Wirth, Kaspar Melchior - Das wunderbare Erscheinen des Auferstandenen.
Osterpredigt von K. M. Wirth, zweiter Pfarrer in Herisau.
Text: Am Abend aber desselbigen Sabbats, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren, aus Furcht vor den Juden, kam Jesus, und trat mitten ein, und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch. Und als er das sagte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite; da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Joh. 20. 19, 20.
Festfeiernde Christen!
Es ist ein unnennbar großes, herrliches Fest, das heute in allen Landen die Gemeinde Jesu Christi feiert, und wer mit kindlichem Glauben die frohe Osterbotschaft umfasst, den treibt es heute zu frohen Siegesliedern, und er stimmt ein in den Jubelgesang, den viele Tausende dem Todesüberwinder weihen:
„Willkommen, Held im Streite,
Aus deiner Grabeskluft!
Wir triumphieren heute
An deiner leeren Gruft!“ 1)
Von welcher Seite wir auch die Bedeutung der großen Tatsache dieses Festes ansehen, wir haben Grund genug zu wahrer und herzlicher Osterfreude. Am geöffneten Grabe des Auferstandenen sehen wir ihn selber als den ewigen Sieger, dargetan als den Gesalbten des Herrn, sehen den Anfang seiner Verherrlichung, die Erfüllung seines Gebetes, das er beim Beginne seiner Todesleiden sprach: „Vater, verkläre mich bei dir selber mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe denn die Welt war!“ Am geöffneten Grabe des Auferstandenen sehen wir den Sieg seiner Sache und seines Evangeliums verbürgt. Über ihm wölbt sich nun der Bau seines Reiches; auf ihm steht er als auf einem ewigen Grunde, dass die Pforten der Hölle ihn nicht sollen überwältigen. Am geöffneten Grabe des Auferstandenen sehen wir nun die trauernden Jünger mit dem höchsten Frieden erfüllt und mit jenem Glauben belebt, der allein sie befähigte, die Siegesbotschaft des Evangeliums von Land zu Land zu tragen.
Da lernen aber auch wir die große Gewissheit unseres ewigen Lebens finden, und hören die heilige Mahnung: „Gleich wie Christus ist auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. „
O, wer aus uns sich so recht hinein versenkt hat in die Todesleiden des Herrn, wer so recht mit ihm ging, dem Heiligen Gottes, nach Gethsemane, nach Golgatha zum stillen Grabe, wo sein heiliger Leichnam ruhte, der folgt nun auch mit inniger Freude dem sieggekrönten Helden in die Kreise derer, denen er nun erscheint und denen er die Gewissheit seines neuen Lebens bringt. Wie mancher Christ hat schon gewünscht, auch einmal eine Stunde zu erleben, wie Maria Magdalena sie erlebte, als der Herr hinter ihr stand und sie bei ihrem Namen rief; oder wie die Jünger, die nach Emmaus gingen und denen Christus sich kund tat beim Brechen des Brotes; oder wie die ganze Schar seiner Jünger, die am Osterabende beisammen waren voller Furcht und Hoffnung, und zu denen er kam, den sie liebten mit heiliger Liebe, mit dem Gruße seines Friedens sie grüßend. Nicht wahr, so etwas würdet ihr Alle gerne erleben? Das wäre ein Osterfest für uns! so denkt ihr. Nun, Christen, nicht zwar in buchstäblichem Sinne, aber doch geistig können wir etwas Ähnliches erleben.
Der von den Toten auferstanden ist, er ist auf ewig auferstanden: Er lebt jetzt noch wie damals, und kann und will auch jetzt noch denen, die danach verlangen, die Gewissheit seines Lebens geben. Der Auferstandene erscheint auch in unseren Tagen noch, tritt je und je in einen Kreis seiner Verehrer oder in eine Seele hinein, dass sie ihn erkennt und auch freudig ausruft: „Mein Herr und mein Gott!“ Wo ein Herz eine recht innige Empfindung der Nähe des Heilandes hat, von einem Hauche seines Lebens sich umweht fühlt, wo in einer zweifelnden Seele die unumstößliche Gewissheit auflebt: Christus ist der Lebensfürst und der Grabesüberwinder, er ist auferstanden, und die Botschaft von ihm ist kein Märlein, sondern ewige Wahrheit; - da erscheint Christus, da kommt er gleichsam aus dem Grabe und spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ Ja, geistig wiederholen sie sich noch die herrlichen Begebenheiten des Ostertages. Auch die, welche in unserem heutigen Texte uns erzählt ist. Lasst uns das heute sehen; vielleicht kann, während wir das betrachten, Manchen oder Einigen der Auferstandene erscheinen. Betrachten wir:
Das wunderbare Erscheinen des Auferstandenen.
Wir fragen:
Wo und wann erscheint der Auferstandene? und Was tut und bringt er da, wo er erscheint?
Ewig Lebendiger, erscheine auch uns; lass uns Allen noch ein Osterfest kommen, da wir dich sehen mit den Augen des Glaubens und nimmermehr zweifeln! Heute o Herr, heute komm zu uns und rüste unsere Herzen dich zu empfangen! Bringe auch uns, was du einst deinen Jüngern brachtest Auferstandener; deinen Frieden bringe uns, deine Kraft, deinen Geist! Amen.
I. Wo und wann erscheint der Auferstandene? Das betrachten wir zuerst.
Es ist eine sehr merkwürdige Tatsache, dass der Herr nach seiner Auferstehung nur denen erschien, die schon vorher mit ihm verbunden waren und in der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe mit ihm standen. Niemals ist er denen erschienen, die ihn verworfen hatten und die kein Fünklein der Liebe zu ihm in ihren Herzen trugen. Er ist niemals hinein getreten in den hohen Rat; denen hat er seine Nägelmale nicht gezeigt noch die Wunde in seiner Seite, die ihm die Hände durchbohrt und die Seite durchstochen. Er ist niemals hinein getreten, der Auferstandene, in eines Kajaphas Palast, oder in des Pilatus Richthaus, zu keinem Pharisäer hat er sich gesellt und zu keinem seiner Feinde, und hat etwa ihnen die Gewissheit seines neuen Lebens gebracht. Ihrer Keiner hat ihn gesehen, ihrer Keinem hat er alle Schrift ausgelegt. Es sind ganz andere Kreise gewesen, in die er segnend und tröstend hinein trat. Die Zeit war vorüber, da er ausging und suchte; jetzt musste man ihn suchen! Jetzt war er nicht mehr der Erniedrigte, jetzt war er der Verherrlichte. Die nicht schon vorher die Seinen waren, die sollten sein Angesicht nicht mehr schauen.
O ernste, ernste Wahrheit! Ja, er erscheint jetzt noch, der Auferstandene, bald da, bald dort; je zuweilen kann seine Nähe gespürt und empfunden werden, je zuweilen gibt er sich zu erkennen als der ewig Lebendige, etwa einmal tritt er lebensvoll in eine Seele hinein oder in eine Versammlung von Menschen; aber nicht in die ersten, besten. Sein neues und ewiges Leben tut er nicht Allen kund. Er tritt nicht hinein in die Versammlung von Spöttern, von Ungläubigen, von unbekehrten Sündern, und keiner einzigen Seele erscheint er, die noch nie, gar nie einen Zug der Liebe zu ihm spürte, die bisher kalt und fremd ihm gegenüber stand. Wer ihn etwa spüren und erfahren will, der muss irgendwann und irgendwie schon zu den Seinen gehört haben. Meint ihr, den Auferstandenen können sie sehen oder spüren, von dem Odem seines Lebens angeweht werden, jene Gesellschaften, in denen kein Hauch und keine Spur eines besseren Geistes zu finden ist? Noch niemals ist er eingetreten in einen Saal, wo die Lust der Welt oder die Sünde wohl gar den Vorsitz führte. Noch kein Haus hat er betreten, in dem nicht die Liebe zu ihm wohnte und der Glaube an seinen Namen. Die Versammlungen, in denen er durch Worte des Unglaubens, durch die Spieße sündiger Reden getötet wird, die besucht er nicht. In die Schlupfwinkel des Lasters kommt er nicht. Es ist noch für keine Seele Ostern geworden, die nicht nach ihm sich sehnte. Da sagen Tausende und Tausende in der Welt: Christus ist nicht auferstanden, wir haben ihn nie gesehen; er ist nicht der ewig Lebendige, denn von seinem ewigen Leben haben wir noch nie etwas gespürt. Wir begreifen's wohl; die Pharisäer und Schriftgelehrten haben ihn auch nicht gesehen!
Ist er deshalb nicht auferstanden? Obschon sie ihn nicht sahen, ist doch durch die Welt die Botschaft vom Auferstandenen gebraust! Wohlan denn, mögen die Ungläubigen unserer Tage, die Feinde des Herrn, die Kinder dieser Welt, die Sklaven der Sünde, die Starken am Geiste, die keinen Heiland bedürfen, mögen sie immerhin vom Auferstandenen nichts wissen wollen wir begreifen's, aber das macht uns nicht irre. Sie können ihn nicht sehen, sie können von seinem Leben nichts spüren, zu ihnen tritt er nicht, ihnen erscheint er nicht, für sie ist es eben noch nie Ostern geworden.
Seinen Jüngern erschien der Auferstandene. In ihren stillen Kreis trat er ein, der aus dem Grabe kam. Da waren sie am Osterabende versammelt, still und traurig erst; vielleicht in dem Saale, in dem sie vor wenig Tagen die letzten Stunden des Abschiedes mit ihm gefeiert; wo sie sein Wort gehört: „Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht mehr sehen, denn ich gehe zum Vater. Und abermals über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen.“ Sie waren versammelt beieinander in großer Furcht. Diese Furcht trieb sie an, die Türen zu verschließen. Drinnen in dem stillen Kreise wurden wohl heilige Gespräche geführt. Der Grundton, der durch alle Worte hindurch klang, war wohl der: „Sie haben mir meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!“ Zweifel wurden wohl auch geäußert, schwere, bange Zweifel. Ist er wohl der Christ Gottes, den unsere Seele geliebt hat, oder ist er's nicht? So hat wohl Mancher gefragt. Gewiss haben, die dort versammelt waren, schon von Magdalena es vernommen: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ Sie haben's nicht geglaubt. Aber sie hätten's gerne geglaubt; allein ihre Seele trauerte, dass sie den Herrn verloren hatten! In diesen Kreis trat der Herr. Der Auferstandene kam und trat mitten ein!
Da, Christen, da könnt ihr sehen, wohin er auch jetzt noch kommt, wo es auch jetzt noch Ostern werden kann, da die selige Gewissheit auflebt: „der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ In solche Kreise tritt der Herr, wo man nach ihm sich sehnt, wo man ein Verlangen hat nach ihm, wo Seelen mit ihm sich beschäftigen. Durch eine festfeiernde Gemeinde kann etwa einmal, Vielen spürbar, fühlbar, der Geist des Auferstandenen wehen, dass sie sagen können: „der Meister ist da!“ In einen frommen Jüngerkreis tritt er etwa ein und verscheucht alle Zweifel, und gibt den sehnenden Herzen ein vielleicht lange entbehrtes Gefühl seiner Nähe. Wenn in einem gottesfürchtigen Hause Vater und Mutter und die Kinder um sie her still und andächtig die Ostergeschichte lesen, vom Heiland der Welt sich unterhalten, oder ihn zu sehen wünschen; da tritt er etwa ein, und sie sehen ihn, nicht mit dem leiblichen Auge, und doch nicht minder gewiss, und ihre innerste Seele fühlt's: „der Herr ist uns erschienen!“ Oder er erscheint, der Auferstandene, und bringt die Gewissheit seines Lebens, und weckt den unentweglichen Glauben an ihn in Manchen, die darüber trauern, dass sie einst mit ihm wandelten, aber ihn wieder verloren haben. Gibt's nicht viele Solcher? Ja, sie glaubten einst an ihn, sie waren einst eine Weile seine Jünger; aber er ist ihnen entrissen worden. In der Lust der Welt haben sie ihn verloren, Feinde sind gekommen und haben den ihnen getötet, den sie einst liebten. Lange merkten sie's nicht; aber nach und nach lebte doch eine Sehnsucht nach ihm in ihnen wieder auf. O, wenn Menschen einmal jammern lernen, dass sie den Herrn verloren in der Sünde des Lebens, der sie sich ergeben, oder in den Zweifeln der Zeit, die den Eingang fanden auch in ihre Brust; wenn sie anfangen, um Gewissheit, um Wahrheit zu seufzen; wenn sie gerne wieder glauben möchten, aber es eben noch nicht können; wenn sie einmal so recht traurig sind und angefochten und bekümmert, wie dort die Jünger waren: - ja, da kann der Auferstandene kommen, denen ist er nicht ferne, früher oder später kommt ihnen gewiss der Ostertag, da der Glaube an ihn wieder auflebt in ihrer Brust, da er selber, der verlorene und für sie gestorbene Christus ihnen im Strahlenglanze seines ewigen Lebens erscheint! - Oder noch mehr: Wo einmal Menschen sich fürchten, wie am Osterabende die Jünger sich fürchteten, da erscheint er; in zagende Seelen tritt er gerne hinein! Ist Einer lange sein Feind gewesen sogar, hat Einer Christum verleugnet, seit Jahren nichts mehr von ihm wissen wollen, ihn und sein Evangelium von sich gestoßen; ist Einer lange ein Diener der Sünde gewesen und hat keinen Heiland gebraucht; aber kommt nur allmählig über ihn die Furcht, die Furcht vor Gott, vor der vergeltenden Ewigkeit; zittert seine Seele in großer Angst, und sehnt er sich nun allmählig nach Trost und Hilfe: - da ist der Auferstandene nahe, in eine solche Seele hinein kann er kommen. Also seht, nur zu Solchen kommt er und tut sein ewiges Leben ihnen kund, die seine Jünger schon früher waren, oder, die mürbe gemacht von der Zweifelqual, von der Trauer, dass sie ihn verloren, von der Angst ihrer Sünde, nach ihm sich sehnen und nach Wahrheit und Frieden dürsten. Wo das ist, da kann der Herr erscheinen. Und nichts kann da ihn mehr aufhalten. Und wenn dann auch die Türen noch verschlossen wären; er dringt doch hinein. Wo innerlich einmal eine Seele nach ihm sich sehnt, da mag dann vor ihrer Türe noch so mancher Schutthaufen des alten sündigen Lebens liegen und die Angeln derselben noch so verrostet sein, weil sie gar so lange nicht mehr geöffnet wurden, und noch so starke Riegel dem Herrn den Eingang verwehren; er kann doch hinein! Auf einmal steht er mittendrin; der gestorbene Glaube lebt wieder auf, der lange nicht mehr gesehene Christus ist selbigem Menschen erschienen!
II. Lasst uns nun aber auch fragen: Was tut und bringt der Auferstandene da, wo er erscheint?
Ganz das Gleiche tut er, ganz das Gleiche bringt er, wo er jetzt noch erscheint und der Glaube an ihn, den Auferstandenen und ewig Lebendigen, auflebt, was er dort tat im Kreise seiner Jünger und was er dorthin brachte.
Da steht er, der Auferstandene, in der erstaunten, erst noch so traurigen, bangen, zweifelnden Jünger Kreise. „Und er zeigte ihnen die Hände und seine Seite“, die durchgrabenen Hände, die durchbohrte Seite. Ihr fühlt, warum der Herr das tat? Darum tat er's, damit sie nicht meinen, es sei ein Geist, der ihnen erscheine; damit sie es sehen mit ihren eigenen Augen: es ist derselbige Christus, der den großen Opfertod am Kreuze starb, den wir nun lebend wiedersehen. Aber wohl noch etwas Anderes wollte Christus ihnen sagen, als er seine Jünger auf seine durchgrabenen Hände und seine durchstochene Seite hinwies; er wollte ihnen sagen: „Musste nicht Christus solches leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ wollte ihnen also das Verständnis öffnen des wunderbaren Ratschlusses Gottes, den er durch Tod und Auferstehung erfüllen sollte; wollte sie hinweisen auf seinen Opfertod zum Heile und zur Erlösung der Welt!
Wunderherrliche Sprache, die da der Auferstandene redet! Andächtige, sie redet er jetzt noch. Wo er immer jetzt noch erscheint, wo er immer einer Seele sein neues Leben kund tut, wo immer in eines Menschen Brust der Glaube an den Auferstandenen aufwacht: da zeigt er seine Hände und seine Seite; da weist er hin auf den großen Zusammenhang seiner Leiden und seiner Auferstehung; da öffnet er auch den Blick in die Bedeutung seines Todes hinein; da weckt er zugleich auch in der Seele den Glauben an die Versöhnung auf, die durch ihn geschehen ist, und enthüllt dem staunenden Auge die Herrlichkeit seiner Liebe. Siehe, o Christ, beim heiligen Abendmahle erscheint dir jedes Mal der ewig lebendige Christus, der da lebt und herrscht in Ewigkeit. Zeigt er da nicht aber auch jedes Mal seine Hände, die durchgrabenen, und seine Seite, die durchstochene? Was tut er anders, wenn er dir zuruft: „Das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird; das ist mein Blut, das Blut des Neuen Testamentes, das vergossen wird für Viele zur Vergebung der Sünden!“ Und wo in einem Herzen der Glaube an den Auferstandenen lebendig wird, da zeigt er abermals seine Hände und seine Seite. Das will sagen: mit der Gewissheit seines Lebens bringt er auch die Gewissheit seiner Liebe, die ihn ans Kreuz trieb, bringt das Verständnis seines Todes. So lange du nicht an die Auferstehung Jesu Christi glaubst, so lange ist dir auch sein Tod kein Erlösungstod, nicht das große Sühnopfer für alle Welt; ist dir nur ein Märtyrertod, wie ihn schon viel Tausende erduldet. Erst, wenn du den Auferstandenen hast, hast du auch das Lamm Gottes, das für dich erwürgt ward. So lange dir Christus nur ein vor achtzehn Jahrhunderten gestorbener, edler und großer Lehrer ist, so lange verstehst du's nicht: „Christus hat ausgetilgt die Handschrift, so wider uns war, und hat sie aus dem Mittel getan und an das Kreuz geheftet“; sobald er dir einmal als der erscheint, der da spricht: „Siehe, ich war tot und bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit“; sobald verstehst du auch die Bedeutung seiner Leiden, und du kannst sagen: „Ja, du stiegst um unsertwillen gern den Golgatha hinan!“ So lange du den Auferstandenen nicht innerlich spürst und erfährst, dich nicht umweht fühlst von seinem ewigen Leben, ihn nur äußerlich hast und kennst, aber nicht erfahren und nicht in dir hast, so lange kannst du auch nur reden über seine Leiden und seinen Tod; aber wenn er einmal mit seinem Leben dich angehaucht, dann erfährst du auch die Kraft seines Todes und seinen ewigen Segen. So ist es denn gewiss wahr: wo immer der Auferstandene erscheint, da zeigt er seine Hände und seine Seite; da gibt er sich ganz zu erkennen, da wird er verstanden als der für uns Erniedrigte und Erhöhte!
