Taube, Emil Heinrich - Psalm 127.
Den Inhalt dieses lieblichen Stufenliedes bildet das Geheimnis des Haussegens, wie es nicht in menschlicher Arbeit und Sorge, nicht in menschlicher Wacht und Macht, sondern in eitel Gnadengaben von Oben ruht. Treffend fasst man auch das Ganze in das Sprüchlein zusammen: „An Gottes Segen ist Alles gelegen.“ Das wird im Blick auf das menschliche Tun und Ruhen (V. 1.), sowie auf die Habe des täglichen Brots (V. 2.) und namentlich in Beziehung auf den Kindersegen (V. 3-5.) näher illustriert. Die Überschrift gibt den König Salomo als den Verfasser an, und der ganze Charakter dieses Hausliedes, seine Verwandtschaft mit dem Buch der Sprüche, das frappante Zusammentreffen des Namens Jedidja (Liebling; V. 3.) mit dem gleichen Namen Salomos (2. Sam. 12,25.) und der ganzen Sentenz: „also gibt Er Seinem Lieblinge im Schlaf“ mit jener im Traum empfangenen Verheißung der Weisheit und des Reichtums (1. Kön. 3,5 ff.) drückt das Siegel der Bestätigung darauf. Unter den späteren und veränderten Verhältnissen der nachexilischen Zeit wuchs dies Lied mit seiner goldenen Wahrheit nur tiefer in das Herz der Gemeinde hinein. Der Bau desselben besteht aus vier Strophen mit je vier Zeilen, und es kennzeichnet sich an der Wiederaufnahme der vorigen Grundgedanken in den folgenden Versen als echtes Stufenlied.
V. 1. Ein Wallfahrtslied Salomos. Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst daran seine Erbauer; wenn der Herr nicht die Stadt bewacht, so wachet der Wächter umsonst. V. 2. Es ist umsonst, dass ihr frühe aufsteht und bis spät sitzen bleibt; ebenso gibt Er Seinem Geliebten im Schlafe. V. 3. Siehe, ein Erbteil des Herrn sind Söhne, ein Lohn Leibesfrucht. V. 4. Wie Pfeile in der Hand eines Helden, also sind die Söhne der Jugend. V. 5. Wohl dem, der seinen Köcher derselben voll hat; die werden nicht zu Schanden, wenn sie mit ihren Feinden handeln im Tor. Die Arbeit und zwar die Arbeit in saurer Mühe und mit Anstrengung aller Kräfte ist schon auf den ersten Blättern der Bibel dem Menschen als ein Fluchteil pflichtmäßig auferlegt: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen; mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Lebelang; Dornen und Disteln soll er dir tragen, im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ (1. Mos. 3,17-19.); und dies Losungswort, vom Herrn gegeben, wird von Ihm auf keinem Blatt der Schrift wieder zurückgenommen - auch hier nicht. Es könnte hier zwar am ehesten so scheinen, da das Vergebliche der menschlichen Arbeit und Kraftanstrengung in ein so grelles Licht gesetzt wird; aber nicht die Arbeit an sich, nicht der von Gott verordnete Fleiß, nicht der treue Auskauf der Zeit fällt unter dieses vernichtende Urteil, sondern der Sinn, mit dem die Arbeit leider nur zu oft getan wird, der Sinn, der die Dornen des Fluchloses sich als Lorbeeren um die eigenen Schläfe windet, der seiner Arbeit und Kunst, seinem Witz und Verstand beimisst, was allein dem Segen Gottes gehört. Zu Grunde liegt diesem Sinne also die aus dem Falle stammende menschliche Hoffart, welche nicht nur der totalen Abhängigkeit von dem Herrn vergisst, sondern in ihrer Torheit Gottes Stelle und Gottes Amt mit der eigenen Kraft und Vernunft ausfüllen zu können meint. Der natürliche Mensch weiß Nichts von dem köstlichen Geheimnis, das die frommen Väter in die Worte fassen: „Drei S gehören Gott zu: Sorgen, Segnen, Seligmachen“; er setzt an deren Stelle sein armes, elendes Ich. Weil dieses aber seiner großen Ohnmacht oft genug inne werden und doch sich um jeden Preis in seiner süßdäuchtenden Eigenmächtigkeit festhalten will, so wird daraus die Angst und Hast der verzehrenden Sorge geboren. In diese Grundgedanken setzt das heilige Lied ein und erweist an den Lebensgebieten des häuslichen und öffentlichen Lebens, dass Erfolg und Gedeihen überall nimmer in der Menschenhand, sondern einzig in der segnenden Gnadenhand Gottes ruhen. Das bezeugt jeder Hausbau - wie viele Köpfe ratschlagen dabei, wie viele Hände arbeiten daran, und doch vermag weder Menschenrat noch Menschenklugheit, weder Menschenkraft noch Menschenmenge gegenüber allen möglichen Eventualitäten das Misslingen abwehren, das Gelingen verbürgen!
