Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die sechste Bitte - "Führe uns nicht in Versuchung."
„Ich bitte Gott, Er wolle uns aus allen Gefahren, geistlichen und leiblichen, retten, und uns behüten vor aller Sünde und Gottlosigkeit.“
Diese Bitte steht an der rechten Stelle, denn sie folgt unmittelbar nach der Bitte um Vergebung der Sünden. Haben wir Frieden gefunden und das Zeugnis des Heiligen Geistes empfangen, dass wir wahrhaftig Gottes Kinder sind, von Gott geliebt und Ihm wohlgefällig um Jesu Christi willen; so sind wir damit keineswegs aller Gefahr enthoben. Im Gegenteil, nach Empfang der Gnade ist große Vorsicht nötig, damit wir nicht aus dem Stande der Gnade fallen. Wurde nicht der Herr selbst, nachdem Er mit dem Heiligen Geist gesalbt worden war, in die Wüste geführt und von dem Teufel versucht? Auf eine ähnliche Führung müssen auch wir gefasst sein. „Wer sich dünken lässt er stehe, mag wohl zusehen, dass er nicht falle.“ 1 Kor 10, 12. Hochmut kommt vor dem Fall, und nichts ist so gefährlich als die Sorglosigkeit und die Selbsterhebung im Gefühl der gewonnenen Beruhigung. Es ist ein verderblicher Irrtum zu meinen, wer einmal Gnade gefunden habe und wiedergeboren sei, könne zwar straucheln, aber er könne nicht verlorengehen. Das Wort Gottes lehrt uns anders; wir werden treulich gewarnt; so auch hier im Gebete des Herrn.
„Gott versucht zwar Niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott wolle behüten und erhalten, dass uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge, noch verführe in Mißglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster; und ob wir damit angefochten würden, dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.“ (Luthers Katech.)
„Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen; Er versucht niemanden. Irret nicht, liebe Brüder. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe“ (nur solche, keine andere) „kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.“ Jak 1,13. 16.17.
Der Versucher zum Bösen ist Satan, der Feind des Menschen, der da ist ein Mörder von Anfang: Die arge Welt ist sein Werkzeug, um uns zu versuchen, unser eigen Fleisch ist seine Handhabe, um uns zu verderben. Bei allen Versuchungen, den fleischlichen und den geistlichen, den kleinen und großen, steht der Arge im Hintergrund; bei einigen versteckt er sich, bei anderen tritt er deutlich hervor.
„Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen“, d. h. nicht allein mit sterblichen Menschen (wie Israel bei der Einnahme Kanaans gegen die Riesen, die doch sterblich waren, streiten musste), „sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel, die in der Finsternis dieser Welt herrschen.“ Eph 6, 12.
Es gibt unreine Geister mancherlei Art, Legionen gefallener Engel, die den Menschen und besonders den Kindern Gottes nachstellen und sie zum Bösen zu reizen suchen. Der Teufel hat sein Werk in den Kindern des Unglaubens. Eph 2,2.
„Euer Widersacher, der Teufel, geht umher (er umkreist die Herde Christi) wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge.“ 1. Pet. 5, 8.
Der Herr sah den tief gesunkenen Zustand der Welt, und Er sprach mit Wehmut: „Wehe der Welt um der Ärgernisse willen; es ist unvermeidlich, dass Ärgernis komme, doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis (Anstoß und Verleitung zum Bösen) kommt.“ Mat 18, 7.
In der gottentfremdeten Menschenwelt hat der Feind sein Reich; so weit die Sünde reicht, so weit reicht auch seine Macht, nur dass Gott ihm eine Grenze setzt, die er nicht überschreiten kann. Die Versuchungen des Feindes beginnen mit Schmeichelei, Aufblähung und Betörung, sie enden, wenn der Mensch eingewilligt hat, mit Schrecken, Elend und Verzweiflung. Die Versuchung und der Fall der ersten Eltern ist das warnende Beispiel für alle Menschen aller Zeiten. Die Verführerin spricht zum Toren: „Die gestohlenen Wasser sind süß und das verborgene Brot schmeckt fein, Er weiß aber nicht, dass daselbst Tote sind und ihre Gäste in der tiefen Hölle.“ Spr 9,16-18.
Die Versuchungen sind mancherlei Art, je nach der Verschiedenheit des Alters, des Temperaments und des Standes. Der Feind schleicht einem jeden nach, er weiß den schwachen Punkt zu entdecken und zu benutzen. Auf den verschiedenen Stufen des christlichen Lebens sind wir verschiedenen Angriffen ausgesetzt. Darum ist Selbsterkenntnis und Achtsamkeit notwendig, denn erst wenn wir unseren Lauf vollendet und Glauben gehalten haben bis ans Ende, werden die Versuchungen aufhören.
