Thomasius, Gottfried - Am zweiten Pfingsttage.

Thomasius, Gottfried - Am zweiten Pfingsttage.

Die christliche Kirche.

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch! Amen.

Das Pfingstfest ist das Stiftungsfest der christlichen Kirche. So lange der Herr im Fleisch wandelte, gab es noch keine Kirche. Zwar hatte sein Wort hin und wieder in Galiläa und Judäa Eingang gefunden, und da und dort einen Funken neuen Lebens geweckt, aber zur Zeit, als er zum Vater auffuhr, standen alle diese Pflanzen nur vereinzelt da, es war noch kein Garten Gottes, der sie umschloss. An dem Tage der Pfingsten aber kam der Herr im Geiste wieder und sammelte die Seelen, die er vorher durch sein Wort geweckt; durch diesen Geist wurde die kleine Schar derer, die bereits an Christum gläubig geworden waren, zur lebendigen Einheit verbunden, und von diesem Augenblicke an stand eine Kirche Christi auf Erden, eine Gemeinschaft der Gläubigen, ein Tempel des Heiligen Geistes, der unter allen anderen Werken Gottes nicht seines Gleichen hat. Denn wie hoch und schön auch der blaue Himmel über der Erde sich wölbt und wie bewundernd das menschliche Auge in seine Tiefen hinaufschaut, was ist seine Herrlichkeit gegen den Bau der christlichen Kirche, der von seinen ewigen, unwandelbaren Gründen aus majestätisch emporsteigt, mit seinen Höhen in die andere Welt hinüberragt und seine weiten Tore allen Völkern und Geschlechtern eröffnet? Himmel und Erde werden vergehen, aber dieses Haus wird bleiben und bestehen, selbst wider die Pforten der Hölle. Von ihm gilt es recht eigentlich, was David von dem irdischen Zion sagt: „Sie ist fest gegründet auf dem heiligen Berge, der Herr liebt die Tore Zions über alle Wohnungen Jakobs; herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt des lebendigen Gottes.“ Ihr anzugehören, als ein lebendiger Stein ihrem großen Bau eingefügt zu sein, ist eine nie genug zu schätzende Wohltat; aber diese Wohltat ist heutzutage leider sehr vergessen. Höchstens hier im Gotteshause hat man noch eine Ahnung davon, dass wir allesamt Glieder eines Leibes sind, außerhalb desselben geht fast jedes seine eigenen Wege, ohne sich dieser Gemeinschaft lebendig bewusst zu werden; man beschränkt sich auf sich selbst, man schließt sich innerlich und äußerlich ab, man steht allein mit seinem Glauben, man hat kein Bedürfnis und kein Verlangen nach brüderlicher Gemeinschaft in dem Herrn. Und dies ist ein trauriges Zeichen; ein Zeichen, dass der herrschende Geist der Selbstsucht auch in die Gemeinde Gottes eingedrungen ist und das Band, das ihre Glieder verbindet, wenn auch noch nicht sich aufgelöst, doch sehr gelockert hat. Ist aber das Band, das die Glieder verknüpft, einmal gar zerrissen, dann löst sich auch die Gemeinschaft mit dem Haupte, und löst sich diese auf, so sinkt Alles dahin, und der Leib erstirbt wie eine Leiche, aus der die Seele entflohen ist. Darum, liebe Brüder, tut es not, von der Kirche zu predigen, damit der kirchliche Sinn in der Gemeinde wieder geweckt, damit das kirchliche Leben und die kirchliche Gemeinschaft genährt und gefördert werde; damit Alle, die an Christum glauben, sich wieder enger zusammenschließen und wie ein Mann zusammenhalten in dieser Zeit der Zerrissenheit und des Abfalls, in der wir leben; und es tut umso mehr not davon zu predigen, als auch die Einsicht in das Wesen der Kirche fast ganz verschwunden ist. Zwar bekennen wir Alle in unserem dritten Glaubensartikel „ich glaube eine heilige christliche Kirche;“ aber was diese Kirche sei, das wissen nur die Wenigsten zu sagen. Und eben dieses wollen wir aus unserem heutigen Texte lernen. Epheser 2,19-22

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen, und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt, wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn, auf welchem auch ihr miterbaut werdet, zu einer Behausung Gottes im Geist.

