Wolf, Friedrich August - Am Sonntage Sexagesimäe
Als unser Herr das einfache und lehrreiche Gleichniß vom Säemann vortrug, welches wir heute in Betrachtung ziehen wollen, hatte Er, der göttliche Lehrer der Wahrheit, das allervollkommenste Recht, die auffallend verschiednen Wirkungen des in die Welt ausgestreuten Worts durchaus nicht von der Beschaffenheit des Saamens, sondern einzig und allein von der Beschaffenheit des Bodens abzuleiten. Denn ihr wisset wohl, geliebte Zuhörer, daß in dem Reiche der Natur, aus welchem dieses Bild hergenommen ist, Wachsthum und Gedeihen der Feldfrüchte nicht blos, von der Fruchtbarkeit des Bodens abhängen, sondern allerdings auch von der Lauterkeit und Güte des Saamenkorns. Sollte es nun auf dem Saatfelde des geistigen Lebens nicht eben so der Fall sein? Gewiß ist es auch hier der Fall. Allein in dem heutigen Evangelio hören wir davon gar nichts; sondern wir hören bloß von der Verschiedenheit des Erdreichs, mit welchem die menschliche Gemüthsart bei der Aufnahme der Wahrheit verglichen wird; wir hören nur von vielerlei Acker, aber von einerlei Saamen, und der, der ihn ausstreuete, war gewiß, daß er gut, daß er ganz rein und lauter war. Im heiligen Bewußtsein, den Menschenkindern die Lehre dessen, der ihn gesendet, zu bringen und Alles zu sagen und zu thun, wie ihm der Vater geboten hatte, mit dem Worte des ewigen Lebens, mit dem Saatkorn einer bessern Welt betrat er das Gefilde der Zeit; er konnte nirgends anders, als in den Tiefen der Menschenseelen selbst den verborgnen Grund aufdecken, warum die göttliche Wahrheit nicht allenthalben Wurzel schlage und Frucht bringe. Sein ganzes Leben war die reinste Verkündigung des Worts, die reinste Offenbarung göttlicher Rathschlüsse zum Heile der Welt. Jedoch, wohl uns, meine Zuhörer, dieses Leben war keine vorübergehende Lichterscheinung, hinter welcher der Himmel sich wieder geschlossen hätte; sein Wort war keine im Rauschen des Zeitenstroms, im Getöse der Weltbegebenheiten verklingende Stimme, daß man etwa mit Wehmuth ausrufen müßte: Wohl Allen, die damals auf Erden gelebt haben, als die Weisheit ihre Stimme so laut und mächtig erhob, als sich die Wahrheit selber offenbarte; sondern er hat dafür gesorgt, daß der Saame der Wahrheit, den er auszustreuen gekommen war, der Welt unverloren blieb, er hat treue Arbeiter ausgesendet; vom Aufgang bis zum Niedergang ist die Gerechtigkeit gepredigt worden, die aus dem Glauben kommt, und überall, wo man das Evangelium vom Reiche Gottes rein und lauter verkündigt hat, da hat man auch die Gleichnißrede bestätigt gefunden, die ans dem Munde des Herrn ging, als er anhob: Es ging ein Säemann aus, zu säen. Die treuen Pfleger und Bewahrer des Worts haben dieselben Hindernisse des Wachsthums, dieselben Ursachen vom wahrnehmbaren Mißwachs bei der edelsten Aussaat in Erfahrung gebracht, die der Herr kenntlich genug bezeichnet hat; aber sie haben auch reichlichen Ersatz gehabt für eine oft verlorne, vergebliche Mühe und den Erfolg gesehen und den Trost gefunden, mit welchem der Herr seine Gleichnißrede schloß.
Zwar hat es Zeiten in der Christenheit gegeben, wo, wenn auch die Saat, von Gott gesäet, im Stillen fortreifte, doch der öffentliche Zustand der Kirche mit der Gleichnißrede des Herrn im Widerspruche stand, da der Saame eben so verdorben war, als die Mehrzahl der Mönche und Bischöfe, die ihn ausstreuten; es war Theurung in vielen Ländern geworden, Mangel am Worte des Herrn; Saamenkörner genug, aber nur jener lautre, edle, goldne Saame nicht aus der Hand der Wahrheit, aus welchem Früchte für den Himmel reifen; sondern eine Mischung des Aechten und Unächten, des Reinen und Unreinen, vertrocknete Ueberbleibsel von allerlei Erndten, aus einer Hand in die andre gegangen, und in der dritten noch mehr verdorben, als in der zweiten, Spreu auch mitunter, leere Spreu, Alles in die Probe genommen, um den Nothstand der armen Christenheit zu vergrößern. Viele merken den Irrthum nicht, Andre klagten und seufzten. Kurz es gab Zeiten, wo die herrschende Kirchenlehre, die in der Christenheit für Gottes Wort galt, ihrer Natur nach keine frischen Keime entwickeln und keine gesunden Früchte hervorbringen konnte. Aber daß diese Zeiten wirklich vorübergegangen, daß sie wenigstens für einen großen Theil der Christenheit vorübergegangen sind und daß wir gerade in diesem Theile der Christenheit leben, ersehen wir schon daraus, daß wir einen freien, unverwehrten Zugang zur ersten Quelle haben, zu der heiligen Schrift, die aus treuen Händen gekommen, die treueste Bewahrerin des göttlichen Worts bleibt, der wahrhaftige Text aller christlichen Predigt und Lehre, den nicht nur die Prediger auszulegen berufen sind: sondern nach welchem auch die Zuhörer mit Sicherheit urtheilen können, ob sie Gottes Wort hören oder Menschenwort. Diese Wohlthat, die Gott unsern Vätern durch das Werk der Reformation und durch den Dienst seines treuen Knechts Martin Luther erwiesen und uns, ihren Nachkommen, durch viele treue Haushalter über seine Geheimnisse bis auf den heutigen Tag erhalten hat, gibt uns die unfehlbare Gewißheit, daß wir der Wahrheit, die unmittelbar von Gott ist, noch heute eben so nahe stehen, als ihr damals das Volk und die Jünger Jesu standen, als der Herr seinen Mund aufthat und sprach: Es ging ein Säemann aus, zu säen.
