Thomasius, Gottfried - Am III. Sonntag nach Epiphanias.

Thomasius, Gottfried - Am III. Sonntag nach Epiphanias.

Das Wesen des Glaubens.

Gnade sei mit Euch, und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo. Amen.

Von dem Wege zum Glauben an Christum habe ich letzthin gepredigt, heute wollte ich von dem Wesen dieses Glaubens zu euch reden. Aber mich dünkt, dass Manche unter uns der alten Predigt vom Glauben längst überdrüssig sind, und dass man mit ganz anderen Dingen kommen müsse, wenn man sich Eingang bei ihnen verschaffen will. So will ich denn heute von dem reden, was vor den Menschen gilt, was die Welt für groß, für hoch und edel achtet; aber ich will also davon reden, dass ich zu Schanden mache, was hoch in ihren Augen ist, dagegen aber den von ihr verachteten Glauben in seiner Größe und Herrlichkeit zeige, damit aller eitler Ruhm zunichte und die Ehre dem allein werde, welchem sie allein gebührt. Lasse mirs Gott durch seine Gnade gelingen. Amen!

Das Wort der Heiligen Schrift, das mich dabei leiten soll, findet sich aufgezeichnet:

Galat. 5, 6.
In Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der in der Liebe tätig ist.

Es ist das eines von jenen Worten der Heiligen Schrift, das in der einfachsten Form die reichste Fülle verbirgt; eine ganze Welt ist in ihm aufgeschlossen, die ganze Summa des Christentums in ihm zusammengefasst; denn es lehrt uns, was in Christo gilt; d. h., was das Wesen der Gemeinschaft mit Christo ist, was den Menschen zum Gliede Christi, zum wahren Christen macht. Von welcher Bedeutung es für uns sei, das zu wissen, wird uns einleuchten, sobald wir uns erinnern, dass es sich hier um die Gemeinschaft mit demjenigen handelt, welcher beides, unser Erlöser und unser Richter, ist, mit dem, in dessen Hand unser Leben und unsere Seligkeit liegt, der die Schlüssel des Todes und der Hölle hat, dem der Vater alle Macht im Himmel und auf Erden übergeben hat, vor dessen Richterstuhl wir einst die Entscheidung über unser Los in der Ewigkeit zu erwarten haben. Was vor dem und in dem gilt, - o meine Liebsten, wir werden wohl tun, uns bei Zeiten danach umzusehen, um so mehr, als wir es jetzt schon haben müssen, wofern wir einst vor ihm bestehen sollen. Das ganze Menschenleben ist umsonst durchlebt, umsonst durchgekämpft und durchgelitten, wenn uns das Eine fehlt. Ihr teuren Mitgenossen auf dem Wege zur Ewigkeit, ihr Miterlöste und Mitgeliebte, hört also, was der Apostel sagt; er sagt aber also:

In Christo gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der in der Liebe tätig ist,

und das sei das Thema meiner heutigen Predigt.

I.