Mit diesen Worten lehrt uns der Apostel:

Was die christliche Kirche ist,

und zwar ist es ein Dreifaches, was er von ihr aussagt; sie ist

  1. das Reich Gottes auf Erden;
  2. die Gemeinschaft der Gläubigen in Christo;
  3. das Volk seiner Heiligen.

I.

„So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge und Gäste, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen,“ mit diesen schönen Worten redet der Apostel die Gläubigen in Ephesus an; dieselben, zu denen er droben gesagt hat: „Aus Gnaden seid ihr selig worden durch den Glauben,“ und hernach „die ihr in Christo Jesu seid; und weiland ferne wart, seid nun nähe geworden durch das Blut Jesu Christi, durch welchen wir einen Zugang haben in Einem Geiste zum Vater,“ - zu diesen sagt er jetzt: Ihr seid nun nicht mehr Fremdlinge und Gäste; das heißt, ehedem, vor eurer Bekehrung, wart, ihr fremd, und fern von der Gemeinschaft mit Gott und von dem Reiche seiner Gnade, da hattet ihr keinen Anteil an dem Bunde, den er mit Israel gemacht, an den Testamenten der Verheißung, die er mit seinem Volke aufgerichtet hat (v. 12); sondern wart ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt. Nun aber ist dies anders geworden, nun seid ihr nicht mehr Gäste und Fremde, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, d. h. ihr seid nun hinzugetan zu der Gemeinde des Herrn, zu dem auserwählten Volk seiner Heiligen und Geliebten, und Mitgenossen derer geworden, die in seinem Hause wohnen, nämlich in der Kirche.

