Theremin, Franz - Auf Trauer folget Freude.
Am Erntefeste 1831, Nachmittags.
Psalm 126, V. 5 und 6.
Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Samen, und kommen mir Freuden, und bringen ihre Garben.
Wie lieblich das Fest sey, das wir heute feiern, werdet Ihr in vollem Maße empfinden, meine Brüder, wenn Ihr euch der Gefühle erinnert, mit denen wir es in früheren, schöneren Jahren, in den Zeiten der Ruhe und des Glückes, begangen haben. Der Sabbath des Jahres ist erschienen; was die äußere Natur vielleicht an Schönheit verloren hat, das hat sie an Ernst und an Stille gewonnen. Der Landmann feiert von seiner Arbeit, von dieser Arbeit, die der Städter zwar nicht theilt, die er aber nicht umhin kann, mit teilnehmenden Blicken zu verfolgen. Ein großer Segen an allen den Gütern, welche das irdische Leben zu seiner Erhaltung bedarf, ist nun wieder durch Gottes Gnade gesammelt. Der rauhe Winter mag jetzt kommen; in der wohlverwahrten, mit allem nöthigen Vorrath versehenen Hütte wird der Bewohner der Erde die stürmische Jahreszeit ruhig verleben, und wenn auch diese verschwunden ist, des neuen Frühlings sich freuen.
So dachtet, so fühltet Ihr in früheren Jahren: aber mit welchen ganz anderen Gedanken und Empfindungen mögt Ihr heute Euch hier eingefunden haben? Wie Halme unter der Sense des Landmannes, so sinken jetzt Menschen unter der Sense einer verheerenden Krankheit; auch in unsere Stadt, wie in ein reiches Aehrenfeld, ist sie eingedrungen, und Hunderte sind unter ihren Streichen gefallen. Noch ist dem Verderber nicht gewehrt, und an jedem Tage ersieht er sich neue Opfer. Ueber uns hangt eine finstere Wolke, unter welcher wir mit Trauer und Besorgniß einhergehen. Werden wir jetzt Gott danken können für die Gaben, welche das irdische Leben nöthig hat, da dies Leben selbst so manchen Gefahren ausgesetzt ist, und vielleicht bald aufhören wird.? Werden wir ein Erntefest, ein Fest der Freude feiern können; und wenn wir es feiern, was soll es uns lehren?
Diese Lehre ist in den Worten unsers Textes enthalten, die mir so geeignet scheinen, an einem Erntefeste, das in Zeiten der Trauer gefeiert wird, einer christlichen Gemeinde zugerufen zu werden: Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten; sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Samen, und kommen mit Fremden und bringen ihre Garben. „Auf Trauer folget Freude!“ dies ist die in unsern Textesworten enthaltene Lehre; und um sie auf uns anzuwenden und fruchtbar für uns zu machen, wollen wir erwägen erstlich, worauf diese Hoffnung sich gründet; zweitens, unter welchen Bedingungen sie in Erfüllung geht; drittens, wozu Diejenigen, für welche sie erfüllt worden ist, verpflichtet sind.
I.
Erstlich also, worauf gründet sich die in unsern Textesworten ausgesprochene Hoffnung, daß auf Trauer Freude folgt? Haben wir etwa ein Verdienst aufzuweisen, das durch Freude belohnt werden müßte? Können wir es etwa von Gottes Gerechtigkeit fordern, daß er den Lauf seiner strengen Schickungen wieder durch Wohlthaten unterbreche? Nein, meine Brüder, wir besitzen kein Verdienst; und wenn Gott nur seine Gerechtigkeit walten ließe, so hätten wir nichts als Strafen zu erwarten. Eine große, allgemeine Schuld lastet auf der Menschheit, die Schuld des Abfalls von Gott, und der Uebertretung seiner heiligen Gebote. Dadurch haben wir Alle den Tod verwirkt, denn der Tod ist der Sünden Sold; und da kein Tag vergeht, an dem wir nicht sündigten, so würde auch Gott, ohne ungerecht zu seyn, alle unsere Tage mit den geistigen und leiblichen Schmerzen anfüllen können, die im Gefolge des Todes erschienen sind. Wir würden uns darüber um so weniger zu beklagen haben, da diese Schmerzen nicht nur Folgen der Sünde, sondern auch ein Heilmittel derselben sind, und da sie mit noch viel größerer Gewalt um sich greifen würde, wenn die Leiden, die sie nach sich zieht, nicht ihre Macht in uns dämpften. Niemals murre also der Mensch, wenn Gott Trübsale über ihn verhängt! Ist er gläubig und fromm, hat er sich bemüht, auf den Wegen des Herrn zu wandeln, so spreche er: Ich bin ein unnützer Knecht; ich habe nur gethan, was ich zu thun schuldig war; Belohnungen habe ich nicht zu fordern; wie ich Theil habe an der allgemeinen