Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Köstlichkeit der Liebe zu Gott, die das Herz nicht zerstreut, sondern in seiner Ruhe lässt.

Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Köstlichkeit der Liebe zu Gott, die das Herz nicht zerstreut, sondern in seiner Ruhe lässt.

In der Liebe von unserm Herrn Jesus herzlich geliebter Bruder!

Da ich Deine Zurückkunft durch unsre Freundin N. N. mit Freuden vernommen habe, so zweifle ich auch nicht, dass Dir mein Schreiben durch unsern Freund N. N. schon mitgeteilt sein wird. Ich konnte damals keine Zeit erübrigen, um auch an Dich zu schreiben, wiewohl mein Herz dazu geneigt war; sondern ich musste mich begnügen es im Geiste zu tun, was seit der Zeit schon mehrmals geschehen ist. Von Herzen erkenne ich die Güte des HErrn und danke ihr, dass wir noch einmal Gelegenheit hatten, einander von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und zwar mit so viel Vereinigung im Geist und in der Liebe, dass es mir zu einer innigen Erquickung im HErrn gereichte. Wie köstlich ist nicht die Liebe zwischen uns, die das Gemüt nicht verlockt, vervielfältigt oder bewegt, sondern in seiner Ruhe lässt; ja die Einheit und Innigkeit des Geistes mit Gott noch verstärkt und ausdehnt, auf dass der HErr je länger je mehr alles in allem werde und bleibe. Täglich erfährt man mit der innigsten Hingebung des Gemüts immer stärker und tiefer, wie höchst billig es ist, dass der HErr alles in allem in uns, dass alles Ihm untertänig sei, und stille vor Ihm liege, dass sich alle Liebekraft ungeteilt nach Ihm wende, dass Er alles in uns wirke ohne Einmischung des Eigenen. Man erfährt, sage ich, dass dies so durchaus nötig, billig und erwünscht ist, dass man gern dem HErrn Raum macht, alles hingibt und überlässt, ja auch innig eingeht in alle seine Wege und Führungen, die uns für die reine Anhänglichkeit an Ihn vorbereiten und zu ihr hinleiten. Ist dem nicht so, mein Geliebter in dem HErrn? Muss der HErr nicht alles sein, und wird Er es nicht auch in uns sein, und ist dieses nicht die Seligkeit unsres Geistes? Seine unendliche Barmherzigkeit dulde doch nicht länger die Unschicklichkeit und Unordnung in uns, dass irgend eine Kreatur, oder irgend etwas vom Unsrigen den Platz einnehme, der Ihm allein gebührt, oder dass das unsaubere Eigene sich mit seiner göttlichen und kostbaren Wirkung vermenge. Zu dieser Reinheit hat Er uns berufen, und ruft uns noch immerwährend dazu hin. Er sieht auch wohl, dass unser Begehren (von seiner göttlichen Liebe getroffen) erst auf dieser Höhe vollkommen still stehen kann. Darum müssen wir mit kindlichem Vertrauen, ruhig im Geist, in seinen Händen liegen bleiben, wohl wissend, dass Er dies große Werk in uns durch sich selbst ausführen wird. Das wahre und lebendige Wort Gottes, vor dessen Angesicht alles Innere in uns offen daliegt, dies zweischneidige Schwert weiß am besten zu scheiden, was nicht in das Allerheiligste gehört; denn es scheidet Seele und Geist (Ebr. 4,12), auf dass der Mittelpunkt unsres Geistes seine reine, stille und beständige Wohnung und Ruhe werde und bleibe ewig. Wir, die da glauben, gehen ein zur Ruhe. Ehre unsrem Erlöser und ewigen Dank Ihm, der uns durch sein Blut einen solchen innigen und freien Zu- und Eingang zur seligen Ruhe von Gottes wirklicher Gemeinschaft erworben hat! Amen. Wir wollen uns, liebster Bruder, zu diesem Zwecke ganz dem HErrn opfern, wenn Er uns Gnade dazu verleiht, auf dass alle Vermittlung und Hindernis bei diesem großen Werke des HErrn immer mehr weggeräumt, und ferner alles Wohlgefallen seines Willens in uns erfüllt werde. Wie eifrig wünsche ich uns oft, dass uns der HErr nach seinem Herzen bereiten möge.

In seiner Liebe grüße ich Dich herzlich und wünsche zu bleiben

Dein Dich im HErrn liebender Bruder.

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autoren/t/tersteegen/briefe_in_auswahl/tersteegen-briefe-22.txt · Zuletzt geändert: von aj
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