Vinet, Alexandre - Jesu Einzug in Jerusalem.

Vinet, Alexandre - Jesu Einzug in Jerusalem.

(Für den Palmsonntag.)

Luk. XIX,37.38.
Und da er nahe hinzukam, und zog den Ölberg herab, fing der ganze Haufe seiner Jünger mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme, über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobet sei, der da kommt, ein König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!

Das ist der Beifallsruf, mit welchem die entzückte Menge die Luft erfüllte, als Jesus Christus in Jerusalem einzog. Das ist der Triumph, welchen sie diesem friedlichen Könige zuerkannte, der ihr seine Macht nur durch Wohltaten offenbart hatte. Diese dunkle, arme Menge, welche zur Ehre dessen, den sie liebt, kein glänzendes Gepränge entfalten kann, beschränkt sich darauf, den Weg mit Zweigen zu bestreuen, auf welchem Jesus bescheiden einherreitet; einige nehmen ihre Kleider und breiten sie vor dem Sohne Davids aus; und Alle rufen bei seinem Anblick, hingerissen von Freude und Anbetung, aus: Gelobet sei, der da kommt, ein König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!

Wenn Jesus Christus gewollt hat, dass die Handlung jenes Weibes, welche eine wohlriechende Salbe auf seine Füße goss, in der ganzen Welt erzählt würde, ist es da zu verwundern, dass uns das Evangelium das Andenken einer auffallenderen Huldigung, einer dem Herrn durch eine Menge dargebrachten Huldigung, aufbewahrt hat! Diese Tatsache, fortgepflanzt in der Erinnerung der Menschen, hat selbst in unseren christlichen Institutionen eine Stelle gefunden; wir feiern sie acht Tage vor Ostern, an einem Tag, den wir den Palmsonntag nennen; wir wohnen in Gedanken dem Einzug Jesu in der Stadt Davids bei; wir streuen in Gedanken Palmen auf den Weg des Heilands, und wir rufen mit den Jüngern: Gelobet sei, der da kommt, ein König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!

Allein, ist es nicht nötig, diese Worte erst zu verstehen, bevor wir sie wiederholen und uns, so zu sagen, aneignen? Muss man nicht sicher sein, dass, indem sie der Mund sagt, auch das Herz sie ausspreche? Sie gehören, in der Tat, nicht zu diesen Worten von dunklem Sinne, zu diesen unbestimmten Ausdrücken, die man ohne Folge und ohne Verantwortlichkeit aussprechen kann. Es sind Worte, welche in dem Geist der Jünger einen besonderen Sinn hatten, und mit welchen sie eine bestimmte Absicht verbanden. Diesen Sinn, meine Brüder, diese Absicht festzustellen, darauf kommt es vor Allem an.

Wir können annehmen, dass die Menge, von welcher umgeben Christus in Jerusalem einzog, aus ziemlich verschiedenen Personen zusammengesetzt war. Die Einen, Zeugen der wohltätigen Wunder des Herrn, oder geheilt durch ihn von irgend einer Krankheit, drängten sich mit Rührung um einen Wohltäter, dessen Natur und dessen Auftrag sie vielleicht nicht ergründet hatten. Andere, des Joches müde, welches auf der jüdischen Nation lastete, freuten sich, diesen, so oft durch die Propheten verheißenen, König erscheinen zu sehen, diesen Befreier, durch den das besiegte Volk zu seiner früheren Unabhängigkeit emporsteigen sollte. Allein andere, meine Brüder, andere erkennen den in seiner Reife, welchen Simeon in der Wiege erkannt hatte; sie sehen in Jesus etwas Anderes, als einen irdischen Wohltäter, etwas Anderes, als einen Monarchen dieser Welt. Was sehen sie denn in ihm? Ihre Worte geben es Euch an, meine Brüder; sie sagen: Gelobet sei, der da kommt, ein König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!