Sünde, wie diese noch täglich sich in mir zeigt, so muß ich auch einen Theil von der allgemeinen Strafe erdulden. Ist der Leidende ein unbußfertiger, unbekehrter Mensch, oder ist er in den Zeiten nach seiner Bekehrung wieder in Sünde zurückgesunken, so beuge er sich um so mehr unter der strafenden Hand Gottes, in dem Gefühle, daß er ihre Schläge doppelt verdient. Ist es ein Volk, welches leidet - und wir sind ja solch ein leidendes Volk; von einer seit Menschengedenken unerhörten Plage, ist unsere Hauptstadt, das Herz desselben, getroffen! - so wisse ein solches Volk, daß Gottes Gerechtigkeit noch viel deutlicher in den Schicksalen der Völker als in den Schicksalen der einzelnen Menschen sich zeigt; daß er hier noch viel genauer die Strafe nach der Vergehung abwägt; und daß, wenn ein ganzes Volk unerhört gezüchtigt wird, es auch gewiß unerhört gesündiget hat. Haben wir dies etwa nicht gethan - ich frage Euch?
Wo bleibt denn nun unsere Hoffnung, und was hat sie für einen Grund? Einen ewigen, tiefen, unerschütterlichen: die Gnade Gottes und sein Erbarmen! Seht, meine Brüder, auf dieser Erde, wo der Tod verderbend einhergeht, wo jetzt Krankheiten und Seuchen wüthen, auf dieser Erde ist einmal das Kreuz Jesu Christi aufgerichtet worden; und sein himmlischer Vater hat wohlgefällig auf das Opfer herabgeblickt, das der geliebte Sohn ihm für uns darbrachte; um Seinetwillen hat er beschlossen, der Gerechtigkeit, die unsere Strafen forderte, Einhalt zu thun; und der Gnade freien Lauf zu lassen, die unsere Seligkeit begehrte. Der Himmel ist bereit, die gläubigen Jünger seines Sohnes aufzunehmen; aber in dem Drang seines Vaterherzens kann er seine Liebeserweisungen nicht auf den Himmel beschränken, er muß sie auch schon auf der Erde hervorbrechen lassen. Viel Leiden und Schmerzen gibt es auf dieser - darüber wundert Euch nicht; das ist nur zu nothwendig, nur zu erklärlich. Wundert Euch vielmehr, daß Gott in seiner allmächtigen Liebe unter diese nothwendigen Leiden so viel wahre Freuden gemischt hat. Selbst die Gottlosen sind von seinen Wohlthaten nicht ausgeschlossen; er läßt seine Sonne aufgehst über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Hat er in seine Strafen eine Kraft gelegt, die Sünde zu unterdrücken, so legt er auch in seine Wohlthaten die Kraft, wodurch sie erst zu wahren Segnungen werden, die Kraft zu locken, zu ihm zu führen, mit ihm zu verbinden: - o daß es die Menschen immer fühlten, und folgen wollten! Strafen und Trübsale sind unerlässlich; seine Gerechtigkeit, ja selbst seine Liebe fordern sie; aber seine Liebe fordert auch unsere Freude, auch die Anwendung dieser sanfteren Gnadenmittel zu unserm Heil. Das ist der Grund, weshalb wir in der Trübsal wissen, daß die Trübsal nicht ewig dauert; weshalb wir sprechen: Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten; weshalb wir hoffen, daß Freude auf Trauer folgt.
Durch wie viel Zeugnisse seines Wortes hat uns Gott nicht diese trostreiche Hoffnung bestätigt! Sein Geist spricht von ihm in den Psalmen: Er wird nicht immer hadern, noch ewiglich Zorn halten. Sein Zorn währet einen Augenblick und er hat Lust zum Leben. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens die Freude. Und durch den Propheten spricht der Herr: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr dein Erlöser. Denn es sollen wohl Berge weichen, und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Was er in seinem geschriebenen Worte ausdrücklich erklärt, daran erinnert er durch die Bildersprache der sichtbaren Natur, welche so oft das Geistige im Irdischen darstellt. Regengüsse haben den Himmel verdunkelt und die Fluren überschwemmt; doch siehe! da sieht ausgespannt auf den noch finsteren Wolken der Bogen des Friedens, und verkündet heitere Tage. Die Nacht sinkt herab mit ihrem Dunkel; kein Mondes-, kein Sternenlicht ist zu sehen; aber sie vergehn, die graunvollen Stunden, und Alles wird wieder von dem fröhlichen Sonnenlichte überstrahlt. Der Winter ist gekommen; mit seinen kurzen, kalten und trüben Tagen liegt er drückend über der Erde: wartet nur ein wenig, der Frühling wird wieder kehren mit seinen längeren, sonnigen Tagen und wird die Fluren und Wälder mit neuem Grün bekleiden.
