Besser, Wilhelm Friedrich - Predigt am elften Sonntage nach Trinitatis 1879.

Besser, Wilhelm Friedrich - Predigt am elften Sonntage nach Trinitatis 1879.

1. Korinther 15, 1-10.

Text:
Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, des Evangelii, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch steht, durch welches ihr auch selig werdet, welcher Gestalt ich es euch verkündigt habe, so ihr es behalten habt, es wäre denn, dass ihr es umsonst geglaubt hättet. Denn ich habe euch zuvörderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, dass Christus gestorben sei für unsere Sünden nach der Schrift; und dass er begraben sei, und dass er auferstanden sei am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen; danach ist er gesehen worden von mehr denn fünfhundert Brüdern auf einmal, derer noch viele leben, etliche aber sind entschlafen; danach ist er gesehen worden von Jakobo, danach von allen Aposteln; am letzten nach allen ist er auch von mir, als einer unzeitigen Geburt, gesehen worden. Denn ich bin der Geringste unter den Aposteln, als der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum, dass ich die Gemeine Gottes verfolget habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, das ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet, denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.

Geliebte Gemeinde! Nachdem ich eine Weile eurer beraubt gewesen bin, nach dem Angesicht, nicht nach dem Herzen, und nun zum ersten Male wieder euch grüße und mit dem Evangelium zu euch komme, wünsche ich herzlich, dass das Erkennungswort der Braut im Hohenliede: „Das ist die Stimme meines Freundes!“ sich in euch regen möge. Als ich am vorigen Mittwoch Abend in Triglaff in Pommern eine Bibelstunde hielt, welcher manche alte in unvergesslichen Segenstagen mir noch Verbundene beiwohnten, wie rauschte es da durch die Versammlung, die des Bräutigams Stimme aus dem Munde seines Freundes wiedererkannte! Am andern Morgen beim Abschied sagte mir eine Frau, eines meiner ehemaligen Kirchkinder in Seefeld: „Als ich Ihre Stimme hörte, lieber Herr Pastor, da wurde ich 26 Jahre jünger und es wärmte mich die erste Liebe wieder.“ O meine geliebte Gemeinde! Da kam mir ein anderes Wort aus dem Hohenliede in dem Sinn, die wehmütige Klage: „Man hat mich zur Hüterin der Weinberge gesetzt, aber meinen Weinberg, den ich hatte, habe ich nicht behütet“ - nicht mit der Treue behütet, die der HErr an mir sucht, und ich trage Mitschuld daran, dass ich mit vielem Seufzen habe heimgedenken müssen an euch, an die mir anvertrauten Seelen dieser Gemeinde.

Soll es denn hier so tot, so taub und stumm bleiben, wenn die Stimme eures Freundes in dem euch wohlbekannten Tone an eure Herzen greift? Soll es dahin kommen, dass wir den Augen Jesu Tränen auspressen, anstatt uns in Tränen der Buße zu baden? Es drückt mich manche Last, viel Herzweh eines Seelsorgers am heutigen Tage. Mir ist bange, aber verzagen will ich nicht. Es sind doch noch solche unter euch, welche die Stimme ihres Vaters in Christo verstehen und ihr das Herz nicht verschließen wollen. Und siehe, der heutige Gnadensonntag mit seinen beiden Texten hilft mir zum freudigen Auftun des Mundes. Der Zöllner im Evangelium mit seinem Beichtseufzer: „Gott sei mir Sünder gnädig“! und St. Paulus in der Epistel mit seinem Bekenntnis: „Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin“ die nehmen mich an der Hand und geben mir neuen Mut, die Gnade unsers HErrn Jesu Christi euch zu predigen. Lasst uns im stillen Gebet den Gott aller Gnade um Predigtsegen anrufen. „Ich erinnere euch aber, lieben Brüder, des Evangelii, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch steht!“ Lasst uns, meine Lieben diese Erinnerung des Heiligen Paulus an das Evangelium annehmen als an uns gerichtet, und zwar wollen wir aus der Epistel uns erinnern lassen an das Evangelium in zwei Teilen, indem wir erstens fragen: Was Paulus am Evangelium hatte? Zweitens: was das Evangelium an Paulus hatte?

