Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die Gleichnisse Jesu Christi - Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Mt 20, 1-16
1 Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. 2 Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. 3 Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markte müßig stehen 4 und sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. 5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und die neunte Stunde und tat gleich also. 6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? 7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden. 8 Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinberges zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und heb an an den Letzten bis zu den Ersten. 9 Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Groschen. 10 Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. 11 Und da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater 12 und sprachen: Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. 13 Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden für einen Groschen? 14 Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleich wie dir. 15 Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum so scheel, daß ich so gütig bin? 16 Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige auserwählt.
Keine Art der Feldarbeit ist so mühsam wie die des Weingartners, aber auch keine Frucht ist so köstlich wie die des Weinstocks. Darum hat der HErr die Arbeit Seiner Diener mehr als einmal mit der Arbeit in dem Weinberg verglichen. Sie sollen sich auf unbeschreibliche Mühe und Sorge gefasst machen, aber am Ende wird der Erfolg und der Lohn köstlich sein.
Das Besondere nun, was der HErr in diesem Gleichnis uns sagen will, ist dies, dass die Arbeit in der reinen Liebe zu Ihm übernommen und durchgeführt werden muss.
In dem vorigen Gleichnis (Mt 18) war die Liebe zum Nächsten, in diesem ist die Liebe zum HErrn der Hauptgegenstand. Dies sehen wir aus dem, was voranging.
Der HErr hatte mit Betrübnis den reichen Jüngling weggehen sehen. Er liebte diesen jungen Mann, denn es war ein edles Streben in ihm, er war von Kindheit auf vor groben Sünden bewahrt geblieben, und dies ist ein köstliches Geschenk der Gnade Gottes.
Der HErr hätte ihn so gern unter Seine Jünger eingereiht, denn Er verlangte nach Dienern, die sich für Ihn und für die Kinder Gottes hingeben und aufopfern würden.
Er selbst befand sich bereits auf dem Wege nach Jerusalem, wo Er viel leiden sollte, und Er sah voraus, wie bald auch Seine Gemeinde denselben Weg würde betreten und insbesondere den Raub ihrer irdischen Güter würde erdulden müssen.
Nun wollte Er sehen, ob der reiche Jüngling eine solche Prüfung bestehen könnte, oder vielmehr in derselben abfallen würde. Er hielt es nicht für recht, den neuen Jünger jetzt eine leichte Aufnahme zu gewähren und ihn später tief fallen zu sehen, nämlich in Verleugnung der Wahrheit um der irdischen Güter willen. Auch hielt es der HErr für besser, dass die Reichtümer des jungen Mannes jetzt gleich an die Armen gewendet, als dass sie später von den Feinden der Wahrheit mit Beschlag belegt würden.
Aus diesen Gründen sagte Er ihm frei heraus: „verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirft du einen Schatz im Himmel haben“, d.h. du wirst durch geistliches Wachstum und Unvergängliche innere Güter reichlich entschädigt werden; also „komm und folge Mir nach“, Ich will dich in Meiner Nähe haben und dich in Meiner Gemeinschaft auf immer behalten.
Da zeigte sich’s, dass der junge Mann eine größere Anhänglichkeit an seine Häuser und Landgüter und an seine Stellung in der Welt hatte, als an den HErrn Jesum Christum. Bei Jesu zu sein und Ihm zu dienen, ging ihm nicht über alles; die Liebe zum Vergänglichen war in ihm stärker als die Liebe zum HErrn.
Die eine kämpfte mit der andern; der Jüngling ging betrübt hinweg; er wäre ja gern bei Jesu geblieben, nur diese Forderung war ihm zu schwer. Es fehlte ihm die rechte kühne heldenmütige Liebe zu Gott und zu Jesu.
Der HErr sah an diesem Beispiel, und zeigte es den Jüngern, wie schwer es den Reichen ist, sich von der oft tief versteckten Liebe zum Mammon loszumachen; ja „bei den Menschen ist es unmöglich, nur bei Gott ist es möglich“ - nur wenn man es mit Gott anfängt, kann es gelingen.