Weil wir denn in solcher Gefahr stehen, und in unserem Zeitleben die Entscheidung getroffen wird für die Ewigkeit, heben wir unsere Augen auf gen Himmel und beten von ganzer Seele: „Vater, führe uns nicht in Versuchung!“ Lass uns nicht hinein geraten in die Umgarnung des Feindes, in den Zauberkreis der Betörung! Lass uns unter Deiner Obhut bleiben und nicht in des Verderbers Gewalt kommen.
Ist nicht auch dies ein Gebet des Herrn Jesus? Er wurde versucht in allen Stücken gleichwie wir, doch ohne Sünde. Heb 4, 15. Er hat selbst also gebetet, und Er hat durch Gebet überwunden. Er hat aus eigener Erfahrung geredet, als Er zu Seinen Jüngern sprach: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallet, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Mat 26, 41.
In dieser Bitte legen wir ein Bekenntnis unserer Schwachheit ab. Wir bekennen, dass wir ohnmächtig sind, in irgendeiner Versuchung zu bestehen, wenn Gott Seine Hand von uns abzieht. Diese Bitte ist aber zugleich ein Bekenntnis unseres freudigen Vertrauens zu der Macht und Treue unseres Gottes, der uns auch in den schwersten Versuchungen, die Er zulässt, aufrecht erhalten und uns den Sieg geben will.
„Es hat euch noch keine denn menschliche Versuchung betroffen, aber Gott ist getreu, der euch nicht lässt versucht werden über euer Vermögen, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinne, dass ihr es könnet ertragen.“ 1 Kor 10, 13.
„Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden über dem Kämpfen wider die Sünde.“ Heb 12, 4.
Wie gering sind unsere Prüfungen gegen die, welche Gottes Kinder zu der Zeit der großen Christenverfolgungen zu bestehen hatten! Sie hatten die Folterqualen und den grausamen Todeskampf vor sich. Sie konnten dem entgehen, sie brauchten nur eine Handvoll Weihrauch in das Feuer des Götzenopfers zu werfen oder einen Schwur bei dem Genius des Kaisers auszusprechen. Aber der Herr stärkte Seine Zeugen, und statt Ihn zu verleugnen, gaben sie lieber ihren Leib dahin in des Feuers Pein.
Der den heiligen Märtyrern also beigestanden hat, will auch uns den Sieg geben. Er wacht über uns, Er bestimmt, welche Prüfungen kommen sollen, wie lang sie anhalten, wie hart sie werden dürfen. Er reicht unterdessen Kraft und Trost dar denen, die auf Ihn Vertrauen; und Er bereitet einen Ausgang, im rechten Augenblick, oft einen unerwarteten und herrlichen Ausgang, so dass wir es ertragen können. So zeigt sich Seine Treue in der Führung des gerechten Hiob. Satan durfte nicht weiter gehen, als der Herr erlaubt hatte, und nicht länger durfte die Anfechtung dauern, als Gott es bestimmte. „Die Geduld Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen, denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.“ Jak 5, 11.
Hiob bestand und wurde nachher zwiefältig gesegnet.
„Wer kann dann selig werden?“ So fragten die erschrockenen und bekümmerten Jünger den Herrn. Er sah sie ernstlich an und sprach: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“ Mat 19, 25. 26.
Was der Mensch ohne Gott nicht vermag, das soll ihm mit Gott gelingen.
Das erkennen wir aus tröstlichen Beispielen in der biblischen Geschichte. Joseph blieb fest im Augenblick der heftigsten Reizung zur Sünde, indem er sprach: „Wie sollte ich denn nun ein solch großes Übel tun und wider Gott sündigen?“ 1 Mose 39, 9.
Er wich den Nachstellungen aus und riss sich los mit Daranwagung seines Lebens. Daniel und seine jugendlichen Genossen waren in der babylonischen Gefangenschaft, fern von dem Hause Gottes, ohne den Schutz einer priesterlichen Leitung, am Hofe des götzendienerischen Königs, also in der gefährlichsten Umgebung, und die Jünglinge blieben treu; sie hatten sich fest vorgenommen, sich mit der Speise und dem Wein des Götzenopfers nicht zu verunreinigen, sollte ihnen auch diese Weigerung das Leben kosten. Gott war mit ihnen. Dan 1, 8 - 17.