Wird nun diese Hoffnung, daß auf Trauer Freude folgt, durch Gottes Gnade erweckt, durch sein Wort verkündet, durch die sichtbare Natur belebt - so wird sie Ha auch bestätigt durch unsere eigene Erfahrung. Gott hat uns viel glückliche Tage und Jahre geschenkt: nun freilich, diese haben für jetzt aufgehört; warum? das wissen wir nur zu gut, und wir dürfen nicht darüber klagen. Aber hat es nicht auch schon sehr unglückliche Zeiten für uns gegeben, Zeiten, wo eine große Noth uns umfangen hielt, wo eine mit jedem Tage erwachende Sorge uns quälte, wo ein schwerer Kummer uns niederdrückte, wo ein tiefer Gram an unserm Herzen nagte, wo eine unaussprechliche Angst unser Inneres durchwühlte? Haben denn diese Zeiten ewig gedauert; sind sie nicht auch verschwunden? Hat uns Gott nicht aus der Noth befreit? Hat er nicht Sorge und Kummer von uns genommen? Hat . er nicht durch die Tröstungen seines Geistes unsern Gram verscheucht? Hat er nicht unserem durch die Angst gemarterten Herzen Friede gegeben? Was er bisher gethan hat, warum sollte er es nicht auch künftig thun? Ist , es etwa aus mit seiner Gnade? Sie währet ewiglich. Ist etwa die Noth zu groß? Er ist allmächtig, um sie abzuwenden. Darum harret nur noch ein wenig; und Ihr werdet es selbst erleben: Auf Trauer folget Freude.
II.
Welches sind aber zweitens die Bedingungen, unter denen diese Hoffnung erfüllt werden kann? Wir finden sie in den folgenden Worten unseres Textes: Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen. Der Leidende muß in seiner Trübsal edlen Samen tragen, gute Früchte bringen, die Absichten Gottes, der ihm seine Leiden sandte, erfüllen: dann nur wird er Freude nach der Trauer hoffen dürfen.
Alle die unerfreulichen Erscheinungen in der sichtbaren Natur, welche den Trübsalen im menschlichen Leben entsprechen, haben ja auch den Zweck, daß die Saat, welche der Landmann dem Boden anvertraut hat, besser gedeihen möge. Der Winter sendet seine Flocken, und ein weites Schneegewand entzieht uns den theuren und gewohnten Anblick der Erde: aber diese wärmende Decke schützet und erhält die zarten Keime, die im nächsten Frühling ihre Kraft und Schönheit entfalten sollen. Wie trübe erscheint uns der Himmel, wenn er Tage und Wochen hindurch in Wolken sich hüllt, und Regen herabströmt! Aber der Landmann freut sich, denn er weiß, wie sehr diese düsteren Ströme seine Felder befruchten. Die Hitze dünkt uns unerträglich: aber auch sie ist nothwendig, um den Halm und die Traube zu reifen. Das Ungewitter erschreckt uns: aber wie hätte, ohne den rollenden Donner, ohne die zuckenden Blitze, die Luft gereinigt und abgekühlt werden können? Schnee, Regen, Hitze, Ungewitter befruchten das Feld, daß es edlen Samen tragt; und du, menschliches Herz, geistiger Boden, dem der Herr eine Saat für das ewige Leben anvertraut hat, wodurch anders wirst du befruchtet werden können, als durch Thränen des Kummers, Hitze der Leiden, Ungewitter der Trübsal? Freue dich dieser Schickungen, benutze sie wohl; dann wirst du edlen Samen tragen; dann wird es an dir bestätigt werden, daß, die mit Thränen säen, mit Freuden ernten.
Betrachtet denn also auch Ihr, meine Brüder, die jetzigen Trübsale als ein Mittel, und ihre fromme Benutzung als eine Bedingung zur dereinstigen freudenvollen Ernte; und da nicht von einem jeglichen Boden dieselben Erzeugnisse erwartet werden können, so höret was ihr jetzt nach den verschiedenen Stufen, worauf Ihr stehet, für Früchte zu tragen verpflichtet seyd.