Armer Blinder, dem Jesus seines Glaubens wegen die Augen geöffnet hat, armer Aussätziger, zu dem Jesus, indem er dich heilte, gesagt hat: „Dein Glaube hat dir geholfen, gehe hin mit Frieden;“ wenn ihr unter dieser Menge seid, so kommt und deutet und den Sinn dieser herrlichen Worte, mit welchen ihr Jesu Einzug in die königliche Stadt begrüßt. Gelobet sei, sagt ihr, der König, der da kommt im Namen des Herrn! Allein andere können es sagen, ohne damit vielleicht dieselbe Idee, wie ihr, zu verbinden. Sie erwarten einen mächtigen Fürsten, weither im Namen des Herrn, wie einst Cyrus, die Mauern von Zion wieder aufrichte und diese Stadt in ihren früheren Ehren wieder herstelle. Ist das der, den ihr erwartet? - Als einzige Antwort zeigt man mir diesen sanftmütigen Fürsten, seinen bescheidenen Aufzug, seine einfache Kleidung, sein armes und friedliches Gefolge. Ich verstehe, dass es sich um ein anderes Königtum handelt, um ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, und dass dieser, im Namen des Herrn gekommene, König nicht ein Mitbewerber des Herodes, noch ein Nebenbuhler der Römer ist.

So vollende doch, du Untertan dieses sanftmütigen Fürsten, und lass mich deinen ganzen Gedanken vernehmen. Er ist, antwortet mir der Freund Jesu, ganz enthalten in dem, was ich gesagt habe, und meine ersten Worte werden erklärt durch die letzten: „Friede im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Würde ich von Frieden sprechen, wenn es sich um einen König dieser Welt handelte, der sich rüstet, das Reich seiner Vorfahren den Usurpatoren wieder zu entreißen? Wäre dem so, dann würde ich den Krieg verkünden, und nicht den Frieden. Und wäre es, selbst unter solchen Umständen, möglich, dass ein König käme, uns den Frieden zu bringen, dann noch würde nur von der Erde die Rede sein; und ich habe gesagt: „Friede im Himmel!“ Glaubt Ihr also, dass es sich um einen König dieser Welt handelt?

Ach! der Friede, den mein Herz feiert, ist ein im Himmel geschlossener und besiegelter Friede; der Friede, den mein Herz feiert, ist ein Friede zwischen den Menschen und dem Ewigen. Und Ihr und ich, und alle Menschen, wir haben sein heiliges Gesetz übertreten, sein Bild in uns verwischt.

Wir haben uns von seinem Herzen verbannt; wir haben dem Vorzug entsagt, seine Kinder zu heißen, er hat aufgehört, unser Vater zu sein. Ein gottloser Krieg ist auf der Erde gegen den Beherrscher der Himmel erklärt worden; eine Empörung des Herzens, des Geistes, der Sinne, aller Fähigkeiten, ein allgemeiner Aufstand des menschlichen Geschlechts gegen seinen Schöpfer ist in der Welt organisiert worden. Die verstörten Sinne haben gesagt: „lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile;“ die trunkene und wankende Vernunft hat ihrerseits gesagt: „Wo ist die Verheißung seiner Zukunft?“ Der Egoismus und der Stolz, zusammen verbunden, haben ausgerufen: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!“ In der Tiefe meines verhärteten Herzens riefen tausend Stimmen ganz Dasselbe; allein eine ernste, lästige Stimme drang durch dieses lärmende Konzert hindurch, und blieb hartnäckig dabei, mir meine Verirrungen vorzuwerfen, erinnerte mich an die Rechte Gottes, an seine Gerechtigkeit, an meine Zukunft, und ließ mich klar erkennen, dass es für den Gottlosen keinen Frieden gibt. Das war mein Zustand, ein Zustand voller Ungewissheit, voller Verwirrung und zuweilen voller Angst. Und siehe, da ist das Lamm Gottes, welches die Sünden der Welt hinwegnimmt. Da ist das Pfand, das Mittel, der Urheber der Versöhnung. Da ist der Mittler, welcher sich zwischen Gott und uns stellen will, und welcher alle die vollkommen erretten kann, die sich Gott durch ihn nahen. Der Krieg zwischen meinem Schöpfer und mir hört auf; der Friede ist in dem Palast des Allerhöchsten unterzeichnet, und mein entzücktes Herz ruft aus: Friede im Himmel!

Allein, besteht dieser Friede, über den sich meine Seele freut, vielleicht in einem unwürdigen Nachgeben der göttlichen Majestät, und wäre etwa in dem gottlosen Kampf, den ich unternommen habe, die Heiligkeit Gottes besiegt worden? Hat er mir aus Lässigkeit, aus Schwachheit, aus Gleichgültigkeit verziehen? Ach! ferne seien meinem Geiste dergleichen Gotteslästerungen! Der König des Himmels kann nur ruhmwürdige Friedensschlüsse unterzeichnen. Wenn er sich herablässt, zu verzeihen, so geschieht es weder auf Kosten seiner Gerechtigkeit, noch seiner Heiligkeit. Die Ehre seines Regiments hat keinen Abbruch erlitten. Eine ungeheure Gabe, ein unermessliches Opfer verkündigten bis zu den äußersten Grenzen der Schöpfung, dass die ewige Ordnung nicht ungestraft verlegt werden kann. Dieser Sohn Davids zieht in Jerusalem nur ein, um dort zu sterben; und an dem Kreuz, welches ihn erwartet, wird er zugleich der Repräsentant göttlichen Zornes und göttlicher Liebe sein. Noch mehr: von diesem Kreuz, an welches er geheftet ist, wird er viele Menschen an sich ziehen; dies Kreuz wird der ganzen Welt gepredigt werden; dies Kreuz, ein Werkzeug des Todes, wird ein Werkzeug der Wiedergeburt; die Heiligkeit Gottes erscheint auf der Erde wieder; und, bei diesem Anblick, wiederholen die gerührten Engel in den himmlischen Wohnungen denselben Ruf, welchen wir auf der Erde ertönen lassen: Ehre sei Gott in der Höhe!

So wird einer von diesen Kleinen dem Fleische nach zu mir reden, welche an den Ufern des Sees Genezareth, innerhalb der Mauern von Kapernaum oder auf den Wegen von Jericho den Heiland gehört und an sein Wort geglaubt haben.1) So wird sich für mich dieser Freudenjubel erklären, den sie bei dem Anblicke des zur heiligen Stadt hinziehenden Jesus erschallen lassen. Wenn wir uns an ihre Stellen setzen, meine Brüder (und kostet es uns so viel Mühe, dies zu tun?), so werden wir ihren Jubel begreifen. Wir werden sogar fühlen, dass kein Wort ihren Gedanken gleich kam, dass kein Ausdruck im Verhältnis zu ihren Gefühlen stand, und dass niemals menschliche Herzen von einer Freude wie die ihrige überströmt sind. Meine Brüder, die Geschichte berichtet uns, dass Antiochien, eine der bedeutendsten Städte des römischen Reichs und die Hauptstadt des Orients, das schwere Gewicht der Rache des Kaisers Theodosius ertragen musste, weil sie geduldet hatte, dass man die Standbilder jenes Fürsten umwarf. Ein allgemeines Verdammungsurteil wurde über die ganze Stadt ausgesprochen. Die Gefängnisse füllten sich mit Gefangenen, die zur Hinrichtung bestimmt waren. Jeder Tag führte neue Gewalttätigkeiten und neue Schrecken mit sich, und die Rache des beleidigten Fürsten schien nur durch die gänzliche Zerstörung der berühmten Stadt befriedigt werden zu können. Da beschließt der Bischof Flavian, sich für seine Herde aufzuopfern; er geht nach Konstantinopel, dem Zorne des Fürsten die Spitze zu bieten und seine Barmherzigkeit anzusprechen. Unverhofftes Glück! seine christliche Beredsamkeit erweicht dieses erzürnte Gemüt; das so sehr erflehte Wort Verzeihung wird vom Kaiser ausgesprochen. Sogleich wird ein Bote nach Antiochien geschickt. Er beschleunigt seine Schritte, er kommt an; die Verzeihung glänzt in seinen Augen, bevor sie durch seine Lippen verkündet wird; er spricht sie endlich aus; und dieses Wort, dieses einzige Wort, gibt hunderttausend verzweifelten Seelen das Leben wieder!

