Tholuck, August - Was ist das für ein Kind, dessen Geburt wir feiern werden?
Wir gehen dem Feste der Geburt unseres Herrn entgegen. Lasset uns zu einer würdigen Feier desselben uns vorbereiten durch die Betrachtung: Was ist das für ein Kind, dessen Geburt wir feiern werden? Lasset uns durch die Erwägung jener prophetischen Worte uns vorbereiten, welche selbst eine Vorbereitung waren auf die Zeiten der Erfüllung hin.
Im Propheten Jesaias Capitel 9, 6-7 lautet der Spruch der Weissagung also: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter, und er heißt Wunderbar, Rath, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst, auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, daß er es zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“
Wenn, ehe Er selber erschien, vorbereitende Stimmen Ihm vorausgingen, wundert euch das? Mich wundert es nicht, denn ach, es ist der Abgrund, in den die Menschheit gesunken ist, so tief, daß, wenn wir irgend uns auf uns besinnen, alles in uns mit lauter Stimme nach Erlösung ruft. Wenn aber der, welcher den Hunger gibt, auch Brot hat, nun so traget ihr in euch selber eine wahrhaftige Weissagung, eine Weissagung auf einen Gesalbten Gottes, einen Erretter, die mit jedem Adamskinde auf's Neue geboren wird. Und so geht denn auch würklich ein Seufzen der sehnenden Kreatur selbst durch das Heidenthum hin, welches mit dunkler Stimme von einem Göttersproß redet, unter welchem dereinst die Erde wieder werden sollte, was sie am Anfange gewesen, ein Gottesgarten; und in Israel stehen, wie unser Heiland sagt, Könige und Propheten hin und her, und verlangen seine Tage zu schauen. Und auch die Stimme, die wir hier vernehmen, ist die Stimme eines solchen sehnenden Gemüths, welchem die Gottheit Herz und Zunge bewegt hat. - Wenn aber der Diener der christlichen Gemeinde solche prophetische Rede auslegt, da begreifet ihr wohl, darf nicht dasjenige er euch mittheilen, was bei dem Worte der Weissagung von dem Propheten selbst und seinen Zeitgenossen gedacht und geahnet wurde, sondern dasjenige muß er euch vorführen, worin das ahnende Wort seine Erfüllung gefunden. Ein Erlöser für die Menschheit - o wie viele und verschiedenartige Hoffnung und Erwartung konnte allein an einen solchen Ausdruck sich knüpfen; was aber der Geist der Weissagung meinte, der die Verheißung gab, das können wir erst erkennen, wenn ihre geschichtliche Erfüllung vor uns liegt. Und so werden wir denn also auch dieses Wort des Propheten nur auslegen in dem Lichte des Evangeliums.
Ehe wir aber dazu schreiten, an jenen Namen des Kindleins in den Worten der Weissagung uns seine Beschaffenheit deutlich zu machen, so lasset uns noch einmal uns zurückversetzen in die Zeiten, wo das Kind, auf dessen Schultern die Herrschaft der Welt liegt, noch nicht geboren war. Sehet ihr dort vor dem Marmor, dort vor giftigem Ungeziefer der Erde den Menschen anbetend niederknieen - den Menschen, nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen? Sehet ihr dort die Altäre rauchen von dem Blute geopferter Kinder? Sehet ihr der Weltweisen Kampfe und wie jeder Fund des Einen durch den des Andern zu Grabe getragen wird? Sehet ihr die Wollust, den Neid, die Rachgier, die Blutschande, die Empörung, wie sie Familien und Geschlechter durchschreiten - als Sünde unerkannt? - Wie dort einsame Greise und gattenlose Frauen den trostlosen Blick über das Grab schicken in eine Ewigkeit, in der keine Heimath ist? Sehet ihr den sinnenden Weisen an dem Strome der Geschlechter stehen mit seinem erstaunten: Woher? - mit seinem noch erstaunteren: Wohin? Es ist die Welt, wie sie war am Anbeginn, wüst und leer, als das Schöpferwort noch nicht gerufen hatte: es werde Licht! Und siehe: Ein Kind ist uns gegeben, deß Name ist Wunderbar. Vor allem Andern, was des Sehers Stimme ausspricht, verkündigt sie euch, daß eine Welt der Wunder vor euch sich aufthun soll. Und ihr wolltet davor zurückschrecken? Also seid ihr würklich bereits in dem Grade an den Alltagsgang des Lebens gekettet, daß das Wort Wunder euch erschreckt? O daß sie wiederkehrten die Tage eurer Kindheit, wo der Glanz der Sonne am Firmament, wo der Blumenschmelz und der flatternde Schmetterling allzumal euch Ein großes Wunder dünkte und doch noch darüber hinaus euer Kindesherz nach noch größern Wundern sich sehnte, so daß eure Seele dürstend an der Lippe der Mutter hing, wenn sie von dem geöffneten Himmel euch erzählte, aus dem ein Gotteskind herabgestiegen mit Gaben für alle guten Kinder.