Was ist also die Kirche, andächtige Freunde? Sie ist das Haus Gottes, wie Paulus sagt, eine Stätte seiner Wohnung, ein Tempel seines Geistes, also das Reich Gottes auf Erden. Ein Gottesreich auf Erden, o meine Lieben, das ist ein großer, erhebender Gedanke! denn die Welt ist das Reich der Finsternis und des Todes; ein dunkles, trauriges Reich, das unter der Herrschaft eines furchtbaren Tyrannen, des Satans, steht. Seit den Tagen des Abfalls hat dieser Feind des Höchsten Gewalt auf Erden geübt und den größten Teil der Menschenkinder durch Lüge und Sünde in seine Gemeinschaft hineingezogen. Soweit die Welt sich ausbreitet, reicht auch sein ehernes Zepter, und die Unglückseligen, die ihm dienen, ach, sie haben keinen Frieden im Herzen, keine Heimat auf Erden, sondern flüchtig und unstet, wie Kain, irren sie, vom Fluche Gottes verfolgt, durchs Leben, bis sie zuletzt der andere Tod in den Abgrund des Verderbens hinabreißt. Und siehe! mitten in diesem weitem Reich der Finsternis und des Todes erhebt sich ein großer geistlicher Bau, der nicht mit Händen gemacht ist, eine Zufluchtsstätte für Alle, die der Obrigkeit des Satans entfliehen wollen, ein liebes, lichtes Reich des Friedens und der Liebe, der Gnade und der Wahrheit, ein Gottesreich auf Erden; das ist die Kirche Christi. - Gegründet wurde dieses Reich durch den Tod seines ewigen Königs, am Kreuz erstritten, durch seine Auffahrt in Besitz genommen (Ps. 110.), und durch den heiligen Geist aus allen Ländern und Völkern des Erdbodens gesammelt; ringsumher, zum Schutz wider die Anläufe des Feindes, lagern Legionen himmlischer Mächte, unsichtbare Wächter des Heiligtums, wie sie einst Elisa mit feurigen Rossen und Wagen an den Bergen Dotans sah, und drinnen wohnt die Gnadengegenwart des Dreieinigen Gottes. Es ist dies keine bildliche Redeweise, sondern die lautere buchstäbliche Wahrheit. Denn zwar erfüllt der Herr den Himmel und die Erde und alle Lande sind seiner Ehre voll, aber die Kirche hat er sich zur Stätte seiner Wohnung, zum Offenbarungsort seiner Herrlichkeit ersehen. Ihr hat der Vater alle die Segnungen übergeben, welche Christus der Menschheit durch seinen Tod und durch seine Auferstehung erworben hat, nämlich Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geiste; ihr hat er die Schrift vertraut, die das Wort seiner Wahrheit und damit alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis enthält; ihr hat er auch die Gnadenmittel zur Verwaltung anbefohlen, nämlich die heilige Taufe und das Sakrament des Altars, darin der Leib und das Blut des Herrn den Gläubigen ausgeteilt wird. In ihr wohnt ferner die Herrlichkeit des Sohnes, die Fülle des, der Alles in Allem erfüllt (Ephes. 1,23.), denn obwohl derselbe zur Rechten Gottes sitzt, so gehen doch seine Lebens- und Segenskräfte ohne Unterlass in sie aus, und fließen wie ein reicher, unerschöpflicher Strom durch ihre grünen Auen hin; in ihr waltet endlich der Heilige Geist, der, seitdem er am Pfingstfest auf die Erde gekommen, bald wie ein brausender Sturm, bald wie ein brennendes Feuer, bald wie ein stilles sanftes Sausen weht und wirkt, und das Alte neu, das Tote lebendig, aus armen Sündern selige und fröhliche Gotteskinder macht. Wo aber die Ehre des Vaters, wo die Herrlichkeit des Sohnes und die Kraft des Heiligen Geistes wohnt, da ist der lebendige, Dreieinige Gott wahrhaftig zugegen; darum nannten wir die Kirche sein Haus, seinen Tempel, oder sein Reich auf Erden. Wie sehr, geliebte Brüder, sind wir also dem Höchsten zum Dank verpflichtet, dass er uns schon in der frühesten Jugend aus der Obrigkeit der Finsternis errettet und durch die Taufe in das Reich seines lieben Sohnes versetzt, zu seinen Hausgenossen uns gemacht hat, und seitdem Teil nehmen ließ an all den milden und reichen Segnungen, die er seiner Kirche verlieh. Hat der König David von dem irdischen, vergänglichen Tempel auf Zion gesagt: „Wie lieblich sind. deine Wohnungen Herr Zebaoth, mein Leib und meine Seele freuen sich in dem lebendigen Gott; ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser, denn sonst tausend,“ wie viel mehr gilt dies von dem geistlichen Tempel Gottes, von der Kirche Christi; denn hier ist mehr als Zion, hier ist eine Hütte Gottes bei den Menschen, darinnen der Höchste persönlich wohnt; hier ist Schatten vor der Hitze und Zuflucht vor dem Feind; hier und sonst nirgends, findet unsere Seele die Befriedigung ihrer heiligsten und tiefsten Bedürfnisse, ihrer Sehnsucht nach Gnade und Wahrheit, ihres Hungers nach Gerechtigkeit, ihres Durstes nach dem lebendigen Gott. Hier ist gut sein, geliebte Miterlöste, hier lasst uns Hütten bauen, hier können wir sicher wohnen und gesichert bleiben vor allen Anläufen der Welt und ihres Fürsten; denn um Jerusalem, sagt die Schrift, (Ps. 121.) sind Berge her und der Herr ist um sein Volk her von nun an bis in Ewigkeit. Mögen also die Heiden toben und die Völker sich versammeln und anlaufen wider die Gemeinde der Heiligen und Geliebten Gottes, mögen sie, wie sie ja tun, unseren Glauben lästern, unsere Bibel verachten, unser Bekenntnis verspotten und unsere teuersten Güter mit frechen Händen antasten: wir fürchten uns nicht, wir singen fröhlich mit David: „Wenn gleich die Welt unterginge und die Berge versänken, wenn gleich das Meer wütete und von seinem Ungestüm die Berge einfielen, dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind; Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben, Gott hilft ihr frühe. Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz, Sela!“ (Ps. 46.)

Ja, die Kirche ist das Reich Gottes auf Erden, und sehen wir hinzu, sie ist

II.