Er aber, der über alle ist, der geliebte Sohn des Vaters, hat uns nicht nur das Beispiel gegeben, sondern auch den Sieg uns zu gut errungen. Wie Er damals, als Er in unserem Fleische auf Erden wandelte, überwunden hat, so will Er auch in uns überwinden. Das heilige Kind Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen. Luk 2, 52. Auch Er war wie wir von einer verdorbenen Welt umgeben; auch Er mußte Böses sehen und hören. Aber Er bestand in den gewöhnlichen Versuchungen der Kindheit und Jugend und blieb unbefleckt; und als Er zum Mannesalter gelangt und mit dem Heiligen Geist erfüllt war, behielt Er in der großen Versuchung, der keine gleicht, den Sieg. Er ergriff den Schild des Glaubens und das Schwert des Geistes,
welches ist das Wort Gottes, und diesen Waffen, denselben, die der Herr auch uns darreicht, konnte der Versucher nicht widerstehen; er wich von Ihm „bis auf gelegene Zeit“. Luk 4, 13.
Diese Zeit kam, die finstere Stunde, da dem Feind gestattet wurde, den Herrn aufs neue zu versuchen; diesmal nicht mit Schmeichelei, sondern mit Anklagen, Schrecken, Todesangst und Empfindung des Zorns Gottes. Aber auch da, in der allerhärtesten Prüfung des Gehorsams und der Liebe blieb der Herr fest. Er konnte sagen: „Es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an Mir.“
„In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, Ich habe die Welt überwunden.“ Joh 14, 30; 16, 33.
Dieser Sieg unseres göttlichen Heilands ist entscheidend für Zeit und Ewigkeit. Der Verkläger und Mörder vermag nichts gegen den verklärten Menschensohn, den uns Gott zum Versöhner und nicht nur zum Versöhner, sondern auch zum Haupt und Beschützer gegeben hat. In Ihm, das heißt durch den Glauben mit Ihm verbunden, sind wir geborgen. Wir hören Ihn sagen: „Meine Schafe hören Meine Stimme und Ich kenne sie, und sie folgen Mir; und Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie Mir aus Meiner Hand reißen. Der Vater, der sie Mir gegeben hat, ist größer denn alles, und niemand kann sie aus Meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind Eins.“ Joh 10, 27-30.
Darum darf Johannes sagen: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer ist aber, der die Welt überwindet, außer der da glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist?“ -
Und abermals: „Wir wissen, dass wer von Gott geboren ist, der sündiget nicht; sondern, wer von Gott geboren ist, der bewahret sich und der Arge wird ihn nicht antasten.“ 1 Joh 5, 4. 5. 18.
Mit diesem freudigen Vertrauen auf den Herrn geziemt es uns täglich unseren Berufsweg anzutreten, indem wir Tag für Tag in Demut und im Bewusstsein unserer Schwäche um göttliche Bewahrung vor der Versuchung bitten.
Hat ein Christ in der Versuchung nachgegeben und eingewilligt, so gibt es keine Entschuldigung, es gibt keine Ausrede, als hätte der Teufel es getan, der sei einem zu listig und zu stark gewesen. Da bleibt nichts übrig, als uns selber zu richten und uns schuldig zu bekennen. Denn wir sind die, zu denen Jakobus sagt: „Widerstehet dem Teufel, so fliehet er von euch.“ Jak 4, 7.
Und der Herr sagt: „Bleibet in Mir, und Ich in euch.“ Joh 15, 4.
Das ist: wenn ihr in Mir bleibet, so bleibe Ich in euch. Und was ist Satan gegen Jesus? Ein Kind, das in Jesus bleibt, ist für alle Mächte der Finsternis unüberwindlich.