Ich rede zuerst von solchen, die schon eine der höheren Stufen erreichten. Dies sind Christen, welche ihre geistige Nahrung aus dem Worte Gottes zu schöpfen gewohnt sind; welche die Erlösung, die es darbietet, in festem Glauben ergriffen; welche ihre seligen Wirkungen an dem eigenen Herzen erfuhren; welche nun schon eine längere Zeit hindurch einhergehn, in der Gemeinschaft mit dem Herrn, beseelt von seinem Geiste und thätig zu seiner Ehre. Diesen scheinet der Herr jetzt zuzurufen, was er vormals seinen Jüngern sagte: Ihr seyd das Licht der Welt, es mag die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen seyn. Man zündet auch nicht ein Licht an, und setzet es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, so leuchtet es denen allen, die im Hause sind. Diese sollen in dieser dunkeln Zeit ihr Licht leuchten lassen vor den Leuten, daß sie ihre guten Werke sehn, und ihren Vater im Himmel preisen. Sie sollen bedenken, daß sie uns allen, den Gläubigen wie den Ungläubigen, ein Beispiel schuldig sind, worin die Kraft des Glaubens sich offenbare, damit die Ungläubigen ihn ergreifen, und die Gläubigen ihn durch die That bewähren lernen. Und dieses Beispiel werden sie uns geben, wenn sie gleich entfernt von Furcht und von Leichtsinn, eben so ruhig und fest in der jetzigen Zeit wie in der glücklichsten einhergehn; wenn sie von einem Vertrauen beseelt sind, das sich nicht stützt auf die Umstände, sondern auf die Macht des Herrn, der an seiner Hand sie leitet; wenn sie nicht erschrecken, sollten auch Hundert zu ihrer Rechten und Hundert zu ihrer Linken fallen; wenn sie den Schwachen, ohne Vorwurf, gern ein Wort zum Trost und zur Ermunterung sagen; aber noch mehr als zu reden, bereit sind zu handeln, und mit eigener Gefahr da zu helfen, wo Hülfe nöthig ist. O gebet uns ein solches Beispiel, Ihr meine glücklichen, hochbegnadigten Brüder! Dadurch werdet Ihr für uns und Euch eine rechte Freudenernte vorbereiten.
Andere gibt es, das sind nicht weitgeförderte, sondern anfangende Christen. Sie haben einige Erkenntniß von Christo, und von dem Werke, das er in den Seelen der Menschen vollbringen will; sie haben die große Gabe, die er ihnen darbot, die Vergebung ihrer Sünden, mit Glauben und mit Dank aus seinen Händen angenommen; sie wandeln auch schon mit ihm auf dem Wege des Kreuzes und der Entsagung, doch so, daß sie zur Welt, der sie früherhin dienten, noch oft einen Blick zurückwerfen, in dem mehr Sehnsucht als Mitleid liegen möchte. Diese werden jetzt mit manchen inneren und äußeren Anfechtungen zu kämpfen haben. Zuweilen sind sie ganz voll Vertrauen auf Gott, ganz voll Ergebung in seinen Willen, und es wohnt in ihrem Herzen eine glückliche Ruhe; plötzlich - ein an sich unbedeutender äußerer Umstand hat diese Veränderung hervorgebracht - sind Vertrauen und Ergebung entflohn, und es fangt an, heftig in ihrem Innern zu stürmen. Ihr Sinn bewegt sich in leidenschaftlicher Unruhe hin und her; sie suchen etwas, woran sie sich festhalten können, und werden von dem einen Gegenstande zu dem andern hingeworfen. Auch bei Gott suchen sie Trost; sie beten, und ihr Gebet bleibt nicht ganz ohne Wirkung; aber es kann nicht seinen vollen Segen mit sich führen, weil irdische Leidenschaft sich darein mischt, weil sie dem Gott, den sie anrufen, dennoch nicht unbedingt vertrauen, weil sie ihm zwar Vieles hingeben, Vieles anheimstellen, aber doch nicht Wes, und noch manches sich selber vorbehalten. Ihr, die Ihr euch in dieser Schilderung erkennt, wißt, wie unter der schwülen Luft und den Ungewittern des Frühlings die Saaten mit einer Schnelle, worüber man staunen muß, wachsen und heranreifen: so könnt auch Ihr unter den jetzigen Prüfungen, edlen Samen tragen, und mit bewundernswürdiger Schnelle zur Reife gelangen. Gebet Euch ganz Gott hin; was zaudert Ihr? Er ist doch einmal der Herr über Alles, über Freude und Leid, Leben und Tod, Seele und Leib. Ihm gehört doch einmal Alles; er schaltet damit, wie es ihm beliebt: warum soll man ihm denn vorenthalten, was sein ist? Man hat doch einmal keinen Frieden, wenn man von ihm fern, und auch nur um ein weniges fern ist: warum räumt Ihr denn nicht Alles hinweg, was die ganze innige und nahe Gemeinschaft zwischen Euch und ihm verhindert? Das Gebet einer mit Leidenschaft und Unruhe erfüllten Seele wird nun doch einmal nicht ganz und vollständig erfüllt: so lernet denn beten, wie es sich geziemt, und in Andacht und Sammlung, angezogen durch die Liebe und Lieblichkeit des Herrn, Euren Sinn ganz still und sanft zu ihm erheben. Dies sind die großen Dinge, die Ihr jetzt lernen könnt; o lernet sie, und traget diesen edlen Samen!
