Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die Gleichnisse Jesu Christi - Das Gleichnis vom verlornen Groschen. Luk 15, 8-10

Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die Gleichnisse Jesu Christi - Das Gleichnis vom verlornen Groschen. Luk 15, 8-10

8 Oder welches Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie der einen verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis daß sie ihn finde? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freuet euch mit mir; denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte. 10 Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Er will sagen: Es mag sein, dass ihr eine Buße, wie diese Zöllner sie durchmachen müssen, nicht nötig habt, indem ihr in keine groben Sünden gefallen seid, aber wie steht es mit der Gesinnung eurer Herzen?

Jetzt freuen sich die Engel im Himmel über diese Wiedergefundenen, die verloren waren, und ihr (statt in die Freude mit einzustimmen) murret. Das ist nicht die Gesinnung, mit der ihr Himmelsbürger werden könnt. Die Freude, die im Himmel ist, sollte auch in euern Herzen Anklang finden, sonst taugt ihr nicht in das Himmelreich. Ihr werdet draußen stehen bleiben. Ihr schließt durch diese Gesinnung euch selber vom Himmel ans.

In dem vorigen Gleichnis sprach der HErr von einem Hirten, der ein Schaf verloren; hier spricht Er von einer Hausfrau, der ein Silberstück abhanden gekommen ist; dort hat Er Seinen Dienern, hier hat Er Seiner Gemeinde gezeigt, wie sie gesinnt sein soll.

Die Gemeinde Israels, und besonders die Gemeinschaft der Pharisäer, sollte hieraus lernen, welche Pflicht sie an den Irregegangenen zu erfüllen und welche Sorgfalt sie anzuwenden hat, um die Verlorenen wieder zu gewinnen.

Die Hausfrau ladet ihre Freundinnen und Nachbarinnen ein, sich mit ihr zu freuen, weil sie ihr Silberstück wieder habe; so werden, im Namen der Gemeinschaft der Jünger Jesu, die jüdischen Synagogen und die Kollegien der Schriftgelehrten aufgefordert, sich über die Bekehrung der Zöllner mitzufreuen.

Auch hier ist uns ein prophetisches Bild vorgelegt.

Die Hauswirtin, welche einen Schatz von 10 Drachmen oder Silbermünzen besitzt und sorgfältig damit umgeht, ist sie nicht die christliche Kirche?

Sie hat eine Ausstattung mit himmlischen Gütern empfangen (zehn ist die Zahl des Himmelreichs), sie soll diese treulich verwalten und wohl anwenden.

Hier steht die Warnung, woraus wir lernen, es kann leicht geschehen, dass die christliche Kirche ein Stück von dieser Ausstattung einbüßt, und so ist es leider geschehen.

Ach, wie viel von ihrer ursprünglichen Begabung mit Heiligkeit und Kraft, mit Wahrheit und Liebe, ist ihr im Laufe der Zeit abhanden gekommen! Dies ist ihr unbemerkter Weise widerfahren, sie hat es geraume Zeit nicht beachtet, aber jetzt ist die Stunde gekommen, wo sie es inne wird und darüber erschrickt.

Gott sei Dank, dass dies Bewusstsein in einem großen Teile der Christenheit erwacht ist, denn dies war vor allem notwendig, dies ist der erste Schritt zur Hilfe.

Aber das Wort des HErrn zeigt uns auch die nächstfolgenden Schritte. Das Weib zündet ein Licht an, um in alle Winkel zu leuchten, sie kehret ihr Haus und sucht sorgfältig, endlich findet sie die verlorene Drachme.

Es gibt eine Gemeinschaft von gläubigen Christen, welche den gemeinsamen Verlust tief zu Herzen genommen haben und sich dass durch die gewöhnlichen Trostgründe und Beruhigungsmittel nicht befriedigen ließen.

Wenn andere sagen: Die Spaltung der Kirche und der Verlust der sichtbaren Einheit sei eine notwendige geschichtliche Entwickelung, ein unvermeidlicher Hergang, und habe auch etwas Gutes, so kann dies unsern Schmerz nicht stillen und das Gefühl unserer gemeinsamen Schuld nicht beschwichtigen.

Man will uns über die Verkümmerung der geistlichen Gaben trösten, indem man sagt: Wäre es Gottes Wille, dass sie fortdauerten wie am Anfang, so wären sie in der Kirche geblieben.

Aber dies kann unser Gewissen nicht beruhigen und darf unsere Sehnsucht, dass Jesus Christus durch geistliche Gaben verherrlicht werde, nicht abschwächen.

Hier sehen wir, wie das Weib mit der Einbuße, die sie an ihrem Hausschatz erlitten hat, sich nicht zufrieden gibt. Diese Christen nun, unsere Väter und Brüder, welche die Verarmung der Kirche Gottes tief zu Herzen nahmen, empfingen Gnade, ein Licht anzuzünden, um damit in die dunkeln Stellen des Hauses Gottes hinein zu leuchten. Gott erweckte unter uns die Gabe der Weissagung, und wir tun wohl, dass wir darauf achten, wie Petrus sagt, als auf ein Licht, das da scheinet an einem dunkeln Ort.

Durch das Wort der Weissagung wurde der Zustand der Kirche und wurden die tiefsten Ursachen dieses traurigen Zustandes aufgedeckt. Die Geheimnisse der heiligen Schrift wurden ausgeschlossen, und ein himmlisches Licht verbreitete sieh über viele bis dahin noch ganz unverständliche Stellen.