Indem wir mit dieser Bitte vor Gott treten, geloben wir wie bei den vorigen Bitten, auch das Unsrige zu tun, auf dass wir nicht in Versuchung fallen. Indem wir sagen: Führe uns nicht in Versuchung, versprechen wir zugleich, uns selbst nicht in Versuchung zu führen. Der Herr sagt nicht nur: betet, sondern auch: wacht. Es gilt die höchste Anstrengung unseres Willens und unserer Aufmerksamkeit. Sei dir selbst klar zu jeder Zeit, in welchem geistlichen und sittlichen Zustand du dich befindest, ob du etwa in Stillstand und Rückschritt geraten seist. Behüte deinen Weinberg, beobachte dein Inneres, und wenn böse Gedanken und Aufwallungen sich melden, widerstehe ihnen gleich am ersten Anfang. Sei treu im Kleinen, so wirst du auch im Großen nicht fehlen. Wende alle Vorsicht an, um die Gelegenheiten und Reizungen zu den Sünden, zu denen du besonders geneigt bist, es sei Unkeuschheit, Zorn, Unglauben oder was sonst, zu vermeiden; sei streng gegen dein eigen Fleisch, damit du nicht durch Unmäßigkeit böse Lüste fütterst und pflegst; begib dich nie in eine gefährliche Lage, wohin dein Beruf dich nicht führt, damit du nicht unversehens fällst wie Petrus, der ohne den Befehl und gegen die Warnung des Herrn in des Kaiphas Hof sich hineinwagte. Endlich, damit du in Christus bleibst und Christus in dir, gebrauche treulich die Gnadenmittel, die Gott dir darreicht: das Wort Gottes, den Zuspruch deines Seelsorgers und das heilige Abendmahl.
Wollte jemand zu Gott dem Herrn beten: bewahre mich vor Versuchungen - und nebenher selbst andere in Versuchung führen, welche Beleidigung gegen Gott wäre das? Durch diese Bitte wird uns die Liebespflicht eingeschärft, dass wir Niemand Anstoß geben, nicht durch Missbrauch unserer Freiheit andere veranlassen, etwas gegen ihr Gewissen zu tun.
Wem Hausgenossen, wem Erziehungsbedürftige anvertraut sind, der sei behutsam, um die Gelegenheiten zur Versündigung wegzuräumen und fernzuhalten. Der du selbst wünschst, nicht in Versuchung zu geraten, wie darfst du so unvorsichtig sein, durch unanständiges Benehmen den Deinigen Anstoß zu geben, durch offenliegendes Geld deine Angestellten in Versuchung zu führen, deinen Kindern schändlichen Umgang zu gestatten, unsittliche und atheistische Bücher ihnen nicht zu entziehen?
Soviel von der Versuchung zum Bösen. Diese ist es, um deren Abwendung wir bitten. Etwas anderes ist die Prüfung, welche Gott sendet uns zum Besten. Auch diese Prüfung wird zuweilen Versuchung genannt, wie wenn gesagt ist: Gott versuchte den Abraham. Aber stellen wir beide einander gegenüber, so unterscheiden sie sich wie Nacht und Tag. Wenn der Feind uns versucht, so ist seine Absicht, uns in Sünde, Tod und Verdammnis zu stürzen. Wenn Gott uns prüft, so ist Seine Absicht, uns zu läutern, zu vollenden und zu krönen. Des Feindes Versuchungen entspringen aus Hass und Neid. Die Prüfungen, welche Gott über uns kommen lässt, gehen aus göttlicher Weisheit und Liebe hervor.
Gott prüft Seine Kinder auf allerhand Art: „Durch Wohltaten, ob wir Ihm auch dafür dankbar werden; durch Befehle, ob wir Ihm gehorchen; durch Gelegenheit, die Er uns schickt, Gutes zu tun, ob wir sie nutzen und gebrauchen; durch Gelegenheit zu sündigen, ob wir uns in ihr vergreifen; sonderlich aber durch allerhand Kreuz und Leiden, wie geduldig wir solches von Ihm aufnehmen wollen.“ (Spener Fr. 906).
Was ist das Gute, das Er damit zu Wege bringen will? Er prüfte Sein Volk in der Wüste, wie Mose sagt: „Damit kund würde, was in deinem Herzen wäre, ob du Seine Gebote halten würdest oder nicht.“ 5 Mose 8, 2. 3.
Er bringt uns zur Selbsterkenntnis, die uns fehlte, und die wir nur durch schwere Erfahrungen gewinnen. Er zieht unsere Gebrechen ans Licht, nicht um uns zu verwerfen, sondern um uns von ihnen zu heilen. Er lässt uns unsere Schwachheit fühlen, auf dass die Kraft Christi in uns mächtig werde, und dies geschieht, wenn wir an uns selbst verzagen und uns ganz auf Gottes Barmherzigkeit verlassen. Er prüft uns, um uns im Gebet zu üben, und uns im Glauben zu stärken. Denn allein die Anfechtung lehrt auf das Wort merken (Jes 28, 19); und wie das Gold im Feuer geläutert und bewährt wird, so der Glaube der Kinder Gottes im Leiden.
„Die Geduld soll ihr vollkommenes Werk haben bis an's Ende.“ Jak 1, 4.