Endlich gibt es unter uns manche, die noch nicht angefangen haben, ein christliches Leben zu führen. Es verging ihnen so ein Tag nach dem andern, indem sie sorgten, arbeiteten, erwarben; sammelten, genossen; an Gott dachten sie wenig, an Christum noch weniger. Das sey auch nicht nöthig, meinten sie, wenn man nur nicht in grobe Vergehungen falle; und davon ^das muß man Vielen unter ihnen einräumen - davon sind sie frei geblieben. Wie sieht es nun um diese, seitdem der Todesengel, in dichte Wolken gehüllt, über unserer Stadt schwebt, und mit Blitzesschnelle herabfährt, um bald diesen, bald jenen zu treffen? Schlimm steht es um sie; denn diese Schickung drückt doch gewaltig tief auf ihr Gemüth! Oder vielmehr, es sieht um sie gut, wenn sie nur diesen Druck recht tief empfinden, wenn sie ihm nur nicht Leichtsinn und Verstocktheit entgegensetzen; denn wenn sie dies thun, dann leider! werden sie auch jetzt keine Frucht bringen. Diejenigen nun, welche diese Bangigkeit empfinden, haben gehört, man dürfe jetzt keine Furcht aufkommen lassen; darum suchen sie sich zu zerstreuen; sie begeben sich an die Orte, wo sie sonst Vergnügen fanden; aber sie finden es nicht mehr; es ist, als ob der Tod mit seiner kalten Hand darüber hingefahren wäre, und auch alles Vergnügen getödtet hätte. Sie besuchen die geselligen Kreise, wo sie sonst manche angenehme Stunde zubrachten; jetzt aber, anstatt sich zu beruhigen, regen die Menschen gegenseitig sich auf, indem einer dem andern seine Nachrichten, seine Befürchtungen mittheilt. Was ist bei einer Unterhaltung zu gewinnen, die immer den Einen, traurigen Gegenstand hat; und vergaß man ihn auch eine Zeitlang - was hilfts? dann tritt er plötzlich vor die Augen, und das Gemüth wird um so heftiger von seinen Schrecken ergriffen. Und dabei ist die Plage noch fern von ihnen geblieben: wenn sie nun aber in das Nachbarshaus eindringt; wenn sie an ihre eigene Thür klopft, wie dann? Etwas so Großes sieht ihnen vielleicht nahe bevor; wie werden sie es ertragen?