Den süßen Kinderglauben,
Sie wollen ihn euch rauben
Die Weisen dieser Zeit.
So raubet ohn' Erbarmen
Den Wanderstab dem Armen
Die Hand, die keinen bessern beut.
Was wollt ihr mir denn geben
In diesem armen Leben?
Womit denn tröstet Ihr?
Sehet da die Frage, worauf die Antwort ausbleibt. Ihr, die ihr die kindliche Freude und den kindlichen Durst nach dem Wunder verloren habt, glaubt mir, in aller eurer jetzigen Weisheit seid ihr ärmer, als ihr damals waret. Das Ende aller Weisheit verkündet gleich ihrem Anfange, daß Alles Wunder ist. Und wenn nun derjenige erscheint, der mit seiner durchgrabenen Hand die Erde aus ihren Angeln hebt - da wollet ihr euch wundern, wenn das größte aller Wunder mit kleineren Wundern umgeben ist? Wunderbar ist das Kind, dessen Geburt wir feiern werden, in seinen Werken, wunderbar ist es in seinem Wesen. Spreche ich hier von der Wunderbarkeit der Werke, meinet nicht, daß ich darauf euch hinweisen will, was jedem von euch gegenwärtig ist, wie er umhergegangen und den Blinden die Hand auf's Auge gelegt, und zu dem Sturme gerufen: schweige! und zu dem Todten: stehe auf! In einer früheren Betrachtung habe ich eure Aufmerksamkeit bereits darauf gerichtet, wie alle seine äußeren Wunder nur der Abglanz sind von dem, was Er an den Geistern thut. Brüder! das Reich der wahren Wunder des Gotteskindes fangt da an, wo das Menschenauge nicht mehr hinreicht. Daß er Himmel und Erde auf's Neue geschaffen, daß er auf's Neue gerufen: es werde Licht! und auf's Neue den Menschen geschaffen zu Gottes Ebenbilde: siehe da, das sind seine wunderbaren Werke! Von diesen nun einem Jeglichen unter euch eine deutliche Einsicht zu geben, ist allerdings schwer. Ich müßte euch ja hineinführen können in das verborgene Heiligthum, in welchem das Wort von der Gnade ein neues Kind Gottes geschaffen, ich müßte euch ja hineinführen können in die Gemeinschaft der Heiligen, wo der Strom des Friedens und der Liebe von Herz zu Herz fließt, und das Harfenspiel zu Ehre dessen, der alles neu macht, nicht mehr aufhört; ja hinstellen müßt' ich euch können in die vollendete Gemeinde der Kinder Gottes, von welcher der Apostel Paulus zeugt, wenn er verkündiget, daß in Allen Gott Alles seyn werde, wo die Sünde, der Tod und der Satan werden überwunden liegen vor dem Throne des Lammes. Ja, meine Freunde, das Wunder der neuen Schöpfung, welches jener Wunderbare, genannt Jesus Christus, verrichtet hat, ihr kennet es nicht, so lange euch nicht der Blick gegeben ist in das innere Reich einer gläubigen Seele, in die von der Sünde freilich vielfach noch befleckte, aber doch schon hienieden selige Gemeinschaft der Kinder Gottes, und noch vielmehr in jene vollendete Gemeinschaft seines Reiches, wo, gleichwie der Leib ausprägt die in ihm wohnende Seele, alle Gläubigen nach dem unendlich inhaltsreichen Ausspruche des Apostels, der Leib, die Erscheinung seyn werden des Einen Jesus Christus. - Wer so wunderbar seyn kann in seinem Werke, der muß wunderbar seyn in seinem Wesen. Soll der Mensch zu Gott kommen, so muß Gott zu dem Menschen kommen. Wir strecken unsere Hand aus nach dem blauen Himmel über uns und das Kind läuft nach dem Orte hin, wo es ihn zu greifen meint: senkt er sich aber nicht herab in unsere Mitte, so schlägst du vergebens Brücken, so brichst du vergebens Bahnen. Nun kann er herabkommen der Ewige, und kommt herab auf mancherlei Weise. Er wecket das Ohr seiner Diener, er erreget das Wort auf ihrer Zunge und sein Licht in ihrer Seele: aber so lange sie alle nur hindeuten können auf den, welcher jenseits der Wolken thront, so ist dem menschlichen Herzen nicht genug geschehn, ist Himmel und Erde noch nicht versöhnt. Der Jenseitige muß sich Wohnung unter uns machen, er muß unter seine Menschen treten können und sagen: hie bin ich. Er muß sprechen können: „Philippe, wer mich stehet, der siehet den Vater!