Die Hilfe erscheint, der Glaube wird belohnt und die Traurigkeit in Freude verwandelt.
Er prüfte Seinen Abraham, damit wir ein Exempel des Gehorsams haben und des Glaubens an Gott, der die Toten lebendig macht. Er prüfte Seinen Diener Hiob durch bittere und anhaltende Leiden, um für alle Zeiten ein tröstliches Beispiel der Geduld und der endlichen Erhörung aufzustellen. Er prüft Seine Kinder, um sie im Glauben, Hoffnung und Liebe zu vollenden, um Sein Werk in ihnen zu krönen, um alle ihre Traurigkeit in Freude und ihre Klage in Lob Gottes zu verwandeln. Er hat den geliebten Sohn am schwersten geprüft, und Ihm die Herrlichkeit gegeben.
Die schwerste Prüfung ist die, wenn Gott zulässt, dass wir vom Teufel mit bösen und gotteslästerlichen Gedanken geplagt werden. Da müssen wir zuerst uns selbst prüfen, ob wir durch eine Untreue, durch Leichtfertigkeit, durch eine nicht bereute Sünde der Macht der Finsternis einen Zugang gestattet haben, wodurch sie, uns zur Züchtigung, Macht bekommen hat. Ist dem so, dann muss eben das Übel beseitigt und dem Feinde die Handhabe entzogen werden. Dies geschieht, indem wir Vergebung der Sünde durch Christi Blut bekommen.
Doch nicht immer liegt der geistlichen Anfechtung eine Schuld unsererseits zugrunde. Bisweilen verbirgt Gott Sein Angesicht zeitweise vor Seinen Kindern auch ohne solche Veranlassung. Hören wir, was ein gottseliger Lehrer hierüber aus Erfahrung sagt.
Ist's aber nicht eine Anzeigung, dass wir von Gott verworfen seien, wo Er dem Teufel zulässt, dass er uns mit bösen und gotteslästerlichen Gedanken plagt? -
Nein, denn auch gegen diejenigen, welche den Schild des Glaubens haben, schießt der Teufel die feurigen Pfeile aus; so ist Paulus in göttlicher Gnade gewesen, ob er wohl die Faustschläge des Engels des Satans leiden musste (2 Kor 12, 7-9); und ist solchen Angefochtenen vielmehr ihr herzlicher Hass gegen die bösen Gedanken, ihre Angst, die sie darüber empfinden, und ihr Verlangen, mit reinem Herzen ihrem Gott dienen zu können, als lauter Früchte des bei ihnen wohnenden Heiligen Geistes, ein Zeugnis, dass sie in göttlicher Gnade feststehen, als dass solche Anfechtung, die sie wider ihren Willen leiden müssen, ihnen solche zweifelhaftig machen könnte.„ (Spener Fr. 912).
Weil uns solche Leiden und Gefahren zustoßen können, sind wir durch Gottes Güte und Weisheit nicht ein jeder für sich allein und vereinzelt in die Welt gestellt, sondern in die Gemeinschaft der Heiligen eingefügt. Da gibt es für den Angefochtenen brüderliche und väterliche Handreichung: diese dürfen und sollen wir suchen. Es gibt ein Amt Christi in der Kirche, dem es aufgetragen ist, durch Gebet und Wort Gottes die Kinder Gottes vor den listigen Anläufen des Feindes zu schützen.
Wir sind in diesem Leben zwischen das Reich des Lichts und das Reich der Finsternis, zwischen Himmel und Hölle gestellt. Beide Mächte suchen auf uns zu wirken; sie liegen im Streit um unsere Seelen. Leben und Tod ist uns vorgelegt, auf dass wir das Leben erwählen. 5 Mose 30, 19. Nun trifft es sich so, dass in einer leidensvollen Lage wir beides zugleich erfahren, beides erkennen, beides unterscheiden müssen: die Absichten des Feindes und die Absichten Gottes. Wie klar ist uns dies in Hiobs Geschichte gezeigt. Bei seinen Leiden war es des Feindes Zweck, ihn zur Gotteslästerung zu reizen; es war Gottes Rat, ihn zu läutern, zu bewähren und reichlich zu belohnen. Der Versucher ging darauf aus, den Gerechten zu fällen, Gott führte es so, dass Satan durch den Menschen besiegt wurde.
Die Leiden, welche Gott über Seine Kinder verhängt, werden vom Feinde ausgebeutet und missbraucht, um uns zur Sünde zu reizen. Aber Gott ist treu, der die Versuchung lässt solch ein Ende gewinnen, dass wir es ertragen können.