Der HErr kann Seinen Gläubigen diese Prüfung nicht erlassen. Es ist Seine Sache, zu bestimmen, ob und wann man die zeitlichen Güter und Ehren äußerlich abgeben soll; aber von allen Seinen Gläubigen und zu allen Zeiten verlangt Er, dass sie innerlich frei seien und dass sie stets bereit stehen, sobald Er es verlangt, auch äußerlich alles zu verlassen.
Ja, alles Vergängliche, was die Welt für Gewinn hält, müssen wir für Schaden achten, wenn es gilt, Christum zu gewinnen, in Ihm erfunden zu werden und ewig mit Ihm vereinigt zu bleiben (Phil Z, 7-11). Wie der Apostel sagt: „Die da Weiber haben, sollen sein als hätten sie keine, und die da weinen, als weinten sie nicht, und die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und die da kaufen, als besäßen sie es nicht, und die dieser Welt brauchen, dass sie derselben nicht missbrauchen, denn das Wesen dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7, 29-31).
Die Zeit ist kurz, dies gilt besonders für uns in diesen letzten Tagen. Petrus wurde durch den Vorgang mit dem reichen Jüngling an den Tag erinnert, wo er selbst mit seinem Bruder Andreas und mit seinen Freunden Jakobus und Johannes auf den Ruf Jesu alles verlassen hatte, freilich nicht so viele Güter als der reiche Jüngling besaß.
Er fragte: „Was wird uns dafür?“
Auf diese Frage gab ihm der HErr eine zweifache Antwort. Er erwiderte zuerst mit einer großmütigen und wahrhaft königlichen Verheißung für die Apostel und für alle, die um Seines Namens willen etwas aufopfern, dann aber mit einer Warnung:
„Viele, welche Erste sind, werden Letzte, und Letzte werden Erste sein.“
Diese Warnung nun erläutert Er mit dem Gleichnis von dem Hausvater, der ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Mit den Arbeitern, welche er des Morgens frühe dingte, wurde er eins um einen Denar zum Tagelohn. Diese machten einen Vertrag mit ihm; sie fragten also, ehe sie die Arbeit antraten, ähnlich wie Petrus: Was wird uns dafür?
Dagegen die Arbeiter, welche um die dritte, sechste, neunte und elfte Tagesstunde gemietet wurden, machten keinen Vertrag mit dem Hausherrn, es war ihnen genug, dass er sagte: „Was recht ist, werdet ihr empfangen“; sie fragten nicht: Was wird uns dafür? Sie waren froh, dass sie auch noch Arbeit bekamen, und sie schenkten, was die Belohnung betrifft, dem Hausherrn völliges Vertrauen. Diese Arbeiter haben dem Hausvater besser gefallen als die ersten.
Also wenn wir Gelegenheit bekommen, dem HErrn zu dienen, sollen wir es auch so machen; wir sollen es für eine Freude und Ehre ansehen, etwas für Ihn tun zu dürfen, nicht zaudern, nicht handeln und markten, nicht nach dem Lohn fragen, sondern mit kindlichem Vertrauen zu Ihm ans Werk gehen.
Der HErr gibt uns noch eine weitere Lehre. Er hat Macht zu tun, was Er will mit dem Seinen; Er ist unumschränkter Herr in der Austeilung der zeitlichen und der ewigen Güter, und Er hat Seine Freude daran, wo Er kindliche Hingebung findet, großartig zu belohnen.
Als der Feierabend kam, empfingen die Arbeiter der letzten Stunde den vollen Lohn wie die der ersten. Es war schon eine Versuchung für Petrus da, als er fragte: Was wird uns dafür?
Der HErr gibt ihm nun zu verstehen, es kann noch eine andere Versuchung für euch, meine erstberufenen Jünger, kommen, wenn ihr später sehen werdet, wie noch andere in die Arbeit eintreten und von mir über Erwarten gesegnet und belohnt werden. Dann hütet euch vor Neid; sehet nicht scheel, wenn Ich mich gütig und freigebig beweise. Freuet euch vielmehr darüber, wenn andern Gutes von Mir widerfährt. Dann wird sich zeigen, ob ihr in der reinen Liebe zu Mir gearbeitet habt.
