Zinzendorf, Nikolaus von - Reden über den 2. Artikel - Die sechste Rede.
Mein Herr.
Mein Herr und mein Gott, Du kennest die Seligkeiten, die man hat in der Erkenntniß von Deiner Hausvaterschaft, und wie man auf einmal allen den unglückseligen Umständen entrissen wird, die man hatte in seiner vorigen Fleischesfreiheit. Du weissest, o König der ganzen Welt, wie gut es Deine freie Hausleute und Unterthanen haben, die sich Dir williglich lassen, die Dich darum bitten, daß Du sie würdigen lassen, die Dich darum bitten, daß Du sie würdigen wollest Deiner Befehle und Oberherrlichkeit. Mache uns Alle so selig, die wir hier vor Deinem Angesichte sind, und laß das, was diese wichtige und ungemeine Wahrheit in sich fasset, wenn nicht mit der Pünktlichkeit, die dazu nöthig wäre, doch nach der Wahrheit bezeuget werden, um Deiner Gnade willen. Amen.
So Jemand den Herrn Jesum nicht lieb hat, der sei verflucht. 1 Cor. 16, 22.
Diese Worte des Apostels Paulus folgen auf den Gruß, den er den Seelen gibt.
Um dieses Zusammenhangs willen scheint's, als wenn ein Bann wäre über alle die Glieder der Gemeine, die Jesum nicht lieb haben, weil es im Gegensatz des Kirchengrußes stehet, der in alten Zeiten was Mehreres bedeutete, als heutzutage. Denn es ist bekannt, daß Johannes den Widerchristen, die Christi Gottheit läugneten und die Lehre Jesu nicht hatten, den Gruß versaget. 2 Joh. v. 10.
Da nun Paulus befehlet, die Gemeine zu grüßen, und hinzu thut: Ich Paulus grüße euch mit meiner Hand; so nimmt er alle die aus, die Jesum nicht lieb haben, ob sie gleich zum Haufen gehören möchten.
Ich will mich aber dabei nicht aufhalten, ob es eine Bannsformel oder nur eine Erzählung sei des unglückseligen Zustandes der Seelen, die Jesum nicht lieben, ohngefähr wie Offenb. 21,11. Wer böse ist, der sei immerhin böse; wer rechtschaffen ist, der mag's bleiben, daß er also hier sagte: Wer den Herrn Jesum nicht lieb hat, der ist eben verflucht, der kann den Segen nicht erben, dem kann man schon nicht helfen, unser Friede kann nicht auf ihm ruhen; denn die Ursache alles Friedens ist Christus, unser Friede. Denn dem sei wie ihm wolle, obwohl der Ausspruch eine mildere Deutung leidet, so bleibet es doch bei der Sache, die ausgesprochen ist, daß alle Seelen einer Gemeine, die Jesum Christum nicht lieb haben, verflucht sind. Denn man muß einen Unterschied machen (nach dem Evangelio) unter den Menschen, die von Jesu nichts gehöret, und sich nicht unter Seine Gemeinschaft begehen haben, und unter Leuten, die sich in einer Gesellschaft beenden, die im Namen Jesu versammelt ist.
Alle Reden, alle Drohungen, alle Vermahnungen der Apostel auf die heutigen Zeiten deuten; alle Menschen unter eine Verfassung ziehen wollen, dazu sie nie gehört haben, das lässet sich nicht thun, daraus würden Folgen entstehen, die ganz wider der Apostel Sinn wären. Sie haben ihren Generalplan nicht verlassen, alle Menschen demüthig zu bitten, sich dem Herrn Jesu zu ergeben; sie haben ihren Bann nicht ausgesprochen über Leute, die sie nichts angingen; sie haben niemals über solche geeifert, die nicht in der Gemeine waren: sondern haben nur allezeit mit solchen Leuten ernsthaft gehandelt, über die sie Macht hatten zu gebieten ; wie Paulus sich zweimal ausdrückt, erstlich an den Timotheum: Ich gebiete dir vor Gott, 1 Tim. 6, 13. zweitens an die Thessalonicher: Wir gebieten euch im Namen unsers Herrn Jesu Christi, 2 Thess. 3, 6. welche Formel er an den Philemon so erkläret: Ich habe Macht dir zu gebieten; und das ist darum die Weise der Knechte Gottes, weil, wenn man den Menschen, die nichts von Gnade und Kraft erfahren haben, sagt, was sie machen sollen, wie sie sich beweisen sollen, es eben so ist, als wenn man einen Lahmen zum Boten machen, oder einem Blinden allerlei Sachen zu beurtheilen geben wollte, wozu ein scharfes Gesicht erfordert wird. Wer des Dürftigen spottet, der höhnet seinen Schöpfer. Sprüche 17, 5.
