Tholuck, August - 1. Kön. 19,1-13 Die Wahrheit „Der Herr ist nicht im Sturm und Ungewitter“ in ihrer Anwendung auf das Verhalten Gottes zu den Menschen.
Der Text, den wir unserer heutigen Betrachtung zu Grunde legen, findet sich 1. Könige 19,1-13. “Und Ahab sagte Isebel an Alles, was Elia getan hatte, und wie er hätte alle Propheten Baals mit dem Schwerte erwürgt. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia, und ließ ihm sagen: Die Götter tun mir dies und das, wo ich nicht morgen um diese Zeit deiner Seele tue, wie dieser Seelen einer. Da er das sah, machte er sich auf, und ging, wo er hinwollte, und kam gen Berseba in Juda, und ließ seinen Knaben daselbst. Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise, und kam hinein, und setzte sich unter eine Wacholder, und bat, dass seine Seele stürbe, und sprach: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser, denn meine Väter. Und legte sich, und schlief unter der Wacholder. Und siehe, der Engel rührte ihn, und sprach zu ihm: Stehe auf, und iss. Und er sah sich um, und siehe, zu seinem Haupte lag ein geröstet Brot, und eine Kanne mit Wasser. Und da er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des Herrn kam zum anderen Mal wieder, und rührte ihn und sprach: Stehe auf und iss: denn du hast einen großen Weg vor dir. Und er stund auf, und aß und trank; und ging durch Kraft derselben Speise vierzig Tage und vierzig Nächte, bis an den Berg Gottes Horeb. Und kam daselbst in eine Höhle, und blieb daselbst über Nacht. Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm, und sprach zu ihm: Was machst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert um den Herrn, den Gott Zebaoth; denn die Kinder Israel haben deinen Bund verlassen, und deine Altäre zerbrochen, und deine Propheten mit dem Schwerte erwürgt; und ich bin allein überblieben, und sie stehen danach, dass sie mir mein Leben nehmen. Er sprach: Gehe heraus, und tritt auf den Berg vor den Herrn. Und siehe, der Herr ging vorüber, und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss, und die Felsen zerbrach, vor dem Herrn her: der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Winde aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles sanftes Sausen. Da das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel, und ging heraus, und trat in die Türe der Höhle.“
Meine Andächtigen, ich habe in der verwichenen Festzeit diesen Text des Alten Testaments der christlichen Andacht zu Grunde gelegt, und wir haben die Wahrheit: „der Herr ist nicht im Ungewitter, sondern im stillen, sanften Säuseln“ in Bezug auf die Erscheinung Jesu Christi in der Welt betrachtet. Schon damals sagte ich, dass ursprünglich jene sinnbildliche Offenbarung Gottes, von der unser Text spricht, etwas Anderes anzudeuten bestimmt gewesen sei, dass ihre Bestimmung gewesen, jenen feurigen Mann Gottes, welcher bei der Glut seines Eifers den Glauben, die Liebe und die Hoffnung verloren, darauf aufmerksam zu machen, dass nicht in jedwedem Sturm und Ungewitter des Eifers der Herr sei. Wie aber so manche Tatsachen, so manche Worte der heiligen Schrift gleich einem Diamant nach vielfach verschiedenen Seiten hin Strahlen senden, so, sagte ich, sei es auch mit diesem Text, in vielfacher Hinsicht bestätige sich das Wort: „der Herr ist nicht im Ungewitter, sondern im sanften Säuseln.“ Lasst es uns denn heut in einer anderen Anwendung betrachten, lasst uns die Wahrheit „der Herr ist nicht im Sturm und Ungewitter“ mit Anwendung auf das Verhalten Gottes zu den Menschen betrachten.
