Taube, Emil Heinrich - Psalm 13.
Wie der Gläubige unter langwierigem Kreuze klagen darf, beten muss, singen kann, oder der zagende, flehende, siegende Glaube im Schmelzofen des Elends, das ist der Inhalt dieses Psalms. Der klagende und zagende Glaube spricht sich V. 2 und 3 aus, der flehende und ringende Glaube V. 4 und 5, der siegende und singende Glaube V. 6. Ein kleiner, kurzer Psalm, aber voll heiliger Energie im Klagen, Bitten und Triumphieren; man sieht, dem Kreuzträger ging das Wasser bis an die Seele, kein Odemholen der Erquickung in der Angst, kein Gnadenstrählchen göttlichen Lichts und Lebens durchbrach die Finsternis, es war lange, schwere, stockfinstere Nacht wer schon einmal vom Feinde bis an die äußerste Grenze gebracht worden, dem ist der Psalm ein lebendiges Eigentum und gar liebes Kleinod. Auch von diesem Psalm weiß man nicht Zeit und Gelegenheit, nichts anderes, als dass er ein Psalm Davids ist, des Vordermannes im Kreuzheere. Darum gilt auch vornehmlich von ihm, was Röm. 15, 4 steht; Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben“.
V. 1. Dem Sangmeister, ein Psalm Davids. V. 2. Bis wann, Herr, willst Du mein immer vergessen, bis wann verbergen Dein Antlitz vor mir? V. 3. Bis wann soll ich Sorgen hegen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen täglich? Bis wann soll sich erheben mein Feind über mich?
Dies Psälmlein lehrt uns zuerst, dass ein Kind Gottes unter langwierigem Kreuze wohl klagen dürfe; denn es ist erstens nach der Überschrift des 102. Psalms ein Recht, welches alle Betrübten haben, in der Angst ihre Klage vor Gott ausschütten zu dürfen, sodann ist die Länge der Leiden viel schwerer zu tragen als ihre Stärke, und das arme Gemächt kann so wenig tragen!; endlich aber ist bei echten Liebhabern Gottes dies Klagen kein Zeichen des Murrens und Unwillens, auch nicht des puren Zweifels an Seiner Allwissenheit, Gnade und Wahrhaftigkeit, sondern vielmehr ein klarer Beweis, sowohl des Glaubens, der seines Gottes treues Andenken, leuchtendes Gnadenantlitz, zarte Fürsorge und mächtigen Beistand kennt und zu genießen gewohnt ist, als der Liebe, der die Entziehung des göttlichen Trostes ganz unerträglich ist. Doch zeugt es gleicherweise von der großen Schwachheit und Gebrechlichkeit unseres Wesens, die in der Sünde ruht, weshalb sich auch ein Kind Gottes wohl vorzusehen hat, dass seine Klage nicht Anklage und sein Zagen nicht Verzagen werde; dieselben Worte können ein ganz verschiedenes Herz zum Grund haben, der Herr sieht das Herz an. Ein gutes Korrectio ist immer dabei, dass man, wie David, klagend und fragend vor den Herrn tritt, und nicht bei sich selbst bleibt, oder vor Menschen tritt, - wie geistlich Angefochtene oft Jedermann ihren Seelenzustand klagen und darüber entweder ausgelacht oder mit fleischlichen Ratschlägen verwirrt werden. „Bis wann?!“ das ist nun der Brennpunkt in Davids Klagen, viermal steigt dieser fragende Seufzer auf. Dieses vierfache: „Bis wann?!“, welches bei dem geübten Kreuzträger David allerdings nahe an eine totale Sonnenfinsternis in ihm streift, mag uns, die wir unter dem Kreuze immer meinen, unser Leiden sei das allerschwerste unter der Sonne, wohl erinnern, dass viele vor uns viel länger geseufzt und gelitten haben, und des alten Väterspruches eingedenk sein lassen: Wenn man alles Kreuz auf einen Haufen trüge, suchte sich doch ein Jeder wieder sein eigenes heraus. Geht man aber der Frage auf den Grund, so sieht man, das zitternde Fleisch fragt so, das mit dem Augenschein im Bunde steht und vergisst, dass es nach der Uhr im Himmel geht, die das Währen des Zorns „in einen Augenblick“ setzt und dagegen auf „eine ewige Gnade“ weist, die auch alles Kreuz als zuvor versehen und verordnet, ja, als einen durch den für uns allenthalben Versuchten längst aus- und nicht über Vermögen zugemessenen Weg aufzeigt. Dass eben seine Torheit und Schwachheit es ist, die Gottes Uhr zurückstellt und Gottes Stunde zurückhält, das will das arge und arme Fleisch im Jammer so wenig ernstlich bedenken. Merke aber die Tiefe hier in Davids Leiden, er fühlet einen gar vergesslichen, einen gar zornigen, einen gar unbekümmerten und säumigen Gott! und des furchtsamen Herzens bange Ahnung ist so hurtig im Zuraunen: Er kommt auch nicht wieder! Dazu