Zinzendorf, Nikolaus von - An Johann Friedrich Rock in Himbach.

Zinzendorf, Nikolaus von - An Johann Friedrich Rock in Himbach.

Herrnhut, d, 3. Juni 1734.

Was das Wort „Kind Gottes“ und den Ausdruck „lieber Heiland betrifft, so will ich mich über beide deutlich zu machen suchen. Für ein Kind Gottes halte ich einen Menschen, sobald er Vergebung der Sünden hat. Weil nun diese der ordentliche Anfang alles geistlichen Lebens ist, wenigstens in dem Gericht Gottes, so kann ich einem nicht weniger zutrauen, als daß er ein Kind Gottes sei, wann er mir die Arbeit der Gnade an seinem Herzen beweiset und in seinem Wandel die Kraft zeiget, die man mit der Vergebung bekommt. Lieber Heiland ist der Titel unsers Herrn Jesu Christi (der nächste ordentlichste, einfältigste), und ich kann ihn nicht unaffektierter nennen, wenn ich ihn nenne. Sollte etwa dafür gehalten werden, es gebrauchten sich dessen in Herrnhut Unbekehrte, so ist dieses vorerst rar, zum andern ist er ja auch der Heiland aller Menschen und nicht allein der Gläubigen. Denn er hat die Welt versöhnet, und die Versöhnung ist bereits für alle geschehen, auch für die, welche ihrer noch nicht genießen. Sondern daß sie von einem Tage zum andern im Leben gefristet werden, beweist er sich als ihr Heiland, obgleich das wirkliche Seligmachen ihren Personen nicht widerfährt, als in der vorgeschriebenen Ordnung.

Wir scheuen die Inspiration darum nicht, weil sie uns in unsern Dingen korrigieren möchte, denn das sehen wir herzlich gern. Sondern wir besorgen nur, die Inspiration könnte in der Anwendung (Application) fehlen, und darum sind wir furchtsam. Damit bin ich nicht fertig, daß ein Kind Gottes auch nothwendig ein weiser und gewiegter Knecht Gottes sein müsse, und daß nicht seine Vernunft oder Einbildungskraft könne verleitet werden. Hielte ich das Letzte für unmöglich, so könnte ich mich in der Verdammung an den theuersten Seelen vergreifen. Denn ich habe in der Historie und sonst unzählige Proben ihrer Uebereilung, ihrer unrichtigen Begriffe, welche verbrannt, sie selbst aber selig worden sind, so doch, als durch's Feuer.

Du sprichst: wir erhüben einander selbst und meßten uns über's Ziel, sprich dafür zum Grafen: Du erhebst die Brüder und missest sie über's Ziel, so hast du es getroffen. Meine Art und Neigung ist es zum Wenigsten. Aber es geschiehet nicht aus Hochmuth, daß ich so leicht die Brüder über mich sehe, sondern weil ich's von Herzen glaube und leichtlich glaube. Denn ich kenne mich; und wenn ich mich unter den Knechten Gottes sehe, so sag ich es nicht aus Affectation, sondern mit der allersimplesten Aufrichtigkeit, daß ich mich für einen Mäusequark unter dem Pfeffer halte, und mich nicht wundern würde, wenn ich die Leute fragen hörte: ist der auch unter den Propheten? Was unsre Brüder betrifft, so meinen sie wohl auch darinnen biblisch zu handeln, daß einer den andern höher hält, denn sich selbst. Sie thun es aber zuerst nicht gegen sich allein, sondern halten alle Knechte des Herrn sehr theuer und werth und bewundern die Gnade in ihnen; zum andern ist das Wunder über uns arme Sünder nicht sowohl ein Großthun, als ein Kleinthun. Denn die große Bewunderung der Gnade in und an uns rühret daher, weil wir uns für sogar schlecht und elende Kreaturen halten, daß wir auch die geringste That, Handlung, Bewährung rc., welcherlei uns im Segen des Herrn vorkommt, fast nicht begreifen können. Das ist der wahre Schlüssel zu unsrem immerwährenden Lobe des Herrn über uns selbst. Sollten wir aber unsre alte Art durch lange Continuation im Segen etwa mehr vergessen, der Herrlichkeiten gewohnter werden, und vielleicht gar aus weiser Direction des Herrn das Haupt über die Schwierigkeiten und Druck emporheben, so werden wir gewiß stiller und geschweigter werden; das weiß ich. Denn unter den Leiden rühmt man sich der Höhe, und wenn man hoch kommt, so rühmt mau sich der Niedrigkeit. Die unsichtbaren Sachen sind unser Gegenstand (Objekt). Ist die Freude sichtbar, so übersieht man sie, und versinket in den Tod Jesu. Ist das Leiden sichtbar, so übersieht man es, und blicket ins Leben des Herrn, wie es jetzo unter uns geschiehet und bisher geschehen ist, nach dem Wunsch: küsse uns, wenns Herz in Wehmuth, geht's uns gut, so mach uns blöde. Seid also wie ihr seid, wir sind es zufrieden: laßt aber uns darinnen auch machen, wie wir dürfen und sollen.

Daß ich aber dein Inspirationswort (ein Wort, das fehlen kann, und gefehlet hat, wenn es auch nur ein sehr weniges wäre) für das Wort des lebendigen Gottes selbst, ja wie du es nennst, für das selbstständige Wort im Mund und Herzen halten sollte, das kann ich nicht, und mußt du darinnen mit mir Geduld haben. Ich habe auch nie eine Miene gemacht, die euch das hätte können glauben machen. Denn du weißest, daß ich's von Anfang ausgesetzt, daß man den Ausdruck: so spricht der Herr, brauche. Die Fehler in der Inspiration selbst haben einen Einfluß in ihre Göttlich- oder Menschlichkeit, und sind nicht mit andern Fehlern, die ein Knecht Gottes hat, zu vermengen. Bekennest du also selbst Fehler in deinen Zeugnissen, so ist der Schluß, daß sie nicht unmittelbar göttlich sind, richtig. Das ist aber die Application auf unsere Fehler darum nicht, weil wir uns für Anfänger und für eine solche Gemeine bekennet, die zwar nach dem im Wort geoffenbarten Willen des Herrn so treulich zu wandeln sucht, daß wir mit unserm Sinn auch nicht einen Titel davon übertreten wollten, aber noch sehr unerfahren und kindisch ist, auch dabei unter klugen und gewaltigen Feinden, als unter Schlangen und Löwen liegt. Du sagst: wir wollten über Alles hoch herfahren; Du irrest dich. Wir werden in der That kleiner in unsern Augen. Wir sind einander selbst sehr scharf, und müssen sehr herunter. Denn man beschuldigt uns allzu großer Schärfe. Unser Heiland ist uns auch sehr scharf. Was wir in unserer Gemeinde haben, und darauf halten, ist apostolisch, und wird auch von Andern, die draußen sind, weil es die einfältigste Schrift zum Grund hat, dafür erkannt. Das ist das Ziel, wonach wir uns messen. Daß wir arme Sünder, die sich bekehren, wieder aufnehmen, ist wahr; daß wir aber Leute zur Stunde, wenn sie unlauter, in Fleischesfreiheit stehen, oder doch kaum heraus sind, in Aemter setzen, ist aus unserer Praxis unmöglich zu erweisen. Wir wollen euch niemand abspenstig machen, und wider deinen Willen keine Schwester oder Brüder zu euch senden. Wenn es aber auch auf Erfordern geschehen wäre, so wissen sie Pauli Regel, daß sie auf einen fremden Grund nicht bauen, sondern mit ihren Gaben dienen sollen in aller Unterthänigkeit. -

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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