Zuerst nun, meine Freunde, wenn wir unter Sturm und Ungewitter die Zeiten verstehen, wo Gott dem Menschen auf eine Weise nahe kommt, die mit Schreck und Untergang verknüpft ist, so dürfte es uns zweifelhaft erscheinen, ob wir jenes Wort auf das Verhalten Gottes zu den Menschen anwenden können. Denn wer zählt es, wie oft in der Weltgeschichte, wie oft in der Geschichte der christlichen Kirche der Herr gekommen ist im Schrecken und Untergange? wer besinnt sich nicht, wie viel seltener auch in seinem eigenen Leben die Zeiten sind, wo der Herr bei ihm eingegangen, bei sanftem linden Sonnenschein, denn jene anderen, wo er kam, als die Stürme brausten, und die Wolken des Ungewitters aufgezogen waren? Allerdings, meine Freunde, ist es wahr, der Herr kommt auch im Sturm und Ungewitter zu den Menschen, gleichwie ja auch Christus das erstemal erschienen ist im sanften Säuseln, aber eben so gewiss auch einst wiederkommen wird im Sturm und Ungewitter. Dennoch setzen wir hinzu: „eigentlich aber kommt der Herr nur im sanften Säuseln.“ Wenn nämlich unser Text uns auf die Wahrheit leitet: „Der Herr ist nicht im Sturm und Ungewitter,“ so kann dies nur in dem Sinne gemeint sein: „er ist nicht sowohl im Sturm,“ als vielmehr im sanften Säuseln - gleichwie ihr in der heiligen Schrift oftmals ausschließlich verneinende Aussprüche findet, welche ihr mit dieser Beschränkung zu verstehen habt, wie wenn es heißt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ oder: „Wenn du ein Gastmahl machst, so lade nicht deine Freunde, sondern lade die Armen, Krüppel, Blinden, Lahmen.“ Darum lasst uns also zuvörderst die Wahrheit betrachten, dass der Herr im Sturm und Ungewitter ist und kommt, und dann wiederum, dass er eigentlich kommt im sanften Säuseln; und zwar lasst diese Wahrheit uns zuerst erwägen in Bezug auf die Menschheit und die christliche Kirche im Großen und Ganzen, und dann in Bezug auf jeden Einzelnen.
1)
Der Herr ist und kommt im Sturm und Ungewitter, das sagt uns die Geschichte der Welt und die Geschichte der Kirche im Ganzen und Großen. Scheint es doch mit der Menschheit zu sein, wie mit der Sanduhr, die nach etlichen Zeiten wieder umgekehrt werden muss, wo sie gehen soll. Staunend und anbetend stehen wir im Frühlinge, und sehen zu, wie aus dem dunklen Erdenschoß, und aus der Verwesung ein junges Leben seine Flügel hebt, und durch die schwere Scholle hindurchgedrungen, fröhlich dem Himmel entgegenwächst. Ein nicht minder heiliges Staunen sollte den Menschen gegenüber jenen Epochen der Geschichte ergreifen, wo die Erde auf einmal grauenhaft ihren Mund auftut, ganze Geschlechter verschlingt, wohl ein Jahrhundert lang den Mund geschlossen hält, und dann wider alles Menschenerwarten eine junge Schöpfung aus dem Dunkel hervorsteigen lässt. Ich erinnere euch an jenes Eine Faktum: Zur Zeit als die Sanduhr der heidnischen Welt abgelaufen war, und zum Erstaunen der Kinder jenes Geschlechts das ferne Morgenland sich auftat, und Scharen an Scharen wilder Nationen wie Fluten des Ozeans heraussendete, da erblassten die Geschlechter der Menschen, und es war die allgemeine Stimme, was ein Kirchenvater jener Zeit uns ausspricht: „die Menschheit habe das Greisenalter erreicht, und werde das Haupt für immer in das Grab legen,“ und siehe: auf dem Gottesacker, wo das alte Griechenland und Rom damals begraben wurde, hat sich der Mund der Erde kaum ein Jahrhundert geschlossen, da war eine neue Schöpfung hervorgegangen, und Reiche christlicher Völker. Der Herr war gekommen im Sturm und Ungewitter. -
Noch deutlicher mag die Geschichte der christlichen Kirche euch dieses zeigen. Auch hier lasst nur an Eine Tatsache mich euch erinnern. Sturm und Ungewitter mancherlei Art sind über Christi Kirche hereingebrochen von Anfang an. Die Scharen der verschiedenartigsten Irrlehrer, gleich nach dem Schluss des ersten apostolischen Zeitalters - jener Kaiser, den sie den Abtrünnigen nannten, und der den Namen des Galiläers in das Dunkel, aus dem er entsprungen war, zurückstoßen zu wollen sich unterfing - die wilden heidnischen Horden, welche das Morgenland ergoss, die Herrschaft jener Kirchenhäupter, welche, statt Häupter der Kirche zu sein, giftige Schwären waren an ihrem Leibe. Und was sind alle die Stürme und Ungewitter gegen den Sturm, der seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts gegen das alte Gemäuer der Kirche anbrauste, dass laut das Hohngelächter erschallte, wenn ein Stein nach dem anderen herabstürzte. Nicht war es ein einzelner Teil der Kirche, der hier angegriffen wurde, nicht war es rohe Gewalt, nicht die äußere Drangsal, mitten aus dem inneren Schoß der Kirche heraus erhob sich riesenhaft der schrecklichste aller Glaubensfeinde - der Zweifel. Und die zu Pflegern des Heiligtums Bestellten, die waren es, welche die innersten Grundfesten des Gebäudes erschütterten, das 18 Jahrhunderte lang den Pforten der Hölle und dem Strome der Zeiten widerstanden hatte. An den Thronen, unter den Edlen des Volkes, unter den
