Tauler, Johannes - Medulla Animae - Siebentes Kapitel. Wie wir in diesen unsern Ursprung, in Gott nämlich, wiederkehren, und alle Gebrechlichkeiten besiegen können und sollen.
Wer der Sünde ledig werden, auf den Weg der Tugend und seines Heiles gelangen, darauf fortkommen und im Guten wachsen will, der soll folgendes bedenken, und sich darin üben.
Seine erste Übung sei eine freiwillige Entsagung aller Weltlust und aller sündlichen Gebrechen; diese sündliche ihm eigene Gebrechlichkeit soll er öfters erwägen, sich selbst prüfen, gründlich erkennen und sich vor Gott in tiefer Demut anklagen, sich aus allen Kräften seiner Seele zu Ihm wenden, mit stetem Gebet, mit Selbstverleugnung, mit tugendlichen Übungen, mit bescheidener Züchtigung seines Leibes, damit dieser dem Geist dienstbar und gehorsam werde.
Die zweite ist eine bereitwillige und geduldige Ergebung in alles Leiden, Kreuz und Widerwärtigkeiten, die ihm entweder der Herr zuschickt oder unter Seiner Zulassung ihm von den Menschen zugefügt werden.
Die dritte ist eine lebhafte Vorstellung des für uns gekreuzigten Herrn, mit dem entschlossensten Willen, Ihm sowohl in Seinem heiligsten Lebenswandel, als in Seiner beseligenden Lehre nachzufolgen, und sich Demselben ohne Unterlass einsenken. Dann soll er mit einem Vergessen alles äußerlichen Treibens in die Stille seines Gemüts sich einergeben, mit einer kräftigen und entschlossenen Verleugnung und Verzichtleistung seines Eigenwillens, in echter Demut, in keinem Ding sich selbst suchend und meinend, wie ein Toter, nichts wollen und nach nichts streben, als nach der Verherrlichung und dem Preis seines Herrn und Heilandes und seines Vaters im Himmel, liebend alle und jede, Feinde wie Freunde, sich demütigend vor und unter alle Menschen. Diese Übung bringt ihn dann in ein Entwirken der äußeren Sinne; es wird ein heiliger Sabbat, wo zuvor so viele Unruhe und Geschäftigkeit war; so kommt der Geist in ein Entsinken seiner höheren Kräfte nach ihrer blühenden Natürlichkeit in ein übernatürliches Befinden1). Hier legt nun der Geist die ihm noch anklebende Natürlichkeit ab, strebt weiter einzubringen durch den Ring, das Sinnbild der ewigen Gottheit, und gelangt so in die Fülle der Vollkommenheit; denn der höchste Reichtum des Geistes besteht eigentlich darin, dass er unbeschwert und ledig alles Gebrechens, mit göttlicher Kraft sich in seine erleuchtete Vernunft aufschwingen und in und aus ihr einen steten Ausfluss himmlischen Trostes erhalten kann; nun vermag er Alles kräftig zu erkennen, weiß Alles zu unterscheiden, und mit Weisheit auszuführen; in ihm ist Alles geordnet, er steht befreit durch den Sohn in dem Sohn, obgleich er nach Außen das Geschaffene in der diesem eigenen Natur noch sieht und bemerkt. Das ist des Geistes Auffahrt, der sich über Zeit und Raum erschwungen hat, und mit liebender inniger Anschauung in Gott eingegangen, und gewissermaßen in Ihn vergangen ist. Dahin aber gelangt nur der, der die Natur durch vielseitiges Sterben durchbrochen hat, so, dass sein Wirken ganz rein, lauter und wahr sei; desohngeachtet wird und darf er nie vergessen, vielmehr immer erkennen und bekennen, wie weit der sinnliche und alte Mensch ihm noch anhänge, in ihm noch lebt, obgleich er in seinen eigenen Aufsätzen und Übungen, die manchmal sogar einen Schein der Heiligkeit an sich haben, gut und gerecht sein möchte. Denn so lange der eigene Sinn, Wille und das Gemüt nicht gebrochen, und durchgeübt sind leiblich und geistlich, nach außen und innen, so lange bleibt der Mensch roh und sinnlich, und ist der höheren Erleuchtung und der Taufe im heiligen Geist unfähig, und die Gerechtigkeit und Wahrheit liebt er nur nach seiner sinnlichen Unart; schickt Gott, zu seiner Prüfung, Hartes, oder Angenehmes, Glück oder Unglück über ihn, oder auch einen Unfall über den Nächsten, dann richtet und urteilt er Alles nach dieser seiner ungelassenen sinnlichen, falschen Gerechtigkeit, und bildet sich dabei ein, er habe die Sache getroffen, da er doch, in Unkenntnis seiner selbst und seiner Gebrechen, ganz verblendet ist, und deshalb über seinen Nächsten mit hartem Urteil herfällt. Wagt es Jemand, ihm zu widerstehen oder auch nur zu widersprechen, sogleich regt sich in ihm Zorn, Ungeduld und mannigfaltige Unlauterkeit; den Frieden zwischen Gott und ihm stört jede Kleinigkeit, jede leise Betastung, die ihm widerfährt; und obgleich der gütige Gott dergleichen Menschen, wenn sie mit reuiger Bekenntnis ihres Herzens zu Ihm wiederkehren, Seinen liebevollen Frieden wiederschenkt, so gelangen sie doch niemals zu dem wahren Grund aller Tugenden, zu dem vollen Geschmack der höchsten Wahrheit, denn, leider! haben sie sich selbst noch, und haften an ihrem Selbst. Demütige und gelassene Menschen hingegen haben sich Gott und allen Kreaturen, um Gottes willen, in echter Selbstverleugnung unterworfen.
Gestehen wollen wir es indessen doch, nur wenige sind, die, wenn Ungemach sie trifft, nicht den ersten Anfall fühlen, und davon ergriffen werden; ja, der Herr lässt sogar dieses erste Gefühl, diese schnelle Bewegung in Seinen Freunden oft lange dauern; aber nur Gutes bezweckt Er dabei, sie sollen gründlich gedemütigt werden. Doch komme über sie leiblich und geistlich, was da wolle, schnell kehren sie in ihr Inneres ein, und die alte Liebe, Güte, Geduld behaupten wieder ihren Platz; die Hoffnung auf den Herrn, die nie zu Schanden werden lässt, die Liebe zu Ihm hilft sogleich wieder alle Gebrechen besiegen, die sinnliche Unart in allen töten, und zurechtweisen, sie führt sie zurück in ihren guten, geduldigen, liebevollen, demütigen Grund; da gehen sie ein, darein versenken sie sich, da gießt der heilige Geist Seine Weisheit über sie aus, jene Weisheit, die da hilft, leitet und führt in alle vollkommene Wahrheit, die sie lehrt das echte Betragen gegen Gott, gegen sich selbst, gegen alle Menschen, gute wie schlimme. Nun stehen sie tiefgewurzelt in der Demut; eitle Ehre, auch der Gedanke daran kann sich ihrem Herzen kaum nähern; denn, versunken in ihr Nichts, ist jeder schnöde Gedanke getilgt, und so ist der Sieg nur ein leichter für sie; für die Wahrheit kämpfen sie ja, und der Herr ist mit im Kampf, wie sollten sie leicht nicht siegen? wer könnte sie tiefer hinabstoßen? sie haben sich ja selbst auf die unterste, letzte Stufe gestellt; eher könnten sie aufstehen und emporsteigen, als fallen, und weil sie selbst klein sind in ihren Augen, so entgehen sie leicht mancher starken Anfechtung; sie sind wie kleine Fische, die allemal dem Netz des Fischers entschwinden, nur die großen können ihm nicht entgehen, die werden gefangen. Der Fleisches-Lust, so wie jeder sündlichen Neigung sind sie erstorben, denn in diesem Sterben besteht ja ihr Leben, und drei Dinge sind, durch die sie Alles besiegen:
Ihre Sinne bewachen sie mit allem Fleiß, und der Zügel der strengsten Zucht gestattet ihnen keine Freiheit, es sei denn, es fordere die Ehre Gottes was anderes.
Inniges und ununterbrochenes Gebet ist ihre zweite und unausgesetzte Übung; dieses Gebet ist jenes reinigende klare Wasser, welches ihr Inneres unaufhörlich säubert und reinigt.
Sie senken sich drittens ein in das Leiden des Herrn, - und ihren Geist in Sein liebevolles Herz; so tilgen sie alle böse Gedanken und jede schnöde Fleisches-Lust. Regt sich die sinnliche Neigung, dann fliehen sie zu Christus, und versenken sich in Seine heilige Wunden, da muss die böse Begierde außen bleiben, und kann nun nicht schaden, da entschwinden alle Bilder und Formen; mit einem gereinigten Gewissen gelangen sie zum wahren Frieden, und das höchste Gut umkleidet sie mit einer einfachen, geheimen und übernatürlichen Weise; sie gehen, nach dem höchsten Wohlgefallen Gottes, dem sie sich selbst und ganz hingegeben haben, ein in jene freie bildlose Finsternis in einem gründlichen Selbstverleugnen und Ausgehen ihrer selbst für Zeit und Ewigkeit. So wollen denn auch wir uns senken in die blutigen Wunden unseres Herrn und Heilandes, und unserem Herzen Seine große Marter, Pein und Liebe eindrücken; aber auch äußerlich unsere Stirne und Brust mit dem heiligen Kreuz-Zeichen segnen, denn das sind die kräftigsten Waffen gegen alle Gefahren und Anfechtungen in diesem Leben hienieden.