Thomasius, Gottfried - 1. Advent - Das Gebet der Kirche um die Zukunft des Herrn.

Thomasius, Gottfried - 1. Advent - Das Gebet der Kirche um die Zukunft des Herrn.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Heiland Jesu Christo, Amen!

Wir beginnen heute ein neues Kirchenjahr. Mit dem Anfang eines neuen Jahres pflegen Freunde einander Gutes zu wünschen; was könnte Euch meine Liebe Besseres wünschen, als den vollen Inhalt des apostolischen Grußes, mit dem ich so eben meine Predigt begonnen habe: Gnade sei mit Euch, geliebte Brüder, die Gnade unsers himmlischen Vaters, die da Sünde vergibt und aus Sündern gerechtfertigte Kinder Gottes macht, und die Gerechtfertigten mit ewiger Erbarmung segnet. Sie sei die Sonne, die Euch in diesem neuen Kirchenjahr leuchtet, sie scheine hell in euer Leben, in euere Häuser, in euere Herzen hinein und verherrliche sich an Euch in vielen geistlichen und leiblichen Gütern. „Gnade sei mit euch“ und „Friede von Gott“, der Friede, welcher fröhlich in Hoffnung und geduldig in Trübsal macht, der selbst die Angst dieser Welt überwindet, und Sinne und Herzen bewahrt zum ewigen Leben, Gnade und Friede von Gott, beides aber durch unseren Herrn Jesum Christum, der da ist, und der da war, und der da kommt, der auch heute wieder zu seiner Gemeinde kommen und immerdar bei ihr bleiben will; Hallelujah, Amen.

Indem die christliche Kirche heute ihr neues Jahr beginnt, sieht sie zunächst ihre Armut und Ohnmacht an; denn sie verbirgt sich weder die Größe ihrer Mängel, noch die Zahl ihrer Feinde. Aber sie weiß auch, dass ihre Hilfe bei dem Herrn steht, der zur Rechten des Vaters sitzt. Von daher allein erwartet sie das Heil, von daher die Kraft und den Sieg. Darum sieht sie heute vor Allem empor zu ihm, und von ihm aus blickt sie dann weiter hinaus bis auf das Ziel ihrer Wallfahrt, auf das Ende, welches sie nach dem Streit zu erreichen berufen ist. Denn die Kirche Christi auf Erden ist wie die Gemeinde Gottes unter dem alten Bund, sie ist eine Pilgerin nach dem Land der Verheißung. Indem sie nun dieses Dreifache ins Auge fasst, ihren Stand auf Erden, ihren Herrn im Himmel und ihr Ziel am Ende, so sammelt sie sich zu einem Gebet, welches auch große Verheißung und gewisse Antwort hat. Mit diesem Gebet beginnt und beschließt sie ein jedes Kirchenjahr. Beides aber, das Gebet und die Antwort Lesen wir

Offb. 22,20.
Es spricht, der solches zeugt: Ja, ich komme bald. Amen; Ja komm, Herr Jesu!

Welchen tiefen Inhalt dieses Gebet in sich schließt, das könnt ihr schon daraus ermessen, dass es am Ende der Bibel steht; denn es hat da hinter sich die Beschreibung aller der heißen Kämpfe, welche die Kirche noch auf dieser Erde zu bestehen hat, die letzten Zeiten des großen Abfalls und des großen Sieges, die ganze Geschichte der streitenden Gemeinde Christi bis zu ihrer schließlichen Verherrlichung. Das Alles hat dieses Gebet hinter sich. Denn erst nachdem vom zwanzigsten Kapitel an von der Erscheinung des Herrn in seiner Herrlichkeit, von dem neuen Jerusalem, von der Stadt Gottes und von dem Strome des Lebens die Rede war, erst dann heißt es weiter, alles Vorhergehende zusammenfassend: „Und siehe, ich komme bald, um meinen Lohn einem Jeglichen zu geben, wie seine Werke sein werden. Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Darauf antworten dann der Geist und die Braut d. h. die Gemeinde: Komm! Und wer es hört, der spreche: komm! Ja komm, Herr Jesu!“ Ihr seht, Andächtige, es schließt dieses Gebet die ganze Hoffnung seiner Gemeinde in sich. Von jeher hat deshalb auch die Christenheit so gebetet. Die alte Kirche insonderheit hat in diesem Gebet gelebt; es war ihr Lied im Hause ihrer Wallfahrt. Auch wir, meine Lieben, beten es noch immer in unserem Vater Unser, in der zweiten und in der letzten Bitte; aber wir verstehen den vollen Sinn desselben nicht mehr; unser Glaube ist zu klein, unsere Hoffnung ist zu arm geworden, sie reicht nicht mehr bis zu jener Höhe hinan. Lasst mich heute versuchen, Euch den Sinn dieses Gebetes auseinanderzulegen; es ist in Wahrheit ein rechtes Adventsgebet; nicht besser können wir unser Kirchenjahr beginnen, als wenn wir es beten lernen, und Gott verleihe uns selbst dazu den Geist der Gnade und des Gebetes, Amen.

Das Gebet der Kirche um die Zukunft Jesu Christi und die Antwort des Herrn auf ihr Gebet.

Es beruht aber dieses Gebet auf dem Glauben an den, der gekommen ist; es spricht die Sehnsucht aus nach dem, der da kommt; und hat die fröhliche Hoffnung auf den, der da kommen wird. In dieser dreifachen Hinsicht gilt ihm die Antwort des Herrn: Siehe, ich komme bald.

I.

Das Gebet der christlichen Kirche um die Zukunft des Herrn ruht auf dem Glauben an den, der da gekommen ist. Ein jedes Gebet, das Erhörung finden soll, muss einen festen Grund haben, entweder in einer Verheißung Gottes oder in einer Tat Gottes, oder in beiden zugleich. Wo diese festen Gründe fehlen, da ist es nichts, als eine bloße Erhebung des menschlichen Herzens zu Gott, eine Selbsterhebung, die in Ermattung endigt. Nun wisst ihr, Andächtige, dass eine Verheißung der Zukunft des Herrn schon durch den alten Bund hindurch geht. Von dem Tag an, da zu Abraham gesagt ward: „durch dich sollen gesegnet werden alle Völker der Erde“, bis zu dem letzten der Propheten tönt es überall in lauten Stimmen wie von Oben herab: Siehe Er kommt. Da verkündigt noch der sterbende Jakob: „Es wird das Zepter von Juda nicht entwendet werden, bis dass der Held komme, der Friedefürst; demselben werden die Völker anhangen“; da heißt es in den Psalmen: „Siehe ich komme, im Buch ist von mir geschrieben“, bei Jesaias: „Siehe der Herr kommt gewaltiglich und sein Arm wird herrschen“, und am Schluss des alten Bundes drückt Er selbst, der da kommen will, das Siegel auf alle diese Verheißungen, indem er bezeugt: „Und bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht, und der Engel des Bundes, des ihr begehrt; Siehe ich komme,“ spricht der Herr Zebaoth; dann schweigt die Stimme der Weissagung vier Jahrhunderte lang. Auf diese Verheißungen haben die Väter Israels gehofft und haben in solcher Hoffnung ihren Wandel geführt, wie die Pilgrime, die zur Nachtzeit durch die Wüste ziehen und die Sterne droben zur Leuchte ihres Weges nehmen. Je länger die Erfüllung verzog, je tiefer der Zerfall des Volkes, je schwerer das Elend und das Dunkel der Gegenwart, desto sehnsuchtsvoller haben sie hinausgesehen nach dem Anbruch des Morgens, und ihre Sehnsucht ward zur bangen Klage: „ach Herr wie lange“? und die Frage zum Gebet: „Ach dass die Hilfe aus Zion über Israel käme und der Herr sein gefangenes Volk erlöste. Ach dass du den Himmel zerrissest, und führest herab, dass die Berge vor dir zerfließen.“