Der Anlass zum Schreiben des ganzen hochberühmten fünfzehnten Kapitels im ersten Korinther Briefe war eine Irrlehre, die sich zunächst nur leise regte, die aber die Gemeinde in Korinth zu verwirren drohte. Es redeten nämlich einige mit hohen und klugen Worten davon: die Auferstehung der Toten sei schon geschehen, die Auferstehung des Fleisches aber sei nichts. Dagegen nun erhebt sich der Apostel mit aller Gewalt und sagt in unserem Kapitel, dass die, die dies eine Stück von der Auferstehung leugneten, alles damit leugneten und keinen Gott hätten. Denn, meine Lieben, die christliche Wahrheit ist stücklich nicht zu haben; wie Luther auch sagt: wir haben Ihn, den HErrn Christum in allen Stücken ganz und Er wird in jedem einzelnen Artikel, den wir glauben, entweder ganz angenommen oder ganz geleugnet. „Ich erinnere euch aber, lieben Brüder, des Evangelii, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch steht“. Der Apostel will, dass sie sich auf alles besinnen sollten, was er sie gelehrt hat und spricht da zu ihnen aus seinem Christenherzen, aus seiner Christenerfahrung heraus und legt ihnen dies Evangelium, außer welchem kein Heil ist, vor ihre Christenaugen, vor die Christenaugen, die sich wollen erhellen und zurechtweisen lassen.

