Zeller, Samuel - Haus-Andachten - I.
Matth. 6,22. 23.
Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein; wenn aber dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn aber das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis selber sein.
Dieses Wort Jesu spricht schon genugsam; aber es macht noch mehr Eindruck, wenn wir es mit einigen Sprüchen und Taten aus der Heiligen Schrift belegt sehen. An unserem ganzen Leib ist kein Glied, das so empfindlich, aber auch so geschützt ist, wie das Auge. Kein Schmerz ist dem im Auge zu vergleichen; es leidet keine Unreinigkeit in sich. Wie sehr Sicht oder Finsternis von diesem einen Glied abhängen, will ich nun zeigen aus Taten, die laut reden. Es wurde mir wichtig, dass fast alle Sündenfälle in der Heiligen Schrift von dem Auge, von einem Blick ausgingen.
Vom Auge hängt es ab, ob unser Leib licht oder finster ist; ist aber das Auge gesund, so ist es der ganze Leib. Denkt an Adam, wie vertraut er anfangs mit Gott umging. Wer sehnt sich nicht, wieder in diesen Zustand zurückzukommen! Und was verführte ihn zur Sünde? Es heißt: „Das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre, und lieblich anzusehen, dass es ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte, und nahm von der Frucht und aß, und gab ihrem Manne auch davon, und er aß.“ Durch das Auge kam die Sünde in das ganze Menschengeschlecht, und kaum hatten sich die Menschen mehr ausgebreitet, so heißt es: „Da sahen die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen, wie sie schön waren, und nahmen zu Weibern, welche sie wollten.“ Wieder eine neue Verirrung durch das elende Schauen! wie werden dadurch die Augen gekettet! Durch jene Vermischung entstand ein schreckliches Geschlecht, das der HErr vertilgen musste in der Sündflut.
Ich will noch an einen Mann erinnern: an Simson. Verheißungen hafteten an ihm, er war ein Verlobter Gottes; aber welch ein Abstand, ihn zu sehen „auf seinen Schultern die Tore von Gasa auf die Höhe des Berges vor Hebron tragen,“ und dann ihn zu sehen im Gefängnis - die Philister hatten ihm die Augen ausgestochen, die Augen, mit denen er gesündigt hatte und die sein Fallstrick geworden waren; denn es heißt: „Er sah ein Weib, das gewann er lieb,“ und die Geschichte endigt: „Er musste sterben, mit den Heiden unter den Trümmern ihres Tempels.“
Noch ein Beispiel. David war ein Mann nach dem Herzen Gottes; er hat vieles durchgemacht, und ist in den sieben Jahren der Not seinem Gott treu geblieben. Und an welcher Sünde scheiterte er? was hat ihn gefällt? Ach, ein einziger Tag, eine Stunde, ja eine Minute war der Anfang von vielem Elend. Er, der in seinem Leben viel gesehen hatte, hat an einem Tag gesehen ein Weib, das war sehr schöner Gestalt (2 Sam. 11,2ff). Ich will nicht weiter aufzählen all das Unglück, das durch das Schauen über manche liebe Seele gekommen ist; dagegen durch zwei Beispiele noch zeigen, wie durch zwei Blicke großes Heil kam, und noch hinweisen auf den Spruch Hohel. 4,9: „Du hast mir das Herz genommen mit deiner Augen einem.“ Hier wird uns gezeigt, wie wir das Herz Gottes gewinnen können durch Einen Blick. Durch das Auge wird der Mensch wieder gehoben, es wird ihm zum Segen. Ein Beispiel, das viele zu wenig bedenken, das uns aber immer vor Augen stehen sollte, ist die eherne Schlange. Die giftigen Schlangen töteten viele; wer aber gebissen war und auf die Schlange schaute, sollte leben. Schöner, tiefer und deutlicher hätte uns Gott das Wort Gnade, Barmherzigkeit nicht zeigen können: „Wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an, und blieb leben“ (4 Mos. 21,9). Dieser Blick ist jedem jetzt noch möglich. Unser Herz ist von der Sündenschlange gebissen, und jedes weiß, wenn das Gift dem Blut mitgeteilt ist, so muss der Mensch sterben. Es gibt da noch zwei Mittel, ihn zu retten: entweder ein Mensch muss sogleich das Gift aus der Wunde saugen oder sie muss ausgebrannt werden. Wie nichtssagend stehen diese Mittel da bei dem Volk in der Wüste, das scharenweise in der Wüste zusammenlag; da reichten diese Rettungsmittel nicht aus. Doch Gott weiß noch Rat. Ich könnte mir nicht denken, wie Gott es einfacher hätte machen können. Die Gebissenen mussten nur aufschauen, sie brauchten nicht einmal nahe hinzugehen. Alles tat der Blick auf die eherne Schlange. Da hieß es auch: „Du hast mir das Herz genommen mit deiner Augen einem.“ Der Gebissene brauchte nichts zu tun; das Einzige, was ihm half, war, dass er aufschaute zur ehernen Schlange. Durch den Blick auf den gekreuzigten Heiland, von dem die eherne Schlange ein Vorbild war, wurde auch dem Schächer am Kreuze geholfen. Das kann der elendeste tun; wenn einer auch gar nichts mehr tun kann, so kann er doch noch hinblicken nach dem Kreuze des HErrn. Es kommen Fälle, da man sieht und fühlt, dass man nichts mehr gut machen kann: man kann nicht zu einem Verstorbenen gehen und abbitten. Da hilft nur der Blick auf das Kreuz. O, wenn doch alle um ihre Sünden bekümmerte Seelen dies Mittel ergriffen und aufschauten auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens! (Hebr. 12, 2.) Der Schächer konnte auch nichts mehr gut machen. Aber wie da, so ist in allen Lagen dieses möglich, den Herrn Jesum im Glauben anschauen und Ihn um Gnade und Erbarmen anflehen. Jeder Sünder, der gläubig nach dem gekreuzigten HErrn Jesu schaut, dem ist geholfen. Freilich die Selbstgerechtigkeit steckt in vielen Herzen; sie wollen nicht allein aus Gnaden selig werden. Der Schächer spottete zuerst mit; aber als er den Gekreuzigten mit dem rechten Auge anschaute, sprach er: „HErr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ - und er war gerettet. Wenn dein Auge auf Jesum gerichtet ist, wird dein ganzer Leib Licht sein. O, verliere nicht den Blick auf den Gekreuzigten! Lass dich nicht durch den Teufel davon abhalten, der freilich nichts weniger leiden kann, als wenn wir Jesum anschauen. Ich will noch von einigen andern Blicken reden. Gar manche sind verwandt mit Lots Weib. Nachdem ihre Herzen offenbar vor Gott geworden sind, blicken sie immer wieder auf ihre Sünden zurück und das Auge wird dadurch trübe. Wie wäre es Paulus gegangen, der die Gemeinde Gottes so verfolgt hatte, wenn er immer zurück geschaut hätte? Gott heißt uns, einmal bis auf den Grund hinunterzusehen, dass es auch bei uns heiße: „Ich bin schwarz“ (Hohel. 1,5); aber dann müssen wir aufblicken, ja in Ihn, und da sind wir „gar lieblich“ (Hohel. 1,5). Wo man einmal gebadet hat im lauteren Quell der Liebe Gottes, das bleibt gültig; da braucht man nur täglich die Füße zu waschen, um den Staub abzuwaschen. Sind einmal die Sünden erkannt und bekannt, dann heißt es: Achte nicht auf das Vorige, ich will ein neues schaffen; und werden uns die Sünden wieder von neuem vorgestellt, dann hilft wieder nur der Blick auf den HErrn. Der Versucher kann mit solchen Anfechtungen auch zu euch kommen, dann blickt aber nur auf den Herrn Jesum. Andere kümmern sich nicht viel ums Alte und Vergangene, sie leben in der Zukunft und in der Sorge für diese; ihr Blick ist darum finster und trübe, es ist ein Schalksblick. Jesus lehrt uns treu in der Gegenwart leben; Er fragt nicht den Petrus: „Wirst du mich immer lieb haben?“, sondern fragt: „Simon Johanna, hast du mich lieb?“ Sorge um die Zukunft hienieden bringt auch in geistlichen Dingen Unruhe und Finsternis. Dein Gott ist A und O, was er angefangen hat, führt Er auch herrlich hinaus. Nur der unverwandte Blick auf bringt Leben, Klarheit und Segen. Viele fühlen sich hier so glücklich, so getragen von den Gebeten; da sagen sie: „Wie wird es mir daheim gehen?“ Du sollst nicht sorgen; glaube, dass Jesus, der dich erkauft hat mit seinem Blue, dir zu Haus so gut durchhelfen wird, wie hier. Er hat dich erlöst, und wie Er für deinen Leib sorgt, so wird Er es noch vielmehr für deine Seele tun. Wieder andere kommen zu keiner Kraft und keinem Leben; sie haben so viel die Menschen anzuschauen, statt den HErrn. Da sehen sie jemanden, der viele Gaben und Kräfte von HErrn bekommen hat; sie sehen, was der HErr durch ihn wirkt. Da will ihnen der Mut sinken und sie denken: Ich bin nur ein so armer Tropf, kann so wenig tun. Dass es ihnen so geht, ist ganz natürlich, denn es steht nicht da: Du sollst Den und Den anschauen, sondern den HErrn. Andere schauen wieder solche Christen an, die schwächer sind als sie, und meinen, wenn diese sich dieses oder jenes noch erlauben, so dürfen wir es auch tun; so werden sie schwach und kommen nicht weiter - sie sehen zu viel auf Menschen. Der Apostel sagt uns Hebr. 12,2: „Lasst uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Auf Jesum lasst uns schauen, und sollte unser Auge schon im Brechen sein, mit unserm Geistesauge können wir Ihn doch schauen, und wie schön ist bei Sterbenden dies verklärte Anschauen des Verklärten. Der HErr gebe, dass alle, die hierher kommen, von ihren Augenkrankheiten, die zu so viel Sünden verleiten, geheilt werden!
Denn das ist die größte Plage,
Wenn am Tage
Man das Licht nicht sehen kann.