Was nicht in Christo gilt, lehrt uns St. Paulus zuerst. Weder Beschneidung, sagt er, noch Vorhaut. Mit dem Ersteren sieht er auf Israel, mit dem Letzteren auf die Heiden. Mit dem Ersteren meint er Israels Vorrechte und Werke; und diese Vorrechte waren größer, diese Werke besser, als wir gewöhnlich meinen. Denn was zunächst die Rechte Israels betrifft, die sich alle an die Beschneidung knüpften, es gibt kein anderes Volk, das Ähnliches aufzuweisen hätte. Ausgesondert aus der Menge der heidnischen Nationen, erwählt zum Volk Gottes, Abrahams Kinder, Träger des Bundes, Erben der Verheißung kraft ihrer natürlichen Abstammung von dem Vater der Gläubigen, dazu die Erinnerung an eine große Geschichte, umgeben von Wundern der Macht und Herrlichkeit Gottes wer kann sich wundern, dass sich dieses Volk für den geborenen Liebling Gottes hielt? Und das soll nun Alles nichts gelten in Christo, das soll kein Recht auf die Gemeinschaft seines Reiches verleihen? Recht wohl, Andächtige! aber es geht eben hier nicht nach dem Recht; es gilt in Christo kein äußerer Vorzug, kein Anspruch, der sich als Recht geltend machen will, sondern es ist Alles aus Gnaden. Liebe Freunde, so wird denn auch das, was wir als Christen voraus haben vor allen Anderen, die Geburt von christlichen Eltern, das Leben im Schoß der christlichen Kirche, die Segnungen des christlichen Gottesdienstes, ich sage mehr, der äußere Anteil an den Gnadenmitteln und Sakramenten des neuen Bundes: es wird uns das allein, wie groß und herrlich es auch sei, noch nicht zu wahren Christen machen, ja es wird möglich sein, dass einer trotz dem Allen eine dürre Rebe am Weinstock, ein toter Zweig am Baum des Lebens werde, der am Ende zu nichts weiter taugt, als zum Feuer. Möglich fragt ihr? und wofür sind wir denn dann getauft und wozu gehen wir denn alle Jahre zum Nachtmahl? Dazu, antworte ich, sind wir getauft, dass wir mit Christo sterben und auferstehen, und dazu gehen wir zur Beichte und zum Nachtmahl, dass wir von unseren Sünden los, seiner Gnade, seines Lebens teilhaftig werden; aber wo wir, statt das Gnadenmittel des Wortes heilsam zu brauchen, auf den bloßen Besitz desselben uns verlassen, statt durch die Sakramente uns in der Gemeinschaft mit Christo, dem wir durch sie eingepflanzt sind, stärken zu lassen, sie als ein Recht ansehen und als einen Vorzug, um dessentwillen uns das Heil in ihm von selbst zufallen müsste: so wird es uns nicht anders als Israel ergehen. Denn ich sage euch, meinen Brüdern, es ist der Herr an unser auswendiges Namen-Christentum so wenig gebunden, als an die äußeren Vorzüge der Beschneidung, er kann sich, wenn er will, aus Steinen Kinder erwecken; hat er das Reich einst von den Juden genommen trotz den Testamenten der Verheißung, so kann er es auch von uns nehmen, wo wir nicht bessere Früchte bringen als sie. Äußeres Recht gilt in Christo nicht.

Aber es hatte Israel mit dem Bund auch das Gesetz überkommen, und es war ihm dazumal ein Ernst mit der Erfüllung desselben. In den Werken des Gesetzes suchten sie Gerechtigkeit vor Gott. „Ich gebe ihnen Zeugnis, sagt der Apostel, dass sie eifern um Gott, aber mit Unverstand, denn sie trachten ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten.“ So waren sie ja eben auf dem Wege begriffen, den wir in unserer letzten Predigt als den Weg zur Erkenntnis des Heiles bezeichneten. Sie wollten, wenn auch in äußerlicher Weise und in äußerlichen Satzungen, doch mit Fleiß den Willen des Vaters tun, um das Leben zu erwerben, und gleichwohl heißt es gerade davon in unserem Text: dass die Beschneidung nichts in Christo gilt. Israels Gesetzesarbeit und Gesetzeseifer nichts; sein Reichtum an Gesetzeswerken nichts! O wie schwerlich werden die Reichen ins Himmelreich kommen. Ja noch mehr, gerade dieser Reichtum schließt sie aus. Ihr habt Christum verloren, die ihr durchs Gesetz gerecht werden wollt, ruft ihnen Paulus unmittelbar vor unserem Text zu, „ihr seid aus der Gnade gefallen.“ Seht also, Andächtige, und beherzigt es, das Gesetz führt wohl zum Heiland, sofern man daran die eigene Sünde erkennt und sich zur Buße treiben lässt; aber Israel hat es nicht zu ihm geführt; darum nicht, weil sie mit ihren Werken ihren fleischlichen Hochmut stärkten, also, dass er sich wie eine Eisrinde um ihre Herzen herlegte und sie unempfindlich machte für den warmen Odem der barmherzigen Liebe Christi; darum nicht, weil sie aus ihren Werken sich eine eigene Gerechtigkeit erbauten, eine Mauer, die ihnen die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, verbarg. So haben sie sich ihnen zum Unsegen verwandelt. Hier ließe sich nun eine lange Predigt halten, über den Wert und Unwert menschlicher Werke; hier wäre es am Ort, jenen bettelhaften Tugendstolz zu Schanden zu machen, der sich dünken lässt, er sei etwas, so er doch nichts ist, der vielgerühmten Ehrbarkeit und Gesetzlichkeit den Schein abzuziehen und all unsere sogenannten Verdienste oder Liebeswerke dem Herrn zu Füßen zu legen; denn in ihm gilt das Alles nicht; es ist nicht das, was seiner Gerechtigkeit, was seiner seligen Gemeinschaft teilhaftig macht.

