Zinzendorf, Nikolaus von - An einen Ungenannten

Zinzendorf, Nikolaus von - An einen Ungenannten

Basel, den 20. Jan. 1740.

Daß ich die ersten tiefgehenden Gnadenzüge erfahren, die von der Predigt des Kreuzes entstanden, ist ohngefähr etliche und dreißig Jahre. Daß die Begierde, Seelen zu Jesu zu bringen, mein Herz eingenommen, und mein Plan im Herzen das Lamm gewesen, ob ich gleich auf unterschiedliche Methoden gedacht, mit ihm anzukommen z. E. in Halle geradezu, in Wittenberg durch die Moral, in Dresden durch die Philosophie, seitdem durch seine Nachfolge, und nicht eher, als nach der seligen Gemeinöffnung in Herrnhut. Durch die simple Lehre von seinem Leiden und Tode, das kann alles zu meinem Knechtsberuf referiert werden. Doch habe ich dabei lediglich um Jesu willen gehandelt und keineswegs aus einigen Nebenabsichten. Denn daß ich durch die Sache Jesu hätte berühmt werden wollen, war meinem Temperamente ungemäß. Ich liebte Pferde, Grandcurs, und meine Natur portierte mich, einen Xenophon, Brutus, Seneca abzugeben. Die Modelle von meinen Eltern und Groß- und Ureltern waren dem gemäß, meine Erziehung auch; und so viel wußte ich, daß bei der Lehre Jesu kein Staat auf dergleichen Etablissements konnte gemacht werden. Aber das habe ich Jesu wissentlich aufgeopfert. Meine Führung ging darum ziemlich langsam und confus. Weil ich keine Führer hatte, und wir die Schrift heut zu Tage nicht mehr verstehen, wie sie ist, sondern wie man sie mühsam verstellet und paraphrasiert hat, so führten mich die Exempel der Heiligen und keine Principia . .. Unerachtet ich nun zu verschiedenen Zeiten solche innige Begnadigungen gefühlt, und der Seligkeit so gewiß war als meines Lebens, so gestund ich's doch dem, der mir's negierte, leichtlich zu, daß ich vielleicht noch nicht bekehrt sei. Und da kam ich in ein (nach meiner itzigen Idee) unnöthiges, mir aber doch sehr wohl bekommenes Ringen und Flehen, und habe die Versiegelung des ewigen Friedens und der Kindschaft seit der Zeit mehrmalen so empfindlich erfahren, daß ich endlich inne gehalten sie weiter zu begehren, damit sich keine geistliche Eitelkeit drein mengen möge. Die Sache hat allezeit durchs Blut und Verdienst Jesu gesucht und erlangt werden müssen. Daß ich hundertmal mehr Angst, Noth und Thränen erfahren, als ich von keinem Sünder jemals fordern werde, ist gewiß. Was meinen Generalplan betrifft, so habe ich gar keinen, sondern gehe dem Heiland von Jahr zu Jahr nach, und thue, was ich soll, doch gerne. Auf ein oder zwei Jahr habe ich zuweilen einen Specialplan, weil ich durch die Sache selbst darauf gebracht werde; und was dergleichen Specialplans betrifft, so habe ich zu einem Plan, die mährische (ohne mich entstandene) Kirche dem Heiland zu conservieren, daß sie bei meinen Lebzeiten, und wo möglich noch lange darnach kein Wolf zu fassen kriege; einen Plan, so viel heidnische Völker aufzusuchen, als ich kann, und zu sehen, ob sie des für alle Welt vergossenen Blutes können theilhaftig werden; einen Plan, des Heilands Testament (Joh. 17.) soviel mir möglich ist, durch Gnade ausführen zu helfen, damit die zerstreueten Kinder Gottes allenthalben in Ordnung zusammenkommen, wo sie leiblich beisammen sind, nicht in's Mährische (da arbeite ich vielmehr dagegen), sondern ins allgemeine Band der Gemeinschaft, dahin endlich die mährische Secte auch soll, doch erst nach ihrer völligen Abnützung in dem Theil ihres itzigen Looses; einen Plan, soviel Seelen, als ich kann, zur Sünderschaft und Gnade zu bringen, darum habe ich die Kanzel lieb, und reisete einer Kanzel zu Gefallen fünfzig Meilen; und einen Plan, alle auch nicht beisammenwohnende Kinder Gottes zu vereinigen, dem ich seit 1717 bis 1739 unverrückt gefolgt, lasse ihn aber itzt fahren, weil ich nicht allein kein Durchkommen damit sehe, sondern in dem Gegentheil anfange ein Geheimniß der göttlichen Vorsehung zu merken.

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/z/zinzendorf/zinzendorf_ungenannten.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain