Wiclif, John - Der Kultus
Erforderlich ist rechte Kenntnis und Verständnis des Gebets des Herrn, der hl. zehn Gebote und des apostolischen Symbolums … wäre doch nichts Herrlicheres, als wenn die Kirche wieder in die alte Freiheit gesetzt würde … leider ist es soweit gekommen, daß man eher Gottes Gebote brechen als die kleinste Zeremonie vernachlässigen würde … unser fleischlich gesinntes Volk hat mehr Genuß, mit seinen leiblichen Ohren solche Singerei1) zu hören, als das Gesetz Gottes und wenn man vom Himmel spricht … wie ungereimt sei es, daß drei oder vier solcher Sänger in einer Versammlung von vierzig oder fünfzig ein Stück absingen, während die andern alle zuhören, ohne nur zu verstehen, was jene singen … Mögen Bilder in einer Weise als Darstellungen von Heiligen oder als Bücher unwissender hochgehalten werden, oder wie ein Weib den Ring ihrer Vermählung aus Liebe zu ihrem Gatten hochhält - sie aber annehmen gleich Christus oder seinen Heiligen, ist offene Idolatrie 2) Auch scheint mir, daß man von allen denen, welche solche Idole köstlich schmücken auf Kosten des armen Mannes mit Hilfe von ungerechten Steuern, Abgabe, Erpressungen oder anderem Betrug, oder welche die Glieder Christi umkommen lassen in Hunger, Kälte oder anderem Elend, daß man von allen diesen sagen kann, sie verehren diese Idole mehr als unsern Herrn Jesum Christum. Wenn nun aber Ezechias, der König, die eherne Schlange … in Stücke zerschmettern ließ, weil das Volk ihr Aufmerksamkeit und Verehrung erwies, die nur Gott zukam, um wieviel mehr sollte ein christlicher König mit Zustimmung seiner Lords und der evangelisch gesinnten Geistlichkeit Idole zerbrechen oder verbrennen, welche weder Christus noch seine Apostel anbefahlen, sofern das gemeine Volk mit ihnen Idolatrie treibt, indem es Hoffnung auf sie setzt oder ihnen Ehre erweist, die Gott allein zukommt, oder indem es bei ihnen schwört oder ihnen oder reichen Menschen 3) Gaben darbringt, welche der Herr Christus dem armen Mann allein geben hieß … Mich bedünkt, daß keiner der Heiligen als Teil der Kirche zu preisen ist, als nur inwiefern er selbst unserm Christus im Wandel nachgefolgt ist; daß keiner in Wort oder Tat des Lobes würdig ist, als so weit er aus Christus die Materie seines Lobes geschöpft hat. … Es halten viele dafür, es wäre der Kirche förderlich, wenn alle jene Heiligenfeste aufhörten und Christus allein gefeiert würde, weil, wie sie sagen, dann Christi Gedächtnis um so frischer in uns erhalten bliebe und des Volkes Andacht nicht so ungebührlich auf Glieder Christi zerteilt und zerstreut würde! Ebenso halten viele nicht ohne Grund dafür, es wäre gut, wenn Christus ausschließlich unter den Menschen angebetet würde … Ist es doch ein Glaubenssatz, daß der Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus, sein Mittlerwerk verrichten muß, wenn von der Trinität irgend etwas gewährt werden soll um der Bitte irgendeines anderen Heiligen willen. Deswegen scheint denn auch manchen, daß damals, als das Gebet noch einzig an jene vermittelnde Person (Christus) um geistliche Beihilfe gerichtet war, es mehr genützt hat und die Kirche mehr gefördert worden ist als jetzt, nachdem man so viele Fürbitter neu hinzu erfunden hat. … Ist er doch der beste Mittler und Fürsprecher, der bereiteste und gütigste, von unbegrenzter Liebe und Barmherzigkeit. Ein Tor wäre daher, der einen andern Fürsprecher suchte und, wo ihm die Wahl gestellt ist, das minder Wählbare ohne Grund vorzöge. Denn Christus lebt immerdar beim Vater und ist höchst bereit, Fürbitte für uns einzulegen, wie er auch der Seele eines jeden auf Erden, der ihn liebt, sich mitteilt. Mithin bedarf es, um ein Gespräch mit ihm zu erhalten, keiner Vermittlung anderer Heiliger, da er selbst gütiger und bereiter zum Helfen ist als irgendeiner derselben. … Es ist eine Torheit, die Quelle, die doch allewege auch näher zur Hand ist, beiseite zu lassen und zu einem trüben ferner liegenden Bach zu gehen.