Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Nach Maßgabe wir das Unsrige stillstehen lassen, sind wir fähig, von Gott bearbeitet werden zu können. Wenn er unser Herz und unsern Willen wahrhaft in seiner Hand hat, dann macht er selbst allgemach alle äußeren Verwicklungen verschwinden.
Der Friede des Gotteskindes Jesus sei die Festigkeit Eurer Seelen! In seiner Gnade geliebter Bruder!
Ich habe Deinen mir sehr angenehmen Brief empfangen. Unsere Gemeinschaft sei in dem Herrn und zu dem Herrn je länger, je inniger! Einige suchten den Herrn und sie fanden ihn (Joh. 1, 39.), aber Andere fand er, ohne dass sie ihn suchten (45.), und doch mussten diese ihm auch folgen. Das Letzte ist in mehr als einer Hinsicht der Fall mit Dir. Er hat für Dich gesorgt, Du bist ihm also doppelt verbunden. Wir wollen uns seiner väterlichen Führung und Leitung für das Innere und Äußere fortwährend anvertrauen, ihm zwar auf keinerlei Weise vorauslaufen, aber doch unbekümmert und mit gänzlicher Loslassung unsrer selbst dahin folgen, wo er vorangeht und innen und außen eine Türe öffnet. Unsre eignen Neigungen und unser eignes Tun sind hinderlich; doch Beides lässt sich genugsam erkennen durch eine gewisse Heftigkeit, die den Geist aus seiner Stellung rückt. Nach Maßgabe wir das Unsrige stillstehen lassen, werden wir für die Bearbeitungen Gottes und für Neigungen, die ihm angenehm und die stets mit Einfalt und vollkommenem Geistesraum gepaart sind, empfänglich. Wir müssen unter- und er aufgehen. Unter der göttlichen Herrschaft des Kindleins Jesu muss sich Alles beugen, was in uns ist: sein Zepter ist ein Zepter des Friedens. Er überwinde und vernichte alle die tief verborgenen Widersetzlichkeiten gegen seine göttliche Herrschaft in uns! Hat er unser Herz und unsern Willen wahrhaft in seiner Hand, dann macht er alle hindernden äußern Verwicklungen nach und nach verschwinden.
Ich grüße und umarme Dich nebst Deiner lieben Hausfrau im Geiste. Er segne Euch! Erlaubt Dir der Herr in Deiner Einigkeit an mich zu denken, so soll mir dies höchst angenehm sein, denn ich bedarf bei meinen inneren und äußeren Schwächen der Fürbitte von Gottes Kindern gar sehr. Hast Du Gelegenheit, so grüße auch die anderen Freunde. Lebe wohl im Herrn!
Ich bleibe
Dein verbundener Freund und Bruder.
Mülheim, den 2. Januar 1736.