Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Bei den vielen Spaltungen, die unter den berufenen Seelen heut zu Tage herrschen, müssen uns die, mit denen uns der Herr eine ungezwungene Übereinstimmung und Vereinigung verleiht, um so teurer sein. Etwas über die Worte Davids in Psalm 27, 4: Eins bitte ich vom Herrn usw.
Geliebte im Herrn!
Es ist mir erfreulich gewesen, dass wir einander noch einmal in Liebe von Angesicht zu Angesicht haben sehen mögen. Je mehr ich die vielen Spaltungen, Umwege und Abirrungen rechts und links bei den heut zu Tage berufenen Seelen bemerke (ohne noch von den verschiedenen Arten des Rufs und der Führung zu reden), desto teurer werden mir die, mit denen mir der Herr eine ungezwungene Übereinstimmung und Vereinigung des Geistes und der Leitung nach meinen geringen Verdiensten vergönnt hat. Ich wünsche auch davon den Gebrauch zu machen, den der Herr bezweckt. Alles gereiche zur Verbreitung von Gottes Reich in unserm Herzen! Wir wollen also unter des Herrn Führung fortfahren, nur dies Eine mit David zu suchen, und auch Einer für den Andern vom Herrn zu begehren, dass wir nämlich unser Leben lang im Haufe des Herrn bleiben mögen, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn (Ps. 27, 4.), und dies Eine suchend, uns und Alles zu verlieren durch seine Gnade. Ich weiß auch wohl, dass man mit weniger nicht ausreicht, und man kann in das Haus des Herrn nicht hineinsehen, auch das Innere wahrlich nicht erkennen, wie viel weniger also darin bleiben sein Leben lang, ohne in dieses Loslassen, Sterben und Verlieren mit vollem Maße einzugehen. Aber wie wahrhaftig ist es, dass der Herr uns selbst dabei leiten muss, wenn wir wissen sollen, was es ist. Dies tue der Herr dann um seiner selbst willen! Sintemal er uns die Barmherzigkeit erwiesen hat, uns zu suchen, und er uns gefunden hat, um seine Anbeter im Geist und in der Wahrheit zu werden; so komme er denn in seinen heiligen Tempel, und reinige ihn ein- und das andere Mal nach seiner Gunst, und dulde nichts Fremdes darin, auf dass unser Geist ein würdiges Haus seiner göttlichen Majestät und ein Werkzeug seiner Verherrlichung werde. Amen, Jesus! Gedenke meiner vor dem Herrn und lebe wohl in Gott!
Ich grüße Dich, liebe Schwester, herzlich, und bleibe durch die Gnade
Dein in dem Herrn verbundener Bruder. Mülheim, den 13. Oktober 1739.