Wie rührend sind diese Bilder, meine Brüder! Noch nach fünfzehn Jahrhunderten bewegen sie uns; und, indem sie in unsere Seelen einen Teil der Freude der Bewohner von Antiochien eindringen lassen, pflanzen sie unter uns die Eindrücke jenes schönen Tages fort. Aber es gibt einen Namen für solche Freuden; es gibt keinen für die Freude, deren feierlicher Ausdruck an den Toren von Jerusalem wiederhallte. Dieser Mensch, welcher, in einem schlichten Aufzug, unter der Menge einherreitet, bringt auch eine Nachricht; aber welche Nachricht? auch eine Gnade; aber welche Gnade? Er sagt nicht, wie der Bote Flavian's: Ihr werdet noch einige Tage auf dieser Erde der Verbannung leben; er sagt: Ihr werdet ewig leben! Er sagt nicht: Ihr werdet die Sonne noch sehen; er sagt: Ihr werdet Gott sehen! Er sagt nicht: Ihr werdet die Güter dieser Welt genießen, bevor Ihr sterbt; er sagt: Ihr werdet einen Frieden genießen, der alle Vernunft übersteigt; Ihr werdet Euch durch Eure Gefühle und durch Eure Tugenden mit der Gottheit selbst verbinden, und nach einigen Tagen der Übung für Euren Glauben werdet Ihr, die Gefilde Babylons auf immer verlassend, das Land des Heils, das unsterbliche Kanaan betreten.

Und wer ist der Bote, welcher ihnen diese Versprechungen bringt? Es ist der, welcher sie erfüllen kann, der, welcher sie erfüllen will; es ist der, durch den ihnen alle diese Güter erworben sind, der, welcher für den Preis seines Lebens von Gott alle Heiden als Erbteil verlangt und welcher sie erhalten hat; es ist das große Opfer, der große Prophet, der große König!

Nun, meine Brüder, komme ich zu Euch. Was hat Euch hergeführt in diesen Tempel? Ihr seid gekommen, den Einzug Jesus Christus in Jerusalem, gleich wie jene Menge der Jünger, zu feiern. Ihr seid gekommen, um Eure Freudenbezeugungen mit den ihrigen zu vereinigen und, wie sie, Palmen auf den Weg des Heilandes zu streuen. Dieser Tag, welcher ein Festtag für sie war, ist auch einer für Euch, mit dem einzigen Unterschiede, dass Ihr mehr wie sie, dass ihr noch achtzehn Jahrhunderte des Triumphes der Religion Jesu Christi zu feiern habt.

Es ist ein Festtag, ja, es ist ein Festtag. Allein jedes wahre Fest wird im Herzen gefeiert. Befragt das Eurige. Schließt es etwas von dem in sich, was die gläubigen Israeliten mit einem so süßen Entzücken beseelte? Und ruft es aus, wie das ihrige: Gelobt sei, der da kommt, ein König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!

Ich überlasse einem Jeden die Sorge, sich selbst zu antworten. Doch sei es mir erlaubt, einige andere Fragen an meine Zuhörer zu richten.

Worüber freuen sich an einem solchen Tage die, für welche Jesus nicht ein im Namen des Herrn gekommener König, sondern ein Wesen von einer unbestimmten Natur, von einer unentschiedenen Würde ist, ein Lehrer, der ein vollkommeneres Sittengesetz lehrt? Freuen sie sich, dass die Anforderungen des Gesetzes vermehrt sind, dass den Ketten, mit welchen sie beladen waren, durch Jesus neue hinzugefügt sind, dass es noch schwerer ist, den Willen Gottes zu tun, seitdem er ihn uns ganz offenbart hat? Freuen sie sich, dass die Aufgabe verdoppelt ist, während die Mittel dieselben bleiben? Seltsamer Grund der Freude für eine Kreatur, welche alle Tage, in den kleinen Dingen, wie in den großen, ihre Unfähigkeit und ihr Elend anzuerkennen gezwungen ist!

