlich oft, dass in uns, das ist in unserem Fleische, nichts Gutes wohnt. Da gilt es töten, und immer wieder töten, diese bösen Gelüste unserer verderblichen Natur; sie müssen gedämpft, sie müssen zunichte gemacht werden. Nun, meine Lieben, was wollen wir tun? Durch den Geist allein, das heißt durch das Vermögen, das Gott darreicht, wollen wir des Fleisches Geschäfte töten und unseren alten Adam durch tägliche Reue und Buße ans Kreuz Christi heften, das wollen wir tun und nicht müde werden.
O meine Geliebten, besinnen wir uns recht darauf! Was heißt es doch ein Kind Gottes sein? „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ Wer den heiligen Geist die bestimmende und treibende Macht seines ganzen Verhaltens sein lässt, der ist ein Kind Gottes, der ist durch den Glauben an Christum von Gott als Kind angenommen, der ist durch die Gnade Gottes mit der Kinderart beschenkt, dass er nicht bloß einen neuen Namen führt, sondern dass er auch einen neuen Stand und mit diesem Stande neuen Sinn und neues Recht erhält. In diesem seinem Kindesstande waltet nun nicht mehr der Stecken des Treibers über ihm, sondern der Geist der Liebe. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: „Abba, lieber Vater“.
O wie anders dies „Abba, lieber Vater“, denn der Stecken des Treibers unter dem Zwange des Gesetzes! Das Gesetz treibt mit Drohen die Widerspenstigen, der Geist treibt mit Locken die Leitsamen; das Gesetz treibt mit Forderungen die Leistungsunfähigen, der Geist aber mit Darreichen der Gnade zum Vollbringen; das Gesetz treibt das Sündengift hervor als Aussah zum Tode, der Geist treibt die Heiligungsgabe hervor als Reinigung zum Leben; das Gesetz treibt zu dem Schrei: „Wehe mir, ich vergehe“ (Jes. 6); der Geist zu dem Flehen: „Abba, lieber Vater.“ „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, dass wir sollen Gottes Kinder heißen!“ Aber, fragst du, gehöre denn auch ich zu dem gesegneten Volke, bin denn ich ein Kind Gottes? Höre, wie St. Paulus dich tröstet, er schreibt: „Derselbige Geist gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“ Wohin aber soll ich mich wenden, wenn mein geängstetes und verzagtes Gewissen von diesem Geisteszeugnis nichts vernimmt? Wohin anders, lieber Christ, als hier zum Wort, zum Worte des Evangeliums; hier zum Altar, wo der HErr durch denselbigen Geist dir sagen lässt: Dir sind deine Sünden vergeben! Hier erfährst du es, hier kannst du es wissen und sollst es wissen, ob du ein Kind Gottes bist, ja du musst es wissen, ob und dass du es bist. Stärker als dein verzagtes Herz ist der Tröster, der zum Glauben an deine Kindschaft dich nötigt und überwindet.
Und nun das letzte Stück in unsrer Epistel! „Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, so wir anders mit leiden, auf dass wir auch zur Herrlichkeit mit erhoben werden.“ Mit der Annahme zum Kinde hat Gott uns auch Anrecht auf das Erbe Seiner Güter verliehen: das ist unser Kindesrecht. Gott ist die Liebe und darum will er die Herrlichkeit Seines Besitzes auch nicht für Sich behalten, Er will sie mit uns teilen, mit uns, hört es liebe Seelen; mit uns, die Er aus Gnaden zu Seinen Kindern angenommen hat. Uns macht Er zu Seinen Erben und macht uns zu Miterben Seines Sohnes, unseres erstgeborenen Bruders, der da spricht: „Alles was der Vater hat, ist mein“. Wir alle, die wir zu Seinem getauften Christenvolke gehören, wir sollen Miterben werden Seiner Herrlichkeit, und da kommt keiner zu kurz ein Jeder bekommt sein ganzes, volles Erbteil, durch des einen Herrlichkeit wird dem anderen nichts abgebrochen oder entwendet an der Seinigen, gleichwie ein jeder das Sonnenlicht hat ohne es dem andern zu nehmen. Aber welches ist die Bedingung, die Voraussetzung unter der wir Teil haben sollen an Seiner Herrlichkeit? „So wir anders mit leiden“ schreibt Paulus davon.
Mit leiden sollen wir, Christi Leiden teilen, durch welches hindurch der Weg zur Herrlichkeit führt. Welche Leiden aber sind Leiden mit Christo? Man vermenge doch ja nicht die natürlichen und selbstgemachten Leiden mit Leiden, die man in der Gemeinschaft Christi auf sich nimmt. Die Leiden um der Gerechtigkeit, um der Wahrheit, um des Gewissens, kurz, um des Bekenntnisses zu Christo willen sind Kennzeichen der Christenleute und ergehen über sie um ihres rechtschaffenen Wesens willen, womit sie den verkehrten Wandel der Welt strafen. Spürten wir nichts von diesen Leiden in der Welt, o wehe uns! Wie würden uns die anderen Heiligen im Himmel anschauen, wenn wir unser Ehrenzeichen, das Zeichen des heiligen Kreuzes nicht mitbrächten? Sie würden uns nicht kennen und wir würden Fremdlinge unter ihnen sein. Das wollen wir doch nicht, Geliebte; darum nehmen wir geduldig auf uns das Kreuz, das uns in der Nachfolge Jesu trifft, auf dass, so wir mit Ihm leiden, wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. Amen.