Wenn ich hinblicke auf die Hütten, Häuser und Palläste dieser Stadt, und mir denke, daß in ihren Räumen so viel solcher geängstigten Menschen wohnen; wenn ich diejenigen betrachte, die sich auf den Straßen bewegen, und die, ob es gleich ihr Aeußeres nicht verräth, eine so schmerzliche Besorgniß im Herzen tragen mögen: ach! denke ich oft: Könnte doch eine Stimme von Oben in euer Herz dringen, und euch sagen, was euch Noth thut! O ihr Armen, würde sie ihnen zurufen, ihr suchet Ruhe; und ihr findet sie nicht in der geselligen Zerstreuung, nicht in der sorgsamen Anwendung der euch vorgeschriebenen Schutzmittel; nicht in nicht außer dem Hause, nicht in Euch, nicht in Andern! Hoffet auch nicht, sie anderswo zu finden, als in Gott! Er sendet die Plage und er kann ihr wehren; er kann vom Tode erretten, und stirbt man in ihm, so stirbt man selig. Wie werdet Ihr denn aber zu Gott kommen? Denn bisher, gesteht es, bisher kamt Ihr noch nicht zu ihm; und deshalb ist Euch so bange, denn außerhalb des Schattens seiner Flügel kann das Leben nur qualvoll, kann der Tod kein seliger Tod seyn. Wie werdet Ihr zu Gott kommen? Einzig und allein durch Christum. Denn Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; Niemand kommt zum Vater, als durch ihn. Wie werdet Ihr aber zu Christo kommen? Da ist vor allen Dingen die Sicherheit hinwegzuräumen, in welcher Ihr nun schon viele Jahre lang am Rande des Abgrundes geschlummert habt; der Wahn des eigenen Verdienstes; die Täuschung, als ob ein Leben, das von groben Lastern und Vergehungen frei ist, schon darum allein Gott wohlgefällig seyn müßte. ,Thut Buße und glaubet an das Evangelium! Niemals vielleicht, und solltet Ihr auch noch manche Jahre hienieden wandeln, ergeht Gottes Gnadenruf an Euch so stark und mächtig als jetzt. Bekehret Euch zu dem Herrn von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen. Nehmet es an, das Verdienst Jesu Christi, das er in dieser dunkeln Zeit der Leiden Euch so gnadenvoll und freundlich darbietet. Und wenn Ihr nun anfinget in Christo zu leben: wahrlich, dann hättet Ihr eine edle Frucht getragen!
Laßt uns solche Früchte bringen, ein jeder nach der Stufe, auf welcher er stehen mag; laßt uns unter den jetzigen Thränen eine solche Saat ausstreuen; dann werden wir mit Freuden ernten. Schon diese dunkele Zeit selber, wenn unser inneres, geistiges Leben darin gedeiht, wird in diesem Gedeihen ein fröhliches Gegengewicht haben gegen alle Leiden, welche sie mit sich führt; und – sind dereinst bessere Tage gekommen - wie theuer wird sie uns in der Erinnerung dann erst seyn, wie herrlich uns erscheinen, wenn wir an die geistigen Gaben denken, die in ihr uns zu Theil wurden, an unsere Erweckung, Erleuchtung, Bewährung. Sind dereinst bessere Tage gekommen, sagte ich; und daß diese kommen werden, das können wir dann erst hoffen, wenn die bösen Tage ihre gute Frucht hervorgebracht haben. Geschähe dieses nicht, so würden die Tage böse bleiben, um so böser, je glänzender sie von Aussen erschienen. Geschieht es aber, dann hat auch unsere Hoffnung auf bessere Zeiten einen festen Grund: den Rathschluß Gottes, der durch Strafen uns nur bessern will, und der, wenn die Besserung erfolgt, gern den Segen der Strafe hemmt, um den Segen der Beglückung darauf folgen zu lassen.
III.
Und ist nun diese Hoffnung in Erfüllung gegangen, wozu sind dann, so fragen wir drittens, Diejenigen, für welche sie erfüllt ward, verpflichtet? Das lehren uns die letzten Worte unsers Textes: Sie sollen kommen mit Freuden und ihre Garben bringen; sie sollen Gott Dank opfern, und ihm ihre Gelübde bezahlen; nicht Einmal sollen sie es thun; ihr ganzes ferneres Leben soll ein unaufhörliches Dankfest seyn; die geistige Frucht, die sie in den Zeiten der Trübsal trugen, die sollen sie bewahren, erneuern, vermehren in den Zeiten des Glückes; und weit entfernt zurückzusinken, sollen sie von einer Stufe zur andern emporstreben.
Wie werden sie schön seyn die Zeiten, wenn unsere Brust, nach langer Beklemmung durch Furcht und Besorgniß, wieder ruhig und frei wird aufathmen können; wenn die Botschaft ertönt, daß nun schon Ein Tag, nun schon mehrere Tage, nun schon eine Woche vergangen sind, ohne daß von der jetzt herrschenden Seuche Einer der Bewohner unserer Stadt befallen oder hingerafft ward; wenn das Ungewitter, das von uns fortzog, sich nicht auf andere Theile unseres Landes entladen, sondern durch die Macht Gottes, der es sandte, sich wieder in Nichts aufgelöset hat; wenn die Kinder, indem sie ihren Vater betrachten, wieder der Hoffnung Raum geben können: Er wird ruhig entschlafen wie seine Väter; nicht im Sturm, sondern im stillen Wehen wird ihn Gott von uns nehmen; wir werden, sanft weinend, sein Sterbelager umringen, und ihn an dem langst von ihm bezeichneten Orte bestatten können; wenn die Eltern mit Freudenthränen auf ihre Kinder, die Ehegatten mit Rührung Einer auf den Andern blicken, und Gott danken, daß er Die, welche ihnen so theuer sind, verschont hat! Wie werden sie schön seyn die Zeiten, wenn auch das, was schon langer als ein Jahr die Gemüther beunruhigt, und nur durch die nähere Plage in den Hintergrund zurückgedrängt ward, wenn auch dieses, das auch verschwinden muß, verschwunden seyn wird; wenn der Hader ausgehört hat zwischen den Fürsten und den Völkern, und die Empörer, in. die Schranken des Gehorsams zurückgekehrt sind; wenn die Nationen nicht mehr mit halbgezückten Schwertern einander gegenüber stehn, sondern sich die Hand zum langen Frieden gereicht haben; wenn alle Segnungen der Eintracht, der Ruhe sich wieder über die Länder ergießen, und auch unser Vaterland, nach überstandenen Drangsalen, wieder dasteht in seinem Glück und seiner Kraft!
Schön werden sie seyn diese Zeiten? Ist das auch gewiß? Denn schön, wenigstens für den geistigen Blick, ist eine Zeit doch nicht allein durch irdisches Wohlergehn, sondern vornehmlich durch die fromme, christliche Gesinnung, die darin herrschet. Ist diese verbreitet, dann sind die Jahre schön und herrlich zu nennen, sollten sie auch äußerlich traurig seyn; fehlt sie, so sind die schönsten Jahre traurig. Wie aber, wenn sie bei der Wiederkehr des Glückes uns fehlte, wenn sie selbst aus den Herzen, wo sie während der allgemeinen Noth geherrscht hatte, sich zurückzöge! Immer ist der Uebergang von der Trauer zur Freude, vom Unglücke zum Glück, immer ist er eine gefahrvolle Prüfung, er ist es für den Einzelnen, er ist es für ein Volk. Schon einmal in diesem Jahrhundert ist das unsere einer solchen Prüfung ausgesetzt gewesen, damals, als die langen Kriegesjahre mit dem glorreich erkämpften Frieden sich schlossen: wie haben wir jene Prüfung bestanden? Schlecht! das fühlt Ihr doch wohl jetzt, wo Ihr für die schlechte Anwendung Euers damaligen Glückes gestraft werdet. Und die neue Prüfung, wenn auch jetzt, wie wir es von Gottes Gnade erwarten, die Freude nach der Trauer wiederkehrt, wie werden wir sie bestehn? Werden wir dann nicht vielleicht alle Empfindungen, und auch die heilsamen, welche diese trübe Zeit in uns erweckt haben mag, wie einen ängstlichen Traum der Nacht von uns abschütteln? Wird nicht vielleicht der irdische Sinn um so gewaltsamer, leidenschaftlicher hervorbrechen, um sich für den Zwang, den er sich auflegen mußte, zu entschädigen? Wird nicht vielleicht der Unglaube eilen, allen Glauben, den die Noth in die Herzen gepflanzt haben mochte, wieder auszurotten? Gott! deine Gnade wird das verhüten; aber, wenn es seyn sollte, so wäre es besser, die Zeiten des Glückes kehrten niemals wieder. Siehe! Ihr seyd gewarnt, meine Brüder; so waffnet Euch nun in den Zeiten der Trübsale gegen die Zeiten des Glückes, und wehret ihm, daß es Euch keinen der Vorzüge, die Ihr jenen zu verdanken habt, entreiße! Ihr habt, während der Tod Euch so nahe war, öfter als sonst Todesgedanken gehegt, Ihr habt die Schauer der herannahenden Ewigkeit empfunden, Ihr habt im irdischen und geistigen Sinne Euer Haus bestellt: o bildet Euch nicht ein, wenn die jetzige Seuche wird ausgewüthet haben, daß Ihr deshalb hier auf Erden unsterblich geworden wäret; glaubet nie, der Tod sey von Euch