Wäre dies nicht der Fall, mangelt es an der rechten Liebe zu Mir und den Brüdern, findet sich in euch ein knechtischer Sinn gegen Mich, ein missgünstiger gegen eure Mitknechte, so ist es traurig für euch. Es wird euch wenig nützen, dass ihr zu den Erstberufenen gehört habt.
„Manche, die Erste sind, werden Letzte sein!“
Dies ist die moralische Bedeutung dieses Gleichnisses. Wir werden gewarnt, dass ja, wenn die Arbeit vorrückt und zu Ende kommt, kein Murren bei uns sich rege; damit wird aber nicht vorausgesagt, dass am Feierabend ein solches Murren der ersten Arbeiter vorkommen müsse.
Doch hat auch dies Gleichnis einen prophetischen Sinn.
Der Morgen ist der Anfang, der Feierabend ist das Ende der christlichen Haushaltung. Dann, wenn die Arbeit getan ist und der HErr kommt, werden alle Seine treuen Diener zugleich ans Seiner Hand ihre Kronen empfangen (2 Tim 4, 6). Die uns vorangegangen sind, warten noch auf ihren Lohn, denn sie sollen nicht ohne uns vollendet werden (Heb 11, 40). Dann werden sich miteinander freuen die am Anfang des großen Tagewerkes gesät und die am Ende desselben eingeerntet haben (Joh 4, 26).
Ferner gibt der HErr, der große Prophet, Seinen ersten Jüngern zu verstehen, dass nach ihnen wirklich noch andere Diener eine Sendung vom Himmel empfangen werden. Dies ging anhebender Weise in Erfüllung, als der heilige Paulus ausgesandt wurde. Ohne die ersten Arbeiter zu fragen, ohne den heiligen Petrus in Kenntnis zu setzen, rief Jesus Christus Seinen Knecht Paulus, rüstete ihn aus und sandte ihn als Apostel zu den Heiden.
Als Petrus dies erfuhr, war es nicht ganz leicht für ihn, es zu fassen, und es war ein großes Zeichen von Demuth und Liebe, als Petrus, Jakobus und Johannes dem Paulus und Barnabas die rechte Hand zum Zeichen der Gemeinschaft reichten; sie dachten als demütige Jünger Jesu: nun, dies sind Arbeiter einer späteren Stunde, von denen der HErr im Gleichnis mit uns geredet hat, und sie freuten sich ohne Neid über den herrlichen Erfolg, mit dem der HErr diese Knechte gesegnet hatte.
Aber auch später noch, dies lernen wir, sollen Sendungen stattfinden, und insbesondere in der letzten Stunde sollen Arbeiter ans Werk gestellt werden, welche in jeder Hinsicht denen der ersten Stunde gleichen. Der HErr gibt, ehe der große Feierabend kommt, um die noch rückständige Arbeit auszurichten, Diener, wie die Diener am Anfang des langen mühevollen Tages.
Wir entnehmen aus diesem Gleichnis ein jeder für sich, dass wir mit kindlichem Sinn in Jesu Dienst treten und bei diesem kindlichen Sinn während der Arbeit beharren müssen, auch wenn wir des Tages Last und Hitze zu tragen bekommen.
Wir haben uns mit Freudigkeit eingestellt und selige Tage beim Antritt der Nachfolge Jesu gehabt. In dieser Freudigkeit lasst uns bleiben. Lasst uns wenig von Lohn sprechen und nie von Verdienst. Lasst uns unsere Leistungen nie rühmen, unsere schon überstandenen Leiden lieber gar nicht erwähnen. Es könnte übel lauten vor dem HErrn und uns schaden.
Unser unablässiges, alles überwiegendes Gefühl sei dieses: es ist die höchste Ehre und Freude, Jesu Christo dienen zu dürfen; „ich will lieber der Tür hüten in meines Gottes Hause, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten.“ Ich bin nicht würdig, dein Kind, dein Diener zu heißen; aber Du in Deiner unaussprechlichen Liebe hast mich dazu gemacht, darum will ich mit Lust und Liebe Dir anhangen und für Dich arbeiten; die Zukunft will ich ganz Dir anheimstellen, lass mich nur ganz Dein sein, bleiben und ewig nicht von Dir getrennt werden.