Priestern der Gemeinde Gottes hatte das Werk der Zerstörung seinen Anfang genommen, und in diesen unseren Tagen werdet ihr erst gewahr, wie es den Weg gefunden hat in die Arbeitsstätte des Handwerkers, in des Landmanns stille Hütte. „Sie hat sich überlebt die Religion des Nazareners“ - das war das Losungswort. Unter den Dienern der Religion selbst sind damals Stimmen laut geworden, welche den Zeitpunkt als nahe prophezeiten, wo jener Altar veröden würde, und dieser Tempel Christi würde geschlossen werden müssen. Und wahrlich, so mochte es den Anschein haben, als nun gar jener Herrscher mit eisernem Fuße über die Häupter der Könige und Völker einher schritt, dem kein anderer Wille heilig war, als sein eigener, und alle Nationen sich beugen mussten unter den Zepter jenes Volkes, das nur ein Jahrzehnt früher auf das Kruzifix geschrieben hatte: „Unser vormaliger Erlöser!“ und über seine Gottesäcker: „Der Tod ist ein ewiger Schlaf!“ - Wer es beim Anfang dieser Gräuel hätte weissagen wollen, dass in noch nicht fünfzig Jahren der Monarch des größten protestantischen Staates auf dem Festlande Europas durch eine Liturgie, welche die alte christliche Lehre aufs Neue befestigt, die Kirche bauen würde; dass Gesellschaften zur Verbreitung der heiligen Schrift beinahe in jeder größeren Stadt des Vaterlandes das Wort Gottes in Tausenden von Abdrücken aussäen würden, dass in jener Hauptstadt, wo die stärksten Hebel am Umsturz des christlichen Kirchengebäudes gearbeitet hatten, die geistvollsten Männer als Herolde des Glaubens auftreten würden, dass an sechshundert Zeugen des Gekreuzigten unter die Heiden ausgehen würden, Christum zu predigen - für einen Toren wäre er gehalten worden, der dieses geweissagt hätte, nicht minder, wie derjenige, der damals unter dem Kreuzespfahle, an welchem der Nazarener sein Leben aushauchte, geweissagt hätte, dass in tausend Jahren durch die ganze gebildete Welt hin dies Kreuzesholz das Symbol des Segens werden würde. Der Herr hat es getan - es ist wunderbar vor unseren Augen! Fürwahr Freunde, ihr seht: auch da ist der Herr im Sturme und Ungewitter gekommen! Und in unserer eigenen Stadt - wohl mag es noch weit hin sein, bis auch für unsere Stadt die Zeit kommen wird, wo unsere Kirchen werden gefüllt sein, wie sie es im Jahre siebzehn hundert vier und dreißig waren, wo die Früchte christlichen Glaubens und christlicher Barmherzigkeit von dem Volke derselben werden gebracht werden, wie in Franckes Zeit, wo die Gebildeten in ihren Gesellschaften kein schöneres Thema der Unterhaltung kennen werden, als den Segen des christlichen Glaubens, wo die Scharen der Jünglinge, welche für das geistliche Amt sich rüsten, wie Timotheus, Gottesmenschen sein werden, Vorbilder im Glauben, in der Liebe, in der Keuschheit, im Wandel. Dass aber auch für unsere Stadt aus der Zeit jenes Sturmes ein neues Leben hervorgehen werde, das dürfen wir ja hoffen, wenn wir auch nur an die Erfahrung uns halten wollen, dass, was einer ganzen Zeit gemeinsam ist, auch in irgend einem Maße den Einzelnen ergreift. - Wer aber etwa noch unter euch wäre, der bis zu dieser Stunde sich noch gar nicht hätte berühren lassen von dem neuen Geiste des Glaubens, o dem lasst mich mit dem Erlöser das warnende Wort zurufen: „Des Abends sprecht ihr, es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot, und des Morgens sprecht ihr: Es wird heute ein Ungewitter sein, denn der Himmel ist rot und trübe: Ihr Heuchler, des Himmels Gestalt könnt ihr beurteilen, könnt ihr denn nicht auch die Zeichen dieser Zeit beurteilen?“ So sind denn also auch für die christliche Kirche die Zeiten des Sturmes und Ungewitters die Zeiten, wo der Herr kommt, um etwas Neues und Großes zu schaffen.