Blickt wieder hinein in der Jünger hochbegnadigten Kreis. Der Auferstandene tut auf seinen Mund und spricht: „Friede sei mit Euch!“ herrlicher, seliger Ostergruß! Darum so herrlich und so selig, weil er eben nicht ein Wort nur war und nicht nur ein Wunsch; weil er unendlich mehr war: eine höhere Gabe! Zu wem Christus sprach: Friede sei mit dir; der bekam den Frieden, seinen Frieden, nicht wie die Welt ihn gibt. Meint ihr nicht, als an jenem Abende die Jünger des Herrn Friedensgruß hörten, da sei auch auf der Stelle der seligste Friede in ihre allerinnerste Seele gedrungen? ein Friede, den von nun an nichts, gar nichts mehr zu stören vermochte, der da anhielt in allen Kämpfen künftiger Tage, in aller Schmach, die auf sie wartete, in allem Hasse, der später sie umtobte - ein Friede zum ewigen Leben? Ja, so musste es sein. Jetzt erst ging es eigentlich an ihnen in Erfüllung ihres Meisters Abschiedswort: „Meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt gibt, geb' ich ihn euch!“ Der Auferstandene konnte Frieden bringen dadurch, dass die Jünger ihn sahen, von seinem neuen Leben überzeugt sein mussten, war ja all' ihr Zweifelheer auf ewig zu Tode geschlagen; all' ihre Trauer war siegreich überwunden; all' ihr Zagen musste weichen einer heiligen Freudigkeit; nun wussten sie, an wen sie glaubten, nun wussten sie, wem sie dienten - was konnte die Welt sie noch ängstigen? - Der Auferstandene war ihr Meister! Was konnte der Tod sie noch schrecken? Nun Christus wieder lebte, nun wussten sie's: „Wer an ihn glaubt, wird leben, ob er gleich stürbe, und wer da lebt und glaubt an ihn, der wird nimmermehr sterben!“ War das nicht Friede? Ich weiß keinen besseren!
Aber wo immer der Auferstandene erscheint, da spricht er seinen Ostergruß: „Friede sei mit Euch!“ Ja mehr noch, da bringt er den Frieden. Und jede Seele, die den Herrn spürt und sein Leben, sie spürt und bekommt auch den Frieden. Ja, Geliebte, nirgends anders woher strömt er so gewiss und so reichlich als aus des Welterlösers geöffnetem Grabe. Aus dieser kalten Gruft weht des ewigen Friedens Odem durch alle Lande, aus ihr rauschen seine segnenden Fluten durch alle Zeiten hinab. O denkt nur nach! Ist dir der Auferstandene einmal innerlich erschienen, glaubst du an seinen ewigen Sieg mit zweifelloser Gewissheit, siehst auch du den Stein weggewälzt und leer sein heiliges Grab - hast du dann nicht Frieden? Was kann dich denn noch bleibend beunruhigen und ängstigen? Etwa deine Sünde und das Bewusstsein, dass du nicht bestehen könnest vor dem Allerheiligen? Nimmermehr! der Auferstandene hat dir ja seine Hände und seine Seite gezeigt! Sein neues Leben verbürgt es dir: er ist der Weltheiland gewesen, der große Hohepriester, der das ewig gültige Opfer brachte für alle Welt und für dich. Der aus dem Grabe hervorging in seiner Kraft und in der Kraft des allmächtigen Gottes, der hat Alles, Alles vollendet; wer ihn hat und kennt und an ihn glaubt, der hat Frieden, weil er weiß: er hat meine Sünden mit in sein Grab genommen und sie auf ewig drin gelassen, als er es wieder verließ! - Was kann uns beängstigen und verzagt machen, sobald wir einmal mit den Augen des Glaubens den Auferstandenen gesehen haben? Kann das etwa der Hass der Welt, der vielleicht auch uns umwogt? oder der Wirrwarr und Unfriede um uns her? oder die Verfolgung, die etwa auch uns trifft? Schmach und Schande? Hunger und Blöße? Nimmermehr! Der Auferstandene