Stockmayer, Otto - Krankheit und Evangelium - 5. Der Unglaube, der letzte Grund, wenn sich das Wort Gottes nicht in der Erfahrung bestätigt.
Findet die Lehre der Heiligen Schrift, wonach Heilung und Gesundheit zu unserer Erlösung gehört, in unserer Erfahrung nicht ihre Bestätigung, so ist der letzte Grund hiervon der Unglaube. Warum treten wir nicht in die Stellung von Erkauften und Geheiligten ein, wie sie uns das Werk Christi zuweist? Warum bedarf es der Zuchtrute der Krankheit, um uns das Ohr für Gottes Mahnungen zu öffnen, um uns zu jeder Zeit und in allen Stücken auf dein Weg der göttlichen Gebote in unbedingtem Gehorsam gegen Gott und in treuer Nachfolge Jesu Christi zu bewahren? Und wenn uns dann der HErr Krankheit hat schicken müssen, warum gehen uns die Lehren so schwer ein, auf die es dabei abgesehen war? Antwort: Um unseres Unglaubens willen.
Es geht darin heute noch, wie zu Lebzeiten Jesu. Warum, als Jesus vom heiligen Geist gesalbt in der Schule zu Nazareth auftrat (Luk. 4), um sofort mitten unter seinem eignen Volk die größten und herrlichsten Taten zu tun, von denen die Propheten geweissagt hatten (vergl. V. 17-19 mit V. 21): warum bekamen seine Landsleute nicht sofort die Erfüllung dieser Weissagungen zu schauen? Warum „tat Er daselbst nicht viele Wunder“? (Matth. 13,58). Warum „konnte Er allda nicht eine einige Tat tun, ohne wenig Kranke, deren Er die Hand auflegte und sie heilte“? (Mark. 6,5). Oder, um auf die Zeit des Propheten Elisa zurückzugehen und auf die Vorgänge in seinem Leben, auf die der HErr sich beruft, warum wurde von den vielen Aussätzigen, die zur Zeit Elisas in Israel lebten, auch nicht Einer geheilt, sondern nur der Syrer Naeman? Wie konnten sie doch ihren Aussatz behalten, während sie einen Propheten unter sich hatten, der bereit war, sie Alle zu heilen (vergl. Luk. 4,27 mit Matth. 13,58)? Wie will man erklären, dass der König von Israel bei der Erscheinung des Fremdlings, der geheilt zu werden verlangt, nur Schrecken und Entrüstung bekundet und sich nicht einmal entsinnt, dass ein Prophet in Israel lebt, während doch nach dem vorhergehenden Kapitel Elisas Prophetentum eine so tief eingreifende Rolle in der Geschichte Israels und Judas gespielt hatte? Es gibt nur Eine Lösung für alle diese Rätsel; die Schrift kennt nur Eine Antwort auf diese Fragen; sie liegt in den Worten: „Um ihres Unglaubens willen“ (Matth. 13,58).
Die Zuhörer Jesu in Nazareth schienen nicht zu ahnen, dass, wenn zu Elias Zeiten nicht allen Witwen in Israel so wunderbar geholfen ward, wie der in Sarepta, wenn zu Elisas Zeit nicht alle Aussätzigen in Israel geheilt wurden, wie Naeman, der Syrer, die Schuld einzig und allein an deren Unglauben lag (Luk. 4,25-27), daran, dass sie die Macht ihrer Propheten, die Macht Jehovahs nicht kannten. Gerade so kennen die heutigen Christen nicht mehr die Macht des Erlösers, den Gott ihnen gegeben; die Fülle des Heils, die dieser Erlöser ihnen erworben hat, ist vor ihren Blicken verborgen.
Nicht, als ob es sich für uns zunächst um leibliche Heilung oder sonstige zeitliche Hilfe handelte! Der Unglaube, dessen sich so viele Kinder Gottes schuldig machen, liegt darin, dass sie sich die durch den sterbenden Christus gewirkte Erlösung für ihr inneres Leben nicht aneignen, dass sie noch nicht tatsächlich los sind von den Banden der Sünde und des eignen Wesens.
Der Weg, um aus diesem Unglauben herauszukommen, ist Treue im Kleinen. Ihre erlösende Macht üben die Heilstaten Christi über unser Herz und Leben nur aus in dem Maß, als sie uns der Heilige Geist ins Licht stellt. Was dann aber die Zukunft unseres inneren Lebens entscheidet und bestimmt, das ist die unbedingte Bereitwilligkeit, mit der wir uns jedem Strahl göttlichen Lichts hingeben, die zarte und gewissenhafte Treue, mit der wir die uns aufgeschlossene Wahrheit sofort verwerten. Alles, was wir vom Wort Gottes und vom Werk Christi erfasst haben, muss sofort in unserem Leben seinen Ausdruck und seine Anwendung finden. In göttlichen Dingen bringt alle Erkenntnis, die Charakter und Leben nicht umgestaltet, die keine Kraft gibt zur Selbstverleugnung und somit keine wirkliche und bleibende Frucht trägt, unserem inneren Menschen Schaden und Verberben. Im Häuslichen Leben, in Amt und Beruf verwerten, was man erfasst und empfangen hat, ist der sicherste Weg, um mehr zu bekommen, bis aller Nebel des Unglaubens verscheucht ist und die Wahrheit mit ihrer vollen, reinigenden und befreienden Kraft in Herz und Leben hineinleuchten kann.
Nachdem wir aber so lange mit verbundenen Augen dahingegangen und durch Anhäufung unfruchtbarer Erkenntnis unsere Seele betrogen und unsern Sinn für Wahrheit verdorben haben, müssen wir auch nicht mutlos werden, wenn es uns vorerst schwer wird, auch nur an unserem inwendigen Menschen die volle Wirkung von Christi Erlösung zu erfahren, wenn es uns nicht mit Einem Mal gelingen will, der Sünde und uns selbst abgestorben zu sein, wenn wir mit Herz und Sinn, in Tun und Lassen leicht in die früheren langgewohnten Bahnen zurückfallen.
Noch weniger darf es uns überraschen, wenn in unserem Leibe die Früchte von Christi Erlösungswerk nicht sofort oder erst nur teilweise zur Erscheinung kommen, wenn die Krankheit nicht weicht, auch wo die Macht der Sünde bereits gebrochen ist. Das Ende der Wege Gottes ist Leiblichkeit, sagt Oetinger. „Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod“ (1 Kor. 15,26). Es kann der Seele schon wohl ergehen und doch der Leib noch nicht völlig gesund sein (3 Joh. 2). Hier gilt Ebr. 10,36: „Denn Ausdauer habt ihr nötig, damit ihr nach Erfüllung des Willens Gottes die Verheißung davon tragt“ (nach Langes Bibelw.).