“ Mit Fingern muß man auf ihn weisen können, und mit Johannes rufen: „Was wir mit Händen betastet haben, das verkünden wir euch!“ Erst dann ist die Menschheit versöhnt. Geliebte, daß in Christo die Gottheit mit der Menschheit versöhnt ist, es ist nicht bloß eine Verkündigung; ja es wäre eine Verkündigung, wäre sie auf sündiger Lippe zu uns dahergetragen worden; die Versöhnung der Menschheit mit Gott in Christo ist eine That fache: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich selber.“ Indem er, der Heilige, unser Fleisch und Blut angenommen, hat er den Zwiespalt in seinem eignen Leibe ausgeglichen und schon in seiner Menschwerdung liegt die Versöhnung unsers Geschlechtes mit Gott, wie auch der Apostel bezeugt, wenn er sagt: „Indem Gottes Sohn vom Weibe geboren wurde, und unter das Gesetz gethan, hat er die, so unter's Gesetz gethan, erlöset, auf daß wir die Kindschaft empfingen“ (Gal. 4, 4 - 5.).
Er ist Rath oder Berather. Wir brauchen alle Rath. Wer ist, der so hohen Muthes wäre und so kühner Gedanken, der in allen Stücken sich selbst rathen könnte! Ach nicht einmal in den Dingen dieses Lebens können wir's, wie sollen wir es können in den Dingen des ewigen Lebens! In diesen können wir nur rathen, aber nicht uns berathen, und gerade deshalb, weil wir in ihnen nur rathen können, bedürfen wir eines Berathers, der allen unsern Rath in zweifellose Gewißheit verwandle. Brüder, der Mensch weiß, sich selbst überlassen, nicht, was zu seinem Frieden dient; warum? weil gerade das, was zu seinem Verderben dient, er für seinen Frieden hält. Kann das Kind sich selbst rathen, welches das Gift für Zucker hält? Kann der Blinde sich selbst rathen, der gerade nach der Seite hin eine stille Ruhebank sucht, wo ein jäher Abgrund sich öffnet? Was zu unserm Frieden dient, muß uns gesagt werden. Es muß uns aber auch von Einem gesagt werden, dem wir Glauben schenken, ja der uns zwingt, ihm Glauben zu schenken; denn zuzugeben, daß das, was wir lieben, unser Tod sei, dazu wird der Mensch schwer gebracht, und möchte sich immerdar gern eines Andern bereden. Siehe, Menschheit! da steht nun ein Berather, dem du glauben mußt, wenn er dir die unglaubliche Botschaft bringt, daß jene große, breite Straße, wo die Vielen wandeln, die Straße zum Leben nicht ist, wenn er dir sagt, daß, wer sein Leben verliert, daß der es gewinne, oder wenn er dir sagt, daß die Armen und die Kinder in's Himmelreich kommen. - O es ist eine schöne Sache, einen Berather zu haben allerwege, dem man niemals mißtrauen darf, dem man blindlings nachgehen kann, und wäre es in den Tod. Aber, meine lieben Freunde, meint ihr, daß es genug sei, wenn wir einen Berather haben, der uns bloß den Weg weist? O da müßte es besser mit uns stehen, als es würklich steht! Dem Lahmen ist nichts damit gedient, wenn du ihm bloß weisest, wie man gehen muß. Balsam auf die kranken Glieder! Balsam auf die kranken Glieder! - das ist es, was er braucht. Seht, unser Herr Christus ist nun auch nicht bloß ein Berather, wie der hölzerne Wegweiser, der am. Anfange des Weges steht und seine Arme ausstreckt, aber nicht mit dir geht. Unser Herr Christus ist ein Berather, der den verirrten Kindern im Wald und auf der Höhe nicht bloß die Bahn weist, nein, der sie auf seine Arme nimmt, das Unebene vor ihnen her eben macht, beim sengenden Sonnenstrahl und strömenden Regen seinen Mantel über sie schlägt, über Ströme Brücken baut, und über Abgründe sie hinüberhebt. Wiese er uns bloß den Weg, und verließe uns alsdann, o wie schlimm wären wir daran, da er selbst gesagt hat: „Ohne mich könnt ihr nichts thun!