Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Das Vertrauen auf Gottes väterliche Güte und Führung ist der Stab und Stecken der innigen Pilger. Dieses Vertrauen, wenn es nicht mehr teils auf Gott, teils auf uns beruht, sondern auf Gott allein, wird zwar dem Verstande weniger bemerklich, gibt aber eine desto tiefere Sicherheit und Ruhe; gerade wie ein Anker, der erst dann, wenn er wie verloren im Abgrund des Meeres liegt, das Schiff sichert.

Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Das Vertrauen auf Gottes väterliche Güte und Führung ist der Stab und Stecken der innigen Pilger. Dieses Vertrauen, wenn es nicht mehr teils auf Gott, teils auf uns beruht, sondern auf Gott allein, wird zwar dem Verstande weniger bemerklich, gibt aber eine desto tiefere Sicherheit und Ruhe; gerade wie ein Anker, der erst dann, wenn er wie verloren im Abgrund des Meeres liegt, das Schiff sichert.

Über den Tod eines leiblichen Bruders des Schreibers.

In unserm geliebten Heilande Jesus

Christus, in dessen Namen allein wir die Knie unseres Herzens in der Zeit und Ewigkeit zu beugen wünschen, herzlich geliebter Bruder!

Deinen letzten angenehmen Brief vom 8. Februar habe ich erhalten. Von Herzen vereinige ich mich mit den Wahrheiten, die Du darin berührst, und was Du darin sagst mit Bezug auf Deinen Zustand und Deine Stimmung erquickt mich, weil ich wenigstens so viel daraus ersehe, dass der Herr Dir noch das Haupt übers Wasser hält, durch ein Vertrauen auf seine väterliche Güte und Führung, wie nackt dies Vertrauen auch sein mag. Dies tief verborgene Vertrauen ist der Stab und Stecken, von dem David singt und rühmt im 23. Psalm. Ich hege gute Hoffnung, bester Freund, dass Du mit mir noch einmal ein Held wirst im Loslassen und Verlieren Deiner selbst und Allem, woraus das innigste Vertrauen auf den Unsichtbaren geboren wird. So lange unser Vertrauen zum Teil auf uns und dem Unsrigen und zum Teil auf Gott und seiner Gnade beruht, so lange kann man es deutlich fühlen und bemerken. Aber je reiner unser Glaube auf Gott allein beruht, desto weniger lässt er sich durch den Verstand erkennen, und dennoch gibt es dann dem Gemüte eine weit tiefere Ruhe und Festigkeit. Ein Anker, den man sieht, nützt zu nichts, aber ausgeworfen und wie verloren in den Abgrund des Meeres, hält er das Schiff; doch sehen wir das Tau noch, ich will sagen die innige Neigung und das innige Streben unsers Gemütes, die nach unten hingehen, um sich zu vereinigen mit und zu verlieren in Gott, unsre einzige Zuflucht, Stütze und unser einziges Heil in Zeit und Ewigkeit. O, welch ein guter, großer, unveränderlicher Gott ist er! Wie liebenswürdig ist er und alle seine Wege! Dies glauben wir jetzt, mein Freund, und ach! dass wir es alle Tage einfältiger und unter allen Umständen glauben möchten! Aber wir werden es bald auf eine unendliche, lebendige und klare Weise sehen, wenn der schwarze Vorhang unsers Körpers niederfällt, um nach Gottes bloßer Barmherzigkeit in Christus sein seligmachend Angesicht zu schauen. Ja, wenn ich nach der Einfalt meines Herzens reden soll, so scheint es mir, dass alle Freude des Himmels mir im Vergleich mit der wahren Erkennung dieses großen Gottes unbedeutend vorkommt. Ihn zu kennen ist die volle Seligkeit. Und wer es nur weiß, wie er es wissen soll, dass Gott ist, der er ist, der ist von nun an schon glückselig unter allen Leiden und Beschwerden dieses Lebens. O, dieser große und gute Gott hat auch uns arme Würmlein zu seiner Erkenntnis und Liebe berufen, und so innig berufen, dass wir ganz in ihm zu sein wünschen. Er werde dann auch je länger je mehr unser einziger Gegens stand in Allem! Sehen wir auf uns und das Unsrige, dann bleiben wir immer eingeengt, arm und elend. Gott will, dass wir mit einem innigen, aber auch geräumigen Herzen vor ihm wandeln in Frieden, damit er, der ein unermessliches, sanftes, fröhliches Liebewesen ist, nach seinem Wohlgefallen in unserm Herzen wohnen und wirken könne. Er gebe es selbst, was er von uns will! Amen.

Du hast vernommen, mein Lieber, dass mein Bruder am 1. Februar gestorben ist, der letzte von fünfen, die ich hatte, und auch der beste. Alle fünf haben Witwen und Waisen hinterlassen, die einigermaßen ihre Zuflucht zu mir nehmen, obschon ich, auch ohne sie, glauben mag, nach meinen schwachen, geistigen und körperlichen Kräften Last genug zu haben. Der Tod dieses Bruders schien mir keine geringe Last aufzulegen, und diese von weitem betrachtend erschrak ich davor; doch als es wirklich dazu kam, machte, mir der Herr diese Last sehr leicht im Gemüt, so dass ich sie zwar fühle, aber doch recht gemächlich trage; was dies bedeutet, weiß ich nicht, vielleicht will der Herr mich bald auf die eine oder die andere Art frei machen. Wenigstens kommt es mir vor, dass jetzt, nun alle meine Brüder, die weit gesunder waren als ich, abgetreten sind, die Reihe an mir steht, und es geziemt sich nicht, dass ich mir Sorge mache über so bald vorübergehende Dinge. Mein Bruder starb in ziemlich guter Gemütsstimmung nach seinem Zustande, und kurz nachdem ich ihn in einem mündlichen Gebete dem Herrn empfohlen hatte. Als ich das letzte Mal vor seinem Bette an Dich schrieb, sagte er: Heute lasse ich diesen Freund zum letzten Mal grüßen. Am Tage, wo er begraben wurde, erkrankte ein anderer guter Freund, ein Doctor medicinae, hier, und starb sehr schnell darauf, obschon er sonst ein gesunder, starker Mann war, in dessen Hause Versammlungen gehalten wurden. Dessen hinterlassene Frau ist eine zum innern Leben berufene und ihm hingegebene Freundin.

Ich grüße und umarme Dich im Geiste der Liebe Jesu, und bleibe

Dein treu verbundener Bruder.

Mülheim, den 1. März 1735.

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autoren/t/tersteegen/briefe_in_auswahl/tersteegen-briefe-67.txt · Zuletzt geändert: von aj
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