Der Turmbau zu Babel ist ein eklatantes Exempel von der Fruchtlosigkeit jener hoffärtigen Anstrengungen, bei denen man den obersten Bauherrn außer Acht lässt und die Rechnung ohne den Wirt macht (1. Mos. 11,1-9). Und so ist es bei allem Bauen der Menschen, es gelte die Gründung eines Reiches oder eines Hausstandes, es geschehe mit Ziegelsteinen oder mit Gedanken. Das bezeugt ferner alle menschliche Wacht und Hut - wie weit reichen ein paar Menschenaugen, wie oft stehen sie verdrossen, wie bald sind sie geschlossen! „Ach, Hüter unsres Lebens! fürwahr, es ist vergebens mit unsrem Tun und Machen, wo nicht Dein' Augen wachen!“ Das bezeugt auch das ganze menschliche Berufsleben mit seiner unaufhörlichen Sorge von früh bis in die Nacht - wer hat denn je die Quelle des Mangels mit Sorgen verstopfen, wer je die Not mit Sorgensteinen heben, wer je mit Arbeit erzwingen und ertrotzen können, was nur als freier Segen aus Gottes Gnadenhand zufällt? „Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott Ihm gar nichts nehmen, es will erbeten sein!“ Darauf drückt das hehre Wort: „So gibt Er Seinem Geliebten im Schlafe“ das königliche Gnadensiegel. Fast streift es an eine heilige, göttliche Ironie, wenn es heißt: „So, ebenso, wie es die heidnische Angstsorge zu erjagen meint, gibt es der Herr Seinen Lieblingen im Schlaf,“ d. h. ohne all ihr Mühen und Sorgen. Will ein argwöhnisches Herz darin einen parteiischen und willkürlichen Gott wittern? Oder will ein leichtfertiges Herz daraus das Gift faulen Müßiggangs saugen? Dem wehrt das Wort „Seinem Geliebten!“ Wer das Haupt zum Freunde hat und ist geliebt bei Gott, auf dem ruht nach allem Recht Gottes Sein gnädiges Wohlgefallen und Seine aufgetane Segenshand. Solcher ist auch ein gar pflichttreues Herz, bringt zum Gebet die Arbeit ehrlich und treulich, aber weiß sehr wohl, dass in Gott ruhen doch weiter bringt als alles menschliche Tun, wie geboten dies auch ist. In diesem fein abgewogenen Sinn und Geiste war's geredet, wenn einst Luther dem Melanchthon, als dieser über Tische schreiben wollte, die Feder aus der Hand nahm und das kostbare Wort zurief: „Weißt du nicht, dass man dem lieben Gott ebenso wohl durch Ruhen, als durch Arbeiten dienen kann? Müßiggang ist aller Laster Anfang, aber Arbeitsüberladung ist aller Tugenden Ende!“
Nachdem die bisherigen Exempel mit diesem Machtwort der Gnade zu einem gewissen Abschluss gekommen sind, hebt mit V. 3 eine neue und die durchschlagendste Beweisführung für den Hauptfaktor in allen Dingen, den Segen Gottes, an. Das Beste kommt zuletzt. Darum geht das Notabene des heiligen Geistes, das: „Siehe“ diesen letzten Versen voran; es weist auf die lieben Kinder, diese höchsten und edelsten Schätze des Hauses. Sie sind's, durch deren Gabe und Pflege sich der innere Hausbau gestaltet, um die sich Hut und Wacht am meisten bewegt, für die das Brot der Mühe so sauer erworben wird. Aber was sind sie doch eigentlich, im rechten Lichte angeschaut? „Siehe, ein Erbteil des Herrn sind Söhne, ein Lohn Leibesfrucht.