“ Wann eine Rebe grünt, die hat es leicht, es quillt ihr ja die Kraft zu aus dem Weinstocke. In eine solche verklärte Gemeinschaft mit ihm selbst ladet er uns ein. „Ich bleibe bei euch“, sagt er -auf dem ganzen Wege. Ist nun unser Herr Christus ein solcher Berather, so versteht ihr auch erst recht das schöne Gemälde, welches er von sich als dem Hirten seiner Gemeinde entwirft, wenn er von den Seinigen sagt: „Meine Schafe gehen aus und ein bei mir und finden Weide; ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“ O kein schöneres, kein passenderes Bild für eine Menschenseele, deren Berather Christus geworden ist!
Sein Name ist Kraft und Held. Es gibt gewiß manche unter euch, welche sich selbst und der Welt von allem Uebel zu helfen für etwas recht Leichtes halten: das ist kein Wunder. Es ist ja eine häufige Erfahrung, daß die Kranken, welche nicht gern krank seyn wollen, von ihrer Krankheit als von etwas ganz Leichtem reden; jemehr aber die Einsicht in die Krankheit steigt, desto mehr steigt auch das Bewußtseyn, welch' ein schweres Geschäft die Hülfe sei. Lasset mich euch ein merkwürdiges Geständniß aus alter Zeit vorführen, aus dem Munde deß, den ihr als den Weisesten unter den Griechen verehrt. Als auf das Befragen eines seiner Freunde, wer doch der Weiseste sei unter den Griechen, der Orakelspruch ihn selbst bezeichnet, da wundert er sich, wohl wissend, wie er sagt, daß „weder im Kleinen noch im Großen“ er weiser sei als Andere, und doch „kann der Gott nicht lügen.“ Als er aber verlangend einhergeht, um ihn zu suchen, den er über sich stellen möchte, siehe da findet er nur solche, die da meinen zu wissen und nicht wissen; da geht ihm auf, warum doch wohl ihn der Gott vor Allen den Weisesten genannt habe, und er bekennt: „In der That scheint mir der Gott allein wahrhaft groß zu seyn, der mit seinem Spruche nichts anderes meint, als daß die menschliche Weisheit wenig werth sei, oder nichts.“ O ich begreife dich, großer Sokrates - groß, weil du wußtest, was dir fehlte- du verlangtest nach Einem, der da nicht bloß groß wäre wie du im Bewußtseyn dessen, was ihm fehlte, sondern dessen, was er hätte! Da er aber gekommen ist, nach dem der Weiseste Griechenlands vergebens umhergegangen war, ob er ihn finden möchte - siehe! da gehen die Weisen unserer Welt vornehm an ihm vorüber. Und doch hat auch jener Weise Griechenlands noch nicht den ganzen Umfang seiner Armuth erkannt. O wenn du mit deinem Blick noch tiefer dringst, wenn du siehst, wie nicht bloß in dir, sondern in Allen herrscht, was da dienen sollte, und dient, was da herrschen sollte, wenn man sich verschlungen erblickt in jenes grauenvolle Netz, daß nämlich das betrügliche Herz das Licht der bessern Erkenntniß gefangen nimmt, und wie wiederum der blinde Führer der Erkenntniß das schwache Herz in die Irre führet; wenn man einen Blick darauf geworfen hat, wie im Herzen der Zunder liegt, der Zunder, wo jeder Funke zündet, und wie sie von allen Seiten herumstehen und die Feuerfunken hineinwerfen; und wenn man dann den Blick von sich auf die Welt im Großen und Ganzen wirft und sieht: es ist überall derselbe Mensch; wenn man den kleinen Leidenschaften des engen Familienkreises auf dem großen Schauplatze der Welt wieder begegnet, und jene kleinen Fehler, vor denen man sich in sich selbst schämt, an jenen Geistern wieder auffindet, die von Jahrhunderten angestaunt wurden; wenn man sieht, wie jedwede von der Sünde und vom Irrthum angesteckte Vergangenheit eine irregeführte Gegenwart erzeugt, und die kranke Gegenwart ihre Krankheit wieder fortpflanzt auf das zukünftige Geschlecht: ja da fühlt man's, eine Kraft, ein Held, und kein Andrer kann die Ketten sprengen. -