Der Herr ist und kommt im Sturm und Ungewitter. Das zeigt uns auch des Einzelnen Leben.
Wohl spricht die Schrift Röm. 2. aus, dass „Gottes Güte uns zur Buße leiten soll.“ Wie viele von denjenigen unter uns, welche ernste Gottesfurcht kennen, mögen wohl aber durch Gottes Güte dazu geführt worden sein? Wahrlich bei Vielen, zu den Meisten, ist der Herr zuerst gekommen im Sturm und Ungewitter. Das Gebet, das rechte Herzensgebet ist doch eine Hauptsache im Christentum. Was gilts, bei weitem die Meisten von euch, die recht beten können, sind durch Sturm und Ungewitter dazu geführt worden. Ist's nicht so, dass, wenn die Sonne über uns scheint, und wir ihre milde Wärme empfinden in unserem Leben, wir unter dem milden Scheine hingehen, und fragen gar nicht einmal, woher er kommt? Weil er uns behagt, meinen wir, es muss so sein. Und sagt man auch: „das tut der liebe Gott,“ so ist auch das eine bloße Formel geworden. Erst wenn die Ungewitter kommen, die uns nicht behagen, da sieht man sich um, und fragt: woher kommt uns dies? Für das Christenauge freilich geht von jedem Ereignisse des Lebens ein Faden nach den Wolken, daran es hinaufsteigt zu dem Urquell, wo alle Gaben enden und beginnen. Das Auge des natürlichen Menschen sieht aber den Faden nicht, so lange die Sonne scheint; nur wenn es Nacht ist, und Blitze die Nacht durchreißen, da sieht es den Faden, da erst und nicht früher, steigt das träge Herz hinauf. O welch ein Bild des Menscheuherzen ist in dieser Beziehung die Geschichte Israels. Was dort Mose in seinem Scheidegesang spricht: „Der Herr fand ihn in der Wüste, in der dürren Einöde, und wie ein Adler ausführt seine Jungen, und über ihnen schwebt, so breitete er seine Fittige aus, und nahm ihn, und trug ihn auf seinen Flügeln, und nährte ihn mit den Früchten des Feldes, und ließ ihn Honig saugen aus den Felsen und Öl aus den harten Steinen. Da er aber fett und satt ward, ward er übermütig. Er ist stark geworden, und hat den Gott fahren lassen, der ihn gemacht hat.“ Wie bestätigt sich das durch das ganze Geschlecht des Volkes hin, wie bestätigt sich das aber auch in unserer Aller Geschichte! Wie David von sich bekennt: „Ehe ich gedemütigt war, da irrte ich, nun aber, Herr, halte ich an deinem Worte,“ so bekennt die Mehrzahl der Christen: „so lange du deine Blitze und Donner zurückhieltest, Ewiger, da irrte ich; erst als sie mich zu Boden geworfen hatten, da merkte ich auf dein Wort, und habe es erfahren, dass der Herr im Sturm und Ungewitter zu den Menschen kommt.“ Und das geschieht nicht bloß bei der ersten Umkehr und Bekehrung, ach, ist es nicht eine allgemeine Erfahrung, dass uns der Stern des Glaubens niemals heller leuchtet, als wenn es Nacht um uns her ist? und dass der Boden unsers Lebens niemals bessere Früchte bringt, als wenn Sturm und Ungewitter darüber gegangen? Was anders ist der Grund, warum auch ihr erfahreneren Christen, wenn ihr zurück blickt auf eure vergangenen Tage, an die Tage des Sturmes und Ungewitters wahrlich nicht mit geringerem Danke zurück denkt, als an die Friedenstage, denn „alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein, aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind.“
Dennoch, meine Geliebten, ist es gleich wahr, dass der Herr im Sturm und Ungewitter kommt, dennoch ist sein eigentliches Kommen ein sanftes Säuseln. Was verstehen wir darunter, wenn wir von seinem eigentlichen Kommen sprechen? Darunter verstehen wir dasjenige Kommen, wie er in alle Ewigkeit hinein kommen wird, und bleiben bei seiner verklärten Gemeinde. Wenn das Wesen der Welt vergeht, wie die Schrift sagt, so vergeht ja damit auch die ganze Art und Weise, wie der Herr in dem Laufe einer Welt, wo die Sünde und der Tod herrscht, zu den Seinigen sich zu stellen pflegt, und zu ihnen kommt, und, wie er in alle Ewigkeit hinein, wo die Sünde