Wer die natürlichen Leute, die Jesum nicht im Herzen haben, die Ihn auch nicht können haben, die oft von vielen andern Dingen abgehalten werden, sich nur einen rechten Begriff von Jesu zu machen, an und für sich selbst verdammen will, der unterstehet sich einer weitläuftigen Sache, die seines Amtes nicht ist. Es ist eines Zeugen Jesu Sache nicht, Gerichte auszuwerfen über die Menschen; er muß erst wissen, wen er vor sich hat.
Darum, obgleich auf uns Christianer, die wir uns der biblischen Religionsform bedienen, und uns nicht gern wollten nachsagen lassen, daß wir zum Hause Gottes, zu der Kirche Jesu Christi nicht gehöreten, gar füglich das drohungsweise könnte gedeutet werden, was der Apostel sagt; so muß ich doch frei bekennen, daß dadurch, daß das alte Verderben, das wir von Natur haben, das durch die Taufe nach unserer Lehre von uns sollte genommen werden, und auch wirklich kann genommen gewesen sein, wieder da ist, es nicht mehr eine Drohung, sondern bei den Meisten unter uns Thatsache ist, daß ihr den Herrn Jesum. nicht lieb habt.
Es gründet sich das große Recht, das der Heiland zu unserer Liebe hat, auf verschiedene Wahrheiten der heiligen Schrift. Im 110ten Psalm heißt es: Nach Deinem Siege wird Dein Volk lauter Willigkeit sein. Das erkläret Jesaias Cap. 53, 11. 12: Weil Seine Seele gearbeitet hat, wird Er Seine Lust sehen, und die Fülle haben. Darum sollte Er große Menge zur Beute kriegen. Der Apostel aber macht den Schluß, und deutet es sonnenklar und unwidersprechlich auf den rechten Mann, wenn er sagt: Er ist darum für sie Alle gestorben, auf daß, die so da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben und auferstanden ist, 2. Cor. 5, 15. und an einem andern Orte: Dazu ist Christus gestorben und auferstanden und wieder lebendig worden, daß Er über Todte und Lebendige Herr sei. Röm. 14, 9.
Also gehöret Ihm das Kelch und Zepter über alle Seelen, über alle Menschen auf dem ganzen Erdboden, sonderlich über die, die in einer Gesellschaft, die in einem solchen Haufen oder Gemeine sind, da Seine Lehre frei geredt, öffentlich bezeuget und genehmiget wird, dadurch sie sich unterscheiden von den Ungläubigen, da sie denen um sie wohnenden Juden alle Tage ins Angesicht sagen, und vor ihnen erscheinen wollen, als wenn sie Leute wären, die den Jesum von Nazareth, den jene nicht kenneten, für ihren Herrn und Gott annähmen. Die haben wohl billig nichts einzuwenden, wenn man ihnen den Jesum ans Herze legt.
Fragt man aber, worinnen Seine Herrschaft bestehen soll? Antwort: Darinnen, daß Sein Volk willig ist, daß Sein Volk Ihm mit Lust und Freude dienet.
Das bezeuget der Heiland mit den Worten: Wer mich liebet, der wird mein Wort halten. Joh. 14, 23. und im Gegenteil: Was heißet ihr mich Herr, und thut nicht, was ich euch sage? Luc. 6, 46.
Der Anfang ist da nicht zu machen, daß man thut, was der Heiland befohlen hat. Denn wie schon oft gesagt ist, wer beim Thun anfängt, da er noch ohnmächtig im Geist, da er noch todt, da er noch blind ist, da er noch keine Gnade hat, da er die Kraft Gottes noch nicht erfahren hat, sondern noch in seiner eigenen Kraft stehet; der bereitet gar nichts: und wenn er was macht, macht er ein Gewebe, das nichts taugt. Er hat einen Grund, dessen Seichtigkeit er wohl nicht siehet und merket, darüber er aber immer tiefer ins Verderben sinkt, je mehr er dem Grunde trauet.