Meine Freunde, ein Held ist aufgestanden. Seht ihr jenes Lamm, welches mit gesenktem Haupte dahergeht, still und heilig, und der Welt Sünde trägt? Dasselbige Lamm nennt die Schrift „den Löwen aus dem Stamme Juda“, und gegenüber der weinenden Menschheit ruft die prophetische Stimme: „Weine nicht, denn es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda!“ - Schon in unserer letzten Betrachtung habe ich euch aufmerksam gemacht, daß es der Welt eben so schwer wird, an die Größe und Macht göttlicher Gnade zu glauben, wie an die Größe unseres Falles. Daß du, mein Bruder - ich rede denjenigen unter euch an, der unter Allen, die hier im Gotteshause zusammengekommen sind, sich als den Aermsten und Kleinsten fühlt, jene blöde Seele, die sich nicht werth hält, dem Altare Gottes und der Stätte seines Hauses zu nahen, ja ich rede denjenigen in dieser Versammlung an, der der größte Sünder unter uns Allen ist, der aber Buße gethan und glaubet an das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt - daß du dürrer Baum doch einst eine blühende Pflanze im Garten Gottes werden kannst, geschmückt mit allen Früchten der Gerechtigkeit, daß du, verlorner Sohn, noch einst im Hause deines Vaters an seinem Herzen liegen sollst, mit seinem Siegelringe geschmückt und mit dem schönsten seiner Gewande bekleidet - glaubst du das? Glaubt ihr das? Glaube es nur, du verlornes Kind, glaubt es nur, ihr Jünger Jesu Christi, glaubt es; denn das Lamm, das der Welt Sünde trägt, dasselbige wird genannt Kraft und Held, und ist der Löwe aus dem Stamme Juda. Daß für diese Erde, wo das Gute das Recht hat, aber nicht die Macht, und die Ströme unschuldig vergossenen Blutes mit stummem Klageruf gen Himmel um Rache schreien; wo für unzählige gequälte Herzen erst der Gottesacker das Bette ist, auf welchem sie sich ohne Thränen niederlegen; daß für diese Erde noch eine Zeit kommen soll, wo alle Feinde liegen werden zum Schemel seiner Füße, wo Gotteserkenntniß die Erde bedecken wird, wie das Meer den Meeresboden, wo Gerechtigkeit und Friede sich küssen werden, wo der mütterliche Erdenschoß keine Todten mehr aufnehmen wird, wo die Sonne nicht mehr scheinen wird bei Tage und der Mond nicht mehr bei Nacht, sondern Gott allein die Sonne seiner Gläubigen seyn wird,- glaubt ihr es? O glaubet es, denn das Lamm, welches der Welt Sünde trägt, ist genannt Kraft und Held, und ist der Löwe aus dem Stamme Juda. Ja, meine Andächtigen, hat Gottes Geist uns überführt von der Größe unseres Verderbens und des Verderbens der Welt, so ist es andererseits auch Christenpflicht, an die Heldenkraft Jesu Christi zu glauben, der früh oder spät auch in uns herrschen und siegen wird, herrschen und siegen wird über alle Thronen und Gewaltigen der Welt, die seinem Namen sich entgegensetzen. (Phil. 2, 10. 11.). Verbunden mit Christo, dem Sieger, geht der Christ mit diesem Siegerbewußtseyn in den Kampf, das macht ihn fröhlich und muthig. Und wer schon am Anfange des Kampfes unzweifelhaft des Sieges gewiß seyn kann, der siegt.