Aber nun haben wir auch keine andre Wahl, meine Freunde, als diese: wir müssen entweder der evangelischen Lehre geradezu allen Glauben und Gehorsam aufkündigen, oder wir müssen bei der Wahrnehmung ihrer so verschiednen Wirkungen auf die Herzen der Zuhörer genau die Grunde gelten lassen, die der Herr selbst davon angab, der wohl wußte, was im Menschen war, und der die ganze Zukunft seines Reichs voraussah; wir müssen die einfachen Erklärungsgründe gelten lassen, wie er sie dargelegt hat. Wir können unmöglich auf der einen Seite Gottes Wort als solches in seiner Heiligkeit anerkennen, und von der andern auf Mittel denken, um die Schuld von uns abzulehnen und auf Rechnung andrer Umstände zu bringen, wenn die Wahrheit bei uns nicht anschlagen, nicht gedeihen, nicht aufkommen will.
Zwar auf die Frage, warum doch die Anhörung und Betrachtung der göttlichen Wahrheit so wenig Leute wirklich fromm mache und eine Erbauung wirke, von der man die heilsamen Früchte auch im täglichen Leben spürt, auf diese Frage weiß der Geist eines jeden Zeitalters eine Antwort zu geben, mit der er sich selbst rechtfertigen will, durch welche die Schmach der Menschen mehr bedeckt werden soll, als die Ehre Gottes gefördert, der so groß und herrlich und mächtig ist in seinem Worte. Auch unser Zeitalter ist darüber nicht verlegen, auch unser Zeitalter ist klug und erfinderisch in Aufzählung und Darstellung solcher Ursachen, und will oft lieberden Säemann selbst anklagen, der nicht für alle Zeiten gesäet habe, oder den Saamen, der nicht unter jedem Himmelsstriche fortzukommen geeignet sei, als den Acker, welcher die Welt bleibt, für einen steinigten und dornenvollen Boden erklären. Allein die ganze Art, wie dieser Beweis geführt, und der Zweck, zu welchem er gebraucht wird, verräth nur zu deutlich, daß die Beweisführung selbst auf dem felsigten und dornigen Acker der Welt erwachsen ist. Laßt uns also mit eifriger Lernbegierde zu dem ursprünglichen Unterrichte zurückkehren, den der Herr selbst über die Wirksamkeit seiner Lehre unter den Menschenkindern für alle Zeiten ertheilt hat, und so tief, als uns gegeben ist, in den Sinn seiner Rede eindringen. Das Gleichnis, in welchem er heute zu uns spricht, ist uns hinlänglich bekannt, wegen seiner nahe liegenden Anwendung im Allgemeinen auch sehr faßlich und verständlich, wegen seiner einfachen Schönheit, die uns schon durch Jugendeindrücke fühlbar geworden ist, mehr, als viele andre, gegenwärtig, theuer und werth. Aber über die Auslegung, die Christus selbst beifügt, eilen wir doch oft viel zu flüchtig hinweg, als wären manche Worte gar nicht vorhanden; die Winke, die er seinen Jünger n gibt, halten wir für Aeußerungen, die uns nichts mehr angehen, und in den eigentlichen Unterschied, den er doch offenbar unter so vielerlei Hörern des Worts feststellt, weiß sich Mancher gar nicht recht zu finden. Laßt uns also diese Stunde durch Aufmerksamkeit auf diesen so heilsamen Unterricht heiligen, und uns aus der großen gedankenlosen Menge zu den Jüngern gesellen, die den Herrn um nähere Belehrung fragen, denen er zuruft: Euch ist's gegeben, zu wissen das Geheimniß des Reichs Gottes. Wer Ohren hat zu hören, der höre! Und Gott öffne selbst Verstand und Herz, daß wir sein Wort recht fassen. Wir bitten darum in stiller Andacht u. s. w.
Text: Evangelium Lucä VIII, 4-5.
In dieser Gleichnißrede belehrt uns also Jesus, der so klar in die Seelenwelt blickte, wie Keiner, über die verschieden Wirkungen des göttlichen Worts auf Herz und Leben. Mitten unter Menschen, die sich drängten, ihn zu hören, und jedes Wort begierig von seinem Munde nahmen, unterschied er viererlei Hörer des göttlichen Worts. Das Wort ist unverändert dasselbe geblieben und wird noch immer auf denselben Acker ausgesäet, zu welchem wir Alle gehören.
In dieser Gleichnißrede vernehmen wir also Alle, auf welchem Grund und Boden wir stehen mögen, ein belehrendes und richtendes Urtheil über den Eindruck, den Gottes Wort auf uns macht, über seine Wirkungsart an unsrem Herzen und über unsren wahren Standpunkt in der Kirche. In irgend eine Reihe müssen wir gehören, das ist unleugbar; es kann aber sein, daß wir selbst nicht recht mit uns darüber einig sind und in unserm Urtheile schwanken, weil wir uns die eigentliche Lage der Dinge gern ausreden und die Wahrheit lieber ungewiß machen, als das Eine, was Noth ist, in seiner Nothwendigkeit erkennen wollen; es kann auch sein, daß wir von Zeit zu Zeit auf schon verlaßne Puncte wieder zurückkehren, und Hindernisse, die schon so gut wie überwunden schienen, noch einmal bekämpfen müssen. Und es geschieht leider nur allzuhäufig, von uns Allen, daß wir den ganzen Unterschied, den der Herr im Evangelio feststellt, aus der Acht lassen, und dagegen die Zuhörer, Kirchgänger und Gemeindeglieder nach ganz andern Gesichtspunkten ordnen und eintheilen; die Unterschiede, die in weltlichen Verhältnissen gelten mögen, wollen wir auch innerhalb der Kirche bei Anhörung des göttlichen Worts festhalten, und nach Maaßgabe derselben Jedem seine Stellung anweisen. Wir unterscheiden die Gebildeten und die Ungebildeten, wir unterscheiden Zuhörer aus höhern Ständen von dem gemeinen Mann, Leute von Erziehung und feiner Lebensart von Andern, die außer der Tüchtigkeit in ihrem Fache, von Kunst, Geschmack und Wissenschaft wenig inne haben, um etwa einen religiösen Vortrag richtig zu fassen und zu beurtheilen. Aber der Herr hat ein andres Maaß für die Hörer des göttlichen Worts aus allerlei Ständen, und macht eine Eintheilung, die von jenen Unterschieden ganz unabhängig ist. Der Herr hat ein andres Maaß und nicht ein verborgnes, geheim gehaltnes Maaß, um uns mit einem unerwarteten Urtheile am Tage des Gerichts plötzlich niederzuschlagen, sondern es ist uns vorausgesagt, es ist uns auf das Deutlichste und Bestimmteste vorausgesagt. Wir erfahren im heutigen Evangelio seine Meinung, sein Urtheil über allerlei Menschen, die sein Wort hören, und über die Art, wie sie es aufnehmen und damit umzugehen pflegen. Laßt uns diesen Unterricht zu unserm Heile benutzen.