weckt in uns ein höheres Leben, das unberührt bleibt von Allem, was außer uns ist; ein Leben, das herrlich blüht und wächst und gedeiht bei allem Drucke und allem Elende der Erde. Wer ihn hat und kennt, spürt und fühlt, der hat Frieden in allem Unfrieden der Welt! Was kann uns beängstigen und verzagt machen, wenn wir einmal mit den Augen des Glaubens den Auferstandenen gesehen haben? Etwa die Furcht, es möchte der Sünde und dem Unglauben der Zeit gelingen, sein Evangelium zu stürzen und die Fundamente seines Reiches zu untergraben? Zagen wir dann etwa im Hinblick auf den sittlichen und religiösen Verfall unseres Geschlechtes? Raubt uns etwa die Besorgnis den Frieden, dass es den Feinden des Lichtes und der Wahrheit gelingen möchte, der Menschheit ihre teuersten Güter zu rauben? Nimmermehr! Mag noch so viel Bedrohliches sich zeigen in der Welt wir haben den Frieden! Im Glauben an den Auferstandenen wissen wir: so wenig ihn die Welt zu vertilgen vermochte, so wenig kann sie vertilgen sein Evangelium und sein ewiges Reich; und wenn es auch gelingen sollte, demselben einen Karfreitag zu bereiten, so kommt doch bald wieder der Ostertag, da man vom Siege singt in den Hütten der Gerechten! Was kann uns noch ängstigen, wenn uns der Auferstandene lebensvoll erschien? Etwa das, dass so viel heilige Saat zertreten, so viel heiliges Leben der Völker und der Einzelnen getötet wird durch frevle Gewalt, und jeder Wohltäter der Menschen geschmäht wird und gekreuzigt? Nimmermehr! Der Auferstandene bringt uns den Frieden! An seinem offenen Grabe sehen wir alle Gräber sich öffnen, darinnen Hohes, Heiliges, Göttliches begraben liegt; sehen die Morgenröte jenes Ostertages, der alle Steine von solchen Gräbern wälzt und alle Hüter zu Boden wirst, dass sie werden, als wären sie tot.“ Und noch einmal fragen wir: was kann uns ängstigen, wenn wir einmal den Auferstandenen mit den Augen des Glaubens gesehen haben? Etwa der Tod und das eigene Grab? Nun ja, Tod und Grab sind sonst in aller Welt die furchtbarsten Friedensstörer! Aber der Auferstandene zeigt uns geöffnet auch unsere Gräber. Er zeigt uns den Tod überwunden und das dunkle Grab erhellt. An ihn schallet der Preisgesang, und wir auch lernen ihn singen: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg! Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Ja, den Frieden bringt der Auferstandene, wo immer er erscheint!
O sagt, muss das uns nicht mit heiliger Freude erfüllen? „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen!“ So heißt es in unserem Texte. Ihre Seele war aufgelöst in Jubel und Seligkeit. So muss es auch uns gehen, wenn auch uns der Auferstandene mit seinem neuen Leben berührt. Möge es bald geschehen! Möge aus unser Aller Herzen der Osterpsalm rauschen:
Du hast nun überwunden
Der Feinde Macht und Spott.
Wir haben Trost gefunden,
Mit uns ist unser Gott!
Der Fried' ist uns erstritten,
Und jeder Schrecken flieht;
In der Gerechten Hütten
Erschallt das Siegeslied.
Teil' uns des Sieges Beute,
Den Trost nun reichlich aus;
Ach komm', und bring' noch heute
Dein Heil in Herz und Haus!
In deines Grabes Staube
Liegt unsre Schuld bedeckt;
Des' tröstet sich der Glaube,
Dass ihn kein Feind erschreckt.
Schwing deine Siegesfahnen
Auch über unser Herz,
Und zeig' uns einst die Bahnen
Vom Tode himmelwärts!
Was kann uns dann noch schaden?
Des Todes Pfeil ist stumpf!
Wir sind bei Gott in Gnaden,
Und rufen schon: Triumph! Amen.2)