und der Tod nicht mehr ist, zu ihnen sich verhalten wird, das muss die rechte Art und Weise sein, die rechte und eigentliche Offenbarung Gottes an den Menschen. Lasst uns vernehmen, wie der heilige Seher in seiner Offenbarung diese letzten Tage schaut, wenn er spricht: „Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmückte Braut ihrem Manne, und hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: siehe da eine Hütte Gottes bei den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“ So wird es am Ende sein, wie stiller Sonnenstrahl wird er hernieder kommen, leise und heilig, und alle Menschenherzen werden Blumen sein, die ihm stille halten, und den Sonnenstrahl trinken unverrückt und unverwendet; denn „Gott wird Alles in Allen sein.“ Was aber dereinst in der Fülle und Vollendung der Ewigkeit sein wird, dasselbe bahnt sich an mitten in dem Wandel der Zeit, das Reich Gottes ist schon da unter denen, die das Siegel tragen: „der Herr kennt die Seinen“, und zu den Christen seiner Zeit ruft Paulus 2 Kor. 6,16.: „Ihr aber seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie denn Gott spricht: ich will in ihnen wohnen, und in ihnen wandeln, und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein.“ So ist denn schon jetzt im Allgemeinen der christlichen Kirche, und in jedem einzelnen Christenherzen das rechte und eigentliche Kommen des Herrn da, wo er still und leise kommt, wie der Sonnenstrahl oder der Thau in der Nacht, und die Herzen ihm stille halten. Und wo also der Herr kommt, da erst bekommt man den rechten Eindruck von der Natur des christlichen Lebens und Wesens. Wollt ihr ein Bild dieser Art aus der christlichen Gemeinde im Großen und Ganzen haben, so werft einen Blick auf jene schöne Zeit, wo nach der ersten Ausgießung des Geistes die Drangsal der Verfolgung noch nicht hereingebrochen war, und die Gemeinde des Herrn sich in der Stille baute. Da lest ihr Apostelgesch. 2,42-47.: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, und in der Gemeinschaft, und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam auch alle Seelen Furcht an, und geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig waren geworden, waren bei einander, und hielten alle Dinge gemein. Ihre Güter und Habe verkauften sie, und teilten sie aus unter Alle, nach dem Jedermann Not war. Und sie waren täglich und stets bei einander einmütig im Tempel, und brachen das Brot hin und her in Häusern. Nahmen die Speise, und lobten Gott mit Freuden und einfältigen Herzen, und hatten Gnade bei dem ganzen Volk. Der Herr aber tat hinzu täglich, die da selig wurden, zu der Gemeinde.“ O seliger Anblick, eine Gemeinde zu schauen, die also im milden Sonnenstrahl von oben grünt und blüht, in der Kraft des Glaubens und der Liebe. Mancher unter uns, dem der Blick in eine solche Gemeinde vergönnt wäre, möchte vielleicht wie vor einem verschlossenen Geheimnisse stehen bleiben; aber Manchem, Manchem würde auch das Herz aufgehen, also dass er mit Petrus rufen möchte: „Herr, hier ist gut sein, hier lass uns Hütten bauen!“ „Siehe da, eine Hütte Gottes unter den Menschen“ würde er ausrufen - o dass ich einer von ihnen würde! Eine solche Zeit, wo der Herr im stillen Säuseln unter den Seinigen waltet, seht ihr abermals im Ganzen der christlichen Kirche, nachdem die letzten Donner des dreißigjährigen Krieges verhallt waren. Das waren die Zeiten, wo die Männer Gottes, ein Arndt, Spener, Francke den Garten des Herrn bauten, wo ihre Schüler in alle Teile der evangelischen Welt ausgingen, und die Lande wässerten; da leuchtete eine milde Frühlingssonne, und der Herr kam im stillen Säuseln, und ließ die Gemeinde seine erquickende Nähe fühlen. Wer auf die Gemeinden hinblickt, die sich damals bauten in der Stille und in der Kraft, der wird etwas von der rechten Natur des Reiches Gottes inne.