Betrachtungen über die viererlei Hörer des göttlichen Worts, die der Herr im Gleichnisse vom Säemann bezeichnet, sollen unser weitres Nachdenken beschäftigen.
Es werden nämlich zuerst die völlig unzugänglichen, verschloßnen Seelen bezeichnet; sodann die schnell aufglühenden Freunde und Anhänger, die aber nicht Stand halten; drittens die Leichtbeweglichen und Rührbaren, die sich zwar bald getroffen fühlen, aber sich doch nicht bessern wollen; und zuletzt erwähnt Christus mit Glauben erweckender Stimme die stillen treuen Seelen, die aufrichtigen und frommen Schüler der göttlichen Wahrheit, die sich das gehörte Wort wirklich zu Herzen nehmen und ernstlich bedacht sind, wie sie darnach leben und handeln wollen.
Jedoch Christus gibt uns nach Maaßgabe des erwählten Gleichnisses über jede Gattung noch besondre Aufschlüsse und es ist der Mühe werth, hier unser Auge zu schärfen, um zu erkennen, wohin er deute.
Er sagt gleich im Anfange der Gleichnißrede vom Säemann: Indem er säete, fiel Etliches an den Weg, und ward zertreten und die Vögel unter dem Himmel fraßen es auf. Es blieb also gar keine Spur davon übrig. Es zeigte sich gleich anfangs nicht die allergeringste Hoffnung, daß der Saame aufgehen würde, er fiel gar nicht zwischen die Furchen des geackerten Landes; sondern auf den flachen, glatt getretnen Boden am Wege und ein schwärmendes Geflügel war sogleich bei der Hand, ihn gierig wegzuzehren. Alsdann in der Auslegung drückt sich unser Herr über das Geschlecht, das er meinet, also aus: Die an dem Wege sind, sagt er, das sind die, die es hören (also weiter nichts, als hören); darnach kommt der Teufel, und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf daß sie nicht glauben und selig werden. Eine warnungsvolle Rede! Vielen zwar noch dunkler, als das Gleichniß selber; denen am anstößigsten, die es am meisten trifft. - Also was thut der böse Feind, wo er sein Spiel am ärgsten treibt? Er greift die Wahrheit selbst an, er läßt es gar nicht zum Glauben kommen, nicht zum ersten Eindrucke der Wahrheit. Den Saamen des Worts, so wie er gefallen ist, so reißt er ihn gleich von dem Herzen, daß sie nicht glauben und selig werden. Bemerket wohl, Geliebte, daß der Herr mit diesen Worten die allerärgste Gattung bezeichnet, diejenigen, die am weitesten vom Himmel entfernt, und der Hölle am nächsten sind, ob sie gleich vielleicht an Beides nicht glauben, sondern sich einbilden, was man nicht glaube, habe man auch nicht zu fürchten, der Unglaube schütze genugsam vor der Verdammniß. Bedenket wohl, daß der Herr bei der Auslegung seiner Gleichnißrede diejenigen voranstellt, die unter der unmittelbaren Herrschaft des Bösen stehen und von einem arglistigen Geiste des Widerspruchs beherrscht werden, und daß er diese genau unterscheidet von den Wankelmüthigen, die der erkannten Wahrheit wieder untreu werden, und von den Irdischgesinnten, die sich von den Fesseln der Weltlust nicht losreißen wollen. Es gibt Menschen, in denen sich ein bösartiger Eigenwille bereits festgesetzt hat, eine arglistige Selbstsucht, welche, wie aus einer verborgnen, finstern Höhle, in deren Mittelpunkte sie wohnt, den Schauplatz der ganzen Welt umher, und den Himmel, der sich darüber ausbreitet, mit geschärftem Blicke betrachtet, Menschen, die bei diesem scharfen Blicke der Selbstsucht ohne alle Liebe zu Gott und ihrem Nächsten, ohne alles Gefühl für das Heilige und Ehrwürdige, kalt, starr, trotzig nur ihre Anschläge verfolgen und zur Erreichung ihrer Absichten eilen, so, daß sie auch gegen alle Aeußerungen des wahren Christenthums, gegen alle Mittheilungen aus dem Reiche Gottes völlig gleichgültig bleiben, so lange sie nämlich mit Aufforderungen zu eigner Besserung verschont bleiben, aber auch erbittert werden können, sobald ihnen ein ernstliches Wort nahe gelegt wird. Und wollen wir auch noch so gelind und glimpflich reden, und Keinen verloren geben, da wir ja vielmehr reden und zeugen sollen zum Heile derer, die gerettet werden, so müssen wir wenigstens sagen: Es gibt Seelenzustände, in welchen die Menschen allen Eindrücken des Guten verschlossen sind, kalt, unempfindlich, verhärtet, nur sich selbst, ihre eigne Meinung, ihre Absichten, ihren Eigensinn durchsetzen wollen, ohne auf die dringendsten Bitten und Vorstellungen Andrer zu achten; ja diese Hartnäckigkeit kann bis zu dem Grade steigen, daß sie, die das Zeitliche lieben, nicht nur das Ewige, sondern auch ihr zeitliches Glück in seinen Grundvesten zu erschüttern für ein Geringes achten; so entschieden ist ihre Neigung, so heftig ihre Begierde, und so unversöhnlich ihr Haß und ihre Rachsucht; ihr Recht wollen sie durchsetzen, zu ihrem Zwecke wollen sie gelangen, es koste, was es wolle, und lieber Alles aufs Spiel setzen, mag Hab' und Gut darüber zu Grunde gehen, Eins nach dem Andern aufgeopfert werden, mag das Herz ihrer alten Freunde, mögen Eltern und Geschwister sich darüber bekümmern, betrüben, kränken, und um ihrentwillen Unruhe und Ungemach erleiden, es rührt sie wenig oder gar nicht. Wenn nun die Menschen in einer solchen oder in einer ähnlichen Verfassung die Stimme des göttlichen Worts in der Kirche oder zu Hause vernehmen, so ist es kein Wunder, wenn sie der ersten Gattung von Hörer n anheimfallen, die der Herr bezeichnet: es fällt Alles darneben und wird vertreten und die Vögel zehren es auf -; es kann von ihnen nichts weiter gesagt werden, als daß sie es hören, der Schall dringt bloß bis ans Ohr, oder bestreift nur die Oberfläche ihres Herzens; der Feind ist schon gerüstet, der jedem tiefern Eindrucke des Worts wehrt und es augenblicklich aus dem Herzen reißt; er lauert schon auf dem Kirchwege, oder er verfolgt die Leute bis in die Mitte der Versammlung in den Stunden der öffentlichen Andacht. - Das Urtheil über das Loos der Wahrheit ist schon gesprochen; sie kann nichts wirken, sie darf nichts wirken, sie soll nichts wirken. Alles, was sie von Verstand und Kunst und Eigenliebe besitzen, es erklärt sich Alles entschieden wider die Stimme der heilsamen Lehre und läßt sie innerlich gar nicht zum Worte kommen. Dabei können sie dennoch mit Achtsamkeit und nicht ohne einiges Wohlgefallen der Predigt zuhören, dem Wohlklange der Rede, wie einzelnen Bildern und Gedanken ihren Beifall geben, dies oder jenes vortrefflich gesagt und ganz aus dem Leben gegriffen finden, sie können scharf aufmerken, ob das strafende Wort Einen oder Einige in der Versammlung bezeichnen solle, und wer sich etwa getroffen fühlen könnte; sie können sich freuen, wenn die schwachen Seiten ihrer Mitbürger recht hell ins Licht gestellt werden, und die Vorfälle der letztverfloßnen Tage zur Sprache kommen, sie können eine Anwendung auf alle Personen rings im Kreise herum machen, nur auf sich selbst nicht, sie können davon erzählen, darüber reden und streiten; aber es bleibt ihnen doch eine fremde, fernliegende Sache, die Wahrheit trifft ihr Innerstes nicht, sie dringt nicht bis in die Gegend der Seele, für welche sie eigentlich vorhanden ist, sie bleiben kalt und ungerührt; aus der Umschanzung ihrer Eigenliebe, aus der Vestung ihres Stolzes betrachten und beurtheilen sie ihre Nachbarn und Freunde, ihre Vorgesetzten und ihre Untergebnen nach der Tafel der göttlichen Gebote, kurz, sie richten Jedermann nach Gottes Wort, ohne sich selbst darnach zu richten, ohne nur seine richtende Wahrheit einmal in sich eindringen zu lassen; und je länger sie nun in diesem Zustande verharren, je mehr Kirchenjahre sie zählen, an deren Schlusse sie noch ganz dieselben geblieben sind, wie sie am Anfange derselben gewesen waren, desto mehr hören sie die Predigt des göttlichen Worts nicht zur Besserung, sondern zur Verschlimmerung, nicht zur Erweckung, sondern zur Verstockung, nicht zum Heile, wozu sie verordnet ist, sondern zu ihrem Schaden und Verderben, bis die Reue zu spät kommt. Einen solchen täglichen Zuhörer und Schüler hatte der Herr damals unter seinen eignen Jüngern an dem Judas; dieser war ja auch Einer von den Zwölfen und hatte das Vorbild der heiligsten Liebe alle Tage vor Augen, er war Zeuge von den Wunderwerken, durch die der Meister seine Macht und Güte offenbarte, und konnte wohl abnehmen, daß der rechte Schatz bei dem Herrn selbst zu suchen sei und daß man die Gemeinschaft mit ihm um alle Schätze der Welt nicht hingeben dürfe; er hörte alle Worte, die aus dem Munde der Wahrheit gingen, er hatte die Erkenntniß aus der ersten, reinsten Quelle, er hörte zu, wenn der Herr zum Volke und wenn er insonderheit zu seinen Jünger n sprach, und wie er dort kräftig und gewaltig, nicht wie die Schriftgelehrten, und hier so herzlich und vertraulich, wie ein Freund zu seinen Freunden redete. Aber dennoch, dennoch, es war Alles umsonst: wie sollen wir anders sagen, als: Der Teufel kam und nahm das Wort von seinem Herzen. Aehnliche Zuhörer hatte der Herr an den Pharisäern und Schriftgelehrten und an den Juden im Tempel, wie er auch selbst zu ihnen sagte: Meine Rede fänget nicht unter euch; und: Wer aus Gott ist, höret Gottes Wort; darum höret ihr nicht, denn ihr seid nicht von Gott. Die Gerechten seiner Zeit, die das ganze Werk, das er unternahm, für eine gefährliche Neuerung erklärten, weil sie für die wahre Erneuerung, die er meinte, keinen Sinn, keine Empfänglichkeit hatten und unter der Hülle strenger Gesetzmäßigkeit und äußerlicher Frömmigkeit ein kaltes, starres Herz verbargen, das immer zum Widerspruch geneigt war, sie waren die heftigsten Gegner und Widersacher der Wahrheit. Aber jede Zeit bildet ihren Gegensatz zu der Wahrheit, die aus Gott ist, und vertheidigt die Weisheit, die an der Tagesordnung ist, mit blendenden Irrthümern. Die Anhänger derselben meinen sich selbst genug zu sein, über Alles, was Gottes Wort ihnen zu sagen hat, erhaben. Einige gehen ganz offen mit der Sprache heraus und sitzen im Rathe der Spötter, und je mehr sinnliche Lust und Lebensmuth ihr Blut erhitzt, desto weniger schonen sie das Heilige, desto unehrerbietiger tasten sie es an; was sie mit ihren Sinnen wahrnehmen, oder mit ihren Begriffen leicht erfassen, das gibt ihnen den eigentlichen Maaßstab für die Gewißheit und Gültigkeit einer Lehre; was darüber hinausgeht, liegt ihnen zu fern und zu hoch, und könnte als ein falscher Schimmer irre führen. Und wenn sie nun einmal ein Wort vom christlichen Glauben mit mehr Achtsamkeit, als gewöhnlich, und in einer mehr geeigneten Stimmung hören, wenn sie an einem Hügel aufgeworfner Erde, der einen Todten bedecken soll, wenn sie am offnen Grabe eines Freundes vom Gefühle der Wehmuth, von Schauern der Vergänglichkeit ergriffen, eine Stimme von der Auferstehung und dem ewigen Leben vernehmen; so ist es eine böse, unheimliche Gewalt, die sich zwischen ihr Herz und die Wahrheit stellt, ein arger, feindseliger Geist, der sie mit kaltem Hauche anweht, ein Hauch des Todes aus den Grüften, aber nicht ein stärkender Lebenshauch der bessern Welt von oben, aus der klaren, heitern Höhe des Himmels, und das Wort wird ihnen wieder vom Herzen gerissen, daß sie nicht glauben und selig werden. Andre leben freilich in einem viel versteckteren Unglauben und würden es selbst nimmermehr zugeben, daß sie in gleicher Entfernung vom Reiche Gottes sind. Denn sie sitzen noch auf den Kirchstühlen ihrer Väter und Großväter, sie haben kein Wohlgefallen an den Verächtern des Worts, sie halten auf Ordnung, sie halten auf Recht, sie halten auf Ehre. Aber dennoch kann das Wort von einer gründlichen Erneuerung des Gemüths, von der geistlichen Auferstehung durch die Kraft des Sohnes Gottes, von der Erlösung durch sein Blut ihr Herz nicht durchdringen, weil sie Gott nur äußerlich dienen, wie einem irdischen Monarchen, oder weil sie zu stolz auf ihre Grundsätze, zu stolz auf die Menge guter Werke sind, um auf der tiefsten Stufe der Reue ihren wahren Zustand zu erkennen, und mit allen Mühseligen und Beladnen in aufrichtiger Demuth Gnade bei Gott zu suchen und Ruhe für ihre Seele. Und so geht ein Kirchenjahr nach dem andern dahin, so geht ein Evangelium nach dem andern im Laufe der Sonntage an ihren Ohren vorüber, ohne daß sie die rechte Auslegung treffen, und die wirkliche Anwendung auf ihr Herz machen, und ob sie wohl meinen, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist; so bleibt doch die himmlische Wahrheit vor ihren Augen verborgen, die Herrlichkeit des Herrn wird ihnen nicht offenbar, kein Strahl seines erfreulichen Lichts, kein Hauch des himmlischen Friedens dringt in ihre Seele; bei allem Ruhme eines gesetzlichen Wandels bis auf die Bewahrung der kirchlichen Gemeinschaft, ist es doch ein Mal über das andre ein arger, feindseliger Geist des Widerspruchs, der das Wort wieder von ihrem Herzen nimmt, daß sie nicht glauben und selig werden.
Christus fährt in seiner Gleichnißrede weiter fort und spricht: Indem er säete, fiel Etliches auf den Fels, und da es aufging, verdorrete es, darum daß es nicht Saft hatte. Nämlich der Saame, der auf die dürre, flache Erddecke über dem Felsengrunde fiel, ging zwar schnell auf in dem leicht erhitzten Boden, weil er nicht tief zu liegen kam; aber das flache Erdreich konnte ihm auch nicht Saft und Nahrung genug geben; darum verdorrete er bald, als die glühende Sonne auf die saftlosen Keime brannte. Darum sagt Christus in der Auslegung: Die aber auf dem Fels, sind die, wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; und die haben nicht Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Welcherlei Hörer bezeichnet er nun mit diesen Worten? Sagt, was liegt Tadelhaftes in dem Grundzuge, den er hervorhebt: Sie nehmen das Wort an mit Freuden! Sollen wir etwa das Wort Gottes nicht mit Freuden annehmen, sondern nur mit Murren und Widerwillen? Offenbart es uns nicht einen gnädigen und barmherzigen Gott, der uns allenthalben mit seiner Hülfe nahe ist? Oeffnet es uns nicht in seiner Liebe eine Zuflucht, zu der wir immerdar fliehen mögen? Verheißt es uns nicht eine Ruhe, die noch vorhanden ist dem Volke Gottes, und einen Himmel voll Seligkeit in der Mitte der vollkommnen Gerechten? Soll unser Herz nicht fröhlich und guter Dinge werden, wenn wir vom Siege des Herrn zum Heile der Erlösten und den Zuruf des erhabnen Todesüberwinders hören: Ich lebe und ihr sollt auch leben? Wohl möchten wir nimmermehr erfahren, was wahre Geistesfreude sei, wenn hier unser Herz von ihrem Strahle nicht berührt würde; und wohl möchten wir auch Gottes Wort noch nicht völlig inne haben, wenn uns eine solche Freude gänzlich unbekannt wäre. Aber sagt: hat die Verkündigung des Reichs Gottes auf Erden mit der Verherrlichung des Erlösers, mit seinem glorreichen Siege begonnen? Trat der Herr nicht anfangs in die Fußtapfen seines Vorgängers Johannes mit der Aufforderung: Thut Buße! Lehrte er nicht in der Bergpredigt mit erschütterndem Ernste, was es mit der Erfüllung der göttlichen Gebote für eine Bewandtniß habe und was er von den Gliedern seines Reichs fordere? Und hat er zu seinen vertrauten Jüngern bei aller Liebe etwa immer nur im Tone der Zärtlichkeit und mit der sanften Wärme einer erheiternden Freundschaft gesprochen? Hat er sie nicht bei aller Geduld auch scharf und streng angeredet? und würde Christus unser schonen, wenn er uns leiblich gegenwärtig wäre, und in unserm Amt und Stande, in unsern häuslichen Verbindungen, bei der Wahl der Mittel zu unsern Absichten auf dem Scheidewege uns träfe? Nun aber vertritt sein Wort seine Stelle an unsern Herzen; in seinem Worte ist der Herr uns Allen nahe und gegenwärtig. Aber erkennet daraus, daß auch sein Wort nicht immer sanft mit uns reden könne, sondern auch streng und scharf mit uns reden müsse; daß es uns nicht bloß liebliche, erfreuliche Dinge, sondern auch bittre Wahrheiten zu sagen habe und viel scharfe Einschnitte mache, ja, daß es im Anfange mehr einem Schwerdte vergleichbar sei, und zwar einem zweischneidigen Schwerdte, das durchdringet Mark und Bein und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Solche scharfe Einschnitte müssen wehe thun und ein zerschlagenes und verwundetes Gemüth zurücklassen. Das Demüthigende in seinen richterlichen Aussprüchen und der strenge Ernst in seinen unabweislichen Forderungen klingt nicht nur hart für unsre verwöhnten Ohren, sondern verursacht auch unserm Herzen einen schweren, schmerzenvollen Kampf. Wer daher Gottes Wort also angenommen hat, daß er es nur angenommen hat mit Freuden und nicht auch mit Schmerzen, der bekennet damit, daß er es noch nicht auf die rechte Weise angenommen, daß es noch nicht tief und gründlich gefaßt habe, der gehört unter die schnell aufglühenden Bewundrer und Anhänger der göttlichen Wahrheit, von welchen Christus spricht, daß sie nicht Wurzel haben, sondern zur Zeit der Anfechtung abfallen. Ein Solcher hält sich immer nur an die liebliche, erfreuliche, angenehme Seite der Religion, an ihre Tröstungen und Verheißungen, und hofft auch sein zeitliches Glück sichrer und ruhiger zu genießen, wenn er den Vater im Himmel zu seinem Beschützer und den Erlöser zu seinem Freunde hat; aber der tiefe Ernst der Wahrheit, das Geheimniß der völligen Ergebung in Gottes Willen, die Wege Gottes mit den Seinen bleiben ihm verborgen, und die Zeit der Anfechtung wird nun auch die Zeit des Abfalls; man zerfällt mit einem Glauben, der das nicht leistet, was man sich von ihm versprochen hatte. Mit warnungsvoller Stimme hat der Herr allen schnell begeisterten Freunden, die nur Nahrung für ihr glücksuchendes, freudedurstiges Herz bei ihm suchten, die Prophezeihung gestellt, daß sie in den Tagen der Prüfung die Probe nicht bestehen würden. Mit solchen Anhängern sah sich unser Herr gleich anfangs von allen Seiten umringt, als er seinen Mund zum Lehren und seine Hand zum Wohlthun aufthat. Eine aufgeregte Volksmenge zog ihm nach und gab ihm lauten Beifall und pries im Jubel seine Thaten, weil die Meisten in ihm einen Befreier erblickten, der bald den Pilgerstab mit dem königlichen Scepter vertauschen, die unterdrückte Parthei im Lande emporheben und dem schmachtenden Volke alle Früchte einer goldnen Zeit zu genießen geben würde. Jedes Wunder, das er that, galt für einen redenden Beweis von seinem baldigen glorreichen Siege. Von solcher Hoffnung bezaubert, zogen ihm Tausende nach, und noch wenig Tage vor seinem Tode führten sie ihn wie im Triumphe jauchzend und frohlockend in die Hauptstadt und streuten ihm Palmen auf den Weg und riefen: Hosianna dem Sohn David! Als sich aber mit einem Male die Aussicht trübte, ja gänzlich verdunkelte, als er gefangen und wehrlos in den Händen seiner Feinde vor ihren Augen dastand, und der römische Richter ihn mit den Worten darstellte: Sehet, welch ein Mensch! so war ihr Glaube eben so erloschen, als ihr Muth, ja bei Vielen verwandelte sich der Verdruß über getäuschte Hoffnungen in Haß und Erbitterung, und die wenigen Getreuen gingen tief gebeugt, ohne Trost, nur ihrem Kummer überlassen, einher. Aehnllche Prüfungen und Anfechtungen des Glaubens stehen uns Allen bevor. Ohne Trübsal wird Niemand ins Reich Gottes eingehen, und unsre Erwartungen vom Segen des wahren Christenthums werden nicht auf die Weise in Erfüllung gehen, als wir uns einbilden. Auf jeden Menschen wartet sein böser Tag, und was wird euer Schutz, was wird euer Trost sein, Gellebte? Das Wort der Wahrheit des ewig Getreuen! Ja, wenn ihr's tief und gründlich gefaßt habt; so werdet ihr diesen Schatz in eurer Trübsal, in euren Leiden erst recht kennen lernen. Aber habt ihr oberflächlich zur angenehmen Zeit nur das Angenehme und Liebliche der himmlischen Wahrheit lieb gewonnen; so wird auch gerade das, was euch zur Zeit der Trübsal aufrecht halten und schützen sollte, der Stab in euren Händen wird zerbrochen werden; denn es ist nur ein zerbrechliches Rohr, aber kein kräftiger Stamm gewesen. Es gibt genug Glieder der christlichen Gemeine, die Gottes Wort gern hören, sobald nur Gnade und Friede verkündigt wird, und durch das sanft leuchtende Bild des Erlösers die ganze Klarheit himmlischer Milde und Güte durchstrahlet, oder sobald zum Troste der Gebeugten und Betrübten die Hoffnung gepredigt wird, daß Gott einst abtrocknen werde alle Thränen, und allen Kummer in die Wonne der bessern Welt verwandeln, daß er die Sache der Unterdrückten gegen die Gewaltthätigen herrlich hinausführen und seine wahren Kinder mit dem Feierkleide der Ehre am Tage der Verklärung vor allen Heiligen umgeben werde. So weit nehmen wir das Wort Gottes mit Freuden an. Aber wie ganz anders steht es um diese Bereitwilligkeit, sobald die Stimme Christi ergeht: Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und verleugne sich selbst und folge mir nach. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren. Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater. Wer Vater und Mutter mehr liebt, als mich, ist mein nicht werth. Kurz) wie wir es in einem Kirchenliede so wahr und treffend gesagt finden: Alle Christen hören gerne von dem Reich der Herrlichkeit, in dem Christus aus der Ferne uns die Himmelskrone beut. Aber wenn sie hören sagen: du mußt Christi Kreuz auch tragen, wenn du willst sein Jünger sein, stimmen Wenige mit ein. Lieblich ist es wohl zu hören: ihr Beladnen, kommt zu mir, aber das sind harte Lehren: gehet ein zur engen Thür. Fröhlich jauchzend folgen Alle bei des Hosianna's Schalle, doch will bis in Tod und Pein Keiner sein Begleiter sein. Christum treu und einzig lieben, weil er selbst die Wahrheit ist, Alles, was er fordert, üben, das kann nur der wahre Christ. Sollt' auch Alles von ihm fliehen, jeder Trost sich ihm entziehen, wird er sagen für und für: dennoch bleib' ich stets in dir. Das ist die Sprache wahrer Christen, in denen die Wahrheit tiefen Grund hat. Laßt uns nicht irre gehen, wenn wir sie bloß mit einem flüchtigen Gefühle der Zustimmung und des Wohlgefallens aufgenommen haben, und uns wohl prüfen, ob wir noch zu denen gehören, von denen Christus spricht: Sie haben nicht Wurzel, eine Zeitlang glauben sie, und zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab.
Christus sagt ferner in der Gleichnißrede vom Saamenkorn, das unter die Dornen fiel und von den zugleich mit aufgehenden Dornen erstickt wurde: Das aber unter die Dornen fiel, das sind die, so es hören, und gehen hin unter den Sorgen, Reichthum und Wollust dieses Lebens, und ersticken es und bringen keine Frucht. Er bezeichnet hiermit ein Geschlecht, das sich zu allen Zeiten und unter allen Himmelsstrichen auf dem Erdboden am ähnlichsten bleibt, und nur durch die besondern, eigenthümlichen Reize der herrschenden Sitte und Lebensweise eine unterscheidende Farbe erhält; aber allenthalben kenntlich ist am Zuge zum Aeußerlichen, Eiteln, Vergänglichen, an den Eilschritten auf dem Wege zum zeitlichen Genuß und Gewinn, und an der leichten Vertraulichkeit, mit der Bekanntschaften angeknüpft und Verbindungen geschlossen werden. Aus der großen Menge der Irdischgesinnten werden aber hier diejenigen ausgehoben, die dennoch einen Eindruck vom Worte Gottes empfangen, nur daß er nicht lange dauert und viel zu schwach ist, um eine wesentliche Veränderung ihres Sinnes und Wandels hervorzubringen. Es sind von den Kindern der Welt diejenigen gemeint, die bei der Weichheit und Reizbarkeit ihres Gefühls zuweilen noch von der Stimme der Wahrheit getroffen und gerührt werden, die es gar wohl fühlen, daß der andre Theil der Christenheit Recht habe, wenn er sagt, daß nicht Weltliebe, sondern Gottesliebe die Seele des wahren Lebens sei, und daß man sein Herz von der Eitelkeit der Welt frühzeitig zu der Liebe Gottes wenden müsse, um im Leben und Sterben wahre Ruhe zu finden. Sie können ihr eignes Bild in dem Gleichnisse vom verlornen Sohne mit inniger Rührung erkennen, ja mit Thränen der Reue den Vorsatz fassen, sich wieder aufzumachen zu ihrem Vater; aber schnell, wie diese frommen Regungen entstanden sind, so sind sie auch verschwunden und erloschen. Die Bande sind zu stark, zu lieblich, durch welche sie an diese Welt gefesselt werden, der herrschend gewordne Hang zu sinnlichem Genuß, die Rückkehr in die gewohnten Kreise, der Zauber schmeichelhafter Verbindungen, der Anblick des Beispiels so vieler Gefährten, die Stimme der Verführung und selbst die unschuldigen Reize so vieler Lebensfreuden, Alles wirkt zusammen, die guten Eindrücke so schnell aus ihrer Seele zu vertilgen, daß sich bald fast gar keine Spur davon zeigt. Am Sonntagsmorgen hat Gottes Wort Recht auch in ihren Augen; aber suchet sie auf im Kreise ihrer Verbindungen, auf dem Wege ihrer Vergnügungen, ach, oft schon am Abend behält eine Lust den Sieg, der dem göttlichen Leben wieder entfremdet; der Werth der Standhaftigkeit und Stärke in der Versuchung schien groß, aber die Reize der Versuchung sind mächtiger, der Widerstand scheint fast unmöglich und alle Entschließungen sind vergessen; sie sind schon untergegangen unter den Verabredungen und Zurüstungen, unter den Entwürfen und Sorgen für das Eitle und Nichtige, das die ganze Seele füllt. Das, das sind die Dornen, die den guten Saamen ersticken und nicht zur Frucht kommen lassen. Aber ihr Alle, welche diese Rede trifft, wie lange wollt ihr hingehen, gewarnt und abermal gewarnt, wie lange wollt ihr die Geduld eurer besten, treuesten Freunde ermüden? Wie lange soll Gott Geduld mit euch haben? Wie lange wollt ihr der vergänglichen Lust der Welt nachjagen und. den Werth der unsterblichen Seele für ein Geringes achten? Ihr habt mehr Licht empfangen, mehr Anregung, mehr Eindrücke von der Wahrheit, die uns rettet, als so viele eurer irrenden Brüder. O was steht euch bevor, wenn ihr bei fortgesetztem Widerstreben euren Sinn, euer Gefühl für das Edlere, Höhere, Bessere immer mehr abstumpft, und endlich taub gegen alle Stimmen der Warnung rettungslos euren Weg wandelt, wenn euer Undank gegen die rettende Hand, die euch immer wieder von Neuem faßt und anhält, endlich eine Flucht vor der Wahrheit, eine Flucht vor euch selbst zur Folge hat? Aber Heil Allen, bei denen von so vielen Warnungs- und Erweckungsstimmen, die Gott ergehen läßt, Eine mit schlagender Kraft, mit siegender Gewalt über einen Entschluß entscheidet, der dem ganzen Leben eine feste Richtung gibt, daß sie hinfort mit den Kindern Gottes im Lichte wandeln, und nach so langer Unruhe endlich Einigkeit mit sich selbst, nach langwieriger Furcht vor dem ewigen Richter bei jedem Gedanken an die Ewigkeit Gnade und Friede bei Gott finden durch unsren Herrn Jesum Christum.