die Gemeinschaft der Gläubigen an Christo. Denn, sagt der Apostel weiter zu den Bürgern und Hausgenossen Gottes: ihr seid erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, an welchem der ganze Bau ineinandergefügt, wächst zu einem Tempel im Herrn. Seht, will er sagen, es verhält sich mit der christlichen Kirche nicht anders, als wie mit dem steinernen Tempel, dem Gotteshause, in dem sich die Gemeinde zur Andacht versammelt; wie da der ganze große Bau auf festem Grunde ruht, und alles Einzelne nur dadurch Bestand und Dauer hat, dass es mit dem Eckstein in Verbindung steht, so auch hier. Der Eckstein aber ist Christus, wie der Herr selbst durch den Mund des Propheten bezeugt: „Siehe da, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist, wer an ihn glaubt, der soll nicht zu Schänden werden“ (Jes. 28,16. 1. Pet. 2,6.); das ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der Eingeborne vom Vater, der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens, welcher vordem den Himmel und die Erde gemacht, hernach aber im Fleisch erschienen ist, und die Welt mit Gott versöhnt hat durch sein Blut am Kreuz, und nun von Gott erhöht über alles Fürstentum, Macht, Gewalt, Herrschaft und Alles, was genannt mag werden nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen, sitzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Auf diesem ewigen, festen Grunde, sagt unser Text, ruht der ganze Bau des Reiches Gottes mit allen seinen Gliedern. Zunächst die starken Säulen der Kirche, die Propheten und Apostel mit ihrem Zeugnisse von dem kommenden und gekommenen Erlöser; denn was die Propheten, vom heiligen Geiste getrieben, geredet haben von einem großen, künftigen Könige und Heilande seines Volkes, von einem Erzhirten und Friedensfürsten, in dem der verlorenen Welt das Licht des Lebens erscheinen solle, das weist Alles auf den Christ, der die Erfüllung des alten Bundes ist; und was die Apostel des neuen mit freudigem Auftun ihres Mundes verkündigen von dem Worte des Lebens, das ihre Augen gesehen und ihre Ohren gehört und ihre Hände betastet haben, das Evangelium des Friedens, die ganze heilsame Lehre vom Glauben und von der Gottseligkeit: es ist nicht aus ihrem eigenen Geiste herausgegangen, sondern von dem Seinen ist es genommen, wie St. Paulus sagt: „Ich tue euch kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, von mir gepredigt, nicht menschlich ist, denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“ Wie nun aber die Propheten und Apostel mit ihrem Glauben und mit ihrem Leben auf diesem Eckstein ruhen, so sind auch die übrigen Gläubigen allesamt auf denselben erbaut, gleichsam eingefügt in diesen ewigen, alleinigen Grund des Heils, durch der Apostel Wort und Zeugnis darauf gegründet, und durch den Glauben zur lebendigen Einheit mit ihm verbunden; allesamt durch sein Blut zum Eigentum erkauft, seiner Erlösung, seiner Gnade, seines Geistes teilhaftig geworden, - „Glieder an ihm, dem Haupte, Reben am Weinstock; allzumal Einer in Christo Jesu.“ Denn dasselbe Band, das sie mit dem Eckstein zusammenschließt, verbindet sie auch mit und untereinander. Es ist ja Ein gemeinsamer Boden, auf dem sie stehen: „Ein Leib und Ein Geist, wie sie denn auch berufen sind zu einerlei Hoffnung ihres Berufes; Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater, der da ist über uns Alle, und durch uns Alle, und in uns Allen“! Was ist also die Kirche anders als die Gemeinschaft der Gläubigen an Christo, dem Haupte, als ein Brudervolk, ein Bundesvolk, auf ihm, dem Eckstein erbaut, an welchem der ganze Bau ineinandergefügt, emporwächst zu einem heiligen Tempel des Herrn.

Und ist es nicht etwas Großes, Erfreuliches um eine solche Gemeinschaft, tut es dem christlichen Gemüte nicht wohl, wenn es weiß: ich stehe mit meinem Glauben nicht allein auf Erden, sondern mit mir beugen sich viel tausend Knie in dem hochgelobten Namen meines Erlösers; dieselbe Liebe, die in meiner Seele ausgegossen ist, lebt auch in ihren Seelen; derselbe Geist, der meinem Geiste Zeugnis gibt, dass ich ein Kind Gottes bin, ruft auch in ihren Herzen: Abba, lieber Vater! und der Friede, den ich in der Gnade meines Heilands finde, die Kämpfe des Glaubens, die ich kämpfe, die Tränen der Buße, die ich weine, die Erquickungen, die ich dazwischen erfahre es ist auch ihnen aus eigener Erfahrung bekannt. O wie mich das aufrichtet in meiner Schwachheit, wie mich das stärket in meinem kleinen Glauben; wie mich das meinen Brüdern und Schwestern in dem Herrn so nahe bringt! Ob ich sie von Angesicht kenne oder nicht, ob sie mir im äußeren Leben ferner oder näher stehen, ja ob sie durch Meere und Länder von mir geschieden seien, weiß ich nur, dass sie an den Heiland glauben, den ich liebe, so reiche ich ihnen im Geiste die Hand, und fühle ich mich mit ihnen zur innigsten, brüderlichen Einheit verbunden! Aber nicht nur auf die Gegenwart erstreckt sich diese kirchliche Gemeinschaft, sie reicht hindurch durch alle Zeiten.