Was hat Paulus nun selbst von diesem Evangelium gehabt und was ist Evangelium? Meine Geliebten! es sind alle die alten Bundeswahrheiten und Verheißungen, gleichsam das heilige ABC in der Christensprache, woran wir hier wieder erinnert werden, wozu der heilige Paulus die Korinther geführt hat, denn er sagt: „Ich habe euch zuförderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, dass Christus gestorben sei für unsere Sünden nach der Schrift, und dass Er begraben sei, und dass Er auferstanden sei am dritten Tage nach der Schrift“ und fährt dann fort die Korinther an alle die Erscheinungen des HErrn nach Seiner Auferstehung zu erinnern. Das, woran er sie erinnert, sind lauter Tatsachen, lauter Wunderwerke Gottes. Hier ist nicht die Rede von dem, was Menschen sich ersonnen, nicht von menschlichen Gedanken, die Menschen aus sich heraus gesponnen hätten, wie etwa die Spinne aus sich heraus ihren Faden spinnt! Nein, die heiligen Apostel und Propheten sind lauter Bienen und die Wiese mit ihren Blumen, aus denen sie den Honig saugen, hat Gott sich angelegt und die Blumen sind lauter Taten und Wunder aus Seinem Gottesherzen. „Welches ich empfangen habe, das habe ich euch gegeben,“ schreibt darum Paulus. O! St. Paulus hatte an dem Evangelium von Christo das ganze Heil in Christo, denn er hatte in Ihm Vergebung der Sünden und in Ihm allein ist Vergebung der Sünden, und wo Vergebung ist, da ist Leben und Seligkeit. „Ich habe euch zuförderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, dass Christus gestorben sei für unsere Sünden nach der Schrift.“ Vom ersten Evangelium, dass Der kommen sollte, der der Schlange den Kopf zertrete, bis zu dem Davidsspross, dem Zemach, dem Messias, bis auf Christus ist auf dieses Factum alles gestellt. Damit Er der sein könnte, der der Schlange den Kopf zertrat, musste Er auch der sein, der von Oben kam, der Engel des HErrn, welcher selbst ist der HErr Zebaoth. An diesen Jesum, an Ihn hat sich Paulus gehängt, an Ihn haben sich alle Apostel und ihnen nach alle diejenigen gehängt, die mit der Epistel des vorigen Sonntags rufen und bekennen: „HErr ist Jesus!“ „Ich erinnere euch aber“, dies wird eine Erinnerung für uns, meine Lieben, für dich liebe Seele, eine Erinnerung daran, warum du ein Christ bist. Da lege den Finger auf das Wort: „Dass Christus gestorben sei für unsere Sünden“. Wir sind Sünder, sind alle Sünder, wir mögen es glauben wollen oder nicht, und die Sünde ist der Leute Verderben, mit Händen kann man das greifen. Vor drei Wochen hörte ich eine Auslegung von Röm. 8,12-17 und zu dem Anfangsverse: „So sind wir nun nicht Schuldner dem Fleische, dass wir nach dem Fleisch leben sollen,“ erzählte der liebe Pastor Licht aus Wulkow folgende Geschichte: „Als der alte Vater Gossner eines Tages in Berlin über einen Platz ging, wo eben einige Steinsetzer bei ihrem Frühstück saßen, ging einer derselben mit seiner Schnapsflasche auf ihn zu und redete ihn an (Gossner war allgemein bekannt): „Du alter Betbruder, da, trink auch mal draus!“ Gossner antwortete ihm: „Das könnte ich wohl tun und es würde mir nichts schaden, wenn du es aber tust, so ist es etwas anderes, du musst es tun und musst saufen, bis du in die Hölle kommst“. Etwa vier Wochen nach diesem Tage erschien bei Gossner eben jener Arbeiter und bekannte ihm, dass er Recht gehabt. Ja er hätte gerade zum Trotz sich nun das Trinken abgewöhnen wollen, wie schon oft, und auch seine Frau sei sehr zufrieden und einverstanden damit gewesen; ein paar Tage sei es auch gegangen, aber dann habe er nicht mehr gekonnt, er habe wieder saufen müssen. Ja, Herr Prediger, sie haben Recht gehabt, ich muss, aber ist denn keine Rettung mehr für mich? Ja, es ist noch eine da, antwortete ihm Gossner und ist mit ihm hingekniet und hat mit Gott gerungen im Gebet um diese Seele, und sie ist gerettet worden. Der Mann hat sich gründlich bekehrt und ist wie ein Brand aus dem Feuer gerettet worden. Geliebte! Auch für unsere Sünde, auch für diese und andere gräuliche Sünde ist Jesus gestorben, um eine Rettung zu finden! könnte ich es euch allen in die Seele rufen: „Es gibt noch eine Rettung!