Und nicht nur dies, sondern das Haus wurde ausgekehrt und in Ordnung gebracht. Das gnadenvolle Werk des HErrn beschränkte sich nicht darauf, die, welche Ihn suchen, über die vorhandenen Mängel und Missbräuche zu erleuchten, sondern es wurde ihnen gegeben, im Lichte der Weissagung und gemäß der heiligen Schrift, die lange verwahrloste und vergessene göttliche Ordnung wieder zurecht zu bringen.

Das Weib im Evangelium durchsucht das Wohnhaus in der Überzeugung das verlorene Silberstück kann nicht ganz verloren sein, es muss noch da sein, es muss noch zu finden sein. Und diese Überzeugung wird gerechtfertigt, die in diesem Sinne angewendete Mühe ist nicht vergeblich.

So hat Gott uns die Überzeugung ins Herz gegeben, dass Er treu ist und seine Gaben können Ihn nicht gereuen. Wir haben auf Ihn vertraut, dass Er von der ursprünglichen Ausstattung Seiner Kirche nichts zurückgenommen hat. Der HErr bleibt Sich selbst gleich, Er ist das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte. Wenn gleich wir Menschen untreu waren, so bleibt Er doch treu und kann Sich selbst nicht leugnen. Er hat die himmlischen Güter, die Er der christlichen Kirche im Anfang verliehen, ihr nicht entzogen, sondern vielmehr vorbehalten; und wenn sie sucht, soll sie finden.

Und siehe, sie hat gefunden. Das Wichtigste und Köstlichste, woran alles andere ihr abhanden gekommene hing, hat sie wiedergefunden: das Amt, das den Geist gibt. Der HErr hat das apostolische Amt wieder ans Licht gebracht, und alle damit verknüpften Segnungen, welche Niemand recht würdigen kann, außer wer sie erfährt. Hierüber war Freude im Himmel und Freude auf Erden.

Die Engel stimmten Loblieder an, und hienieden singt man vom Sieg in den Hütten der Gerechten. Die Gemeinde Gottes hat ihre volle Ausstattung wieder gewonnen, und ihr Herz und Mund strömt über vom Preise der Weisheit, Liebe und Treue Jehovas, des Unwandelbaren, der da ist, und der da war, und der da kommt.

Das Weib, welches so glücklich war, die verlorene Drachme wiederzufinden, hat Freundinnen und Nachbarinnen, welche sie zusammenruft, damit sie ihre Freude Teilen sollen.

Es gibt unterschiedene christliche Gemeinschaften und Abteilungen in der Christenheit. Eine Gemeinschaft ist es, welche zuerst und vor den andern den Segen der neubelebten Gaben und Ordnungen erfährt. Sie hat die Aufgabe und die Verpflichtung allen andern diese Kunde mitzuteilen und sie zur Mitfreude aufzufordern. Dies ist geschehen. Es fing damit an, dass vor dreißig Jahren ein Zeugnis an die Häupter der Christenheit abgelegt wurde, und die Evangelisten sind seitdem bemüht gewesen, in allen christlichen Ländern den Ausruf zur Mitfreude und zum Mitgenuss der göttlichen Segnungen erschallen zu lassen.

Hier lehrt uns der HErr, dass wir die verschiedenen christlichen Konfessionen nicht als Feindinnen betrachten sollen. Ob sie uns Liebe erzeigen oder Leid antun, das darf an unserer Gesinnung gegen sie nichts ändern, diese muss eine freundschaftliche und nachbarliche bleiben, und mit dieser Gesinnung muss unsere Rede und unser ganzes Verhalten übereinstimmen.

„Vergeltet nicht Böses mit Bösem, oder Scheltwort mit Scheltwort“ „Lass dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Die Einladung zur Teilnahme au der Freude über die wiederkehrende Gnade Gottes hat im Ganzen genommen wenig Anklang unter den Mitchristen gefunden, und hier und da ist sie sogar mit Feindschaft erwidert worden.

Aber die Liebe lässt sich nicht erbittern. Die Langmut Gottes waltet noch über Seinem Volk, sollten wir da nicht langmütig sein? Die Geduld des HErrn achtet für Eure Seligkeit, d. h. wir selbst dürfen nur darum auf Rettung hoffen, weil diese unaussprechliche Geduld des HErrn über uns waltet. Wer darf da ungeduldig sein gegen Andere?

Die Botschaft des Friedens und der Freude ist noch nicht verstummt, und damit sie Eingang in den Herzen finde, sollen wir durch Liebe und Fürbitte mitwirken. Unsere Väter und Brüder haben für uns gearbeitet, und durch ihren treuen Dienst ist der Segen des apostolischen Amtes auch uns zu gut wieder gewonnen worden. Wie dürfte nun unsere Dankbarkeit gegen den HErrn erkalten? Jetzt ist es Zeit, das Wiedergefundene wert zu schätzen, treulich zu benutzen und täglich mit erneuter Freude anzuerkennen, was der HErr für uns getan hat.

Die schwere Erfahrung der vergangenen Zeiten sollte an uns nicht vergeblich sein, wir sollten wahre Weisheit daraus lernen: Achtsamkeit auf die empfangenen Gaben Gottes und treue Haushaltung mit denselben, damit wir sie ja nicht vergeblich empfangen, und damit wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern den vollen Lohn davon tragen.

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