In solcher Stellung betet nun die christliche Kirche nicht, denn der Herr ist gekommen; das Wort, das im Anfang war und bei Gott war, ist im Fleisch erschienen, und „wir habens, sagen die Jünger, mit unseren Augen gesehen, und mit unseren Ohren gehört, und mit Händen betastet und aus seiner Fülle genommen Gnade um Gnade.“ Da war das vielhundertjährige Gebet des Volkes erfüllt; es war die gnadenreiche Zeit gekommen, von der es heißt: Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht, und die Ohren, die da hören, das ihr hört; denn ich sage euch: viele Könige und Propheten haben begehrt zu sehen, das ihr seht, und haben es nicht gesehen, zu hören, das ihr hört, und haben es nicht gehört.“ Und als nun der Verheißene, nachdem er etliche Jahre, von der Welt unerkannt, umhergezogen, in die Stadt seines Vaters einzog, da brach aus allen frommen Herzen der laute Jubel hervor: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, Hosianna in der Höhe.“ Stimmen auch wir mit ein in diesen Jubel Israels, geliebte Freunde, loben und preisen auch wir heut am Advent die ewige Liebe, „die den Eingebornen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Eben das, Andächtige, ist aber zugleich der Grund unsers fortwährenden Gebetes um sein ferneres Kommen; es ruht ganz und gar darauf, dass er gekommen ist und die Reinigung unserer Sünden gemacht hat, und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Denn nun wissen wir, dass wir einen Heiland und Fürsprecher an ihm haben, nun kennen wir sein Herz voll Liebe und Treue; es ist noch heute dasselbe, das sich allen Müden und Beladenen, die auf dieser Erde zu ihm kamen, aufgeschlossen hat, dieselbe mitleidsvolle Liebe, in der er die Kranken geheilt, die Armen getröstet, die Schwachen schonend aufgerichtet, und bis aufs Blut für unsere Sünden gestritten hat: Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit. Wie fröhlich können wir also zu ihm das Herz erheben, um so mehr, als er nun mit der Kraft und Herrlichkeit des Vaters bekleidet die ganze Fülle des Lebens besitzt, wie ohne alle Furcht eines Abschlags unsere Hände aufheben und beten: O komm, Herr Jesu!

II.

So aber betet zu ihm fortwährend seine Kirche, ob sie wohl weiß, dass er gekommen ist; und sie hat auch Ursache zu solchem Gebet. Denn zwar beruht unser Heil auf dem, was der Herr bereits für uns getan; auf diesem für uns stehen wir allein mit unserem Glauben, und wollen auch von keinem anderen Grunde wissen, weil wir Sünder sind, die des Ruhmes ermangeln, den wir an Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist, welchen Gott vorgestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut. Aber, Freunde, was hilft uns jenes für uns, solange es außer uns liegt, und nicht unser geworden ist in Buße und Glauben? was das Verdienst des Leidens und Sterbens Christi, wenn wir nicht zu ihm kommen, und in Gemeinschaft mit ihm treten? Wie sollen aber wir zu ihm kommen, es sei denn, dass Er zu uns komme, wie seine Gnadenhand fassen, es sei denn, dass Er uns die Seinige reiche, ja wie nur die Hand nach ihm ausstrecken, es sei denn, dass Er den Willen, den Glauben, die Kraft dazu in uns wecke?