Worüber freuen sich an einem solchen Tage die, welche, gewohnt, seit langer Zeit das Christentum als eine göttliche Religion anzusehen, bei dieser dunklen Vorstellung stehen bleiben; welche den Brief, der so köstliche Nachrichten enthält, aufbewahren, ohne das Siegel desselben zu lösen, und sich weder zu ihrem Troste, noch zu ihrer Heiligung die wichtigen Unterweisungen zu Nutze machen, welche in ihm stehen? Die Gewohnheit und die gute Sitte treiben sie in die Gotteshäuser, heute, wie immer; aber worüber freuen sie sich? Geschieht es darüber, dass sie dem äußern Körper der Kirche angehören? Es ist dies allerdings ein großer Vorteil, wenn man ihn benutzt. Allein was hat der, welcher bei diesem ersten Schritte stehen bleibt, mehr, als der, welcher das Evangelium zurückweist? Sind es diese Mauern, sagte ein Kirchenvater, sind es diese Mauern, welche die Kirche bilden? Ist man Christ, weil man unter einem gewissen Breitengrad geboren ist, und weil man sein Leben im Schoß der Christenheit zugebracht hat? Es ist nicht die äußere Taufe, sondern die Taufe der Wiedergeburt, welche uns zu Gliedern des Leibes Christi macht. Man ist nicht Christ, weil man in einer christlichen Gemeinde eingeschrieben und eingestellt ist; und Jesus ist nicht auf die Erde gekommen, die Kirchengemeinden zu gründen, sondern eine Kirche.

Worüber freuen sich an einem solchen Tage die, welche, die Botschaft der Gnade annehmend, sich in der göttlichen Amnestie mit einbegriffen glauben, aber die, nachdem sie, wie die Jünger, gerufen haben: Friede im Himmel! nicht wie Jene hinzufügen: und Ehre in der Höhe! Mit andern Worten: Worüber freuen sich die, welche den Verheißungen beitreten, und nicht den Vorschriften, welche die Gnade annehmen und nicht das Gesetz, welche wohl selig sein wollen, aber welche sich wenig kümmern, wiedergeboren zu werden? Ich will es Euch sagen, worüber sie sich freuen: Sie freuen sich, die Herrschaft Gottes, zu ihren Gunsten, erniedrigt zu sehen; denn wenn die Gnade das Gesetz umstieße, wo bliebe die Ehre Gottes? Meinet Ihr, dass sie zum Wenigsten aus Dankbarkeit Gott lieben werden, und dass Gott durch ihre Liebe verherrlicht sein wird? Dem ist nicht so, meine Brüder! man liebt wahrhaft nur das, was man achtet; man könnte nicht wahrhaft einen Gott lieben, den man nicht ehren würde, und Gott könnte nicht der Gegenstand unserer Ehrfurcht sein, sobald er, in der Absicht, uns selig zu machen, den kleinsten Teil, das geringste Jota dieses heiligen Gesetzes aufgeopfert hätte, welches Christus selbst nicht abzuschaffen, sondern zu erfüllen gekommen ist, und welches ganz und unverletzlich bis an das Ende der Jahrhunderte bleiben soll. Wenn sie sich also freuen, so ist ihre Freude falsch, und wir können diese Worte eines Apostels an sie richten: „Euer Lachen verkehre sich in Weinen, und eure Freude in Traurigkeit.“