Und auch bei einem Jeden von uns, meine lieben Freunde, zeigt sich das rechte Kommen des Herrn als ein Kommen im stillen Säuseln. Wohl werden wir auch da seine Nähe inne, wenn wir unter Donner und Blitz aus dem alten Schlafe erwachen in den Tagen und Stunden, wo der Herr sich aufmacht, um im Ungewitter Rechnung mit uns zu halten, wie mit Hiob, und zu uns spricht: „Gürte deine Lenden wie ein Mann, ich will dich fragen!“ Dass aber die Gemeinschaft mit Christo eine Mitteilung ist der Kräfte der zukünftigen Welt, was das rechte Geheimnis des in Gott verborgenen Lebens sei, das geht uns doch nur auf, wenn Sturm und Ungewitter vorüber ist, und im sanften Säuseln göttlicher Gnade das Wort zu uns hernieder klingt: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben,“ und von uns das Gebet hinauf klingt: „Abba, lieber Vater, durch Gnaden bin ich selig worden!“ Freilich bilden diese Erfahrungen, wenn ihr sie euch in ihrer ganzen Fülle und Herrlichkeit denket, auch im Leben des wiedergebornen Christen nur die Festtage und Sabbate. Sabbate hat aber die Woche nur Einen, und Werkeltage sechs. Viel öfter geht auch das Leben des erwachten Christen noch immer in Zeiten hin, wo der Herr im Sturm und Ungewitter kommt.
Aber es wird auch allmählig anders, und bei Manchem schon in kurzer Zeit. Es kommt dahin bei dem Jünger des Herrn, dass der Sabbattage mehr werden, als der Werkeltage; ja es kommt dahin, dass jeder Werkeltag, auch der der sauersten Arbeit, etwas von einem sabbatlichen Glanze erhält, und nur, wo dieses der Fall ist, Geliebte, da wird der Christ selbst seines Christentums froh, da wird sein Christentum für Andere ein Gegenstand ernster Sehnsucht. Dass so Manche sich vor einem ernsten Christentum fürchten, o gewiss, ich habe den eigentlichen Punkt getroffen, wenn ich ausspreche, dass es darum ist, weil sie sich nur ein Leben des Trübsinns und der Ungewitterwolken darunter denken. Und allerdings hat auch bei Manchen das Christentum diesen Anstrich, und wo diese trübselige Gestalt für das Höchste erklärt wird, wo sie von Allen verlangt wird, dies ist es, was das biblische Christentum als einen falschen, sauersehenden Pietismus verwirft. Allein ihr, die ihr nur von dieser finsteren Gestalt wisst, o ihr seid noch nicht in das Heiligtum des christlichen Glaubens eingedrungen. Allerdings sagt unser Herr: „Wer nicht sein Kreuz trägt, und mir nachfolgt, der kann mein Jünger nicht sein“, und das kann Schrecken machen; aber hat nicht auch derselbe Heilandsmund gerufen: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken?“ Allerdings klingt das Wort hart: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist;“ aber habt ihr nicht gehört, was der Jünger ruft, welcher mehr als achtzig Jahre in seinem Dienste gestanden: „Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer“? -
Gleichwie ihr in diesen Schrift Worten eine zwiefache Wahrheit ausgedrückt findet, oder vielmehr eine und dieselbige Wahrheit von zwiefacher Seite dargestellt; so hat ja auch die christliche Kirche in ihren Liedern beides ausgedrückt. Einmal singt sie mit gedämpfter Stimme:
Es kostet viel ein Christ zu sein,
Und nach dem Sinn des reinen Geistes Leben.
Denn der Natur geht es gar sauer ein,
Sich immerdar in Christi Tod zu geben!
Und ist hier gleich ein Kampf wohl ausgericht'.
Das macht's noch nicht -
Aber wiederum erhebt sich fröhlich ihre Stimme, und ruft:
Das wahre Christentum ist wahrlich leichte.
Ja, wenn uns Jesus nicht die Hände reichte,
So könnte man von Schwersein sagen;
Allein Er hilft die Last beständig tragen.
Darum so vertrauet nur kühn darauf: Wenn auch bei euch Sturm und Ungewitter sich einstellt, es sind Vorboten, Vorboten, dass das sanfte Säuseln nachfolgen wird. Seid treu, ihr Christen, in den Werkeltagen, die euer Herr euch auferlegt, so wird er euch auch aushelfen zu einem unvergänglichen Sabbat! -