Wie tröstlich also immer jenes für uns sei - zieht Er uns nicht zu sich durch seinen Geist, wir bleiben hilflos am Boden liegen, gleich dem Lahmen am Weg, dem man zwar die Stadt auf dem Berg zeigt, aber dem die Kraft gebricht, ihn zu gehen. Darum rufen wir aus der Tiefe: o komm Herr Jesu! Wir bitten mit diesem Gebet, Er wolle selbst Advent bei uns halten mit seinem Geist, wolle einziehen mit seinem Licht, mit seiner Gnade, mit seinem Leben in unsere dunklen, leeren Herzen, um die Gemeinschaft mit ihm selber anzuknüpfen, und wo sie allbereits geknüpft ist, sie zu erhalten, zu stärken, zu mehren; das bitten wir ihn insbesondere am heutigen Tag mit der ganzen heiligen Kirche. Ein neuer Abschnitt tut sich vor uns auf, und mit ihm erneuert sich die Aufgabe unsers Christenberufes. Es gilt mit neuem Ernst wider die Sünde zu streiten, im Glauben zu wachsen, in der Heiligung zu arbeiten, in guten Werken Frucht zu bringen, einen Schritt auf dem Wege des Lebens vorwärts zu tun. Das ist die Anforderung, die mit jedem Kirchenjahr dringender an uns ergeht; - wer weiß denn, obs nicht das letzte ist, das wir erleben? O liebe Freunde, und nach den Erfahrungen, die wir allbereits machten, können wirs zum Voraus sagen, dass es auch in diesem nicht fehlen werde an zahllosen Hemmnissen, die uns das Ziel des Laufes verrücken und rückwärts drängen wollen, die wir doch vorwärts eilen sollen. Denn da ist die Welt mit ihrer Lust und mit ihrer Angst, welche beide den Pilgrim aufhalten und verwirren, da der Unglaube mit seinen kräftigen Irrtümern, das Geheimnis der Bosheit, welches immer mächtiger um sich greift und immer mehr zum Abfall von der Gnade bringt, schlechte Sitten, arge Exempel, böse Zeiten, dazu der Feind, der mit vollen Händen das Unkraut streut, inwendig aber die fleischlichen Lüste, welche wider die Seele streiten, ein trotziges verzagtes Herz, trotzig im Glück, verzagt in Anfechtung und Elend. Wie ist, ihr lieben Brüder, unser Weg so schwer, unser Kampf so heiß! Wie dürfen wir hoffen ihn siegreich zu bestehen, wie auf dem engen Weg richtig zu wandeln, wo nicht eine unsichtbare Hand uns hält, wo nicht die Weisheit von Oben uns leuchtet, der Geist des Herrn uns kräftigt und treibt? Darum sehen wir heute noch einmal unsere Ohnmacht an und rufen aus der Tiefe: „o komm, Herr Jesu!“ So beten wir aber in fröhlicher Hoffnung. Denn wir haben das Amen unsers Textes gehört, das Wort des Herrn: Siehe ich komme bald. Ja was sag ich bald? Er ist schon im Kommen; er zieht fortwährend in seine Stadt, in seine Kirche ein. Und er kommt wie dort nach Jerusalem, in sanftmütiger niedriger Gestalt, arm und doch reich an Gnaden, denn er kommt im Wort und Sakrament. Das sind die Mittel, an welche die Wirksamkeit seines Geistes geknüpft ist, das die irdischen Gefäße, in welche er die Fülle seines Lebens hineinlegt. Kraft ihrer will er auch in diesem Kirchenjahr Wohnung bei uns machen und sich finden lassen von Allen, die sein begehren. Achtet sie nicht gering, weil sie so gar unscheinbar sind, und nicht nach dem Geschmack der Menschen; es ist doch die seligmachende Wahrheit, die in diesem von der Welt verachteten Evangelium zu uns redet; es ist das ewige Licht, sein Licht, das in diesem Worte herein in unsere Finsternis scheint, und ich sage euch: „Wer ihm nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern er wird das Licht des Lebens haben.“ Wasser des Lebens inmitten der Wüste! Brot vom Himmel, nicht wie Israels Väter auf ihrer Wallfahrt gegessen haben, und sind gestorben, sondern das lebendige Brot, von dem es heißt, ja vielmehr, das von sich selber zeugt: „Ich bin das Brot des Lebens; wer von diesem Brot essen wird, wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich gebe, ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt. Wer mein Fleisch isst, und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben; und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tag. Denn mein Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank; wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.“ (Joh. 6.) Da holt euch, Andächtige, wenn ihr im Lauf nach dem Ziel ermatten wollt, neue Glaubens- und Lebenskräfte, da nehmt Frieden und Erquickung für eure leeren Herzen, da sucht den Herrn mit seinem Geist und seinen Gaben; Er lässts an Keinem fehlen, Er lässt sich finden von Allen, die ihn suchen, die ihn anrufen, die zu ihm beten: „O komm, Herr Jesu!“

III.

Und dennoch geht dies Gebet seiner Gemeinde durch alle Zeiten fort, ob es wohl schon in den Psalmen von ihr heißt: „Der Herr ist bei ihr drinnen, er hilft ihr frühe.“ So muss sie denn doch noch etwas anderes meinen, als diese seine Zukunft im Geist, von der wir bisher geredet, und eine noch ganz andere Gemeinschaft, als diejenige ist, deren sie sich allbereits erfreut. Und das lässt sich auch wohl begreifen. Denn dass die Gemeinschaft, in der wir hier mit dem Herrn stehen, eine noch sehr mangelhafte und unvollkommene ist, das fühlen wir alle; wir wandeln ja im Glauben und nicht im Schauen, unser Leben ist verborgen mit Christo in Gott; in der Welt haben wir Angst, so lange wir im Fleisch leben, kommen wir niemals los von der Sünde, und wer nur noch nicht ganz in die Eitelkeit des vergänglichen Wesens verliebt und unter die Herrschaft desselben geknechtet ist, der fühlt auch wohl, dass wir noch nicht daheim bei dem Herrn, sondern Fremdlinge und Gäste sind. Wir auf Erden - Er im Himmel. Dahin aber zieht den Christen Alles: die Liebe zu dem Heiland, der uns zuerst geliebt, die Verheißung des Erbteils, das uns droben aufbehalten wird, die Wohnungen des Vaterhauses, die Krone der Gerechtigkeit, der Vorgang derer, die bereits im Herrn entschlafen sind, und nun droben an seinem Thron stehen, mit weißen Kleidern und mit Palmen in den Händen, das Alles lenkt seine Sehnsucht nach Oben hin; und kommen die Stürme des Lebens und die Tage, von denen man sagen muss, sie gefallen uns nicht, so hebt er seine Hände auf und betet: O komm, Herr Jesu! Er meint die Erlösung vom Leib dieses Todes, einen gnädigen Ausgang aus dieser Welt voll Schmerz und Tränen, den Eingang in jenes stille Reich des Friedens, wo die Seelen der Gläubigen daheim sind bei dem Herrn. Und auch diesem Gebet fehlt die Antwort des Herrn nicht. „Siehe, spricht er, ich komme bald. Über ein Kleines, wenn die zwanzig, dreißig Jahre unserer irdischen Wallfahrt vorüber sind, ist er da und nimmt den Pilgrim in die Heimat mit. O selig, wem also geschieht! „Selig die Toten, die in dem Herrn sterben! der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach.“

