Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Wer auf eine dauernde Weise in das inwendige Paradies des göttlichen Friedens gelangen will, muss durch das Schwert der Cherubim unglaublich viel in sich abhauen und töten lassen. Der Stand der Unschuld war darum so selig, weil der Mensch nicht sich, sondern Gott allein sah und kannte.

Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Wer auf eine dauernde Weise in das inwendige Paradies des göttlichen Friedens gelangen will, muss durch das Schwert der Cherubim unglaublich viel in sich abhauen und töten lassen. Der Stand der Unschuld war darum so selig, weil der Mensch nicht sich, sondern Gott allein sah und kannte.

In Jesus, der in Deiner Seele lebe, sehr werter und lieber Bruder! Ich verlange Dich einmal wieder im Namen unsers Seligmachers Jesus zu grüßen, wünschend, dass er mit seinem überall gegenwärtigen Geiste sich dem Deinigen nähere und seinen göttlichen Frieden im Grunde befestige und vermannigfache! Amen. Dieser kostbare Friede ist eine Frucht des Paradieses, was uns durch die Verdienste Christi wieder im Grunde geöffnet ist. Gepriesen sei seine wunderbare Liebe, durch welche er uns auch die Kraft und Bereitwilligkeit verleiht, uns seiner Behandlung zu überlassen. Denn das ist die Wahrheit: soll dieser Friede Gottes und Gott des Friedens uns auf eine wesentliche, reine und feste oder beständige Art einnehmen, dann findet das flammende Schwert der Cherubim (wovon Du findest Gen. 3, 24.) unglaublich viel im Menschen zu töten und zu vernichten, weil nichts als der arme, nackte und ganz einfältig gemachte Geist mit Christus eingehen und Teil haben kann an Gott und dessen Frieden. Man spürt es schon jetzt recht deutlich, dass die einfältigen Kindlein und auch nur diese allein das Königreich der Himmel empfahen. Im Stande der Unschuld war der Mensch nackt und wusste es nicht; die Herrlichkeit Gottes war sein Kleid, und auch das wusste er nicht, denn er war wie ein Kind. Und gerade dieses, dass er sich selbst nicht kannte oder sah, machte seinen Frieden, seine Seligkeit und das Paradies aus. Das Nichtwissen schließt die Eigenheit und alles Höllische aus. Unser süßester Seligmacher führt seine ihm Hingegebenen sehr wunderbar wieder zu dieser Unschuld hin; und je mehr er in uns das Überlegen und Widerstreben überwinden kann, und je mehr wir uns seinem Tode und dem Nichts leidend hingeben, um so viel wirksamer kann der Friede Gottes und Gott selbst uns einnehmen. Denn er ist unser Seligmacher. Von uns fordert er kein Bringen oder Machen, kein Wissen oder Können, sondern ein unbesorgtes Stillhalten und Schaltenlassen mit uns von ihm; und auch dieses muss und will er selbst in uns nach seinem Wohl gefallen bewirken. Ja, o Herr, wir sind ein armes Nichts; du allein bist unser Wiederbringer, unser Gott und unser Heil in Ewigkeit! Verherrliche dich in uns durch Ertötung alle des Unsrigen; mache uns grundeinfältig und unschuldig wie die Kindlein, auf dass dein Friede unsre Herzen und Gedanken in Christus Jesus bewahren könne bis an das Ende! Amen.

Lieber Bruder, ich schreibe dies Alles ohne viel Nachsinnen nieder, so wie es mir einkommt; der Herr tue, was ihm behagt! Den angenehmen Brief vom 26. November von Schwester N. N. habe ich erhalten. Ich sehe mit Vergnügen daraus, dass es damals mit Deiner Brust merklich besser ging; Dank sei dem Herrn dafür! Doch glaube ich, Du wirst wohltun, Dich etwas für die kalte Luft in Acht zu nehmen, besonders auch für kalte Füße, was der Brust sehr schadet. Ich hoffe nun, dass es mit Deiner Brustschwäche am schlimmsten gewesen ist; käme es anders, dann bitte ich um einige Nachricht von Deinem Befinden. Der Herr schalte mit uns nach Leib und Seele, wie es ihm wohlgefällig ist, und gebe, dass auch wir Wohlbehagen darin finden und uns ihm mit Vere trauen hingeben! Er sei Dir besonders in Deiner Einsamkeit nahe, mein lieber Bruder, und schenke Dir Alles, was Du in Deinem schwächlichen Alter bedarfst! Unser Restchen vom nichtigen Leben läuft bald ab. Er selbst, unser Gott, will unser wahres und ewiges Leben sein.

Die Freunde hier grüßen Dich alle herzlich, wie auch ich tue; sie sind beinahe noch in demselben Zustande. Doch hat unsre schwache Freundin Helena seit einiger Zeit mehr als gewöhnlich und schwer gelitten, unter welchen Leiden ihr Grund obschon in Nacktheit mit Vertrauen vollkommen ergeben ist.

Dass unsre werte Freundin N. N., statt zu genesen, noch eine neue und so bedeutende Qual dabei bekommen hat, rührt mich. Indessen der Herr hat es so gewollt. Er wird es auch, wie ich vertraue, zum Besten lenken, so dass es weder dem Leibe noch der Seele schade. In seiner Hand muss Alles zu Segen werden; was wir und die Menschen verderben, macht er wieder gut; auch unser Gift wandelt er in segenreiche Arznei um. Ich grüße diese Schwester herzlich; auch grüße ich in der Liebe des Herrn herzlich unsere Schwester N. N., ihr dankend für ihr Briefchen. Die Zeit erlaubt mir nicht, dieses Mal auch noch an sie zu schreiben. Des Herrn Friede sei mit und in ihr! Nun, mein lieber alter Bruder, ich umarme Dich nochmals im Geiste mit zärtlicher Liebe in dem Herrn; lebe innig wohl in ihm, der uns in jeder Hinsicht ewig genug ist. In Ihm wollen wir uns loslassen im Leben und Sterben, ohne uns mehr nach uns selbst umzusehen. Amen! dies verleihe er.

Ich bleibe

Dein treu verbundener schwacher Bruder.

Mülheim, den 13. Dezember 1743.

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autoren/t/tersteegen/briefe_in_auswahl/tersteegen-briefe-69.txt · Zuletzt geändert: von aj
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