Wir können nichts gehen, wir müssen erst haben. Gnade müssen wir haben, Vergebung im Blute Jesu.
Wir müssen erst wissen, warum Er der ganzen Welt und unser Herr ist, so daß jede Seele an sich selbst erfahren muß, warum Er ihr Herr ist. Jede Seele muß mit Freudigkeit sagen können: Er ist mein Herr.
Was Thomas sagte, da ihm Seine Striemen, Seine Wunden, Seine Nägelmale, Seine geöffnete Seite vorkam, das war gar sehr unterschieden von dem, was am Tage des Gerichts entweder die Nationen und Völker der Erden alle thun werden, oder doch gewiß die Stämme des Volks, das die Verantwortung Seines unschuldig vergossenen Blutes über sich genommen hat: Sie werden sehen, in wen sie gestochen haben, und werden heulen. Thomas sagte: Mein Herr und mein Gott. Das war die Wirkung von dem Blick, den er in die Nägelmale that. Er bekannte gerade heraus, daß Jesus sein Herr sei; er gestand, daß auch an seiner Person erfüllet wäre, was die Propheten gesagt, daß Sein Volk Ihm williglich würde opfern. Ps. 110. Er war der erste unter den Jüngern, der das that, was Maria Magdalena, die große Sünderin, unter allen Menschen zuerst gethan, zu Seinen Füßen niederzufallen, und Ihn zu erkennen. Hernach thaten es alle Jünger, fielen vor Ihm nieder, und beteten Ihn an.
Gewiß das Wort, daß Christus unser Herr ist, ist von ausnehmendem Umfang, Erfahrung und Kraft. Wer in der gegenwärtigen argen Welt weiß, daß Jesus sein Herr ist, der ist hinter ein Geheimniß gekommen, das ihn in allen Umständen, in allen Tagen seines Lebens, und in Allem, was ihm begegnen kann, unaufhörlich tröstet und aufrichtet.
Es ist keine schwere Sache; und weil es eine leichte Sache ist, so ist's eine desto größere Anzeige des Verderbens, Fluchs und Todes einer Seele, wenn sie das nicht sagen kann. Er ist mein Herr. Denn Jesum zu seinem Herrn haben, ist nichts anders, als daß eines in seiner Seele überzeuget ist, Er hat mir eine Treue erwiesen, die ich in der ganzen Welt von Niemand erfahren habe, und Ihm nicht anders verdanken kann, als mit mir selbst. Was an mir kein Engel, kein Mensch, der vornehmste Freund, der mächtigste Beförderer und allergrößte Schutzherr nimmermehr thun kann, das hat Er prästiert. Und die Treue, die Er uns damals gethan, continuieret Er, so lang Er lebet, Er stirbet aber nimmer. Christus von den Todten erweckt, stirbt hinfort nicht. Röm. 6, 9. Wir wissen, wir mögen leben in der Zeit oder in der Ewigkeit, so behalten wir diesen Herrn.
Wir werden auch nicht aus Seinem Dienste gehen; es gehet uns ewig wohl in Seinem Hause. Wir haben einen freundlichen Herrn, und wenn wir was versehen wegen unserer Armuth und Untüchtigkeit: so wird Er uns immer nach unserm Herzen urtheilen, und niemals der Sachen Ausgang von uns fordern, sondern nur wie es gemeint war.
Die größten Thaten ohne Herz überzeugen den Heiland nicht, daß man Sein sei. Berge versetzen, Teufel austreiben, Kranke gesund machen macht's nicht, daß Er sich zu uns bekennt. Denn wenn die Leute an jenem Tage werden sagen: Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissaget, haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben, haben wir nicht in Deinem Namen viel Thaten gethan? so wird Er ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, ich weiß von euch nichts. Matth. 7, 22. 23.