“ Und Christus ist nicht bloß gestorben, sondern Er ist auch auferstanden nach der Schrift. Ihn konnte die Erde nicht behalten, wie der Wallfisch den Jonas nicht behalten durfte, und hier ist mehr denn Jonas. Jesus Christus ist auferstanden um unserer Rechtfertigung willen. O Geliebte, Er ist ein starker Heiland; es gibt noch eine Rettung durch die Kraft Seiner Auferstehung und diese Kraft ziehen an alle, die sich wollen retten lassen. Die Geschäfte dieses Evangeliums von der Auferstehung sind nicht vergangene, sondern sie gehen auch heute noch im Schwange, und das ist Seine Ehre, die Ehre unseres Heilandes Jesu Christi, dass Er nicht will vergeblich gestorben und auferstanden sein. Darum ist die Predigt des Evangeliums Verkündigung, und wir erwarten und verlangen es von den heiligen Aposteln, dass sie uns verkündigen, was sie selbst gesehen und gehört haben. Und wer wird ihr Zeugnis annehmen? Der wird es annehmen, dem Eines gewiss ist: „wenn du das nicht hättest, nämlich dies Evangelium, dann wärest du ganz verloren. Geliebte, es gibt kein frohes Herz, auch da nicht, wo wir in unserem Leben und in unsrer Umgebung noch so viel von dem finden, was noch ein Nachglanz von der Güte Gottes ist, womit Er die Erde geschmückt hat; es gibt nichts, was sonst unser Herz wahrhaft froh machen, wahrhaft erfreuen kann. Geliebte, wir sind dazu zu edel geboren, dass wir uns an den vergänglichen Gütern dieses Lebens sollten genügen lassen können. Du hochgeborene, du mit der Anlage zum ewigen Leben begabte Seele, du bist zu edel geboren, um dich in dem Staube dieses elenden Sündenlebens, um dich in diesem Sündenschmutz zu wälzen. O die Seele muss viel leiden, ehe sie der Fülle Brots im Vaterhause vergisst und sich mit Träbern zu sättigen vornimmt! Ach da erinnert es in der Seele: „O, wer zeigte mir den Weg, wer brächte mich nach Haus?“ O Geliebte! Christus tut es, Christus ist der gute Hirte und Er trägt uns auf Seinen Achseln heim und Er will nicht, dass die Sünde uns Ihm stehlen solle. - Da hörte ich neulich in Pommern wieder von einem so grässlichen Unglück. Ein Mann war mit dem Zipfel seines Rockes in eine Maschine geraten, er konnte sich nicht losreißen und die Räder drehten sich in rasender Geschwindigkeit und erfassten ein Glied nach dem andern, bis der Mann ganz in ihr Getriebe hineingeraten war und ganz zermalmt wurde. Seele, siehe, das bist du, wenn du von der Sünde erfasst wirst! Hüte dich, ihr auch nur den kleinen Finger auszuliefern, auf dass du nicht hineingezogen werdest mit dem ganzen Menschen. Besinne dich auf das Evangelium, besinne dich auf deine Taufe, auf deine Konfirmation, wo über dich ausgesprochen wurde: „Schutz und Schirm vor allem Argen, Gnade und Hilfe zu allem Guten“ auf alle Begegnungen, alle Berührungen deines Heilandes, deines Seelenbräutigams mit dir in deinem ganzen Leben und blicke dann in die Höhe! Da sitzt Einer, der hat alle Gewalt im Himmel und auf Erden in Seinen Händen, und die ganze Welt muss danach sich so regieren lassen, dass Gottes Name geheiligt werde, Sein Reich komme, Sein Wille geschehe, auch an dir, an deinem Hause, auf jedem Fleckchen Erde, wo du hintrittst. Besinne dich auf dies Evangelium, dann wirst du stark werden, dann wirst du wieder Flügel bekommen, um aufzufahren mit Flügeln wie ein Adler. O die auf den HErrn harren, kriegen neue Kraft und sollen nicht zuschanden werden!

