Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 21

Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 21

Daß man in Gott über alle Güter und Gaben ruhen soll.

1. Ueber Alles und in Allem, meine Seele, sollst du ruhen in dem Herrn immerdar; denn er ist die ewige Ruhe der Heiligen.

Verleihe mir, o süßester und geliebtester Jesus! daß ich die Ruhe in dir über alle Kreatur schätze, über Wohlsein und Schönheit, über Ruhm und Ehre, über Macht und Ansehen, über Wissenschaft und Geschicklichkeit, über Reichthum und Kunst, über Freude und Vergnügen, über Gunst und Lob, über Süssigkeit und Trost, über Hoffnung und Verheißung, über Tugend und Glückseligkeit, über alle Gaben und Güter, die du schenken kannst, über alle Freude und Wonne, die das Gemüth zu fassen und zu empfinden vermag, über die himmlischen Heerschaaren, über Sichtbares und Unsichtbares, kurz über Alles, was du, mein Gott, nicht bist.

2. Denn du, Herr, mein Gott, bist über Alles der Beste! Du bist allein der Höchste! Du allein der Mächtigste! Du der Allergenügsamste und Reichste! Du allein der Quell aller Lieblichkeit und alles Trostes! Du allein der Herrlichste und Gütigste! Du allein der Edelste und Glorreichste über Alles! Du bist der Eine, in dem alles Gute vollkommen ist, und immer war und sein wird!

Darum ist Alles zu wenig und unzureichend, was du mir außer dir gibst, oder von dir selbst offenbarest, oder verheißest, so lange ich dich selbst nicht vollkommen besitze; weil mein Herz nicht wahrhaft ruhen, nicht ganz befriedigt werden kann, wenn es nicht in dir ruhet und sich über alle Gaben und alle Kreatur erhebt.

3. O mein geliebtester Bräutigam Jesus Christus, du reinster Liebhaber, du Beherrscher aller Kreatur! wer gibt mir Schwingen der wahren Freiheit, damit ich fliege und ruhe in dir?

O wann wird mir vollends gegeben, frei zu sein, und zu schauen, wie lieblich du bist, Herr, mein Gott?

Wann werde ich mich vollkommen wieder sammeln in dir, daß ich vor lauter Liebe zu dir mich selbst nicht mehr empfinde, sondern dich allein über alle Empfindung und über alles Maaß, auf eine nicht Allen bekannte Weise?

Jetzt aber seufze ich noch oft, und trage mein Elend mit Schmerz.

Denn in diesem Jammerthale widerfährt mir viel Uebles, das mich so oft verwirrt, traurig und düster macht, so oft hindert und zerstreut, locket und verstrickt, daß ich nicht freien Zugang zu dir habe, und deine lieblichen Umarmungen nicht genieße, die den seligen Geistern immer gewährt sind.

Möchte dich rühren mein Seufzen, und so vielfacher Jammer auf Erden.

4. O Jesu, du Abglanz der ewigen Herrlichkeit, du Trost der in der Fremde schmachtenden Seele, vor dir verstummt mein Mund, und mein Stillschweigen schreit zu dir.

Wie lange säumt mein Herr, zu kommen?

Daß er käme zu mir, seinem Aermsten, und machte mich fröhlich! Daß er mir reichte seine Hand und mich elenden herausrisse aus aller Bedrängniß!

Komm, o komm: denn ohne dich wird kein Tag, ja keine Stunde mir fröhlich sein, und ohne dich ist leer mein Tisch.

Ich bin elend, und gleichsam eingekerkert und mit Banden beschwert, bis du mich erquickest mit dem Lichte deiner Gegenwart, und mir die Freiheit schenkest und dein freundliches Angesicht zeigest.

5. Mögen Andere Anderes statt deiner suchen, was irgend ihnen gelüstet; mir wird uns oll nichts Anderes gefallen, als du allein, mein Gott, meine Hoffnung, mein ewiges Heil!

Nicht schweigen will ich, noch ablassen zu flehen, bis deine Gnade wiederkehre und du in meinem Herzen redest: „Siehe, da bin ich! Ich komme zu dir, weil du mich gerufen hast! Deine Thränen und das Verlangen deiner Seele, deine Demüthigung und deine Herzenszerknirschung rührten mich und führten mich hin zu dir!“

6. Und ich sprach: Herr, ich habe dich gerufen, und mich gesehnt, deiner zu genießen, bereit, um deinetwillen Alles von mir zu weisen.

Denn du hast mich zuerst erweckt, daß ich dich suchen möchte.

Sei darum gepriesen, o Herr! der du diese Wohlthat deinem Knechte erzeigt hast nach der Fülle deiner Barmherzigkeit.

Was hat dein Knecht dir noch weiter zu sagen, als daß er sich völlig demüthige vor dir, immerdar eingedenk seiner eigenen Sündhaftigkeit und Niedrigkeit?

Denn dir ist nichts gleich im Himmel und auf Erden!

Alle deine Werke sind sehr gut, deine Gerichte gerecht und durch deine Vorsehung wird das Weltall regiert.

Darum Lob dir und Ruhm, o Weisheit des Vaters! Dich lobe und preise mein Mund, mein Herz und alles Erschaffene zumal!

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