kommt, dass als ein Kind Gottes der Mensch erst fühlet, was er ist, wenn er sich selbst überlassen ist, ein Sorgenwurm, ein Kind der Mühe, eine angstvolle Kreatur! Jeder Morgen bringt neue Sorgen, jeder Abend sieht sie wie Kartenhäuser wieder zusammenfallen. Ach, wie zerarbeitet man sich in der Menge der eigenen Wege und spricht doch nicht: Ich lasse es! Man schüttet Wasser in ein Sieb und kann doch nicht anders, denn man hat die Gedanken nicht in seiner Gewalt ja, Kreatur ängstet nur! Ein Kind Gottes klagt's aber dem Herzbezwinger, und es ist bei David, wie bei allen rechtschaffenen Gotteskindern so wahr, was Luther dazu sagt: „Hier verzweifelt die Hoffnung selbst, und die Verzweiflung hofft dennoch, und lebt allein das unaussprechliche Seufzen, womit uns der Heilige Geist vertritt, der über den finstern Wassern schwebt!“ Vier starke Pfeile sind es, die David auf den Bogen seines Gebets legt: zwei sind geschmiedet aus Gottes Abkehr, zwei aus seinem Elend; einer der stärksten ist die Vorhaltung Seiner Ehre, die doch unmöglich dem Satan und seinen Werkzeugen die Freude und den Ruhm lassen könne, Ihm Seiner Kinder eins entrissen zu haben. Der Ehrenpunkt ist in Gottes Herzen der zarteste Punkt.
V. 4. Schaue doch, erhöre mich, Herr, mein Gott; erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe, V. 5. Dass nicht spreche mein Feind: „ich habe ihn übermocht“, meine Dränger jubeln, dass ich wanke.
Nachdem David seine Not klagend vor den Herrn gebracht hat, geht er Ihn nun in gläubigem Gebet um Hebung der Not an. Das gläubige Gebet ist das notwendige und selige Mittel, um alle Klagen in einen fröhlichen Reigen verwandelt zu sehen; denn das im Glauben ausharrende und beständige Gebet hat die teure Verheißung, dass ihm nichts unmöglich sein solle. Darum, willst du erhört werden, nimm die drei G wohl in Acht: Glauben, Geduld, Gebet! Ohne dies ist die Jammerklage eine Sprache des Unglaubens und des unter der Not ungebrochenen Herzens. Hatte David aber vorhin vier böse Dinge geklagt, so bittet er sich nun viererlei Gutes aus: für das Vergessen das Dreinsehen, für das Verbergen das Sichfindenlassen in gnädiger Erhörung, für das tödliche Sorgen das Leben spendende Licht Gottes, für des Feindes schadenfrohe Erhebung des Kindes Annahme und Aufhilfe; da sehen wir, die betende Augst ist klar und nüchtern, während heillose Angst verwirrt. Darum stellt sich David mit seinem Gebet von vornherein auch auf den rechten Grund. Die rechte und kräftige Unterlage alles erhörlichen Gebets, das Zeugnis der Kindschaft im Herzen, ruft er Ihn an mit den Worten: „Herr, mein Gott!“ Das ist das Echo auf die göttliche Zusage: „Ich bin der Herr, dein Gott!“ Da ist Glaube, da hat man Gott, ob man Ihn auch nicht fühlt, wie Zinzendorf sagt: „Man hat Ihn, wo man um Ihn weint!“ Und wie bewegt das Gottes Herz droben im Himmel! Sieht ein Vater nicht nach seinem Kinde, wenn es in Angst und Gefahr schwebt? Verschließt er sein Ohr, wenn es erbärmlich zu ihm schreit? Und hier gilt's den rechten Vater, den Ewigvater, der nicht schläft noch schlummert, der die Seinen in Seine Hände gezeichnet, als einen Denkzettel vor Augen hat und nun eins Seiner Kinder an des Todes Pforten sieht. Dahin hatte den lieben David die nagende Sorge, der verzehrende Gram, die Entziehung des göttlichen Gnadentrostes und der drückende Stolz seiner Feinde gebracht. Ach, wie ist doch ohne Gott eitel Not und Tod, während in dem lebendigen Gott sich Leib und Seele freuen! Ein Kind Gottes hält aber solches Alles seinem Gotte vor, um dessen Herz dadurch zu bewegen. Und David hat noch einen besonders starken Beweggrund, nämlich den Triumph der Feinde, wenn er wanke. Nächst der Beeinträchtigung der Ehre Gottes, die freilich den durchschlagendsten Grund dabei abgibt, hat der schadenfrohe Triumph der Feinde noch den doppelten seelengefährlichen Nachteil, dass alle frommen Herzen schwer betrübt und geärgert, die Feinde aber in ihrer Bosheit gestärkt werden. Dies Alles hat im Herzen Gottes große Wirkung, das wusste David, das wusste auch schon der Knecht Gottes Mose, wenn er dem Herrn vorhielt: „Warum sollen die Ägypter sagen und sprechen: „Er hat sie zu ihrem Unglück ausgeführt, dass Er sie erwürge im Gebirge und vertilge sie von dem Erdboden?“ (2. Mos. 32, 10-14).
V. 6. Aber ich, auf Deine Gnade traue ich, jubeln soll mein Herz ob Deines Heils, singen will ich dem Herrn, dass Er wohl an mir getan. In der Nacht gehen auf die Sterne“, das siehst du an diesem Schlussvers. Schau den schönen Hoffnungsstern, das helle Freudenzeichen, den fröhlichen Reigen des Lobgesangs, die alle dem David in tiefer Kreuzesnacht aufgingen! So kann in Eins zusammenfallen, was Jakobus zwiefach nennt: „Leidet Jemand, der bete; ist Jemand gutes Muts, der singe Psalmen“ (5, 13). So groß ist die Macht des Glaubens und des Gebets im Glauben! und so löst sich das Christenrätsel, dass man sich auch der Trübsal rühmen könne: „die Geringen tröstet Gott“ und auf den Trägern der Schmach ruht der Geist der Herrlichkeit. Daher ist das erste Siegeszeichen und Segenselement in der dreifachen Schnur dieses 6. Verses: das Trauen auf Gottes Gnade. Dass David diese Seite des göttlichen Wesens als Stütze ergreift, ist bedeutsam. Es lässt sich zwar auch auf Gottes Allmacht, Wahrheit, Weisheit, Gerechtigkeit hoffen, aber wenn uns Gott nicht zuvor gnädig wäre, würden uns alle diese Strahlen Seiner Herrlichkeit nicht zugutekommen, noch tröstlich sein; denn unsere Unwürdigkeit würde ein steter Riegel vor ihren Genuss und Besitz sein. Lass dir's drum immerdar das Erste sein, des Gottes gewiss zu werden, der nicht nach Verdienst mit uns handeln, sondern Sünde vergeben will, und der in der Gnade gegen uns Elende am meisten Seine Ehre sucht. Es ist Gnade, viel Gnade bei Ihm. Durch die Gnade geht der Weg dann weiter zur Hilfe. Wem Gott gnädig ist, der spürt es auch, dass Er in der Tat gnädig ist, durch das Heil, das Er ihn sehen lässt, durch die Hilfe und Lust zu helfen, die an allen Punkten so merklich und so herrlich ausbricht. Mit dem Heil im Sohne wird Alles geschenkt (Röm. 8, 32), und mit der Vergebungsgnade ist der Zugang zu den reichen Gütern Seines Hauses eröffnet, es fällt alles Andere zu (Matth. 6, 33). Bei solcher Herzensfreude geht dann endlich auch der Mund über zum Lobgesang, dessen innerster Kern das ist, dass Alles, auch solch' schweres düsteres Kreuz, auf Wohl und Wohltun hinausläuft, und nur zur Offenbarung Seiner Güte, Weisheit, Liebe, Treue, Summa, Seiner Ehre und Herrlichkeit dient. Einst werden die Seinen über die ganze Führung lobsingend im Lichte der Ewigkeit erkennen: „Er hat Alles wohlgemacht!“ (Mark. 7, 37). Selig aber, der hier schon Gottes Weise kennt und ehrt, der sein Anliegen vor den Herrn der Gnade bringt und da liegen lässt, bis es mit Sieg und Segen von da zurückkommt.