Und nun lasst uns noch in den zweiten Teil unsres Textes eingehen. Was hatte das Evangelium an Paulus? Was will es auch an uns haben? Nun Geliebte! Der HErr Jesus, des Evangeliums Inbegriff, hatte an Paulus einen Gewonnenen, Einen, der Alles an dies Eine setzte, dem HErrn Jesu wiederum Seelen zu gewinnen. Das war sein Lohn, seine Krone, sein Ruhm! Einen Gewonnenen!

Als er hier im Text so aufzählt, von wem allen der HErr gesehen worden ist nach Seiner Auferstehung, fängt er an: „Zuerst von Kephas,“ jenem Felsenmann und doch dem allerjämmerlichsten und darum bedürftigsten Sünder, „danach von den Zwölfen; danach ist Er gesehen worden von mehr denn fünfhundert Brüdern auf einmal, derer noch viele leben; von denen könnt ihr's noch erfragen, wenn ihr wollt, etliche aber sind entschlafen“, er sagt nicht so ordinär hin, sie sind tot, nein, sie sind entschlafen, denn von jetzt an heißt bei Jesu sterben: entschlafen. „Danach ist Er gesehen von Jacobo.“ Der ist in aller Stille, wie uns die Apostelgeschichte erzählt, in Jerusalem mit dem Schwert Herodis enthauptet worden, und ihn als den ersten Märtyrer unter Seinen Aposteln würdigt der HErr einer besonderen Erscheinung, um ihn zu stärken zu diesem Zeugentode für Ihn. „Am letzten nach allen ist Er auch von mir, als einer unzeitigen Geburt, gesehen worden.“ Eine Fehlgeburt also nennt sich Paulus, nicht zu früh, wohl aber zu spät geboren. Paulus schämt sich in der tiefsten Seele! zu spät!“ „O, dass ich Dich so spät erkennt, Du hochgelobte Schönheit Du!“ Eine unzeitige Geburt nennt er sich. Die anderen Apostel hatten dem eingeborenen Sohn Gottes noch selbst in die Augen geblickt und waren dadurch gewonnen worden, Paulus aber nicht. Ihm war der Nazarener zu gering gewesen und doch genügte ihm seine Wissenschaft nicht, auch seine Tätigkeit als Teppichmacher genügte ihm nicht. Wonach denn dürstete seine Seele? Er war stolz. Wohl nicht wie der Pharisäer im Evangelium der dem HErrn alle seine guten Werke vorrechnete, so war Paulus nicht; er hatte zu Gamaliels Füßen gesessen und war ein Eiferer um das Gesetz, und wie er es uns selbst beschreibt, suchte er nach dem Gesetz eine wahre Heiligkeit aus eigener Kraft aus sich herauszuzwingen. Er wollte alles fahren lassen, alles tun, um dies zu erreichen, nur eins wollte er nicht, sterben. Er wollte ein großer Heiliger werden aus sich selbst, und als er hörte die Predigt von dem Namen des Nazareners, von Dem, der am Holz des Fluches getötet wurde, und an den man glauben sollte, um selig zu werden, da bäumte sich sein stolzes Herz empor und es genügte ihm nicht, dass durch seine Schuld mit das Blut des Stephanus vergossen wurde, er organisierte überall die Verfolgung gegen die Anhänger dieser ihm verhassten Lehre. Er zog selbst mit einer Schar nach Damaskus. Da auf dem Wege umleuchtete ihn eine Klarheit vom Himmel und er hörte die Stimme: „Ich bin Jesus! Saul, Saul, was verfolgst du Mich?“ Was verfolgst du Mich, denn das Haupt im Himmel und die Glieder auf Erden sind Eins. „Saul, warum triffst du Mich?“ und in diesem einen Wort fühlte sich Paulus getroffen von dem Pfeile Gottes und darum sagt er (Röm. 7): „Ich aber starb.“ In dem Glanze, der von Jesu Angesicht ausging, erstarb der Pharisäer Saulus, fortan nannte er sich Paulus (ein Geringer); es war ihm zu schwer, noch ferner wider den Stachel zu löcken, und er hätte sich an der Wunde, die er hier erhielt, verblutet, wenn er nicht verbunden worden wäre. Von der Stunde an hatte der HErr an Paulus einen Gewonnenen. Und nun! Wie demütig ist er geworden und hingegangen dieser Paulus, dieser Mann außerordentlicher Gaben, von dem ein alter Kirchenlehrer sagt, er hätte mögen ein großer Feldherr zu Land oder zur See werden, auch wenn er kein Christ geworden wäre. Da lag er nun wie ein schwaches und elendes Kind zu Jesu Füßen und der HErr sorgte auch dafür, dass er sich nicht überheben dürfe, durch jenen Pfahl im Fleisch, die Feindschaft seiner ehemaligen Glaubensgenossen wider das Evangelium, wovon er bekennt: „Ich habe große Traurigkeit in meinem Herzen.“ Da raunte ihm wohl ein andrer ins Ohr: „Was willst du? Du bist ganz verblendet, du irrst dich, alles das sind nicht Gnaden-, sondern Zornzeichen; hast du nicht die Gemeinde verfolgt wie kein andrer?“ In dieser Traurigkeit aber was hatte er da am Evangelio? O, er hatte die einzige Hilfe, die einzige Rettung daran, und dass er allein an die Gnade in Christo sich hielt, das erhielt ihn klein und gering in seinen Augen. Und selbst in unsrem Texte, wo er sich rühmt, dass die Gnade Gottes nicht vergeblich gewesen ist an ihm, und dass er mehr gearbeitet hat als die anderen Apostel alle, hält er es am Schluss noch wieder für nötig, auszurufen: „Nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.“

O, lieber Christ, fasse doch Mut, wenn du mit deiner Kunstfertigkeit in Selbstbespiegelung, mit deinem Hochmut nicht fertig werden kannst, auch bei Paulus war's der Hochmut, der ihn von Christo fern hielt; aber gerade das ist das Erbauliche und Lehrreiche, dass dieser Paulus ein solcher Schüler der Gnade geworden ist, und ist hingegangen und ist immer geringer und immer kleiner geworden. Gott sprach wohl zu ihm: „Ich will deiner Sünde nicht gedenken, dass du Mich verfolgt hast, und nie wieder sollst du einen Vorwurf von Mir darüber hören, Ich will's vergessen, aber du wirst's nicht vergessen zur Zucht.“ O Geliebte, was hatte das Evangelium für einen Mann, für einen gelehrigen Schüler an Paulus! Und hier schließt sich wieder der Ring zusammen, der unsre beiden Sonntagstexte, Epistel und Evangelium, umschlingt: Der Zöllner und Paulus. Der Zöllner wird ohne Werke angenommen, gerechtfertigt durch Gnade, und Paulus? Dieser Paulus? Hatte er einen andern Grund gefunden? Hat er sich je verlassen auf eines seiner Werke? Antwort: „Nein!“ auch bei ihm ist alles Gnade. „Von Gottes Gnade bin ich, das ich bin, und Seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen.“ O kommt, ihr Gnadenkinder, kehrt euch wieder zu eurer Festung in Jesu Wunden! Das, Geliebte, sei die Stimme eures Freundes an euch. O, HErr Jesu, lasse Deine Stimme unsre Herzen verwunden und träufle in uns ein den Balsam Deiner Liebe. Amen.

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