Zinzendorf, Nicolaus Ludwig Graf von – Einige der letzten Reden - Zweite Rede.
gehalten am 24. Juli 1755, über die Worte:
Christus ist euer Leben.
Kol. 3,4.
Er ist das Leben aller alt- und neutestamentlichen Gläubigen. Henoch wandelte mit Ihm, Abraham hatte seinen eigenen Umgang mit Ihm. Es gab immer so Männer, die ohne Ihn nicht leben konnten. Wir dürfen nur die Psalmen lesen: wie oft hat David bezeugt, dass er sich nirgend hin wisse, wenn er von Ihm weggehen wollte. Wenn Du Dein Antlitz verbirgst, so erschrecke ich, Ps. 30,8. Meine Seele ist zermalmt vor Verlangen nach Dir, Ps. 119,20. Wenn mir auch Leib und Seele verschmachtet, so weiß ich doch, wo ich das wahre Leben wieder finden soll, Ps. 73,26.
Wessen Hauptmaterie im alten Testament nicht sein Schöpfer war, oder wie es David ausdrückt, Gott, unser Heiland, der war kein rechtschaffener Israelite. Die Jünger des Heilands hatten sich so an Ihn gewöhnt, dass sie sagten: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, Joh. 6,68. und so ist es noch.
Seitdem Sein Leiden vollbracht ist, seitdem der blutige Schweiß auf die Erde gefallen, seitdem Seine Hände und Füße durchgraben sind, seitdem das Lamm Gottes am Stamm des Kreuzes geschlachtet ist, seit der Zeit hat man den Heiland, der unser Leben, unser Seelenbräutigam und Freund ist, zu dem man mit all seinem Elend und Not sich wendet, in der Todesgestalt, in der Er „uns erlöst, und die wird uns nie kalt noch alt.“
Wenn man den Mann, der der einige ist in Seiner Art, noch nicht selber im Geist erblickt hat, so kann man sich keine gegründete und richtige Vorstellung von Ihm machen.
Eine jede Seele muss ihre eigene Vorstellung von Ihm haben - keine Seele muss Ihn bloß aus eines Anderen Beschreibung kennen. kennen. Er muss sich dem Herzen selber offenbaren als das Lamm Gottes. Wenn Er sich dem inwendigen Menschen zeigt - und man hat Ihn, wo man um Ihn „weint“ - so geschiehts mit einer solchen Annehmlichkeit, evangelischen Gnade, Zärtlichkeit und Gewissheit, dass Er tot war und nun lebt, und die Marterzeichen geben Seiner Schönheit eine solche Zierde und Anmut, dass einer solchen Seele nichts über ihres Bräutigams Schönheit geht. Er ist ein Mensch wie wir, aber von einer aparten Art. Man kann sagen: das sind artige, liebliche Leute, zumal wenn sie das Jesusbild im Gesicht haben; aber es sind doch Menschen, die nicht für mich gestorben sind - sie tragen Glieder ohne Nägelnarben, das lässt sie in keinen Vergleich kommen mit unserm Leben, dem Leben aus dem Tod, das um unsertwillen gestorben, und in Seinen menschlichen Gliedern wieder erwacht ist, und sie noch nicht abgelegt hat.
Wir Kinder Gottes in der jetzigen Ökonomie nach Gottes Geburt haben uns also nie kein Leben vorzustellen, als aus dem Tod, keine Gnade, als verdiente Gnade, keine andere, als erworbene Heiligkeit, keine Gerechtigkeit, als die mit Seinem Blut erstritten ist. Was man tut und denkt und redet wird mit Seinen verdienstlichen Tränen und mit Seinem Blut vermengt.