Wenn ich aus diesem Leben scheide, will ich, was Gott mit mir will. Er wird aber wollen, daß ich aus dem aufdämmernden Tag in das Licht der aufgehenden Sonne übergehe. Um dieß werde ich beten müssen; um dieß beten auch die Engel für die Todten. Ja wir beten auch für die Engel, wenn wir bitten, daß ihre heiligen Wünsche für uns in Erfüllung gehen. Das betet auch die ganze Kirche, oder sollte es doch beten. - Die Todten wachsen in hellerem Glauben, zuversichtlicherer Hoffnung und feurigerer Liebe, deßhalb befreit von dem gebrechlichen Körper, indem sie mit großen Schritten zur Vollendung eilen. Und dieses oder noch herrlicheres will Paulus von den Verstorbenen geglaubt wissen, wenn er sagt: Ihr sollt wissen von den Entschlafenen, damit ihr nicht trauert; als ob er sagte: wenn ihr wüßtet, wie es um jene steht, so würdet ihr nicht trauern; sie sind also in einem solchen Zustande, über welchen wir uns freuen würden, wenn wir ihn kennten; also in einem keineswegs elenden Zustande, nicht unter der Ruthe des Peinigers, oder in dem Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln, sondern unter der Erziehung eines Vaters, der sie bildet und sich über ihren täglichen Fortschritt freut; sie selbst aber sind bei ihrem raschen Fortschreiten, feurigen hoffen und dürstenden Verlangen unwillig über sich, daß sie nicht noch mehr entbrannt sind.

Literar-historisches Lesebuch Dr. Georg Weber Zweiter Theil Die Literatur des Mittelalters Leipzig Verlag von Wilhelm Engelmann 1851