Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 14

Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 14

Von Betrachtung der verborgenen Gerichte Gottes, damit wir uns im Guten nicht überheben.

1. Du donnerst über mir deine Gerichte, o Herr und mit Furcht und Schrecken erschütterst du alle meine Gebeine, und tief erbebt meine Seele.

Bestürzt stehe ich da, und erwäge, daß selbst die Himmel nicht rein sind vor deinem Angesicht.

Wenn du an den Engeln Bosheit gefunden, und auch ihrer nicht geschont hast: was wird mit mir werden?

Sterne sind vom Himmel gefallen, und ich Staub, was nehme ich mir heraus?

Die, deren Werke löblich schienen, fielen in die Tiefe hinab, und die das Brot der Engel aßen, sah ich an den Träbern der Schweine sich ergötzen!

2. Keine Heiligkeit gibt es also, wen du, Herr, deine Hand abziehest.

Keine Weisheit nützt, wenn du zu leiten aufhörst.

Keine Stärke hilft, wenn du zu beschirmen ablässest.

Keine Keuschheit ist sicher ohne deinen Schutz.

Keine eigene Wachsamkeit frommt, wenn dein heiliges Auge nicht wacht.

Denn uns selbst überlassen, versinken wir und kommen um; wenn du uns aber heimsuchst, so erheben wir uns und leben.

Wir sind unbeständig, aber durch dich werden wir befestiget; wir sind lau, aber durch dich werden wir entzündet.

3. O wie demüthig und gering muß ich von mir selbst denken! Wie für nichts muß ich es achten, wenn ich etwas Gutes zu haben scheine!

O wie tief muß ich mich untewerfen deinen unergründlichen Gerichten! o Herr! da ich finde, daß ich nichts anderes bin, als nichts und abermal nichts!

O unermeßliche Last! o undurchschwimmbares Meer, wo ich nichts an mir finde, als in Allem Nichts!

Wo ist also ein Schlupfwinkel für Ruhm? Wo das Vertrauen auf vermeinte Tugend?

Verschlungen ist alles eitle Rühmen in dem Abgrund deiner Gerichte über mich!

4. Was ist alles Fleisch vor deinem Angesicht? – Mag sich der Thon wohl rühmen gegen den Töpfer, der ihn bildet?

Wie kann sich der in eitler Rede erheben, dessen Herz in Wahrheit Gott unterworfen ist?

Wen die Wahrheit demüthig gemacht hat, den kann die ganze Welt nicht übermüthig machen; noch wird durch aller Lobredner Mund der bewegt, welcher all seine Hoffnung auf Gott gegründet hat.

Denn auch die, welche dich loben, sieh! sind allzumal nichts; sie werden verschwinden, wie der Schall ihrer Worte; aber die Wahrheit des Herrn bleibet in Ewigkeit.

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