Zeller, Samuel – Haus-Andachten - IX.

Zeller, Samuel – Haus-Andachten - IX.

Die große Operation.

1 Kor. 1,30.
Von welchem auch ihr herkommt in Christo Jesu, welcher uns von Gott gemacht ist zur Weisheit, und zur Gerechtigkeit, und zur Heiligung, und zur Erlösung.

Bei manchen Christen dauert es lange, ehe alles an ihnen geschieht, was geschehen muss und darf, dass sie selig werden; bei andern geht's kurz, wie bei Paulus. Alles aber, was an einem jeglichen Menschenherzen geschehen muss, zeigt sich in diesen vier aufeinanderfolgenden Stufen: Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Was uns die Geschichte vom verlorenen Sohn praktisch vorführt: eine Einkehr in sich („Ich will zu meinem Vater umkehren“) und seine wirkliche Umkehr zu ihm, ist uns hier theoretisch gezeigt. In vier kurzen bündigen Worten ist das gesunde, nüchterne, lebendige, wahre Christentum, auf vier Säulen ruhend, gezeigt. Wo eins derselben fehlt, ist das Christentum ungesund oder nur halb. Wie dort dem Propheten Hesekiel der Weg zum vollendeten Heil gezeigt wird, ist's ein Strom, aus dem Heiligtum fließend, der zuerst demselben bis an die Knöchel, hernach an die Knie, endlich an die Lenden ging und zuletzt so hoch und tief wurde, dass der Prophet nicht mehr gründen konnte, sondern fortschwimmend sich ihm überlassen musste.

Das erste, was wir von ihm erfahren, sein erstes Begegnen uns gegenüber, der Anfang des Erlösungswerkes, heißt: Weisheit. Jesus ist uns gemacht zur Weisheit. Die Weisheit der Welt besteht darin, dass man vieles um sich her kennt, und sich selbst nicht. Die Weisheit des HErrn zeigt uns unsere wahre Gestalt im Licht vor seinem Angesicht. Ein Herz, das sich nicht selbst kennt, hat ja zu schwer, andere zu tragen, zu lieben und zu verstehen. Der HErr tadelte eine Sünde Israels, um derentwillen Er seinem Volke Plage, Heimsuchung schickt, indem er sagt: „Sie gehen hin Er und her, und bleiben nicht daheim.“ Es ist die in unseren Tagen so häufige Sucht, nach außen zu bringen, um das Elend des Inneren nicht erkennen zu müssen. Es ist der Zustand des Hausvaters, der nicht gerne daheim ist, um das Elend der Familie nicht zu sehen; des Kaufmanns, der nicht gerne in seine Bücher schaut, um nicht auf das schauerliche Ergebnis seiner Unfähigkeit zum Zahlen zu kommen. Erkenntnis der Sünde ist die erste Frucht von Gottes Werk in uns, wie auch das erste Gefühl der Juden beim Wiederaufbau des verfallenen Zions war: „Des Staubes ist zu viel.“. Schauerlich ist es, auf die Zentnerlast mit Gott hineinschauen, und unwillkürlich spürt die Seele: „Ich bin schwarz.“ Wenn unser Leben uns als etwas vom Tode, unsere Liebe als Fleischlichkeit, unsere Aufopferung als Ruhmsucht, unser Bitten als Selbstsucht aufgedeckt wird, dann sind wir in der Schule der Weisheit. Ja, wäre Christentum nichts als ein Wesen, das schonungslos unser böses Wesen uns aufdeckt, so wäre es zum verzweifeln. Die persönliche Weisheit, Jesus Christus; bringt uns durch den Einblick in unser Herz einen gewaltigen Kampf; es will sich entledigen von der Sünde, es sucht Ruhe. Wo findet es sie? Nicht im anders-anfangen, nicht im Büßen, nicht im Opfer, nicht in Gaben und Geschenken, nicht im Anschauen und Betrachten des Elends, nicht im Trauern und Weinen, nicht im Rennen und Laufen im Ausblick auf Ihn.

Christus ist uns gemacht zur Gerechtigkeit. Im Aufsehen auf Ihn, in vollständiger Übergabe an Ihn, bekommt das Herz die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt: die Vergebung der Sünden. Es ist ja das Präludium der Hölle: Sünde wissen, und keine Vergebung kennen; die Schulden wissen, und keine Kraft zum Zahlen haben; täglich das Haus sehen müssen, dem man Tausende schuldet; den Vater erblicken, dem man heimlich Unrecht getan hat, dessen Gebote man übertreten, und die mögliche Weise, bald die Sünde entdeckt und dann die strafbaren Kameraden sehen, mit denen man Schande getrieben: die Gassen erblicken, in der das Unzuchtshaus steht; das alles fühlen und nicht ruhig sein; im brennenden Hause sein und keine Retter haben. Wohl dem, dem die Missetat vergeben! Im demütigen Bekenntnis der eigenen Schuld und gläubigen Aufschauen auf Ihn liegt das Geheimnis der Vergebung (siehe das Beispiel des Schächers am Kreuz). Bis dahin versteht manches den Heilsweg, es ist ihm eine erfahrene Sache.

So wahr Gottes Sonne am Himmel noch prangt,
So wahr hab' ich Vergebung der Sünden erlangt.

Es sind dies bekannte Dinge, die Lehre von der Sünde und von der Gnade, der Blick aufs Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Da aber möchte mancher gerne Ruhe haben und stille stehen, und sieht mit Grauen ein neues Blatt sich entfalten:

Christus ist uns gemacht zur Heiligung. Kaum dass man so recht gerufen: „Wann schlägt die frohe Stunde? ach wann komm ich heim?“ so muss man wieder ins Leben, vom Tabor ins Tal, vom Konzert ins Kindergeschrei, von der Vakanz in die Schule, von der frohen Aussicht über vergebene Sünden in die bedenkliche Einsicht noch vorhandenen Elends. Die Wurzeln einst begangener Sünden, Neigungen zu demselben Sündenstoff entdeckt man, und nun entsteht ein neuer Kampf. Beim ersten Gefecht und Treffen ging's um das Werk der Versöhnung; es hieß: ich bin vom HErrn getrennt und muss versöhnt, vereinigt werden; ich habe den HErrn beleidigt und muss abbitten; ich habe gesündigt und muss Vergebung haben. Bei diesem Kampf genügt Versöhnung nicht; man will Errettung! Das erste Mal hat man es mit etwas Vergangenem zu tun; man hatte rückwärts geblickt, eine alte Schuld sollte abgetragen werden, um selig sterben zu können, und es geschah. Nun blickt das Herz vorwärts, es sehnt sich nach dem Ablassen von der Sünde, es ist der Kampf mit der noch vorhandenen Sünde; man will Jesum nicht wieder betrüben. Heiligung ist der Trieb, von der Macht der Sünde los zu werden. Gott sieht dem Riesenkampfe zu, wie kein Einziger mit seiner eigenen Kraft es dazu bringt, je fertig zu werden. Er sieht die Unruhe, das Bezähmen des Leibes, das Verschließen der Augen, das Ertötenwollen der Sinne und Begierden, und lässt's eine Zeitlang zu. Mit der Heiligung, d. h. mit dem Kampfe gegen die Sünde, wird der Beweis gegeben, dass es ernst ist. Gnade ist in Gott, wenn Er uns zur persönlichen Gerechtigkeit wird. Doch so wenig man bei der Weisheit stille stehen kann, so bestimmt muss auch auf Heiligung Erlösung folgen, sonst wäre das Christentum etwas des Furchtbarsten. Ja wem Jesus zur Heiligung geworden, wen Er zum Kampfe gegen die Sünde gebracht, dem will Er auch sein persönlicher Erlöser werden. Vom Sündenansehen wird man nicht selig, sondern kann höchstens verzweifeln oder verstumpfen. Ruhe für die vergangene und gegenwärtige Sünde ist nur in Jesu. Dass viele in der Heiligung bleiben und schier darin verzagen, liegt einzig darin, dass sie durch Heiligung sich selbst Erlösung schaffen wollen. Aber wie die Gerechtigkeit uns gegeben wird, so wird uns Erlösungen geschenkt, denn:

Christus ist uns gemacht zur Erlösung.

In Christo ist voller Sieg über die Sünde, nur in Ihm. Eine Menge Beter ringen lange vergebens, weil sie sich herumschleppen und wiederkommen mit dem alten Sündenplunder, und nicht Jesum anschauen, sondern sich und die Sünde. Der Mensch allein wird nicht fertig. Der Schluss des großen Erlösungswerkes ist der heilige Sabbat, da man ruht von seinem eigenen Heiligungswerke, wie Gott ruht von seinen Werken.

In der Weisheit arbeitet der Mensch; in der Gerechtigkeit ruht er; in der Heiligung kämpft seine Seele mit der Sünde; in der Erlösung ruht sie in Gott. In der Weisheit werden wir schwarz; durch die Gerechtigkeit werden unsere blutroten Sünden schneeweiß; die Heiligung macht uns zu Kämpfern; die Erlösung legt uns an die Brust Jesu.

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autoren/z/zeller_samuel/zeller_hausandachten/zeller_hausandachten_ix.txt · Zuletzt geändert: von aj
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