Aber ist denn nun das der Sinn, in welchem seine Kirche um seine Zukunft betet? Sie bittet ja nicht, dass sie zu ihm komme; sie sagt: O komm, Herr Jesu! und bittet also, dass Er zu ihr komme. Was also uns allermeist das Ziel der Sehnsucht ist, die Ruhe der Seele in Gottes stillem Frieden, das ist die Grenze ihrer Hoffnung nicht; sie hat größere Hoffnung, weil sie größeren Glauben und tiefere Erkenntnis von dem Geheimnis der Erlösung hat. Das Geheimnis der Erlösung aber umfasst Leib und Seele, Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit. Das große Werk unseres Herrn Christi ist erst dann erfüllt, wenn der Tod in den Sieg verschlungen, der Satan unter die Füße getreten und alle Dinge zusammen unter Ein Haupt verfasst sind in ihm. Nicht in der Unsichtbarkeit des Jenseits, in der Sichtbarkeit, im Diesseits erreicht es seine Vollendung. Darnach bemisst sich die Hoffnung seiner Gemeinde; es ist ihr nicht allein um die Seligkeit der Seelen, nicht bloß um Geistigkeit und um Freiheit des Geistes, sondern auch um den Leib, um Verklärung der Leiblichkeit zu tun. Mit diesem Leib, mit dem sie sich müde gearbeitet hat auf den Wegen ihres Berufes, mit diesen Augen, mit denen sie so oft hinausgeschaut hat nach den Bergen, von welchen die Hilfe kommt, will sie die Herrlichkeit Gottes schauen. Sie glaubt an eine Auferstehung des Leibes. Und weil sie daran glaubt, so glaubt sie auch an eine Verwandlung der alten sichtbaren Welt, auf welcher der Fluch der Sünde ruht, an eine Befreiung derselben von dem Dienst der Eitelkeit, wonach sich auch alle Kreatur mit ihr schweigend sehnt; sie wartet auf einen neuen Himmel und auf eine neue Erde. Auf dieser neuen Erde will sie dereinst ihre Heimat haben, auf dem Schauplatz ihrer Kämpfe und ihrer Tränen will sie auch den letzten ihrer Siege, den Triumph ihrer Herrlichkeit feiern.

Was bis dahin im stillen Haus Gottes verborgen lebt, die Schar der Auserwählten, die Heilige Gemeinde, die überwunden hat durch des Lammes Blut, die treuen Streiter Jesu Christi, die längst entschlafenen Bekenner seines Namens, die Geister der vollkommenen Gerechten, unter ihnen unsere eigenen Väter und Mütter, so viele ihrer im Glauben gestorben sind - diese ganze Wolke von Seligen, die Braut des Herrn hofft sie dereinst von Oben auf diese Erde herniederkommen, und Wohnung auf ihr machen zu sehen, geschmückt mit aller Herrlichkeit des Himmels, in leuchtender Glorie, mit Leibern der Verklärung angetan, gesammelt zu Einem Volk Gottes, aus allen Sprachen und Zungen. Auf eine solche Zukunft geht die Hoffnung seiner Gemeinde hin; danach sehnen sich ihre triumphierenden Glieder im Himmel mit stillem Verlangen, ihre streitenden auf Erden mit heißer Sehnsucht. Wer will aber die Hoffnung dieses großen Tags erfüllen? wer kann im letzten harten Streit den Feind besiegen? wer die Seligen von Oben mit sich führen, die Toten auferwecken, die Lebendigen verwandeln? wer der heiligen Gemeinde als die rechte Sonne leuchten - wer anders als der Herr? Er ist darum das eigentliche Ziel ihrer Sehnsucht; Ihn vor Allem begehrt sie zu schauen, an den sie hier geglaubt hat ohne ihn zu sehen, und den sie lieb gehabt hat, wiewohl sie ihn nicht gesehen, ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen, weil ihr in ihm, und mit ihm, alles andere gegeben ist. Wird er einstmals offenbar, dann wird auch sie mit ihm offenbar in der Herrlichkeit. Deshalb sieht sie auf seine Zukunft auf, und je schwerer die Trübsal der Zeit, je heißer der Kampf, desto dringender wird ihr Gebet, desto lauter ihr Rufen: „O komm, Herr Jesu!“

Der Herr aber antwortet ihr, und spricht: „Siehe ich komme bald.“

Schon ist die Stunde im Rat seines Vaters festgesetzt, schon ist Er im Anzug gegen diese Erde begriffen. Dass er so lange verzieht, ist Gnade. Denn er will nicht, dass Jemand verloren werde; er möchte erst alles erretten und zu sich ziehen, was sich noch retten lässt, bevor der Tag des Gerichtes erscheint. Darum sendet er einstweilen seine Boten vor sich her mit dem Wort des Friedens, zu predigen der Welt die Buße und die Vergebung der Sünden, und wartet unterdessen in Geduld, ob etwa ihre Kinder sich zu ihm bekehren. Solche Geduld des Herrn achtet für eure Seligkeit meine Lieben! Aber stoßt euch auch nicht daran, wie die Spötter tun, die da sagen: „Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es Alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist.“ Er kommt zu einer Stunde, da es Niemand meint, wie der Blitz, der vom Himmel auf die Erde fällt, zur Zeit, da die Leute schlafen, Schatten der Nacht sich weithin auf die Erde lagern, und selbst auf den Augen der Seinigen der Schlummer liegt. Da mit einem Mal bricht das Licht der Ewigkeit in diese Zeit herein, die Engel mit hellen Posaunen, die Schnitter mit Sicheln in den Händen, der laute Ruf von Oben: Siehe der Bräutigam kommt; auf, ihm entgegen! Und seine Gemeinde, die dann noch auf Erden steht, hebet fröhlich ihr Haupt empor:

Zion hört die Wächter singen,
Das Herz tut ihr vor Freuden springen,
Sie wachet und steht eilend auf.
Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig,
Von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig,
Ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf.
Nun komm, du werte Kron',
Herr Jesu, Gottes Sohn!
Hosianna!
Wir folgen all' zum Freudensaal,
Und halten mit das Abendmahl.

Das ist der Tag seiner Herrlichkeit. Zeugen dieses Tages, Zuschauer dieser Herrlichkeit, werden wir Alle sein; aber das sage ich: Ihm alsdann mit Freuden entgegen sehen, und das Abendmahl mit ihm halten werden wir nur, wenn Er hier schon Wohnung gemacht hat in unseren Seelen; denn der Tag seiner herrlichen Zukunft ist zugleich der Tag des Gerichtes, der Alles von ihm ausscheidet, was nicht zu ihm gehört.

Darum bitte ich euch, geliebte Freunde! hört in diesem Kirchenjahre fleißig das Wort, in welchem der Herr zu uns kommt, um Eingang in unsere Herzen zu finden; verlasst nicht unsere Versammlung, wie Etliche pflegen, um so viel mehr, als sich der Tag naht; braucht fleißig die heiligen Sakramente; und sintemal ihr den zum Vater anruft, der da ohne Ansehen der Person richtet eines Jeglichen Werk, so führt euern Wandel, dieweil ihr hie wallt, mit Furcht. Schafft eure Seligkeit mit Furcht und Zittern. Sammelt eure Seelen zum Gebet. Bittet den Herrn, dass sein Wort unter uns wachse und laufe, dass er euch, den Hörern, willige Herzen, uns, den Predigern, ein freudiges Auftun unseres Mundes gebe, dass sein Reich zu uns komme, sein Wille unter uns geschehe, dass er uns fertig mache zu allem guten Werk, und heilige uns durch und durch, dass unser Geist, samt Seele und Leib, unsträflich erfunden werde bis auf den Tag seiner Zukunft. O Herr Herr! Neige dich selbst zu unserem Gebet, höre in Gnaden unser Flehen: O komm, Herr Jesu! Amen.

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