Wolf, Friedrich August - Am Sonntage Reminiscere.
Wenn im Christenleben Alles am Glauben gelegen ist, wenn der Glaube mit Recht der Sieg heißt, welcher die Welt überwindet; so ist auch keine Versuchung für schwerer zu achten, als eine wirkliche Anfechtung des Glaubens, mit welchem wir zugleich den Schild wider alle andre Anfechtungen verlieren. Jeder Christ soll ein Held sein, wie ihn der Apostel beschreibt, daß er am bösen Tage Widerstand leisten und das Feld behalten möge. Wie nun aber, wenn ihm seine Waffenrüstung genommen wird? So wird er wehrlos sein; - doch er soll sich seine Waffenrüstung nicht entreißen lassen. Wohl! Aber eben dieser Kampf um die Waffen selbst mit dem Feinde, der ihm diese entreißen will, der Kampf um die Waffen selbst ist der schwerste, die Anfechtung des Glaubens ist die größte, die gefährlichste, die allerschrecklichste Anfechtung.
So lange ein Mensch noch im Unglauben lebt, kann er natürlich davon keine Erfahrung haben, und wird auch Andre, die darüber Klage führen, nicht verstehen, - ja, was noch mehr zu fürchten ist, er wird Andre auch falsch verstehen, er wird den Geständnissen wahrer Christen einen Sinn unterlegen, durch welchen er immer mehr in der Meinung bestärkt wird, daß zwischen den Anfechtungen gläubiger und ungläubiger Seelen kein wesentlicher Unterschied statt finde, daß vielmehr alle Menschen, mögen sie dieser oder jener, oder gar keiner religiösen Gemeinschaft angehören, wenn man sie aufs Gewissen nach dem Grunde ihrer Ueberzeugung fragt, einer steten Ungewißheit unterworfen bleiben, einer Ungewißheit, die in Zeitpunkten, wo sich die Sehnsucht nach Gewißheit stärker regt, schmerzlich gefühlt wird. Der Zweifler, wenn er nach Zerstörung seiner Jugendträume ernstlicher fragt: wo find' ich die Wahrheit, die mir das Räthsel des Lebens löst, wo find' ich Licht für meinen Geist und Trost für mein Herz, wo find' ich sichre Bürgschaft, daß mich Niemand täuscht, und daß ich mich selbst nicht täusche? - ein solcher Zweifler bildet sich ein, mit allen denkenden Freunden und Bekennern der Wahrheit einerlei Schicksal zu haben; man übersetze meine Worte nur in die gewöhnliche Kirchensprache, denkt er, so ergibt sich derselbige Sinn, in welchem Alle mit dem Apostel sagen: Unser Wissen ist Stückwerk, unsre Erkenntniß nur das Sehen in einen Spiegel, und das Wort, als das Mittel dazu, ist dunkel. Er findet darin eine Entschuldigung und eine Beruhigung, daß die größten Helden der christlichen Jahrhunderte, auf deren Ansehen man sich so oft beruft, daß Männer, wie Paulus und Luther, auch über schwere geistliche Anfechtungen geklagt haben, daß namentlich Luther mitten in seiner Amtsführung, mitten in seinem Berufe, Andre im Glauben zu stärken, die Schwachheit seines eignen Glaubens unverhohlen bekannt habe. Es ist eine große Herzenserleichterung, sich mit solchen Vorgängern zu trösten, wenn das Recht dazu erwiesen ist. Gleichwohl ist des Zweiflers Kampf keineswegs eine Anfechtung des Glaubens, so wie ja auch sonst Niemand im Besitze einer Sache gestört werden kann, in welchem er sich gar nicht befindet. Was Viele eine Schwäche ihres Glaubens nennen, das ist vielmehr eine Stärke ihres Unglaubens, ein Streit der ungläubigen Gedanken unter einander, der erregte Aufruhr in des Menschen eigner Brust bei der Wahrnehmung so vieler Widersprüche in seinem Wesen, im günstigsten Falle ein Uebergangspunkt, ein Weg zur Annäherung, ein Kampf, durch welchen der Mensch zum wirklichen Bewußtsein seines lichtlosen Zustandes erwacht, der ohne Entstehung beunruhigender Zweifel häufig ein verborgnes, verstecktes Uebel bleibt. Und in so fern ist es gut, daß ein Jüngling zweifeln lerne, und durch alle Irrgänge der Zweifelsucht hindurchgeführt werde; es ist gut, daß ein Jüngling zweifeln lerne; denn er lernt dadurch einsehen, daß er zuvor noch gar nicht geglaubt hat, daß er die gewaltig bewegende Kraft, die mit dieser Himmelsgabe ins menschliche Gemüth eintritt, noch nicht aus eigner Erfahrung kennt. So führt der Zweifel allerdings ins Reich der Wahrheit ein, aber wohl zu bedenken, nicht als ob das dadurch erregte Selbstdenken den Lichtstoff erst erzeugte, durch welchen es in der Seele hell werden soll, sondern weil die dadurch entstehende Bewegung und Unruhe des Menschen ihn in die rechte Lage und Verfassung bringt, den Strahl der himmlischen Wahrheit zu empfangen. Denn wo dieser Erfolg außenbleibt, da wird das letzte Uebel ärger, als das erste, und die neue Wohnung, die sich der Mensch mit eigner Hand selbst erbauet hat, droht mehr Gefahr, als sein Aufenthalt in der Fremde, als er noch ohne eignes Obdach auf so vielen Irrwegen eine bleibende Stätte suchte. Der Zustand eines redlich forschenden Zweiflers gibt auch seinen frommen Freunden keine Ursache zu bangen Besorgnissen, sondern läßt der Hoffnung Raum, es könne gar bald besser mit ihm werden; aber der stolze Wahn der sichern Geister, die sich des Besitzes einer Weisheit rühmen, die sie durch ihren eignen Scharfsinn gefunden haben, führt einen Zustand herbei, der immer mehr Bedenklichkeiten erregt.
Wohl also Jedem, der auf den Sturm der Nacht, als alle Finsternisse seiner Seele ihm bange machten, und alle Schrecken der Zeit und Ewigkeit ihn umlagerten, nach dem hellen Morgen des Tages sich sehnet und das Licht der himmlischen Offenbarung mit Freuden begrüßt, die Hülfe Gottes mit Dank und Demuth annimmt und die Wunder der ewigen Barmherzigkeit preiset, die sich auch an ihm nicht unbezeugt gelassen. Sein Glaube wird zwar von Anfechtungen nicht verschont bleiben. Ja es beginnt mit diesem Wendepunkte eine Reihe von Erfahrungen, unter denen seine Aechtheit erst geprüft und seine Festigkeit durch scharfe Angriffe bewährt werden soll. Aber er hat von nun an auch unter den schwersten Prüfungen mit allen wahren Christen einen festen Halt und Stützpunkt am Worte Gottes, er kann sich nun rüsten mit dem Schwerdte des Geistes wider jeden Versucher, er dienet von nun an unter den Streitern des Herrn, die von ihrem siegreichen Feldherrn nicht nur Befehl zum Widerstande, sondern auch die Zusage seines Schutzes, die Verheißung seiner gnadenreichen Hülfe haben. Und eben darüber, daß wir jede Anfechtung des Glaubens mit dem Worte des Herrn bestehen können und sollen, wollen wir jetzt weiter mit einander reden. Der himmlische Vater gebe zu dieser Betrachtung Beistand und Segen. Wir bitten in stiller Andacht u. s. w.
Text: Ev. Matthäi Cap. 15, V. 21-28.
Das vorgelesene Evangelium stellt uns das Beispiel eines geprüften Glaubens vor Augen, der dadurch siegte, daß er sich fest an das Wort des Herrn hielt, und sich weder durch eine scheinbare Verweigerung der vorgebrachten Bitte zurückschrecken ließ, noch ihre Gewährung durch eine Widerlegung der vernommenen Rede ertrotzen wollte, sondern getrost auf demselbigen Grunde fußte, auf welchen er mit dem Bescheid, kein Recht zu haben, gewiesen war. Aus der heidnischen Welt bricht eine weibliche Stimme hervor, die um Hülfe ruft; eine für den Zustand ihrer leidenden Tochter zärtlich besorgte Mutter nahet flehend zu dem Herrn. Eine Cananäerin mußte schon viele Bedenklichkeiten und Vorurtheile überwinden, um sich zu einem Lehrer und Helfer in Israel ein Herz zu fassen. Aber das Vertrauen zu der großen Güte eines weit über seine Stammgenossen hervorragenden Menschenfreundes, der so Vielen schon geholfen hatte, machte ihr Bahn, ihr Vertrauen wuchs im Angesichte des Meisters, es wankte nicht, als er schwieg, es wankte nicht bei seiner ersten, streng zurückweisenden Antwort. Christus antwortete ihr in der Sprache seines Volks, die zwar den Ohren dieser Ausländerin nicht fremd klingen konnte, die aber doch, aus dem Munde des Helfers selbst vernommen, wenig Trost gab. Doch die Bittende bestand die Prüfung, ohne ihm zu widersprechen; - die Herzhaftigkeit und Entschlossenheit, mit der sie den Herrn beim Worte festhielt, und sich aus seiner abschlägigen Antwort ein tröstliches Urtheil herausbildete, - war Beweis, daß sie mit hellem Blicke in unserm Heilande den Mann sah, von dem ein leidendes Mutterherz unmöglich ohne Hülfe in die vorige Trübsal wieder zurückkehren könne, und einmal eingetreten in den Lichtkreis seiner heiligen Persönlichkeit, empfing diese Heidin Eindrücke von der Größe und Güte unsers Herrn, die dem Glauben, mit welchem sie zuerst an ihn gegangen war, zu vollständigem Siege verhalfen, - und Christus, überwunden von ihrem Vertrauen, bereit, ihre Leiden zu endigen, bricht in die Worte aus: „O Weib, dein Glaube ist groß! dir geschehe, wie du willst.“ Und ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.
Wenn nun Christus der Mann ist, durch den uns Allen geholfen werden soll, so lerne hier ein Jeder, wie er sich gegen diesen Helfer zu stellen habe. Wer du auch seist, und über welche Anfechtungen in deiner Trübsal du besonders zu klagen habest, nimm dir daraus die Lehre: je schwerer die Prüfung deines Glaubens wird, desto fester halte dich an das Wort des Herrn; halte dich an sein Wort, das niemals wider uns ist, wenn es auch so scheinet, das niemals wider uns ist, sondern allemal für uns, wenn wir es nur recht fassen und festhalten. Und dies ist es, was wir jetzt in weiterem Umfange genauer betrachten wollen:
Daß wir uns auch bei den schwersten Anfechtungen unsres Glaubens getrost an das Wort des Herrn festhalten sollen.
Diese, dem ersten Klange nach leicht verständliche Lehre ist schwer zu fassen; aber es ist gewiß auch der Mühe werth, daß wir hier mit unsrer ganzen Aufmerksamkeit verweilen.
Unter dem Glauben verstehen wir im Allgemeinen ein solches Vertrauen durch Christum zu Gott, bei welchem wir uns als Kinder des himmlischen Vaters seiner Gnade und Hülfe allezeit getrösten. Das ist das Wichtigste und Herrlichste alles christlichen Glaubens. Nun gibt es aber dreierlei wesentlich verschiedne Anfechtungen desselben. Eine Versuchung zum Abfall von dieser tröstlichen Wahrheit, eine Versuchung zur Verzagtheit bei der Zueignung, und eine Versuchung zur Ungeduld bei der Erwartung der göttlichen Hülfe, und es kann Alles, wenn die Prüfung nicht bestanden wird, zur Verleugnung und zu traurigem Ende führen.
Der erste Fall ist, wenn uns der Lügengeist aus Gottes Worte eine menschliche Erfindung und Erdichtung machen will, und immer dreister mit der Behauptung hervortritt: es ist nicht wahr, daß euch Gott Gnade und Hülfe zugesagt hat, alle Zeugnisse dafür sind nur Menschenwerk und Menschenwort, es weiß Niemand mehr vom verborgnen Willen Gottes zu sagen, oder von den Rathschlüssen seiner Regierung, als Jeder täglich mit eignen Augen im Buche der Geschichte lesen kann, oder aus eigner Vernunft und Kraft ersehen mag. Der Versucher will uns also auf den Standpunkt des gänzlichen Unglaubens versetzen.
Der zweite Fall ist, wenn uns der Geist der Schwermuth befällt, der zwar die Willenserklärung Gottes in der heiligen Schrift als ein väterliches Wort in allen Ehren und Würden läßt, und zugibt: ja es ist Alles wahr; aber auch hinzusetzt: es ist dir nicht zum Troste gesagt, denn du bist kein Kind Gottes, du gehörst nicht unter die Zahl der Auserwählten, die der Vater dem Sohne gegeben hat, es fehlet dir an allen Zeichen und Merkmalen, an welchen die wahren Kinder Gottes erkannt werden. Das ist die Anfechtung aller um ihr Heil ängstlich bekümmerter Seelen.
Der dritte Fall endlich ist, wenn der Geist der Ungeduld bei zögernder Hülfe Gottes im Leiblichen oder im Geistlichen uns verleitet, zu klagen, zu murren, andre Hülfe zu suchen, das Vertrauen auf Gott sinken zu lassen, weil unser Gebet so lange unerhört bleibt, trotz der erkannten Wahrheit, daß er unser Vater sei und wir seine Kinder.
Also noch einmal, um es kurz und bestimmt zu sagen: es gibt erstlich eine Versuchung zu gänzlichem Abfall, also eine Versuchung, ohne den Glauben zu leben, als der in sich selbst keinen Grund habe, sondern nur auf Irrthum beruhe; es gibt zweitens eine Versuchung, zwar mit, aber nicht in dem Glauben zu leben, mithin außerhalb des Glaubens stehen zu bleiben, der zwar an sich selbst wohl gegründet, aber nur uns nicht beschieden und gegeben sei; und es gibt drittens eine Versuchung, wider den Glauben zu leben, also wider die erkannte Wahrheit, wider die eigne beßre Ueberzeugung uns an Gott durch Ungeduld und Mißmuth zu versündigen.
Das sind die Anfechtungen des Glaubens, wie die in den merkwürdigen Bekenntnissen vielversuchter Dulder niedergelegte Seelengeschichte und die tägliche Erfahrung im Prüfungsstande der Christenheit hinlänglich lehrt. Die Aufgabe unsrer weitern Betrachtung ist nun, zu sehen, daß wir uns in allen drei Fällen, die sicherlich auch uns bevorstehen, wenn es auch nicht immer bis zum Aeußersten kommt, getrost an das Wort des Herrn festhalten sollen.
Der erste Fall ist der schwierigste, das heißt, es ist am schwersten, einzusehen, daß wir auch bei der Versuchung zum wirklichen Abfall vom Worte Gottes keinen andern Halt- und Stützpunkt nöthig haben, und mithin auch keinen andern suchen sollen. Die allgemeine Lehre also ist diese: Je schwerer die Prüfung deines Glaubens wird, desto fester halte dich an das Wort des Herrn. Aber, fragst du: „Wie nun, wenn mein Glaube an Gottes Wort selbst angefochten wird, woran soll ich mich dann halten? Wenn mir der herrschende Zeitgeist, wenn mir die Urtheile gelehrter und ungelehrter Leute, wenn mir Stimmen, die ich täglich höre, das Zeugniß der heiligen Schrift zweifelhaft machen, und Alles auf einen bloß menschlichen Ursprung zurückführen, wie mag ich mit der Schutzmaaßregel auskommen, bei der hellsamen Lehre der Schrift zu bleiben, da ja die Frage, ob das Wort, an das ich mich zeither gehalten habe, auch wirklich ein Gottes-Wort sei, meine Seele gerade am meisten beschäftiget und beunruhiget? Wer für alle andre Fälle der Glaubensanfechtung den Rath gibt, sich auf einen klaren, festen Spruch der Schrift zu stützen, der muß hier wenigstens noch einen andern Rath zu geben wissen.“ Gleichwohl wird jeder christliche Seelsorger sein Unvermögen bekennen, einen andern Rath zu geben, zugleich aber auch den Beruf fühlen, den in jener scheinbaren Einwendung enthaltnen Irrthum aufzudecken und die Unmöglichkeit einer andern Anweisung darzuthun.
Wenn nämlich unter allen Tönen und Lauten, die je auf Erden vernommen worden sind, eine Stimme wirklich ein Wort Gottes, ein Wort des Schöpfers an die Menschenkinder ist, wenn unter so vielen angeblichen Offenbarungen eine wahrhaft göttliche wirklich vorhanden ist; so muß sich diese auch durch eine ihr ursprünglich inwohnende selig machen immerdar Alle, die durch ihn zu Gott kommen. Wer Ohren hat zu hören, der höre; wem das Verständniß aufgeht, der öffne der Wahrheit seine ganze Seele; wem das Heil nahe kommt, der nehme der Zeit wahr, wo ihn Gott heimsuchet; wem das Herz warm wird, der nähre die heilige Flamme; wer den Segen der himmlischen Verheißung empfängt, der opfre Gott Dank, und freue sich mit kindlichem Gemüthe; wer da hat, dem wird gegeben. Im Uebrigen werden Alle ermahnt und aufgemuntert: „Suchet, so werdet ihr finden. Bittet, so wird euch gegeben. Klopfet an, so wird euch aufgethan. Nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch; er ist nicht fern von einem Jeglichen unter uns.“ Das ist Alles, was die Haushalter über Gottes Geheimnisse zu sagen haben, das ist Alles, so oder anders ausgedrückt, mit vielen oder mit wenig Worten, mit sanfter Zusprache oder mit nachdrücklicher Einschärfung, mit andern Beispielen, Gleichnissen, Thatsachen, Erfahrungen belegt; aber die wesentliche Wirkung der christlichen Predigt in ruhigen, wie in stürmischen Zeiten der Kirche liegt dann, daß das Evangelium als eine Kraft Gottes erfahren wird, selig zu machen Alle, die daran glauben. Wer aus Gott ist, höret Gottes Wort. So aber Jemand dem Worte Gottes nicht glaubet, wie wird er eines Menschen Worten Glauben beimessen, wenn ein armer, schwacher, sterblicher Mitbruder von so hohen Dingen, als von Gottes Gnade und der Seelen Seligkeit, und von dem ewigen himmlischen Reiche sich eigner Einsicht rühmen wollte? „Woher weißt du das?“ wäre wenigstens die natürliche Frage jedes Christen; mein Herz wußte nichts davon, bevor ich's, Gott sei Dank! in seinem Worte gefunden und ergriffen habe.
Fürwahr, überall, wo wahrer Glaube emporkommen und durchdringen und den Sieg behalten soll, da muß das göttliche Wort selbst mit seiner ursprünglichen Ueberzeugungskraft die entscheidende Wirkung thun. Das liegt wesentlich in der Natur einer Sache, die göttlichen Ursprungs ist, und hier können Zeiten und Umstände nichts ändern. Für die Wahrheit, die aus Gott ist, gibt's im neunzehnten Jahrhunderte keine andre Beweisart, als im ersten, in den Tagen der Apostel, wo Paulus an die Corinthier schrieb: „Mein Wort und meine Predigt war nicht in Reden menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft, auf daß euer Glaube bestehe, nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft;“ und im vierten Jahrhundert der evangelischen Kirche gibt's keine andre Beweisart, als in dem Zeitalter der Reformation, wo Luther, als er die gewaltige Glaubensregung in der Christenheit mit Verwunderung wahrnahm, ausrief: „Das Wort hat's allein gewirkt und ausgerichtet, das Wort hat es gewirkt, auch wenn ich geschlafen habe,“ und wo er seine Gemeinde nur beten lehrte: O Herr, behüt' vor fremder Lehr', daß wir nicht Meister suchen mehr, als Jesum Christum mit rechtem Glauben und ihm mit ganzer Macht vertrauen. Sollen wir nun in Zeiten, wo allerdings die Wahrheit heftiger angegriffen wird, als jemals, zum Besten derer, deren Glaube durch diesen Kampf geprüft werden soll, einen andren Weg einschlagen, oder ihnen einen andren Weg anrathen, daß sie die Prüfung wohl bestehen mögen? Sollen wir ihnen rathen, oder selbst mit dem Versuche vorangehen, die evangelische Wahrheit aus Gründen der menschlichen Weisheit darzuthun? Das ist vergebliche Mühe, das ist unmöglich, das kann nimmermehr zum rechten Ziele führen! Alle menschliche Weisheit reicht nur bis zu dem Puncte, wo die göttliche Weisheit im geoffenbarten Worte anhebt mit uns zu reden, und wir bedürften dieser Zusprache gar nicht, wenn die Stimme menschlicher Weisheit eben so weit reichte. In der Bibel steht allerdings Vieles geschrieben, was auch in unserm Herzen geschrieben steht, und es ist nöthig und heilsam, diesen Zusammenhang nachzuweisen; allein diese Nachweisung wirkt nur nicht den Glauben au eine andre und viel höhere Wahrheit, als diejenige ist, die wir schon kennen, und mit der uns eben für die dringendsten Herzensbedürfnisse so wenig geholfen ist. Wo jener Zusammenhang aufhört, da hebt das Christenthum an mit Allem, wovon man überzeugt sein muß, um als ein Christ zu leben und zu sterben, da beginnt das Reich der göttlichen Offenbarung; was in diesem Gebiete liegt, das ist uns viel zu hoch gelegen; wollen wir's herabziehen, so haben wir es schon eigenmächtig verändert und unmerklich verloren und aufgegeben. Wollen wir aus Rücksicht auf Zeitbedürfnisse den Grund der sogenannten natürlichen Religion erst recht fest machen, um das Gebäude der geoffenbarten desto sichrer darauf zu gründen? Vergebliche Hoffnung! Zwischen beiden liegt eine Kluft, über die kein Mensch eine Brücke schlagen wird. Die Hauptsache ist immer die Offenbarung selbst, die Gewißheit, daß Gott geredet hat durch die Propheten und am letzten durch seinen Sohn, daß er seinen eingebornen Sohn zum Heile der Welt gegeben hat. Und für diesen Hauptsatz, mit dem Alles steht und fällt, wird jede Wissenschaft aus natürlicher Erkenntniß den Beweis immer schuldig bleiben, und nur ein Mensch, der Gottes Geist in Christi Worte und Werke spüret, und durch denselben Geist, der durch den Sohn verheißen ist, vom Feuer der Wahrheit ergriffen ist, wird gründlich belehrt und überzeugt werden.
Was folgt aus dem Allen? Eine Rechtfertigung des zuerst gegebnen Rathes: je schwerer die Prüfung deines Glaubens, desto fester halte dich an das Wort des Herrn, auch wenn dein Glaube an dieses Wort selbst angefochten wird. Es bleibt dir Lehre, suchet Nahrung und Stärkung für eure unsterbliche Seele bei dem Brode des Lebens! Forschet in der Schrift, und fleißiger, als ihr pfleget; der Geist, der in der Schrift von der Wahrheit zeuget und zu euch redet, ist stärker, als der Geist, der draußen in der Welt aus den Kindern des Unglaubens redet; er ist stärker, als euer eigner Geist, und wird euch kräftigen und stärken, schützen und bewahren, daß ihr niemals irre werdet, noch verzaget. Halt fest an Gottes Wort, es ist dein Trost auf Erden, und wird, so wahr Gott lebt, dein Heil im Himmel werden. Verachte christlich groß des Bibelfeindes Spott; die Wahrheit, die er schmäht, bleibt doch das Wort aus Gott. Diese Lehre ist es, die wir hier zu beherzigen haben.
Aber ebenso wichtig ist diese Lehre für den zweiten bereits genannten Fall, wenn uns nämlich der Geist der Schwermuth befällt, und zwar das Zeugniß der Wahrheit in der heiligen Schrift unangefochten stehen läßt, aber hinzusetzt: „es ist dir nicht zum Troste gesagt, du bist kein Kind Gottes, sein Wort ist mehr wider dich, als für dich; das Gesetz des Herrn muß dich weit mehr niederschlagen, als dich sein Evangelium aufrichten kann. Seine Gnade bleibt fern von dir, du wirst doch zuletzt keinen Theil an ihr haben.“ Das waren die schweren, trüben Anfechtungen über welche Luther so oft Klage führte, und nicht bloß damals, als er noch in der stillen Klosterzelle eingeschlossen war, sondern auch als er längst auf den Kampfplatz hervorgetreten, vielen Tausenden ein Prediger des Glaubens geworden war, und Freunden und Feinden seinen Heldenmuth im Bekenntniß der Wahrheit bewährt hatte. Ein Beweis, daß der hochbegabte, so gewaltige, kräftige Mann bei demüthigem Sinne blieb und lieber in der Traurigkeit, als in der Sicherheit lebte. Wenn null aber ein solcher Held über Schwachheit seines Glaubens klagt, so müssen wir uns wohl hüten, daß wir ihn nicht falsch verstehen, als ob er etwa seine Ueberzeugung von der Wahrheit der biblischen Lehre damit gemeint hätte. Nein, die hohen Artikel des christlichen Glaubens, das Wort vom Kreuze stand ihm eben so fest, als das Wort vom ewigen Leben; aber bei der Zueignung des Trostes ward er verzagt, bei der Anwendung auf sein eignes Herz verlor er den Muth, zu sich selbst zu sagen: auch dir ist Alles erworben und errungen, bis er sich emporraffte, und gegen Alles, was in der Schrift wider uns geschrieben steht, das unendlich größre Gewicht dessen setzte, was für uns ist, den unendlichen Reichthum der Erbarmung Gottes und der Liebe Christi. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gerecht macht. Also bei diesen schweren Kämpfen ließ er sich weder von seinen Freunden trösten mit der Hinweisung auf seine eignen hohe n Verdienste, noch von seinen Feinden schrecken durch ihre Drohungen und Schmähungen, als ob er schon um seines Abfalls willen die Hölle dreifach verdient habe; sondern da, wo es das Heil seiner eignen Seele galt, ging er auf geradem Wege zu dem alleinigen Heiland aller Seelen, zu Christo. Folget seinem Beispiele, wenn ihr bei dem Ringen und Streben, eures Heils gewiß zu werden, von ähnlichen Anfechtungen nicht verschont bleibet, laßt euch dann nicht durch Menschenwort eine vergebliche Furcht einflößen, laßt euch aber ebenso wenig durch Menschenwort eine falsche Beruhigung geben; sondern haltet euch in dieser allerwichtigsten Angelegenheit einzig und allein an das, woran sich Luther hielt.
Wir bedürfen hier gar wohl einer Warnung vor Menschensatzungen, zumal in einem Zeitalter vieler Partheien. Jede Parthei in der Christenheit macht gewisse Forderungen an ihre Glieder und Anhänger, und man kann sie gelten lassen, als Mittel heilsamer Zucht und näherer Vereinigung.
Sobald aber irgend eine religiöse Parthei anfängt, nach diesem Maaßstabe alle Geister zu prüfen und zu richten, sobald sie in ihren Anhängern die einzigen wahren Christen sieht; so entsteht daraus unfehlbar ein Druck des Geistes und eine Beschwerung der schwachen Gewissen. Wir haben also Ursache, auf unsrer Hut zu sein, daß wir unsre Freiheit behalten, und christliche Seelsorger sollen auch die Freiheit Andrer zu verwahren suchen. Wenn einige Christen, die einerlei geistliche Erfahrungen haben, sich enger an einander anschließen, so üben sie das volle Recht christlicher Freundschaft und Gemeinschaft, und ihr Bund muß um so ehrenwerther erscheinen, je seltner im Ganzen Frömmigkeit die Seele menschlicher Verbindungen ist. Wenn sie aber nachmals ihren Kreis erweitern wollen, und doch dieselbe Gleichförmigkeit der Erfahrungen zur Bedingung machen; so stören sie durch ihren falschen Eifer für die Einigkeit des Geistes nicht nur die Mannichfaltigkeit seiner Entwicklung, sondern sie versetzen auch zarte Gemüther, die sich auf der einen Seite angezogen fühlen, und doch auf der andern nicht völlig einstimmen können, in die größte Unruhe, ja in den peinlichsten Seelenkampf, und ihr weithin reichender Einfluß verursacht viele Anfechtungen, durch welche den Unerfahrnen ihre ersten Schritte auf dem Glaubenswege erschwert, und ihre Blicke ins Reich Gottes getrübt werden. Hütet euch also vor dem Einflusse der Herrschsüchtigen, die nach ihrem eignen Geiste bestimmen wollen, wie euch der Geist Gottes führen solle, und laßt euch nicht durch Menschenwort eine vergebliche Besorgniß einflößen, als wäret ihr nicht Kinder Gottes, weil ihr nicht gerade auf demselben Wege der Erfahrung das Recht der Kindschaft empfangen habt.
Aber ebenso wenig laßt euch durch Menschenwort eine falsche Beruhigung einflößen. Denn ihr könntet wider diese und ähnliche Anfechtungen eine sehr leichte und schnelle Hülfe finden, meine Freunde, wenn ihr euch Raths erholen wolltet bei dem andren Theile in der Christenheit, der mit der Frage: Was muß ich thun, damit ich selig werde? noch niemals zu dem rechten Meister gegangen und doch um keine Antwort verlegen ist, und der in ganzen Massen nicht einmal so viel geistliche Erfahrung hat, um nur die Entstehung einer religiösen Parthei zu begreifen. Wolltet ihr auf die Stimme der Gebildetsten aus diesem Kreise Acht haben, so würde man euch mit feiner Zurückhaltung eines gewissen Mitleids mit eurer Schwachheit auf den Weg der Pflicht verweisen, über welchem allezeit ein Himmel voller Sterne stehe, man würde eure Hoffnung auf das alleinseligmachende Thun stellen und euch mit schmeichelhafter Anerkennung eurer edlen Denk- und Sinnesart entlassen. Allein das ist doch ein sehr schwacher Trost für ein armes, tief gebeugtes, von göttlicher Traurigkeit erfülltes Herz. Darum, Geliebte, laßt euch durch Menschenwort nicht schrecken, laßt euch aber durch Menschenwort auch keine falsche Beruhigung einflößen; sondern haltet euch bei der Sorge für das Heil eurer Seele, so oft euch der Geist der Schwermuth anwandelt, einzig und allein an das Wort des Herrn, das euch eben so streng richten, als kräftig trösten und aufrichten wird. Nach der Schrift also beantwortet euch die Frage, ob ihr im rechten Glauben steht und wahre Kinder Gottes seid, und wartet nicht mit ängstlicher Bangigkeit auf dieselbigen Zeichen, unter welchen Andren die himmlische Wahrheit zuerst erschienen ist. Der Sonne Aufgang ist alle Morgen erfreulich; aber es ist nicht ein Morgen, wie der andre; jedes Frühroth zeigt eine andre Brechung der Strahlen und eine andre Mischung der Farben. Was würdet ihr zu der Behauptung sagen, daß die Sonne heute noch nicht emporgestiegen sei, weil sie nicht gerade so aufgegangen ist, wie gestern? So ist auch der Aufgang der himmlischen Wahrheit, dessen sich die Seelen der Menschen erfreuen, nicht mit einerlei Zeichen begleitet; aber kenntlich an einerlei Wirkung, an der wahren Erleuchtung. Es stehet geschrieben: „Es kann Niemand Christum einen Herrn heißen, ohne durch den heiligen Geist,“ das ist genug; es ist aber keine Beschreibung beigefügt von der Art und Weise, wie der Mensch zu der lebendigen Erkenntniß Jesu Christi geführt werde, ob durch ein plötzliches Licht, oder durch ein allmähliges Hellwerden in der Seele, ob durch einen erschütternden Schlag, oder durch eine sanfte Bewegung, bei der das Gemüth in einer stillen, ruhigen Verfassung bleibt. Genug, daß Niemand aus eigner Vernunft und Kraft an Jesum Christum glauben, oder zu ihm kommen kann. Es stehet geschrieben: „Welche der Geist Gottes treibet, regiert und beweget, die sind Gottes Kinder.“ Darnach beurtheilt, ob ihr Gottes Kinder seid. Wenn Gewohnheit, wenn Eigennutz, wenn Ehrgeiz, wenn die Begierde nach de n Gütern und Schätzen dieser Welt alle eure Schritte leitet, und alle eure Kräfte in Bewegung setzt, so könnt ihr unmöglich Gottes Kinder sein; aber wenn euch eine herzliche Liebe dringet, eurem Nächsten zu thun, gleich wie euer Heiland euch gethan, überall zu segnen und zu vergeben, wenn ihr euch herzlich sehnet, allezeit in diesem und keinem andern Sinne und Geiste zu denken und zu handeln, dann ist sicherlich des Geistes Zug in euch, und ihr dürfet getrost rufen und sagen: lieber, himmlischer Vater! Daß aber der Geist der Freudigkeit im Gebete eine Zeitlang von euch weichet und die Sehnsucht nach seiner seligen Regierung in eurem Gemüthe zurückgelassen hat, das soll euch nicht in bange Schwermuth versetzen. Denn wie im Naturleben die schöne Zelt des Frühlings nur von kurzer Dauer ist, der Sommer auch sehr schwüle Tage, und der Herbst oft schon rauhe, stürmische Tage hat, Vorboten des nahen Winters, also hat auch des Geistes Leben seine Zeiten, so lange wir noch in dieser unvollkommnen Welt unter dem Gesetze der Zeit stehen und in diesem Prüfungsstande aushalten müssen. Wolltet ihr aber das Recht der Kindschaft von eurer eignen Würdigkeit und Vollkommenheit abhängig machen und warten, bis ihr diesen Beweis führen könnet; so würdet ihr einer vergeblichen Hoffnung, ja einer trostlosen Schwermuth anheimfallen. Nein, hier muß ein Andrer eintreten, der uns der Sache gewiß macht, der uns mit Gott versöhnt hat zur Zeit, da wir noch seine Feinde waren. Wenn Christus nicht unser Trost wäre, so müßten Alle, die sich gründlich erforscht und erkannt haben, verzagen und verzweifeln. Aber Christus, der uns selig macht, ist unser Schild und unser Schutz. Was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu Einem Male, aber für unsre Gerechtigkeit lebet er immerdar. Das muß unser Trost sein, auf den wir leben und sterben.