Wir blicken zurück auf die achtzehn Jahrhunderte, die seit dem ersten Pfingstfeste verflossen sind, auf die hohen Apostel, die damals die Erstlinge des Heiligen Geistes empfingen, auf die drei Tausende, die durch die Predigt Petri zum Glauben gekommen sind, auf die edlen Zeugen der Wahrheit, die den Gekreuzigten und Auferstandenen unter Schmach und Verfolgung bekannten, auf die Märtyrer, die ihr Blut zu seiner Ehre willig vergossen, auf die Gottesstreiter, auf die Glaubenshelden, auf die Frommen und Gerechten alle, die jemals auf dieser Erde gewandelt, auf die Stifter unserer evangelischen Kirche, auf unseren Luther, auf unseren Melanchthon, auf unseren Arnd, auf unseren Spener, auf unseren Gerhardt, auf unsere frommen Väter und Mütter, die bereits im Herrn entschlafen sind, auf diese ganze Wolke von Zeugen blicken wir hin und siehe! sie sind Alle unsere Mitgenossen an demselben Reiche, denn wir sind auch mit eingefügt in den großen Bau, dem sie angehören, an welchem Jesus Christus der Eckstein ist. Wie klein und unwürdig wir auch neben solchen Vorbildern stehen, wir nennen sie doch die Unsrigen; wie lang sie auch schon aus diesem Leben geschieden sind, wir gehören gleichwohl ihrer großen Gemeinschaft an; denn sind wir wirklich Glieder der streitenden Kirche auf Erden, „so sind wir auch gekommen zu dem Berge Zion, zu der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, zu der Menge vieler tausend Engel, und zu der Gemeinde der Erstgebornen, deren Namen im Himmel angeschrieben sind, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten, und zu dem Mittler des neuen Testamentes und zu dem Blut der Besprengung, das da Besseres redet, denn Abels!“ (Hebr. 12, 22-24). So groß und weit ist der Bau der christlichen Kirche; er reicht von der Erde in den Himmel, er umfasst die Zeit und die Ewigkeit, er umschließt die Lebendigen und die Toten, die im Herrn leben; und einer solchen Gemeinschaft aller Gläubigen sollten wir uns nicht freuen? O, liebe Freunde, haltet eure Kirche hoch und wert; denn sie ist der Leib Jesu Christi, die Gemeinde seiner Gläubigen, und sage ich

III.

das Volk seiner Heiligen. Denn so fährt Paulus in unserem Texte fort „Ihr seid erbaut auf dem Eckstein Jesus Christus, an welchem der ganze Bau ineinander gefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, auf welchem auch ihr mit erbaut seid zu einer Behausung Gottes im Geist,“ droben aber V. 19. hat er gesagt „ihr seid Bürger mit den Heiligen Gottes.“