O Durchbrecher aller Bande,
Der du immer bei uns bist,
Und bei dem selbst Schmach und Schande
Lauter Lust und Himmel ist:
Du allein mußt uns vollenden.
Willst und kannst auch anders nicht,
Denn wir sind in deinen Händen,
Dein Herz ist auf uns gericht‘.
Herrscher herrsche, Sieger siege,
König, brauch dein Regiment,
Führe deines Reiches Kriege,
Bis dein Arm sein Wert vollende! „
Ewigvater, das ist der fünfte der Namen, die das Kindlein führt. Auch so manche von denen, die an Christum glauben, denken sich dennoch unter dem, was er gethan, nur ein vorübergehendes Werk. Dort vor 1800 Jahren hat er in Palästina eine schöne und tröstliche Lehre gegeben, hat dort gelebt und gelitten und ist wieder zurückgegangen in den Himmel, von dem er herabgestiegen - das ist alles, was sie von ihm zu sagen wissen. Die ihr solches meinet, ihr habt die unendlich hohe Lehre der Schrift von der Gemeinde und vom Reiche Gottes noch nicht verstanden. Räthselhaft ist vielleicht Manchem von euch in den Briefen des Apostels die Rede entgegengetreten von einem Leibe, den sich Christus bereitet hat in seiner Kirche. Wie? die Kirche Christi ein Leib Christi? O Gemeinde der Christen, fasse die Höhe deiner Bestimmung! Nachdem der Herr leiblich seine Jünger verlassen hat, war er wiedergekommen, wie er es verheißen, durch den Geist. Indem er sie allesamt vereinigte in der Liebe und sie allesamt beseelend erfüllte, machte er sie zur Erscheinung seiner selbst, gleichwie alle Glieder des Leibes durch die Seele verbunden sind zu Einem Leibe, in welchem die Seele sich abspiegelt und wirksam erweiset. Ist aber dies das Bild einer Gemeinde des Herrn, einer christlichen Kirche - o, werdet ihr sagen, wer kann bei dem, was unsere christliche Kirche jetzt ist, auch nur erinnert werden an das, was nach dem Willen des Herrn sie sein sollte? Einen großen Leichnam - sagt ihr - sehe ich, starr, kalt und bleich; was in vielen seiner Glieder als Leben erscheint, es ist das Leben der Verwesung selbst, das seine Glieder auflöst; nur mitten unter sterbenden Gliedern noch hie und da ein lebendiges, das mit Mühe den Tod von sich abwehrt, oder Lebensfrische in die erstorbenen Theile um sich her zu verbreiten sucht. Ich will nicht untersuchen, ob nicht in diesem Gemälde, welches ihr darstellet, der Tod mit allzu starken Farben gezeichnet sei: aber gesetzt, es wäre nicht der Fall, siehe, auch dieser Todte wird einst auferstehen! Es wird die Zeit kommen, wo die Stimme ruft: „Siehe da, eine Hütte Gottes unter den Menschen,“ unter denen, die von ihm sich erwecken lassen. - Ja, darum führet unser Herr und Erlöser den Namen eines ewigen Vaters seiner Gemeinde, dieweil sein Geist hindurchwallen wird durch alle erstorbenen Glieder und einst aus allen, welche ihn aufgenommen haben in Fleisch und Blut, einen großen Leib seiner Erscheinung sich bilden wird, in welchem er walten wird von Ewigkeit zu Ewigkeit; denn auch dann noch, wenn in der Gemeinde der Heiligen Gott wird Alles in Allen seyn, werden sie alle dieses Leben Gottes in ihnen zurückführen auf den, von dem sie es empfangen haben, auf Jesum Christum, das Haupt der Gemeinde, so daß er in alle Ewigkeit der Vater und Erzeuger bleiben wird der neuen Schöpfung im Reiche Gottes.