“ Was als ein Erbteil zufällt, ist nicht Erwerb, und was als ein Lohn zu Teil wird, das deutet auf einen freiwilligen, gnädigen Geber. Wenn irgendwo, so bestätigt sich das am Kindersegen. Wer öffnet und wer verschließt den Mutterleib? Wer hat und wer behält es in Seiner souveränen freien Hand, eine Ehe mit Kindern zu segnen? Wer ist es, der, wenn Er gibt, das Kind im Mutterleibe bereitet (Jer. 1,5.)? Wer bestimmt das Geschlecht der Kinder, ihre Wohl- oder Missgestalt, ihren Gabenmangel oder Gabenreichtum? Wer die Länge und den Inhalt ihrer Tage? „Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war; es waren alle Tage auf Dein Buch geschrieben, die noch werden sollten, als derselben keiner da war“ (Ps. 139,16.), antwortet der Glaube mit gefalteten Händen auf alle diese Fragen. Die heißesten Wünsche, ja himmelstürmende Bitten können so wenig wie das Aufgebot aller menschlichen Künste das zuwege bringen, was ein Erbteil und Gnadengeschenk des Herrn ist und bleibt.
Und ist es anders in Betreff der weiteren Lebensentwicklung der Kinder? Wer darf sich erdreisten, zu sagen, er habe die Entwicklung seines Kindes in der Hand? Wer darf sich die Freude an wohlgeratenen Kindern als einen Ehrenkranz aufs eigene Haupt legen? Und wer darf gegen das arme, über ungeratene Kinder schier ausgeweinte Haupt anderer Eltern einen Stein aufheben? Es ist ja eine wohlbekannte Tatsache der täglichen Erfahrung, dass oft die frömmsten Eltern die ungeratensten Kinder haben, wie schon vor Alters ein David einen Absalom, und dieser Salomo einen Rehabeam hatte - wer will mit ihnen rechten? Darum preist es der Heilige Geist hier immer wieder als ein Geschenk und Erbteil des Herrn, wenn ein Vater in den Söhnen seiner Jugend eine unverdorbene Kapitalkraft, seine Lust und seine Zierde, seinen Trost und seine Hoffnung, seine Wehr und Waffe hat. „Wie die Pfeile in der Hand des Helden,“ die ihres Ziels nicht fehlen, werden sie dargestellt, weil sie Manns genug sind, wenn's gilt, mit ihren Feinden zu handeln im Tor, das ist, mit ihrer Kraft zu schützen des Vaters Recht, des Vaters Ehre. Ja, „wohl dem, der seinen Köcher derselben voll hat,“ aber selig der, der sein Herz voll des demütigsten Dankes für solche unverdiente Gnadengabe hat! Auch über der Kinderstube leuchtet das Wort des Herrn mit Flammenschrift: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich“ (Matth. 19,26.), und der Weg dazu geht durch das Wort der Väter:
„Viel Kinder, viel Vaterunser;
Viel Vaterunser, viel Segen!“