So haben wir den Uebergang zu der letzten Gattung von Hörern des göttlichen Worts, deren Erwähnung schon so viel Erfreuliches und Ermunterndes hat. Nämlich unser Herr sagt nun am Schlusse seiner Auslegung mit tröstlicher und glaubenerweckender Stimme: Das aber auf dem guten Lande, sind die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen, und bringen Frucht in Geduld. Sein geistiger Blick, der die Geheimnisse der Seelenwelt durchdringt, fällt auf die heilige Saat, von Gott gesäet, die auf dem Grunde ihm still und kindlich ergebner Herzen aufgeht und verborgen vor den Augen der Welt fortwächst, der jeder rauhe Sturm des Ungemachs und aller Sonnenschein des Glücks, aller Wechsel von Licht und Schatten zum fröhlichen Gedeihen und Wachsthum dienen muß, daß sie Frucht bringen, nicht allein für diese Welt, sondern auch für jene, in Werken, die ihnen in die Ewigkeit nachfolgen. Des Herrn durchdringender Blick und wahrhaftiges Wort schließt uns ein verborgnes Reich auf, in dem die edelsten Keime emporwachsen, und es ist schon herrlich und selig, daran zu glauben, daß es in jeder christlichen Gemeine auch solche Hörer gibt, die sich das Wort nicht umsonst gesagt sein lassen; sondern ernstlich darauf bedacht sind, wie sie auch Thäter desselben werden, der erkannten Wahrheit nach allen Kräften nachkommen, den Willen des Herrn in allen Lagen treffen und mitten unter den Verderbnissen einer alternden Welt im neuen Gehorsam des Glaubens wandeln wollen, die sich selbst bei schnellen Schritten oftmals mit der Frage unterbrechen: Ist es auch recht? Bist du auch gesinnt, wie dein Heiland war, handelst du nach dem Vorbilde seiner heiligen Liebe? Was würde Christus zu dir sagen, wenn er eben jetzt leiblich vor dir stände, und was würdest du ihm antworten, wenn du jetzt vor deinen Richter treten solltest? Solche sind es, die dem Glauben Ehre machen, der Christenheit zum Segen und zur Erbauung leben, und ihren frommen Freunden unter vielen trüben Erfahrungen Trost und Freude bereiten. Die ihr euer Bild in diesen Zügen erkennet, wenn auch noch schwach und unvollkommen, freuet euch, ihr Gerechten des Herrn, danket mit Demuth dem, der zuerst den köstlichen Saamen des Worts in eure Seele legte, und von dem aller Segen und alles Gedeihen, wie bei jeder, so auch bei der himmlischen Aussaat kommt. Vergesset nur niemals die Hauptfache, auf die Alles ankommt, nämlich Gottes Wort nicht bloß hören, auch nicht bloß mit freudiger Rührung aufnehmen; sondern behalten und bewahren in einem feinen, guten Herzen! Was ist uns näher, als unser Herz? haben wir Gottes Wort im Herzen, so ist's uns allezeit nahe und gegenwärtig, wenn es uns rathen und helfen, wenn es uns stärken und trösten soll. Das Wort, das in der Bibel und im Gesangbuche steht, und auch das Wort im Munde, das hilft uns nichts, wenn's nicht im Herzen lebt und wirkt. Aber ist's hier, so ist auch der Herr nicht von uns fern; denn er wirkt in und mit dem Worte; haben wir dieses nahe, so ist er selbst uns nahe und gegenwärtig und wir leben in seiner seligen Nähe. Und weiter lernet aus dem, was er uns heute sagt, lernet Frucht bringen in Geduld, mit einem standhaften, ausdauernden Eifer; lernet Geduld mit euch selbst haben, werdet nicht müde, noch verzagt, wenn euch im Anfange nicht Alles glückt, wenn nicht jeder Kampf wider ein eingewurzeltes Uebel sogleich einen vollkommnen Sieg herbeiführt; werdet nicht ungeduldig, nicht verdrossen, nicht verzagt, sondern lernet eine weise Geduld, zuerst mit euch selbst haben, und dann auch mit Andern, und gute Hoffnung in ihrer Seele fassen, wenn eurer Sorge für ihre Besserung nicht Alles gelingen will, wenn ihr nicht überall gutes Land findet, wie ihr wohl wünschet. Christus unterscheidet viererlei Hörer des Worts und stellt uns allererst in der vierten Ordnung das Bild ächter, dankbarer Schüler der Wahrheit vor Augen; das war das Schicksal der heilsamen Lehre von Anfang, als der Herr selbst mit dem heiligen Feuer der Liebe für Gottes Reich wirkte, das ist das Schicksal der Wahrheit zu allen Zeiten gewesen und wird es bleiben bis ans Ende der Tage. Dieser Stamm der heiligen Familie ächter Wahrheitsjünger wird nicht aussterben und immer neue Zweige bekommen; es wird immer ein Frühlingshauch über die Erde wehen, der neue Keime und neue Blüthen ans Licht bringt zu gedeihlichem Wachsthum, und der Herr hat Keinem das Recht und die Hoffnung abgesprochen, daß er auch mit emporwachsen könne zum ewigen Leben. Wir können die geheimnisvolle Saat des Guten in seinem Reiche nicht ergründen. Wir machen oft ganz anders, als seine Gleichnißrede lehrt, aus einem schnellen Hervorbrechen des Geistes viel zu voreilige Schlüsse, während der ächte Glaube ungesehen im Verborgnen seine Keime entwickelt, und oft da, wo wir's am wenigsten denken. Aber der Herr kennt die Seinen, und Gott sieht das Herz an, und Er, der im Reiche der Natur Regen und fruchtbare Zeiten gibt, und das Gebet für die Früchte des Landes erhört, er wird gewiß auch für die edelste Aussaat Segen und Gedeihen geben, und denen, die in Geduld und Liebe, obwohl oft mit Thränen dafür sorgen und wirken, ein schönes, freudenreiches Erndtefest kommen lassen zu seiner Zeit. Darum, ihr Kinder Gottes, seid standhaft im Glauben, getreu in der Liebe, aber auch allezeit fröhlich in Hoffnung! ja fröhlich in Hoffnung! Amen.