Friedefürst, das ist der letzte der Namen, mit welchen die Weissagung ihn belegt. Friede auf Erden verkündeten die Engel, als er geboren wurde, Fürst des Friedens nennt ihn die alte Weissagung. Friede wird ertönen, wenn einst am Vollendungstage gerufen wird: “ Siehe! ich mache alles neu!„ Es sind wohl noch gar manche unter euch, welche die Noth, die Stürme und die thränenvollen Tage mit durchlebt haben, welche derselbige Krieg über unser Vaterland gebracht hat, durch den Gott es aus dem geistigen Schlafe auferweckte. Wie war euch damals zu Muthe, nachdem am Ende der vielen unruhvollen Tage das Wort erscholl und von tausend Lippen wiedertönte: es ist Friede! O, es ist ein überaus schwaches Abbild davon, wie es der Seele zu Muthe ist, welche nach allen unruhvollen Jahren eines Lebens ohne Gott endlich Christum erkannt hat und ausrufen kann: Nun ist es Friede! - Aber selbst diese Wonne, welch ein unendlich schwaches Abbild ist sie davon, wie dann uns zu Muthe seyn wird, wenn weithin durch die ganze versöhnte Menschenwelt der Ruf erschallen wird: es ist Friede! O ich fürchte, daß mancher von uns an den Krieg nur zu sehr gewöhnt ist, um von solcher Zeit des Friedens auch nur eine Ahnung zu haben. Ein Menschenherz, was nicht mehr im Streite mit Gott und nicht mehr im Streite mit sich selbst ist, wo alle Gedanken nur auf den Einen gehen, und alle Wünsche nur in dem Einen Erfüllung finden; eine Familie, wo jedweder dem Andern sich unterordnet in der Liebe, und jeder will, was sie alle wollen; ein Staat, wo in denen, welche gebieten, wie in denen, welche gehorchen, der König aller Könige herrscht, und aller Verkehr der Menschen die Seligkeit des Gebens und Nehmens ist in der Liebe; eine Menschheit, die nur Ein Leib ist durch das Band der Liebe und von Einem Geiste des Lebens geleitet und getrieben, dem Geiste Jesu Christi - was gilt's? es dünkt euch das alles als ein schönes, aber ein leeres Ideal. O ihr Armen! man erzählt von manchen von denen, welche während der Leiden des dreißigjährigen Krieges Knaben wurden und Jünglinge und Männer, und kein anderes Leben gesehen hatten, als das im Kriege, daß sie sich nicht mehr vorstellen konnten, daß es nun jemals wieder Friede würde: ihr gleichet jenen Unglücklichen. Glaubt mir, der Krieg und der Streit, er gehört nicht zum Wesen der menschlichen Natur, und ich weiß es - ob es gleich Manchem Thorheit dünken mag, was von jenem Friedensfürsten, der allem Hader ein Ende macht, die christliche Kirche glaubt - ich weiß es, ein leises Sehnen nach einem solchen geht doch durch euer Aller Herzen, und eure Seele verlangt danach: o daß es Wahrheit wäre! Nun denn, der, welcher diesen Hunger in eure Seele gelegt hat, soll der keine Speise haben, ihn zu stillen? Siehe, in deine Brust ist eine Weissagung auf einen Erlöser der Welt gelegt, die du nicht hinwegstreiten wirst, auch wenn du allen prophetischen Stimmen des Alten Bundes dein Ohr verschlössest. Wage es zu glauben, daß der, welcher den Hunger nach einem Gute, das über die ganze sichtbare Welt hinausliegt, in deine Seele legte, auch Brot hat, ihn zu stillen!
O daß Keiner unter uns wäre, der, wenn nun die christliche Kirche in diesen Tagen ihr fröhliches Fest feiern wird der Geburt des Kindleins, auf dessen Schultern die Herrschaft liegt, sich ausschließen müßte aus der Schar der kindlich Dankbaren und Fröhlichen!