fern, und fahret fort, an jedem Tage Euch mit Ernst darauf vorzubereiten. - Ihr habt Euch nicht selten wie mit dem Tode, so auch mit der großen Frage beschäftigt: Unter welchen Bedingungen kann ich nach dem Tode selig werden; es hat, bei dem Gedanken, daß Ihr so auf Euch allein und auf Eure Gerechtigkeit vertrauend, vor den Thron Eures Richters treten solltet, Euch Furcht und Zittern ergriffen. Da ist es für Euch eine überraschend frohe Entdeckung gewesen: Christus hat ja für mich gelitten! Da ist der Glaube an ihn Euch wie ein Sonnenstrahl ins Herz gefallen. O verschließt es nicht wieder diesem himmlischen Lichte, laßt es ganz bis in seine Tiefen davon durchleuchtet werden, und schreitet von einer Klarheit zur andern fort. - Ihr habt, wenn Ihr rechts und links so manche Opfer fallen sahet, die Hände zum Herrn erhoben, und gerufen: Herr, verschone mich und die Meinigen; Ihr habt des Morgens, des Abends, und in jedem Augenblicke heftiger Erschütterung diese Bitte wiederholt; und Ihr seyd erhört worden! Soll denn auf das Gebet der Angst nicht auch künftig das Gebet des Dankes und der Liebe folgen; soll das Gespräch mit Gott nicht Euer ganzes Leben hindurch fortgehn, und Eure tägliche Uebung werden?- Ihr habt in den Versammlungen der Christen, wohin die Angst Euers Herzens Euch trieb, so oft Ermunterung und Trost gefunden: sollen diese Orte, wenn die Angst nachgelassen hat, nie wieder von Euch besucht werden; oder wollt Ihr euch nicht vielmehr oft wieder dort einfinden, wo Gottes Geist zu dem Eurigen so merklich gesprochen hat? - Ihr habt, während Ihr glaubtet, daß Ihr vielleicht nur noch kurze Zeit leben würdet, wenigstens mit allen Menschen in Liebe, Friede und Freundschaft leben wollen; Ihr seyd gütig und freundlich gegen Eure Hausgenossen gewesen; mildthätig gegen die Armen; Ihr habt Euren Feinden verziehen: sollen Hartherzigkeit, Erbitterung, Feindschaft wieder erwachen, sobald der Todesengel Euch nicht mehr zur Seite steht, und mit seinem Schwerte Euch droht? - Ihr habt in diesen Zeiten oft ausgerufen: O wenn Gott mein Herz von dieser Noth und Sorge befreit, so will ich aus Dank gegen ihn, es von allen nichtigen, irdischen Sorgen, die es so oft beschwert haben, frei erhalten! Gedenket dieses Gelübdes; gedenket, wenn sie wieder erwachen die Sorgen der Eitelkeit, durch welche glückliche Tage oft zu so unglücklichen werden, gedenket, daß Ihr Gott versprochen habt, sie zurückzuweisen, und daß es ein schreiender Undank seyn würde, sie noch länger zu nähren.
Laß uns diese Früchte bringen, o Gott! Gib uns deine Gnade zur Ausführung unserer guten Vorsätze, und mache durch sie diese Vorsätze recht fest in unsern Herzen! Ach! traurig, unaussprechlich traurig würde es seyn, wenn wir in dieser Zeit so manche Thränen geweint, so manche Unruhe empfunden, vielleicht so manchen Verlust erlitten hätten; -und dies alles wäre umsonst, und wir blieben alle so unvollkommen, wie wir sind; und wir trügen keine Frucht für das ewige Leben! Traurig, unaussprechlich traurig würde es seyn, wenn alle Deine Schickungen, glückliche und unglückliche, in uns immer dieselbe Gefühllosigkeit, denselben Leichtsinn fanden; wenn Deine Gnade die mannigfaltigsten Mittel anwendete, und immer vergeblich! Laß uns gute Früchte bringen in der jetzigen Trübsal; gute Früchte in den glücklichen Zeiten, die wir nach derselben von Deiner Gnade erwarten; und so gehe es fort, so lange er noch dauert der Wechsel dieses sich von der Trübsal zum Glück, und vom Glück zu der Trübsal fortbewegenden Lebens. Hat es einst aufgehört, hat ein besseres Leben begonnen, und wir kommen dann und bringen Dir unsere Garben; - die Garben nicht unseres Verdienstes, sondern des Verdienstes Jesu Christi; denn auch Er ist ja weinend hingegangen, und hat edlen Samen getragen, den Samen unserer Seligkeit; - kommen wir dann und bringen Dir unsere Garben; dann, befreit von aller Sünde und aller Trübsal, wieder vereinigt mit Denen, die wir hier beweinen: o Gott, welch ein Erntefest werden wir dann feiern! O eine Ahndung jenes höheren himmlischen Festes durchdringe uns am Abend des heutigen, und stärke uns, Leid und Freude zu tragen, bis die himmlische Feier beginnt! Amen.