Heilige Gottes! welch ein Name, welch eine Würde, meine Brüder, was sind alle Ehren der Welt gegen diese Ehre, was sind die hochberühmtesten Namen auf Erden, was sind selbst die Namen der Könige und Fürsten, gegen diesen Namen, mit dem Gott selbst seine Gemeinde schmückt? Heilige Gottes, in Wahrheit, das ist mir zu hoch und zu viel! Dass die Engel im Himmel, dass die vollendeten Gerechten im Hause des Vaters, dass die hohen Apostel also zu heißen gewürdigt werden, das begreife ich wohl; aber dass ich, ein armer Sünder, ein unwürdiger Diener der streitenden Kirche auf Erden diesen Namen als eine Krone aus der Hand meines Gottes tragen darf; dass ihr allzumal, geliebte Miterlöste, so viele unter euch an Christum glauben, Heilige Gottes heißen sollt - das würde ich nimmermehr glauben, wenn ich's nicht aus seinem eigenen Worte wüsste! Aber dieses Wort sagt es mit unwidersprechlicher Klarheit; denn es gibt nicht nur den Seligen im Himmel, sondern der Gemeinde der Erlösten auf Erden diese überaus herrliche Benennung. In seinem Briefe: an die Römer beginnt der Apostel: „Allen die zu Rom sind, den Liebsten Gottes und berufenen Heiligen Gnade sei mit Euch“; an die Korinther schreibt er: „der Gemeine Gottes zu Korinth, den Geheiligten in Christo Jesu, den berufenen Heiligen, samt allen denen, die den Namen des Herrn anrufen,“ und an die Epheser: „so zieht nun an, als die Auserwählten Gottes, Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen usw.“ - Ihr seht also; meine Andächtige, die Kirche Christi ist das Volk seiner Heiligen! Und was ist das für eine Heiligkeit? fragen wir weiter; ist es die eigene, die selbsterworbene, die Tugend und Frömmigkeit, die allerdings jeden Christen schmücken muss? O wenn es das, wenn es die eigene Gerechtigkeit wäre, dann dürften wir freilich diesen schönen Namen nun und nimmermehr führen; denn unsere Gerechtigkeit ist vor Gott ein beflecktes Kleid; aber es ist eine andere, eine edlere, bessere Heiligkeit, es ist die Heiligkeit Jesu Christi, es ist die Frucht seines Lebens, Leidens und Sterbens: „denn das Blut Jesu Christi macht uns rein von allen Sünden,“ sagt die Schrift, und abermals: „Christus hat geliebt die Gemeine und hat sich selbst für sie gegeben, auf dass er sie heiligte, und: hat sie gereinigt durch das Wasserbad, im Wort, auf dass er sie ihm selbst darstellte als eine Gemeine, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel, oder des etwas, sondern dass sie sei heilig und unsträflich!“ (Ephes. 5, 25 ff.) Nicht also die eigene, selbsterworbene, sondern die dem Glauben zugerechnete Gerechtigkeit Christi, sein großes Verdienst, seine vollkommene Heiligkeit, das ist das hochzeitliche Kleid, mit dem seine Kirche angetan ist, das der Schmuck, um dessentwillen sie die heilige heißt, um dessentwillen ihre Bekenner mit dem Propheten rühmen: „Ich freue mich im Herrn und bin fröhlich in meinem Gott; denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit mich gekleidet,“ und mit Paulo, dem Apostel: „Ich bin abgewaschen, ich bin gerecht gemacht, ich bin geheiligt durch das Blut Jesu Christi und durch den Geist unseres Gottes!“

Weil aber, dies erinnere ich weiter, weil diese Heiligkeit ein so unschätzbares Gnadengeschenk ist, so darf sie auch nicht durch mutwillige Sünden befleckt, nicht durch schnöde Lüste mit Füßen getreten werden; sonst geht sie auf immer verloren. (Hebr. 6, V. 4-6.) Im Gegenteil, sie muss mit treuem Fleiß bewahrt und zur Heiligung des Sinnes und Wandels angewendet werden. Das wissen auch die Gläubigen wohl und werden darum selber, wie unser Text sagt, eine Behausung des Heiligen Geistes; d. H. sie lassen den Geist, durch welchen sie geheiligt sind, in ihren Herzen wohnen und wirken; sie lassen sich durch ihn reinigen und läutern, sterben in seiner Kraft täglich der Sünde ab, und leben sich dagegen immer tiefer hinein in die Gemeinschaft mit Christo, in welcher sie dann auch nach außen hin die Früchte des neuen Lebens bringen, als da sind Liebe, Friede, Freude, Geduld, Gerechtigkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit. So werden sie ein „Volk seines Eigentums, das fleißig ist zu guten Werken, ein heiliges Volk, ein königliches Priestertum, das da verkündigt die Tugenden dessen, der sie berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“

Und das ist die Herrlichkeit der christlichen Kirche; sie ist das Reich Gottes auf Erden, sie ist die Gemeinschaft der Gläubigen, sie ist das Volk seiner Heiligen, erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, an welchem der ganze Bau ineinandergefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn.