Vor ihm gilt nichts „als Gnade und Gunst, die Sünde zu versöhnen;“ was aber als Verdienst und Ruhm vor ihm sich geltend machen will, was auf eigenen Füßen, auf den Füßen eigener Gerechtigkeit vor ihm stehen will, das schlägt er zu Boden mit eisernem Zepter; er wills nicht dulden, dass die Kreatur sich gegen ihn erhebt, nicht leiden, dass sie sich mit dem vor ihm rühmt, was sie von ihm empfangen hat. „Er übt Gewalt mit seinen Armen, er zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn, die Hungrigen füllt er mit Gütern, die Reichen lässt er leer.“ Doch eben davon, von dem Reichtum an guten Werken, viel zu reden, tut heutzutage kaum not, denn wir haben ihn nicht. In dieser Hinsicht müssen wir uns vor den Kindern Israels schämen. Ihnen wars doch noch ein Ernst mit einer äußeren, gewissenhaften Erfüllung des väterlichen Gesetzes, unser Volk übertritt alle Rechte und Gebote seines Gottes, und so arm es dennoch ihnen gegenüber an guten Werken ist, so voll ist es gleichwohl von Selbstgerechtigkeit, von Eitelkeit, von Hochmut; es sieht mit vornehmer Selbstgefälligkeit auf dieses Volk herab, das sich aus seinen Werken eine Ehrenkrone flechten wollte, ohne auch nur einen Versuch zu machen, denselben Weg zu betreten. Israels Stolz, ohne Israels Werke Und so schlimm steht es mit uns. worauf sind wir so stolz?

Vielleicht auf das, was der Apostel meint, wenn er weiter sagt: in Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut; denn damit denkt er an die Griechen und an die griechische Bildung und Weisheit. Und das, Andächtige, ist auch unser Ruhm. Wenn irgend eine Zeit, so rühmt sich die gegenwärtige der Bildung, freilich zum Teil mit Unrecht; denn das, was sie Bildung zu nennen pflegt, ist häufig nichts anderes, als der gleißende Schein, den sie über ihre Sünden breitet, die heuchlerische Decke, hinter der sie ihre Leerheit an tüchtiger Gesinnung, an Wahrheit und Gottesfurcht verbirgt; ein übertünchtes Grab, auswendig schön, inwendig voll Moder und Totengebeine. Dass das in Christo nichts gilt, leuchtet ein. Es gibt jedoch auch eine wahre Bildung, und die gehört zu den edelsten Gütern des Lebens, wohl wert, dass man Fleiß und Geistesarbeit daran setze. Nach ihr zu ringen, ist der schönste Ruhm für die edle Jugend, sie zu besitzen ein Schmuck, köstlicher als Gold und Geschmeide; ja man darf sagen, es liegt eine Herrlichkeit, eine Größe in ihr. Aber auch ihr bezeugt das gewaltige Wort des Apostels, dass sie so wenig in Christo gilt, als Israels Werke. Und das sagt er nicht als einer, der etwa selbst von Bildung nichts verstünde denn er war ein gelehrter Mann, in der Schule Gamaliels erzogen und mit griechischer Weisheit wohl bekannt; sondern er sagt es, weil er weiß, dass auch sie für sich nicht zu Christo hinführen und zu seiner Gemeinschaft verhelfen könne, dass sie da nichts gilt, wo es sich um die Frage nach dem Anteil an der Gerechtigkeit und an dem ewigen Leben handelt. O meine Geliebten, und so würden denn auch wir leer ausgehen, wenn wir nichts weiter vor ihm aufzuweisen hätten als den Ruhm unserer Bildung oder Wissenschaft; wir müssten fürchten, umsonst gelaufen zu sein; denn auf diesem Weg haben Ihn Wenige gefunden, wohl aber ist es Vielen begegnet, dass sie ihn samt seiner Gnade wieder verloren haben, nachdem sie ihn bereits ergriffen hatten. Denn das Wissen, das nichts als Wissen ist, bläht auf, sagt der Apostel, und was den Menschen aufbläht, sei es eigenes Werk oder eigene Weisheit, das führt weg, weit hinweg von der wahren Weisheit, von dem seligmachenden Wort, vom Kreuz. Und das ist das Wort, durch welches Gott die Weisheit der Welt zur Torheit machen, und was stark ist vor der Welt zu Schanden machen, und was etwas ist, zunichte machen will; das Wort, vor dem alle Höhe der Menschen und aller Ruhm der Werke und alle Herrlichkeit des Fleischs verbleichen muss, damit der Herr allein hoch sei und Jedermann bekennen lerne: Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Denn in Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut und was sonst noch in diesen Worten eingeschlossen liegt als Gegenstand menschlichen Ruhmes und Vertrauens, es heiße wie es wolle, Geld oder Gut, Reichtum oder Ehre, Gunst oder Macht der Menschen - über das Alles ergeht das Wort des Gerichtes: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen Arm und mit seinem Herzen von dem Herrn weicht!“ In Christo gilt weder Werk noch Weisheit des Fleischs, weder Beschneidung noch Vorhaut. Und wenn das Alles nicht - was denn?

II.

Darauf antwortet unser Text: „der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Wie hoch stellt der Apostel mit diesen Worten den Glauben; diesen von der Welt so gering geachteten Glauben hebt er hinauf über Alles, was ihr groß und herrlich dünkt, stellt ihn gleichsam dem Herrn an die Seite und bezeugt, dass er das Band sei, das die Menschen mit ihm verbindet, und in ihm der Gnade, der Gerechtigkeit, des Lebens teilhaftig macht, das Wesen des wahren Christentums, das heißt der Gemeinschaft mit dem Erlöser. Das tut der Glaube und er allein. Denn sagt die Schrift: „Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut; so halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben;“ und darin finde ich vor Allem einen großen Trost. Denn wenn es weder Werke noch Weisheit tut, sondern allein der Glaube, so wird ja wohl dieser Glaube eine Sache sein, welche auch diejenigen haben können, die weder das eine, noch das andere besitzen: also die Armen am Geist, die Leidtragenden, die Sünder, die ihr Gewissen überführt, dass sie der eigenen Gerechtigkeit entbehren; die Geringen, die nichts von einem Ruhm vor Gott und Menschen, aber desto mehr von Not und Elend, von Seufzen und Tränen wissen, die Elenden, die Verlorenen, die Armen o freut euch, liebe Brüder und Schwestern! ihr Alle könnt, wenn ihr anders wollt, diesen Glauben haben, und was unendlich mehr ist, ihr könnt in diesem Glauben den Heiland haben, und im Heiland reich und selig werden. Freut euch dieses teuren Trostes und segnet mit mir das apostolische Wort, das ihn so reichlich spendet und die Kirche, die ihn so unverkümmert und rein bewahrt.

Damit aber Niemand über die Natur dieses Glaubens sich täusche, setzt der Apostel erklärend hinzu: der Glaube, der in der Liebe tätig ist. Das sagt er, um diejenigen abzuweisen, die sich statt des lebendig kräftigen Glaubens ein bloßes Schattenbild von ihm machen, eine auswendige, tote Überzeugung, die dann freilich auch nichts in Christo gilt. Wer ihn wirklich hat, der weiß, dass er nie ohne die Liebe ist und ohne sie gar nicht gedacht werden kann. Denn wie hält sichs mit diesem Glauben, meine Freunde, wie gelangt man zu ihm? Es hält sich also, wie wenn ein Mensch vom Rande des Verderbens weg mit einem Mal errettet wird. Er hat sich selber aufgegeben in dem Todesernst der Buße; seine Werke, auf die er ehedem vertraute, sind ihm wie ein Stab unter den Händen zerbrochen, seine Sünden, die er zuvor nicht kannte, sind ihm ein Zeugnis auf den Tag des Gerichts geworden, wie eine schwere Last sind sie ihm zu schwer geworden; seine Weisheit weiß hier nicht mehr zu raten und zu helfen, und so hat er nichts mehr übrig als seine großen Sünden und das Gefühl seiner großen Not. Da fällt sein Blick auf das Kreuz, an dem die ewige Liebe für die Sünden der Welt gestorben ist, und es ist ihm, als hörte er vom Kreuz herab die Stimme: Willst du gesund werden?“ und er fasst sich Mut zur Antwort: Ja, Herr, du weißt wie sehr!“ Und indem er sein Herz gegen ihn auftut mit heißer Sehnsucht, dringt die Liebe des Herrn wie ein Strom des Lebens hinein und der Heilige Geist besiegelt ihm das Wort: „Sei getrost, dein Glaube hat dir geholfen, deine Sünden sind dir vergeben; gehe hin mit Frieden.“ So hat also der Glaube die Liebe zu seinem Inhalt; er braucht sie nicht erst aus der Ferne zu holen; denn er ist selbst nichts anders als die Erfahrung dieser barmherzigen Liebe, nichts, als das Gefäß, mit dem der Mensch aus der Fülle der Gnade Christi schöpft. Weil er sie aber hat durch den Glauben, so ist der Glaube auch tätig durch die Liebe. Denn die Liebe ist Leben, und kann gar nicht sein, ohne zu lieben und zu leben. Es ist ihre Natur, dass sie wieder lieben muss. Darum bleibt sie auch nicht im Herzen verschlossen, sondern quillt und dringt aus dem Herzen hervor in Dank und Gebet zu dem, der sie darein ausgegossen hat:

Der am Kreuz ist meine Liebe,
Meine Lieb' ist Jesus Christ.

Das ist die Flamme, vom Herrn entzündet, das die Antwort des Menschen auf seine Frage: hast du mich lieb? das der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

In ihm findet der Mensch nicht bloß das Heil seiner Seele, sondern er gewinnt auch zwiefältig wieder, was er vordem in der Buße aufgegeben hat; beides, die Werke und die Weisheit. Die Werke: denn wie es ein und dieselbe Liebe des Herrn ist, die mich und die ganze Menschheit geliebt hat, so ist auch in der Gegenliebe die Liebe zu den Miterlösten schon eingeschlossen. Man liebt in dem Haupt die Glieder, in dem Erstgebornen die Brüder und Schwestern. Man hat Barmherzigkeit in Christo überkommen, und wer Barmherzigkeit erlangt hat, der hat eben damit auch ein Mitgefühl für das Elend der Brüder gewonnen, er versteht aus eigner Erfahrung ihr Leid und ihren Schmerz: so geht er hinaus, um ihre Wunden zu verbinden und ihrer Not sich anzunehmen, als wärs die eigene, und teilt ihnen, was er von Oben empfangen hat, mit, in leiblichen und geistlichen Gütern. Das sind die Werke des Glaubens, nicht wie die Werke des Gesetzes, die aus Zwang geschehen, sondern herausgeflossen aus dem Quell der ewigen Liebe, Früchte der Gerechtigkeit, zur Ehre Gottes des Vaters. Wie schön ist der Baum, der mit solchen Früchten prangt, wie schön das Leben, das mit solchen Werken geschmückt ist um so schöner, je weniger der Christ, der sie tut, von ihrer Herrlichkeit weiß. Es ist genug, dass sie Gottes Auge sieht. Wo sie aber fehlen, da fehlt es sicherlich auch am Glauben, „Denn in Christo gilt nichts, als der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Und eben so verhält sichs auch mit der Weisheit; „Denn wer lieb hat, der ist von Gott geboren und kennt Gott;“ er kennt ihn aus eigener Erfahrung, wie ein Kind das Herz seines Vaters, er weiß, wessen er sich in allen Lagen seines Lebens zu ihm versehen darf, und lernt seine Gedanken und Wege um so besser verstehen, je treuer er sich in seine Gnade hineinlebt. Das ist die rechte Weisheit; nicht wie die Weisheit der Welt, die es höchstens zu einem auswendigen Wissen bringt, sondern ähnlich der Erkenntnis des Jüngers, der an der Brust des Herrn lag und unter seinem Kreuz stand.

Teure Freunde, ihr seht, welch ein großes Ding es um den Glauben ist. Wie klein vor der Welt, so hoch vor Gott. Wahrlich wir dürfen bald anfangen, uns in ihm zu üben, wenn wir auch nur einen kleinen Anfang darin machen wollen. O seht zu, dass euch wenigstens der Anfang nicht fehle; denn in Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Nun weiß ich zwar wohl, dass solchen Glauben kein Mensch dem anderen geben, kein Prediger seinen Zuhörern mitteilen kann, denn er ist eine Gabe des Heiligen Geistes; weiß auch, dass solche Liebe Niemand dem Anderen gebieten kann, denn ihr Wesen ist Freiheit; aber ich kenne den Anfänger und Vollender dieses Glaubens und den Quell, aus dem diese Liebe fließt.

Es ist der, welcher, ob er wohl hätte Freude haben mögen, doch der Schande nicht geachtet, sondern um unsertwillen das Kreuz erduldet hat und nun zur Rechten der Majestät in der Höhe sitzt. Auf ihn weise ich euch, Andächtige, ihn, der die Liebe selber ist, sehe ich an und sage in seinem Namen: „Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Amen.

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