Hingegen der allerohnmächtigste, allergeringste, mit Sünden beladenste Mensch, der zu Gnaden kommt, der nicht einen Moment mehr Zeit hat zu wirken und zu thun für Ihn, hat einen solchen freundlichen, liebhabenden, holdseligen Herrn und Meister zu gewarten, als Ihn der hat, dem Werke, in Gott gethan, nachfolgen mit Haufen.
Das ist nun wohl freilich der Eigenliebe erschrecklich zu hören, daß man mit allen seinen Werken nichts verdient, daß unsere besten Thaten, wenn sie auch von Gott gewirkt waren, zu der Zeit, da wir vor Sein Angesicht treten, nichts ausrichten werden, ja nicht einmal in unser Gedächtniß kommen. Denn wenn der Herr wird sagen zu denen zu Seiner Rechten: Ihr habt mich gespeiset, ihr habt mich getränket, Matth. 25. so werden sie es nicht mehr wissen. Sie hatten keinen Eindruck davon, der ihnen bliebe. Die Werke folgen uns nach, darum sehen wir sie eben nicht.
Es ist auch nicht Lohns werth, was wir Gutes thun; denn wo ist eine einzige That, die man für Jesum thäte, die nicht schon ihren Lohn bei sich gehabt hat? Daß man Ihm dienen darf, ist schon ein Gnadenlohn, der mit so viel Vergnügen und Zufriedenheit begleitet war, daß, wenn's vorbei ist, man sich mehr schämt, daß man gebraucht worden ist, als daß man es Ihm sollte anrechnen. „Und würde man ja irgendwo der eignen Gnadenarbeit froh, so kommt die heil'ge Scham herbei, und zeiget uns so mancherlei, daß man Gott dankt, wenn man sich selbst vergißt, und denkt an nichts, als daß ein Heiland ist.“
So sieht's mit dem Dienste Seiner Knechte aus, so gut haben's Seine treuen Diener. Es wird nichts erfordert, als Wille, als Treue und Aufrichtigkeit. Aber wenn sie was wollen verdienen, haben sie nichts, als Mühe und Verdruß. Denn Er gibt den Lohn, wie Er will. Den Letztern gibt Er, was Er den Ersten gibt. Matth. 20, 14.
Werde einer nur eins mit dem Heiland um den Lohn, Er wird ihn nicht verkürzen, und gewiß halten, was Er versprochen hat; aber er muß sich nicht verdrießen lassen, wenn hernach Einer, der nichts verdient hatte, eben das kriegt.
Wer bei dem Heiland was zu gewinnen gedenkt, itzt oder künftig, an Ehre, an Herrlichkeit, oder andere Glückseligkeit, der bringt sich um so viel Ruhe und Friede, als er Nebenabsichten gehabt hat; und wenn er ohne größere Unseligkeit davon kommt, so hat er Gott zu danken.
Es ist eine Schande, wenn eine Creatur nicht weiß, wie selig es ist, Jesum lieben, wenn sie denkt, daß noch sonst eine Seligkeit sei, die uns der Himmel geben könnte, die über den Heiland und Seine Liebe ginge, die mehr wäre, als wenn Er sagt: Ich bin dein, und du bist mein.
Denn darum sind wir selige Leute; darum wohnen so viel himmlische Menschen in diesem Thränenthal, so viel ihrer Jesum kennen: weil das ewige Leben mit drauf ankommt, diesen letzten Boten der heiligen Dreieinigkeit erkennen, der aus ihrem allerhöchsten Mittel ist. Joh. 17, 3.
Es ist dieses eine Wahrheit, davon ich mit Grunde zeugen kann, ohne daß ich mich vor dem Heiland und einiger Gesellschaft schämen dürfte, oder daß ich zu viel sagte. Es ist Wahrheit, es ist eine Erfahrungswahrheit. Ich werde dadurch so glückselig durch diese Welt gebracht: ich mag zu Hause sein, oder reisen, allein, oder in Gesellschaft sein, ich mag's bequem haben, oder mit ausnehmenden Beschwerlichkeiten umgeben sein; ich könnte mir nicht einfallen lassen, von meinem Herrn zu gehen. Gott Lob! daß ich bei Ihm bin.
Was die Jünger sagten: Wo sollen wir hingehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, Joh. 6. das hat mit Seiner Auffahrt nicht aufgehöret wahr zu sein. Er ist bei uns alle Tage bis an der Welt Ende. Matth. 28. Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben. Joh. 20.
Er hat uns im Evangelio, in der Lehre von Seinem Blute, von Seinem Kreuze, von Seinem Tode, von Seinem Verdienst, und der darauf gebauten Seligkeit einen Eindruck hinterlassen, daß, wer seinen Erlöser ein einzigesmal am Kreuze sieht, und in der Gestalt, wie Er sich zu Tode geblutet, im Geist erblickt, der hat was weggekriegt, das ihm kein Teufel, keine Welt, keine Herrlichkeit, kein Leiden und Übungen von innen und außen, weder Freund noch Feind rauben kann.
Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch keine andere Creatur mag mich scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, meinem Herrn. Röm. 8, 38. 39.
Daher es auch die Hauptsumme alles dessen ist, was man in Seinem Dienst, oder allen Umständen, Jedermann einzeln, oder ins Ganze sagen kann: wenn doch Jesus dein Herr wäre! wenn du doch ein einzigmal wüßtest, was das für ein Herr ist, und Ihn recht lieb hättest!
Die Welt muß viel versprechen (ich will nicht sagen, ob sie es hält), wenn sie es auch hält, und mehr thut, als was sie versprochen hat: so langt's nicht gegen Den, der nicht allein nichts verspricht, sondern verspricht Leiden, Druck, Schmach, Armuth, Verfolgung, Tod, um Seines Namens willen.
Das ist der Sold, dabei man so ruhig, so vergnügt ist, und weniger Gedanken hat, seinem Herrn zu verändern, und in andere Dienste zu gehen, als wenn man sonst bei einem Herrn wäre, und genösse alle Herrlichkeit und Reichthümer der Erden.
Das kann Keiner glauben, als der's erfahren hat.
Es ist dies eine Sache, die wider alle Natur ist, die sogar allen andern Methoden entgegen ist, die uns von Kindesbeinen an beigebracht sind, oder wir uns vorstellen können, daß man sich nicht drein finden kann, man muß dann Gnade haben.
Es haben sich die Jünger des Herrn Jesu selbst nicht drein finden können.
Petrus war erklärt vom Heilande für einen Mann, der auf den Felsen gegründet wäre, aber doch sagt er: Das widerfahre Dir nicht, nein, so weit muß es nicht kommen.
Es ist keine Abkehr, die sich durch Gründe ausreden, keine Zuneigung, die sich durch Gründe beibringen lässet.
Man kann einen wohl dahin bringen, daß er nichts mehr zu antworten weiß; aber wenn darnach Gelegenheiten, wenn thätige Beweise kommen, wenn Proben kommen, da helfen Überredungen nicht, da siehet man, wie wenig sie ausgeben.
Hingegen darf der Heiland nur ein einzigmal eine Seele fassen, Er darf sie nur einmal einen Blick thun lassen in Seine Versöhnung, ihr Auge darf nur einen einigen Tag so pünktlich auf Ihn gerichtet, und von andern Dingen entfernet werden, daß sie Sein Blut, Seinen Tod, Sein Verdienst, Seine ewige innige Liebe fühlet und gewahr wird, und das an ihrem Herzen erfähret, wovon die Jünger sprachen, da Er mit ihnen gegangen war, da Er mit ihnen geredet, da Er ihnen die Schrift ausgeleget hatte: Brannte nicht unser Herz? Darnach braucht man nichts mehr; dann ist man Sein Eigenthum.
Ich weiß davon auch mit großer Gewißheit zu reden.
Ich bitte euch Alle herzlich, sich in die Betrachtung des Leidens Jesu recht hinein zu geben, und sich Zeit dazu zu nehmen.
Ich halte es für werth, allen andern Dingen einen Aufschub zu geben, bis man damit fertig ist, weil ich weiß, und mich besinne, daß, da ich's zum ersten Mal in meinem Leben gehöret, daß Jesus für mich gestorben, in mir das Vergnügen, die Innigkeit, der Zug zu Ihm, die Liebe entstanden ist, darinnen ich heute noch stehe, und von Stund an nicht anders gekonnt habe, als Ihn lieben, und Seinen Tod, als die ehrwürdigste, schönste, liebenswürdigste und seligste Sache in der Welt, verkündigen.
Es sind das Dinge, die der allereinfältigste Mensch fassen kann, Dinge, die auch der erfahrenste, der allerweiseste, der klügste, der geübteste, der geehrteste Mann fühlen, glauben und erfahren muß an seinem Herzen, wie das kleinste Kind.
Daß da mancherlei zurückbleibt, daß da noch viele Wahrheiten fehlen können, die der heilige Geist noch gern dazu haben möchte, und daß noch mancherlei Sachen zurückbleiben, darüber man sich vor Seinem Angesicht zu schämen hat, wenn es mit der Gnade so jählings und auf einmal zugehet, läugne ich nicht; denn die Liebe, der Drang und der Zug zu Ihm gehen geschwinder, als die Gedanken und Überlegung.
Darum nennet Paulus dergleichen Leute unzeitige Geburten, und saget, er wäre zu seiner Zeit auch eine gewesen.
Aber eben dabei erfahren und sehen wir, was wir für einen guten Herrn haben, wie treu Er ist, wie zart Er mit uns umgehet, wie lange Er uns nachstehet, wie Er alle unsere Fehler, alle unsere Mangelhaftigkeiten weiß gut zu machen, alle zurückgebliebene Sachen einzubringen, und was an Erfahrung, was an Zusammenhang, was an Begriffen mangelt, durch Seine Treue und einige Weisheit zu ersetzen.
Es wird von einem Haushalter nicht mehr erfordert, denn daß er treu erfunden werde. 1 Cor. 4, 2.
Das ist aber vorauszusehen, so lange wir geistlich todt sind, und nicht leben, so kann kein Eindruck von Seiner Meisterschaft ins Herz kommen, und der Verstand kann es nicht fassen.
In den Kopf kann man wohl allerlei kriegen; im Gemüth kann man wohl viel überlegen, und eine Regung am Herzen empfinden. Aber derselbe lebendige, bleibende Eindruck, von dem ich rede, der mit uns aufwächset und nicht mehr von uns zu trennen ist, ist so eingewohnt bei uns, daß Er immer mitgehet, wo wir hingehen, wo wir essen, trinken oder reisen, da ist Er mit; unter alle Discourse, in alle Gelegenheiten, unter alle Handlungen und Wirkungen des Lebens menget Er sich mit ein.
Dieser Eindruck läßt uns nicht mehr thun, was wir wollen, sondern bindet uns an des Heilandes Regel.
Derselbe Eindruck kann aber nicht eher kommen, als bis der Mensch lebt, bis der Sohn Gottes ihn läßt Seine Stimme hören, bis das todte Wesen durch das Blut Christi weggenommen und das steinerne der Bearbeitung fähig gemacht worden, wie der Prophet saget: Ich will das steinerne Herz wegnehmen, und will euch ein fleischernes geben. Ezech. 36, 26. Das ist die Arbeit der seligen Botschaft vom Blut des Lammes, da in dem Augenblick das Herz zerschmelzt, und der Tod weichen muß, damit das Leben Platz bekomme. Wenn nur die Menschen zu der Stunde, da der Herr kommt mit Seinem Geiste, das Wort vom Kreuz in sie zu pflanzen, ihr Herz nicht stellten wie ein Demant, sich nicht verhärteten, nicht Hülfe suchten in Büchern, bei Menschen, bei Zeitvertreibungen und an allen Orten, da sie Hülfe zu finden meinen wider des Heilandes Seinen starken Zug.
Daß wir dieses vielmal thun, wird uns unser Gewissen sagen.
Wie oft haben wir gemerkt, daß der Heiland uns nahe gewesen? Wie vielmal aber haben wir uns wieder selbst geholfen, daß Seine Arbeit nicht hat zum Zweck kommen können?
Überdem ist es heutzutage eine Schande geworden, wenn man sich vom Heiland überwinden läßt, und hingegen eine Ehre, wenn man allen Zügen, Werbungen, Wahrheiten des Evangelii widerstehen kann. Es hat einer von seiner Bekehrung nichts zu gewarten, als daß er gehasset, verspottet und verfolget werde von seinen Freunden, von seinen Nächsten, von Allen, wer ihn gekannt hat. Das ist wahr!
Es ist in der Christenheit schwer, dem Heiland nachfolgen, und wer dem Kreuz hat entgehen wollen, der hat sich in die andere Welt übers Meer gemacht, weil er geglaubet, bei den Wilden damit sicherer zu sein, als unter den Christen.
So bald man aber weiß, daß man des Heilandes von Herzen ist, so thun einem die Dinge nichts mehr, sondern man bleibet ein glücklicher Mensch.
Das Herz freuet sich, und Niemand kann einem die Freude rauben. Ich werde euch wieder sehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude wird Niemand von euch nehmen.
Das Hingehen zu der Stunde und Augenblick, da der Heiland rufet, hat einen Einfluß ins ganze Leben.
Man ist da den Mühseligkeiten nicht unterworfen, damit sich die armen Seelen schleppen müssen, die so oft vergeblich anklopfen lassen.
Nun muß ich noch mit ein paar Worten gedenken, wie man sich zu verhalten habe bei seinem Beruf, daß man ihm darum doch nicht ungemäß wandele.
Es ist bei Manchem die Vorstellung: Wenn ich gleich wollte Jesu Eigenthum sein, so kann ich's nicht thun, denn ich habe den Herrn, den Meister; ich habe was Anders zu thun; ich stehe in Umständen mit diesen oder jenen Leuten.
Das ist's, was Manchen Hindernisse zu machen pfleget; aber was hat das für eine Verbindung mit unsers Herrn Dienst?
Man kann in Allem aushalten in der Welt, was nicht an und für sich sündlich ist.
Was einer für besondere Überzeugungen von seinem Zustand hat, das ist ein andere; denn es ist einem schädlich, was dem andern es nicht ist.
Es kann einem gut sein, was dem andern hinderlich ist; es kann etwas bei einem unter göttlicher Geduld stehen, was Gott an einem andern nicht leidet.
Aber überhaupt hat das keine andere Abmessung in allen äußerlichen Ständen, in allen Verfassungen, in allen Handthierungen, sie mögen in der heiligen Schrift befohlen oder stehen gelassen sein; indem sie gethan werden, kann der Heiland Herr drüber sein. Denn alle Menschen in der Welt sind Seine, alle Creaturen sind Seine Knechte.
Sogar auch die Knechte, die bei den Heiden unter dem Joch standen, sollten ihrer Herren Geschäfte, die oft wunderlich genug heraus kamen, dem Heiland thun. Ihr dienet dem Herrn Christo, sagt der Apostel. Eph. 6, 7.
Daher auch Lutherus saget: „Wenn eine Magd die Stube auskehret, kann sie ein Werk in Gott thun.“
Ihr esset oder trinket, oder was ihr thut, so thut es Alles zu Gottes Ehre 1 Cor. 10, 31.
Der Heiland ist so genau mit Seinen Knechten und Mägden verbunden, daß Er hinter allen ihren Kleinigkeiten wirklich stehet.
Was sie mit wahrer Freudigkeit thun, und zwar nicht aus der Absicht, sich zu bereichern, ein gemächlich Leben zu führen, geehrt zu werden, ihre Affecten zu erfüllen, sondern aus dem wahrhaftigen Grund: es ist mein Amt, es ist mir befohlen, darum will ich's von Herzen thun; das segnet, das regieret Er, das fördert Er, das schützet Er, da ist Er mit dabei, wie wir am Joseph in Egypten sehen, der doch zu noch gar trüben und dunkeln Zeiten lebte.
Man hat sich nicht nöthig sehr zu martern, daß man Gewißheit kriege in seinen Dingen. Der Heiland zeiget es Seinen Knechten aufs allereinfältigste, aufs allernatürlichste, was Ihm gefällt oder nicht.
Er überzeuget sie auch davon, was Er nicht haben will; aber das ist ein untreuer Knecht, der, wenn es sein Herr fordert, nicht den Augenblick fahren lässet alles Glück, alles Wohlsein, alle Ehre, alle Herrlichkeit.
Proben sind da, aber Er leget nicht vor die lange Weile was auf, sondern Er ist pünktlich.
Als der Erhalter der ganzen Welt will Er, daß jede Sache soll in ihrer Ordnung geschehen; und Er hat es gerne, wenn Seine Kinder auf dem Erdboden hie und da ausgestreuet sind, und daß Seine Jünger alle Stände, alle Ämter, alle Geschäfte heiligen, wie alle die thun, die der Geist regieret.
Darum wäre es freilich zu wünschen, und es wäre sehr gut, daß die ganze Stadt und das ganze Land mit Knechten und Mägden Christi könnte erfüllet werden, doch daß sie darum weder ihre Ämter noch ihren Stand änderten oder verließen, sondern kriegten nur ein ander Herz, einen andern Geist, einen andern Trieb, eine andere Ursach, ihre Geschäfte und Handlungen zu treiben.
Da würde sich das menschliche Geschlecht sehr freuen; auch die würden es zu genießen haben, die Jesum nicht kennen, die eben unter der Geduld Gottes stehen, und Seine Kinder noch nicht sind.
So siehet's aus um den Dienst unsers Herrn, der sich darinnen gründet. Dir sind deine Sünden vergeben; und dabei anfänget: Ich will's thun, sei gereiniget.
Nicht nur wer Jesum bekennet, wer sich seiner Taufe rühmet, wer zum Abendmahl gehet, sondern auch wer die geringste Handlung thut, damit er bezeuget, daß er zur Gemeine Gottes gehöret, und hat den Herrn Jesum nicht lieb, der hat einen besondern Bann auf sich, er ist verflucht von dem Apostel; wie die alten Zeugen Jesu die Glieder der Gemeine vordem in Bann thaten, z. E. den Ananias und die Sapphira.
Wer aber die äußerlichen Religionsdinge nicht mitmachet, und frei gestehet: Ich mag des Heilands nicht sein, der lieget doch theils unter der Verhaftung des zukünftigen Zorns, theils unter dem allgemeinen Verderben, da man den Fluch anziehet, wie ein Hemd, und er läßt nicht von einem: Alles ist todt um einen herum; Alles ist verdammlich, und das ganze Leben ist nur ein Vorhang, vor alle das Verderben und Unglück und Hölle hergezogen; und wenn die äußerliche Hütte gebrochen wird, so lieget man auf einmal im Pfuhl, ohne daß man sich weiter zu retten weiß.
Das ist ein bejammernswürdiger Zustand, der den Menschen, die darinnen stehen, Ehre und Reichthum, Kron und Zepter, alle Paläste, alle Herrlichkeiten und alle Glückseligkeiten dieser Welt zu lauter Schreckstätten und Wüsteneien macht.
Davon ist die Erfahrung so beschaffen, daß man sich darauf berufen kann, denn sie liegt in allen Menschen und Beschaffenheiten.
Die Erfahrung aber, wie gut man es bei dem Heiland hat, die wartet auf die Stimme des Sohnes Gottes.
Treuer und lieber Heiland! ich bitte Dich kindlich, Du wollest alle diejenigen, die sich in diesen Tagen und bisher gefallen lassen, und noch sich werden gefallen lassen, das Zeugniß von Deiner Herrschaft, von Deinem ewigen Frieden, von Deiner ewigen Liebe, von Deinem Verdienst, und wie gut man es bei Dir habe, anzuhören, Du wollest sie in Deine Arme nehmen, ihnen Allen nahe sein, Du wollest ihnen Allen nachgehen, sie Alle Deine Herrlichkeit fühlen lassen, damit Du eindringen könnest mit Deinem Geiste, damit Du ihnen könnest ihre Sünden vergeben, ihnen allen Tod und Verderben wegnehmen, und sie aufnehmen in Dein Reich; und alle ihr übriges Leben, alle ihre Umstände wollest Du zu lauter Friede und Freude machen: denn Du bist der gute Heiland, dem die Seelen so lieb, dem sie so wichtig sind; sie sind Dein Lohn und Freude, sie sind die Krone Deines Hauptes: nimm Dich ihrer Aller an. Der Vater hat sie Dir übergeben. Du sollst ihr König, ihr Haupt sein, Du sollst in ihnen wohnen und wandeln. Thue es, und fange an, je eher, je besser, sonderlich unter denen, die hier vor Dir stehen, das Herzensregiment auszuüben, das über allen Verstand und Sinne geht, und den Frieden, der über alle Vernunft, auszuschütten, um Deiner Treue willen. Amen.