Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von - Die Feindschaft der Welt
Ich habe auch oft beobachtet, dass die Leute manchmal den Kindern Gottes nicht feind sind, ihre Meinung ist zum wenigsten nicht, sich an Gott zu versündigen. Es ist ein irriger, eigenliebiger Gedanke, wenn man sich gewöhnt zu denken: der Mensch verfolgt mich, das muss ein Feind des Herrn sein; das folgt nicht. Der Heiland nimmt wohl allemal seiner Kinder ihre Sache für die Seine an. Er erkennt die Wohltaten, die man seinen Kindern erzeigt, für Sich geschehen; das ist gewiss. Aber das gehört in sein Gericht, in seine geheime Anstalten: darum haben wir uns gar nicht zu bekümmern. Wir müssen dabei bedenken, was uns selbst angeht, und nie von der Absicht unsrer Gegner leichtsinnig urteilen, sondern die erste Schuld aller ihrer Feindseligkeiten, Lästerungen und wahren Versündigungen an und bei uns suchen. Wer in keinem Wort fehlt, ist ein vollkommener Mann. Das sind wir nicht, und fehlen also und nach Art einfältiger Gemüter, vielleicht öfters als andere.
Daher ist das noch kein Beweis einer Feindschaft, man kann sehr viel gegen die Leute einwenden, heimlich und öffentlich rc. man ist deswegen noch lange nicht ihr Feind. Aber wenn es auch zu einer Feindschaft kommt, die man nicht mehr entschuldigen kann, da man in seinem Herzen überzeugt ist, die Menschen sind Feinde, sie haben nichts zum Zweck als Personalitäten, sie hassen den Mann, wie David sagt, ohne Ursache, sie wollen den Mut fühlen, sie wollen zerbrechen und verderben, da entsteht der Gedanke, von dem ich schon gesagt habe: hätt' ich dich nur zum Blut der Wunde, du wärst mehr als ich in einer Stunde. Wer das menschliche Verderben kennt, stellt sich dann parallel mit dem Gegner und denkt: wie komm ich dazu, dass ich anders bin? Aus Gnade bin ich selig geworden, und dasselbe nicht aus mir; ich bin von eben der Art zu denken, ich habe dieselben Schwachheiten und Leidenschaften; ich habe eben dieselben Bitterkeiten in meinem Gemüt und in meiner Natur; und dass ich anders zu Werke gehe in diesem und jenem, das ist Gnade.