Ja, meine Brüder, die Gefühle eines Christen sind nur ganz enthalten in den ganzen Worten: „Gelobet sei, der da kommt, ein König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Ohne diese Gefühle ist dieses Fest und sind alle unsere Feste nur leere Zeremonien. Ach! wenn unser Herz diesen Gefühlen fremd ist, so lasst uns vielmehr diese geheiligten Feste fliehen, diese Gotteshäuser nicht mehr betreten, und Formen, die keinen Sinn haben, unterdrücken; unser Leben sei profan, aber konsequent. Oder vielmehr, trachten wir danach, uns jene Gesinnungen anzueignen, durch die der Gottesdienst ein wahrer Gottesdienst wird, und die Feste wirklich Feste sind. Bitten wir Gott, uns mit jenen Gefühlen zu durchdringen, welche allein der Seele Ruhe und dem Leben Wert geben. Empfangen wir Christus, so wie ihn die Jünger empfingen, als den wahren Gott und das ewige Leben. Weise der Erde, er ist der Schlüssel eurer Probleme, das Komplement dieser Philosophie, die ihr immer wieder beginnt und die ihr nie vollenden werdet; geängstete Seelen, er ist euer Friede; Glückliche des Jahrhunderts, euer Schatz; Menschen, die Auflösung des Lebens-Rätsels und der Besieger des Todes. Er allein verbindet uns mit dem Urheber unsers Wesens und mit der Weltordnung; ohne ihn würden wir, im Leben zwischen einer ungekannten Vergangenheit und einer unergründlichen Zukunft umherirrend, Spielbälle abwechselnd unserer Leidenschaften und unserer Vernunft, eine Beute unendlicher Begierden, die nichts befriedigen kann, darauf zurückgeführt, uns erfindungsreich ärmliche Nachahmungen des Glücks zu bilden, des Lebens müde und vor dem Tode zitternd, besonders davor zitternd, gerichtet zu werden, ich sage, ohne ihn würden wir uns ohne Führer und ohne Stützes jener schrecklichen Grenze nahen, wo die Erde unter unseren Füßen schwindet. Lasst uns darum zu dem Vollbringer unserer Seligkeit gehen und uns über sein Kommen freuen; lasst uns seinen Pfad mit Tränen und mit Palmen bedecken; diese Tränen werden seine göttliche Hand trocknen; diese Palmen werden in der Stadt des Friedens unsere Krone werden, wenn einst, gelabet an der Quelle aller Vollkommenheit und aller Glückseligkeit, wir den Freudensruf jener ersten Gläubigen wiederholen: „Gelobet sei, der da kommt, ein König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“

1)
Man hat gefunden, dass wir diesen Menschen des alten Judäa eine ganz moderne Sprache führen ließen. Es würde dies ein großer Fehler in einer Fiktion sein, deren hauptsächlichster Zweck wäre, die Fantasie zu fesseln; allein der Inhalt dieser Rede ist nicht eine poetische Fiktion. Wir haben den Christen des Jahres 33 vor Jesus Christus dargestellt, und wir glauben nicht, dass dieser Christ wesentlich von dem des Jahres 1832 abweicht. Ohne uns daher viel um die Lokalfarbe und das Zeitgemäße zu kümmern, haben wir in seinen Mund den allgemeinen Ausdruck der Gefühle der wahren Christen aller Zeiten gelegt. Wenn unsere Sprechweise die des 19ten Jahrhunderts ist, so kommt dies daher, weil wir nicht das Talent besaßen und auch nicht die Notwendigkeit fühlten, diesen Menschen so sprechen zu lassen, wie er damals hat sprechen können; hätten wir es getan, und selbst mit Glück, so würde es wahrscheinlich auf Kosten der Klarheit geschehen sein.
Wir stimmen dem Kritiker bei, wenn er dieses willkürliche Wiederaufbauen der Vergangenheit missbilligt, welches sich einige religiöse Schriftsteller unserer Zeit erlauben. Wir lieben eben so wenig wie er die Kühnheit, mit welcher man gewisse Lücken der evangelischen Erzählungen ausfüllt. Diese Erzählungen sind nicht so arm, als dass man ihnen das Almosen einer Menge romanesker Vermutungen spenden müsste. Die Geschickten machen es besser; sie finden genug Reichtümer in dem Texte, ohne irgend eine Hypothese auszubeuten; sie würden sich schon aus gutem Geschmack dessen enthalten, selbst wenn sie vergessen sollten, wie sehr dergleichen Einschaltungen den Text profanieren, welchem man sie aufdringt.
Sollte man glauben, dass ich dem Jünger Jesu nicht bloß eine Sprache, sondern Gedanken geliehen habe, welche er nicht haben konnte, so antworte ich, dass ich die Bestimmtheit dieser Gedanken nur, so viel ich gekonnt, vermehrt habe, allein dass diese Gedanken selbst alt sind. Die christliche Theologie der Jünger jener Zeit, selbst der geistreichsten, war wahrscheinlich nicht sehr bestimmt; allein wenn sie jener von Simeon glich, so wich sie nicht wesentlich von der des Gläubigen ab, welchen ich habe sprechen lassen; Saurin ermutigt mich, es zu glauben. Er hat die Rede oder vielmehr die Hymne des Simeon in einem Sinne entwickelt, der dem ganz ähnlich ist, welchen ich den Freudenbezeugungen der Menge am Palmsonntage beilege.
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