Sagt, liebe Brüder und Schwestern, seid nun auch ihr miterbaut zu einer Behausung Gottes im Geist? seid ihr lebendige Glieder dieser großen Gemeinschaft? gehört ihr in der Tat und Wahrheit dieser Kirche an? das ist die Frage, die unser Text noch zum Schluss an uns richtet. Und was sollen wir antworten auf diese wichtige Frage? Wir antworten also: Äußerlich gehören wir ihr Alle an; dem Namen nach sind wir Alle ihre Glieder, durch die heilige Taufe wurden wir Alle in ihre Gemeinschaft versetzt und mit dem Anrecht auf ihre Segnungen begabt. Aber Viele haben sich seitdem von ihr geschieden; Viele haben sich bis auf den Namen von ihr losgesagt; denn sie fliehen ihre Versammlungen, verachten ihre Sakramente, verspotten ihren Glauben und treten ganz ungescheut als ihre Gegner und Feinde auf. Noch weit größer aber ist die Anzahl derer, die sich innerlich von ihr geschieden haben, die keine Gemeinschaft mit Christo, keinen Glauben an seinen Namen, keine Liebe zu den Brüdern mehr haben und durch ihre offenbaren Sünden bezeugen, dass sie dem Reiche der Finsternis und des Satans sich zugewendet haben. Und das sind die erstorbenen Reben am Weinstock, von welchen der Herr gesagt hat: „Wer nicht in mir bleibt, der verdorrt wie eine Rebe und wird weggeworfen und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer.“ Deren Menge aber ist heutzutage so groß, dass man billig darüber erschrecken muss.

Dennoch hat der Herr noch immer ein Reich und eine Kirche auf Erden; und er hat sie, Gottlob! auch unter uns. Denn der Grund der Apostel und Propheten, Jesus Christus, bleibt in alle Ewigkeit; der Leuchter des Evangeliums steht noch aufgerichtet auf unseren Kanzeln und Altären; das Wort der Wahrheit wird noch lauter und rein in unserer Mitte gepredigt; die Sakramente werden noch nach ihrer göttlichen Einsetzung unter uns verwaltet. Wo aber Gottes Wort und Gnadenmittel sind, da ist auch der Heilige Geist, und wo der Geist weht, da steht und baut sich immer auch eine Gemeinde der Gläubigen, ein auserwähltes, heiliges, wenn auch kleines Volk des Herrn, bei welchem Bruderliebe zu finden ist. Ja wir sehen mit Freuden, wie gerade in diesen Tagen das Himmelreich wieder mehr Raum und Boden gewinnt, wie manche welke Pflanze ihr Haupt aufs Neue erhebt, und manche Rebe, die schon verdorrt zu sein schien, neues Leben empfängt und sich wieder an den Weinstock anschließt. Eben deshalb aber, meine Geliebten, ist es für Alle, die noch durch den Glauben Christo angehören, heilige Pflicht, sich laut und entschieden zur Kirche zu bekennen und sich durch Wort und Wandel als deren Glieder zu erweisen; denn es ist nicht genug, dass wir von der Herrlichkeit der Kirche reden, wir müssen's vielmehr durch unser Leben beweisen, dass der Herr noch wirklich ein Volk seines Eigentums unter uns hat. Das wirkt mehr als alle Worte, das widerlegt am stärksten die Lästerung der Feinde und zieht vielleicht manchen, der noch ferne steht, herbei. Und so lasst uns tun, geliebte Brüder. Wandelt würdig des Evangeliums Jesu Christi, und zieht an, als die Auserwählten Gottes, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, und wandelt in der Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit; enthaltet euch von fleischlichen Lüften, welche wider die Seele streiten und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, straft sie aber vielmehr. Lasst das Wort Jesu Christi reichlich unter euch wohnen in aller Weisheit, lehrt und vermahnt euch selbst in euren Häusern mit Psalmen und Lobgesängen, und singt dem Herrn in euren Herzen. Vor Allem aber betet, dass der Heilige Geist sich wieder reichlicher ausgieße über unsere ganze Gemeinde, über Kirchen und Schulen, über Lehrer und Hörer des Wortes, über Jung und Alt, über Groß und Klein, damit wir allesamt hinan wachsen an dem, der das Haupt ist, Christus, und miteinander erbaut werden zu einer Behausung Gottes im Geist. Amen!

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/t/thomasius_g/zeugnisse/thomasius_zeugnisse_pfingsten_2.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain