Taylor, Hudson - Missionsansprache von Hudson Taylor
gehalten in Barmen am 5. April 1893
(gekürzt)
Liebe Freunde, es ist heute das erstemal, daß ich in Deutschland rede. Ich glaube, viele von euch haben den Herrn Jesus lieb, und ich möchte alle, die Ihn wirklich liebhaben, bitten, daß sie jetzt zu Ihm beten, daß Er Seinen Segen gebe…
Es ist beinahe vierzig Jahre her, daß ich anfing, für China zu beten. China war damals noch wenig missioniert. Da hängt eine Karte von China. Das Land ist in achtzehn Provinzen eingeteilt. Vor vierzig Jahren waren einige Missionare in Kanton und Hongkong, einige in Fuchow, Amoy, Ningpo und in Schanghai, und sonst war nirgends ein Zeuge des Herrn Jesu in dem großen Reich. Es ist wahrscheinlich, daß zu jener Zeit vierhundert Millionen Menschen in China lebten. Wo sind diese vierhundert Millionen jetzt? Fast alle sind seitdem in die Ewigkeit gegangen, und nur sehr wenige haben je gehört, daß Gott ihre Missetat auf den Herrn Jesus legte. Heute sind in China eine hundert Millionen Menschen, die in Häusern und Familien geboren sind, wo in den meisten der Name Jesus nie genannt worden ist. Sie sind aufgewachsen in einer Umgebung ohne Christus, sind alt geworden und wissen nichts von Christus und sterben sehr rasch dahin, mehr als dreißigtausend an jedem Tag, und wir können mit Sicherheit sagen, daß fünfundzwanzigtausend von ihnen niemals das Evangelium gehört haben. Vergegenwärtigen wir uns, daß in jeder Stunde mehr als tausend Menschen in China dahinsterben, die das Evangelium nicht kennen – können wir uns dann begnügen mit dem, was wir bisher für sie getan haben? Ist Gott damit zufrieden? Sind wir gehorsame Kinder, wenn wir die Zeit so dahingehen lassen, ohne beunruhigt zu werden, ohne daß unser Herz uns verklagt? - Es steht geschrieben: „Also hat Gott die Welt geliebt“, also nicht nur Europa, nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt, „daß Er Seinen eingebornen Sohn gab“. Was habe ich gegeben, was habt ihr gegeben für diese Liebe Christi? Wenn wir Gottes Kinder sind, dann sind wir auch irgendwie ähnlich unserm himmlischen Vater, dann werden wir auch danach trachten, von ganzem Herzen die zu lieben, die Er liebt, dann werden wir auch den Befehl Jesu ausführen und den Herrn der Ernte bitten, daß Er Arbeiter in Seine Ernte senden möge. Wenn ihr alle also beten wolltet, Gott würde sicherlich antworten.
Nachdem ich mehrere Jahre in China gearbeitet hatte, kam ich nach England zurück und war krank. Aber auch während ich mich zur Erholung in England aufhielt, hatte ich den Auftrag, für China zu arbeiten, und mit einem andern Missionar und einem eingeborenen Christen übersetzte ich das Neue Testament in die Sprache von Ningpo. Als wir nun den ganzen Tag damit beschäftigt waren, das teure Gotteswort zu lesen, wurde es uns immer kostbarer. Wenn es Christen gibt, die die Bibel nicht liebhaben, dann liegt es daran, daß sie die Bibel nicht hinreichend studieren. Wir müssen uns immer daran erinnern, daß wir das Buch vor uns haben, durch das der Heilige Geist uns erleuchtet.
Wir hatten bei unserer Uebersetzungsarbeit die Karte vor uns in unserm gemeinsamen Arbeitszimmer und sahen zuweilen weg von der Bibel auf die Karte des Landes unserer Mission, dachten dabei an die große Zahl von Chinesen, die auch nicht einen Brosamen haben von dem Lebensbrot, dessen Kostbarkeit wir bei unserer Uebersetzungsarbeit in so reichem Maße empfanden. Die Provinzen in China sind so groß wie in Europa die einzelnen Staaten, einige sind größer als Frankreich und England zusammen, und die kleinste Provinz ist größer als England. Zu jener Zeit waren elf dieser Provinzen ohne einen Zeugen von Jesus. Wenn wir uns nun der Kostbarkeit des vor uns liegenden Gotteswortes erfreuten und die Karte dabei anblickten, dachten wir an die vielen Seelen, die dahinstarben, ohne etwas zu wissen von der erbarmenden Liebe Gottes. Dann legte sich uns eine erdrückende Last auf, die mit jedem Tage schwerer wurde. Manchmal konnten wir nicht weiterarbeiten, bis wir niedergefallen waren und die ganze Last von China auf den Herrn abgewälzt hatten. Es ist zwar möglich zu arbeiten ohne Gebet, aber kein Segen ruht auf solcher Arbeit. Es ist auch nicht richtig zu beten, ohne zu arbeiten, es ist ganz zwecklos, fortzufahren für China zu beten, ohne auch etwas dafür zu tun.
Als ich nun fand, daß die großen Missionsgesellschaften alles taten, was in ihren Kräften stand, aber nur in den Küstenorten, ohne ins Innere vorzudringen, legte der Herr mir ganz besonders das Innere ans Herz und überzeugte mich, daß in ganz China Mission getrieben werden sollte, also auch im Innern des Landes. Manche Freunde sagten uns, das Land sei nicht offen- Ich konnte nicht einsehen, daß das ein guter Einwand sei, und fragte solche Leute zuweilen: Wenn wir irgendwo einen Besuch machen wollen, fragen wir dann zuerst, ob die Haustüre auch offen sei, oder klopfen und schellen wir an der Tür, bis sie uns geöffnet wird? Also, wir haben es noch nicht versucht und können folglich auch nicht sagen, daß die Tür nicht offen sei. Wenn der Apostel Paulus gewartet hätte, bis der römische Kaiser und die Hohenpriester die Tür geöffnet hätten, wie lange würde es gedauert haben, bis das Evangelium nach Europa gelangt wäre? Hat nicht Christus gesagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt, darum gehet hin“? So sind wir damals gegangen im Namen und Auftrage des Herrn Jesu. Die Türen sind geöffnet worden, und jetzt sind in allen Provinzen solche, die den Herrn Jesus kennen und Sein Eigentum geworden sind. Wir danken Gott, daß das Evangelium immer noch die seligmachende Kraft Gottes ist für alle, die glauben, und zwar überall.
Eine andere Schwierigkeit wurde uns entgegengehalten, nämlich die Frage: Wo soll das Geld herkommen? Wir antworteten: Jesus sagt: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch sonst alles zufallen.“ - In der China-Inland-Mission hat der Herr uns Mittel und Arbeiter gegeben. Er war treu. - Im Jahre 1865, als die Mission ihre Tätigkeit begann, sagte mir ein Prediger in London, es werde mit unserer Sache nicht länger dauern als sechs Jahre, denn wir hätten kein Komitee, also keine richtige Organisation, und die Leute würden uns deshalb bald vergessen. Ich antwortete: Gott hat mir vier Kinder gegeben; ich brauche kein Komitee, das mich an meine Kinder erinnert, ich tue alles für sie. Wenn es Gottes Wille ist, daß wir vorwärtsgehen, dann wird Gott schon dran denken, für uns zu sorgen. Unser himmlischer Vater hat noch niemals Seine Kinder vergessen in all den Jahren.
Als einige junge Männer und Jungfrauen an mich schrieben und sich anboten, nach China zu gehen, sagte ich ihnen, wenn sie in anderen Beziehungen geeignet waren: Ihr habe eure Taschenbibel, und das Buch enthält kostbare Verheißungen, wenn ihr diese Verheißungen glaubt, dann könnt ihr nach China gehen und auf Gott vertrauen. Wir haben den Verheißungen Gottes niemals eine Verheißung hinzugefügt, denn wir können nichts hinzutun.
Er hat seine Verheißungen erfüllt. Wir fingen an mit sehr wenigen Arbeitern. Gott sandte die Mittel, die notwendig waren, die Arbeiter nach China zu schicken und sie dort zu unterhalten. Gott erhörte unsere Gebete und sandte uns viel mehr, als wir begehrten. Noch niemals hat Er Seine Verheißungen zurückgezogen
Die China-Inland-Mission ist jetzt nicht mehr so klein. Es sind heute einige hundert Arbeiter zu unterhalten. Unser guter Vater im Himmel hat keinen vergessen. Gott könnte ja auch ohne unser Geld die Arbeiter unterhalten. Es sind viele Raben in China, die den Dienern Gottes dort Fleisch und Brot bringen könnten. Gott könnte die Raben nicht belohnen, wohl aber Seine Kinder, die Seine Knechte unterstützen. Er hat Seine Kinder lieb, die an Seiner Arbeit teilnehmen, und Er hat Seine Diener lieb, die auf ihn vertrauen.
Einer unserer Mitarbeiter aus Amerika sagte: Wenn Gott Seine Kinder lieb hat, dann gibt Er ihnen Silber und Gold, wenn Er sie aber noch mehr liebt, dann gibt Er ihnen noch etwas Wertvolleres, dann reicht Er ihnen die Prüfungen des Glaubens dar, die noch köstlicher sind als Silber und Gold. Gott kann einige Seiner Kinder verschonen mit Glaubensprüfungen. Er hat z.B. Lot niemals damit geprüft, daß er seinen Sohn opfern solle. Dem Abraham sagte Er, er möchte seinen einzigen, geliebten Sohn opfern. Wenn Gott irgendeinen von euch heimsuchen sollte, dann heißt das nicht, daß Gott ihn nicht liebhabe, sondern Gott prüft vielmehr seinen Glauben, damit Er ihm desto mehr vertrauen kann.
Ich denke so gerne, daß alle Vater- und Mutterliebe von Gott kommt, und daß da mehr Liebe in dem einen großen Gottesherzen ist, als in allen Vater- und Mutterherzen der ganzen Welt. Es ist so kostbar zu wissen, daß Er alle Seine Kinder wirklich lieb hat. Sein Arm ist so stark, wie Sein Herz warm ist. Seine Quellen sind unerschöpflich. Wenn nicht Geld genug in der Welt wäre, Gott könnte leicht Goldminen machen. Aber die Erkenntnis Gottes ist ein größerer Schatz als alle Schätze der Welt. Ich erinnere mich eines deutschen Wortes: „Wer Gott vertraut, hat auf keinen Sand gebaut.“ Es ist sehr kostbar für uns, überzeugt zu sein, daß diese Dinge nicht Theorie, sondern Wirklichkeit sind. Ich glaube an die göttliche Eingebung der Bibel. Ich habe sie erprobt und bin niemals enttäuscht worden. Laßt euch niemand diesen Schatz rauben dadurch, daß er auf seine eigene Weisheit baut. Gottes Weisheit ist besser als alle Menschenweisheit. In der Schrift finden wir immer wieder neue Verheißungen, denen wir vertrauen können.
Wie steht nun das Werk des Herrn in China? Gott sei Dank, es sind Männer und Frauen in China, die die Götzen verbrennen, die den lebendigen Gott kennengelernt haben, auf den sie vertrauen. Es sind viele Schwierigkeiten in Verbindung mit der Arbeit, aber Gottes Rat und Hilfe ist genügend für alle Lagen. Wir haben Aufstände und Verfolgungen erlebt. Aber mehr Sünder als je zuvor wurden ergriffen, und Gott stärkte die schwachen Seelen, daß sie die Verfolgung ertrugen.
Vor einigen Jahren hielt ich eine Bibelstunde mit chinesischen Christen in Hangchow. Da kamen zwei Chinesen herein, die sehr krank aussahen. Der eine hatte den Kopf verbunden, und der andere war angeschwollen über den ganzen Leib. Sie hatten beide nie Missionare gesehen, aber im Innern Chinas hatten sie von Jesus Zeugnis abgelegt und waren um Seinetwillen mißhandelt worden. Warum verfolgt man die Christen, da sie doch um der Religion willen niemand belästigen? Da die Christen die Götzen nicht mehr anbeten, fürchten die Heiden, die Götzen würden darüber zornig werden und sich rächen an ihnen. Der Mann mit dem verbundenen Kopf war durch das Lesen der Bibel gläubig geworden und hatte dann gezeugt von dem Heil, das ihm widerfahren war. Der andere war Hausbesitzer und hatte eine große Halle, die er dem Evangelium öffnete. Als sie an einem Sonntag Gottes Wort verkündigten, fiel eine Bande roher Männer über sie her. Von dem einen verlangten sie, daß er nicht mehr predigen solle, und von dem anderen, daß er in seinem Hause nie wieder einen Gottesdienst halten lasse. Als sich beide weigerten, zerstörten sie die Einrichtung der Halle und mißhandelten die beiden auf grausamste Weise. Zur gleichen Zeit hatten sich etwa ein halbes Dutzend Christen versammelt und beteten. Der Herr hörte die Gebete und bewahrte das Leben der treuen Zeugen. Als ich sie trösten wollte, standen beide Männer auf und sagten, sie seien nicht traurig, Gott habe sie getröstet. Er verläßt die Seinen nicht in solchen Heimsuchungen.
Ein Prediger in Schottland gebrauchte den Satz: Das Leben des Christen fängt da an, wo das Leben Christi aufgehört hat, nämlich am Kreuze. Die Entwicklung geht nach der Wiege zu, bis wir wieder kleine Kinder werden und uns tragen lassen in den Armen der unendlichen Liebe Gottes. Laßt uns alle wie die kleinen Kinder werden, von Seiner Hand gehalten, laßt es uns Ihm überlassen, was Er aus uns macht und was Er durch uns ausrichten will. Wenn Er irgendeinen von uns nach China haben will, daß wir dann gehen. Wenn Er sagt: Bleibe daheim und kämpfe für Jesus, dann bleibe daheim. Es ist nichts in der Welt, was recht ist zu tun, wenn wir es nicht für Jesus tun können. Möge der Herr mir und euch, liebe Freunde, helfen, alles für Ihn zu sein!