Endlich die dritte Anfechtung, wenn uns der Geist der Ungeduld anwandelt bei der Erwartung der göttlichen Hülfe, daß wir anheben zu klagen und zu murren, und unser Vertrauen sinken zu lassen. Wie kann es wieder emporgehoben werden, als wenn wir uns die göttliche Verheißung recht stark und lebhaft vorhalten: „Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen; es sollen wohl Berge weichen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen; meine Kraft ist in den Schwachen mächtig! - Rufe mich an in der Roth, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ Allein wie soll diese Verheißung an uns in Erfüllung gehen? so fragt unser zweifelndes Herz dann, wenn wir nur die Menge der Uebel ansehen, die uns umlagern, oder in die Finsterniß einer traurigen Zukunft blicken, kurz, wenn wir uns mehr an die äußerlichen Umstände halten, die uns Hoffnung geben oder keine, als an die göttliche Verheißung selbst, wenn wir das Wort für ein geringes achten: Der Herr ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß. Schon die Erfahrungen von menschlicher Hülfe können unsern Unglauben strafen. Seid ihr niemals überrascht worden von der unerwarteten Erfüllung eines euch von Menschen gegebnen Wortes? Freunde, die es redlich mit euch meinten und euch mit Blicken der Theilnahme auf eurem Lebenswege folgten, oder Andre, die sich euch zu wahrem Dank verpflichtet fühlten, sie haben ihr Wort vielleicht lange unerfüllt gelassen; aber sie hatten es nicht vergessen, sondern nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, auf einen Zeitpunkt, wo euch die Erfüllung ihres Versprechens besonders förderlich und ersprießlich werden konnte, und ihr habt ihr treues Andenken, ihre stille Fürsorge, ihr edles Zartgefühl mit inniger Freude erkannt. Gleichwohl heißt es: „Verlasset euch nicht auf Menschen!“ Wenn nun aber dennoch selbst unter den Menschenkindern, auf die wir uns als auf schwache, hinfällige Geschöpfe nicht verlassen sollen, Einige den Beweis geben, daß sie ihrerseits bei Erfüllung des gegebnen Wortes mit eben so viel Zuverlässigkeit, als Bedachtsamkeit zu Werke gehen, sagt, mit welcher Beschämung werden wir auf die Verheißung des Wahrhaftigen hingewiesen, auf den wir uns allein verlassen sollen, in dessen Händen alle Macht und Gewalt ist, und dessen Weisheit die besten Mittel und Wege, und die rechte Zeit und Stunde kennet? O ihr Kleingläubigen! Also vielmehr, wie unsre frommen Väter sangen, die wohl auch in die Wolken des Unglücks eingehüllt, mit ihren Augen keine Möglichkeit der Hülfe mehr sahen, und die kränkende Sprache hören mußten, daß der Herr ihrer nicht gedenke: „Sollt' es gleich bisweilen scheinen, als verließe Gott die Seinen, banges Herz, erwäge dies, Gott hilft endlich doch gewiß.“ „Und wenn es währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen; doch soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht, noch sorgen.“ - Und ihr findet in den Klage- und Trostliedern der evangelischen Kirche, die unter dem Drucke groß war, einen reichern Schatz, als sich durch einzelne Verse darlegen läßt. Aber das ursprüngliche Gold, das mit seinem Glanze Alles in diesen Vermächtnissen ihres Geistes durchleuchtet, ist dasselbe Wort der Verheißung, das auch uns gegeben ist; und wenn wir nicht auf den ursprünglichen Grund zurückgehen und uns darauf stützen, so stehen wir auch nicht fest, um auszuharren in Geduld und so zu warten auf die Hülfe des Herrn; es bleibt Alles nur ein schwacher Nachklang in unsrer Seele. Viele unsrer frommen Vorfahren hatten freilich damals etwas Wesentliches vor uns voraus. Von Jugend auf mit den kräftigsten Trostsprüchen der heiligen Schrift vertraut, hatten sie sich dieselben nicht nur tiefer ins Gedächtniß eingeprägt, sondern auch auf dem Wege mannichfacher Lebenserfahrungen in guten und bösen Tagen gründlicher erfaßt und reiflicher erwogen; sie hatten in sich selbst mehr Nahrungsstoff für die heilige Flamme des Glaubens, und wenn sie dann in die Schule des Kreuzes geführt wurden oder aufs Kranken- und Sterbebette kamen; so sprach der Geist aus dem Worte, das in ihnen war, wie mit feuervollen Zügen geschrieben, also, daß sich oft die Umstehenden alle verwunderten, wenn sie aus dem Mittelpunkte ihrer Leiden Andre aufrichten und durch die Kraft des Vertrauens mit sich emporheben konnten, und manches schwache, hinfällige Leben hat da noch im Erlöschen ein Licht angezündet, das zum Segen der Welt nach ihnen leuchtete. Manche Mutter, die den letzten schweren Schritt auf der dornenvollen Bahn mit freudigem Vertrauen that, hat ihren Kindern den Weg zum Herrn gezeigt, als sie im Begriff war, von ihnen zu scheiden; manche, durch langwierige Leiden schwer geprüfte Dulderin hat ihrem Seelsorger ein Bekenntniß abgenöthigt, das seine eigne Seele stärkte; manche still geförderte Christin hat auf ihrem Sterbebette den Ausspruch des Herrn auf die Lippen seines Dieners gelegt: „O Weib, dein Glaube ist groß; dir wird geschehen, wie du geglaubt hast! Die Stunde der Erlösung ist nahe, und die Stunde der Erlösung wird die Stunde der Verklärung sein, der Verherrlichung vor dem Angesichte deines Gottes. Alle Leiden, die nun überwunden sind, sind nicht werth jener Herrlichkeit, die dir nahe ist!“ - Doch genug über den Gegenstand unsrer heutigen Betrachtung, meine Freunde; ich schließe mit dem Zurufe, der an einen Jeglichen unter uns gerichtet ist, ich wiederhole, was schon gesagt ist, weil es Alles umfaßt„ was mein heutiger Vortrag enthielt: Halt fest an Gottes Wort, es ist dein Trost auf Erden, und wird, so wahr Gott lebt, dein Heil im Himmel werden. Verachte christlich groß des Bibelfeindes Spott; die Wahrheit, die er schmäht, bleibt doch das Wort aus Gott! Amen.