Stiller, Erich - Psalm 22.
Dieser Psalm ist von Niemanden als von Christus zu verstehen und es wird von der himmlischen Mahlzeit gesprochen, die Jesus Christus durch sein Leiden und Sterben zubereitet hat.
David erzählt zuerst in der Person Christi, was er Alles habe leiden müssen, nämlich große Schmach, Hohn und Spott; man habe ihn so wenig geachtet, als ob er ein Wurm, der mit Füßen getreten wird, und kein Mensch wäre; jedermann, der ihn am Kreuze erblickte, habe seiner gespottet, das Maul aufgesperrt, ihn in das Angesicht geschlagen und ihm sein Vertrauen auf Gott vorgeworfen, indem gesagt wurde, dem solle er sein Leid jetzt klagen, dass er ihm aushelfe, wenn er große Lust zu ihm habe. Ferner meldet noch David in der Person Christi, wer seine Feinde und Verfolger wären; er nennt sie große Farren, fette Ochsen, brüllende und reisende Löwen, und grimmige, wütende Hunde, - und will damit die Macht und Stärke, die Wut und Grausamkeit seiner Feinde beschreiben, vor deren Augen er gewesen wie ausgeschüttet Wasser, welches in die Erde sich verliert, und nicht mehr aufgefasst werden kann. Er sagt, sie hätten ihn an das Kreuz geschlagen, alle seine Glieder ausgedehnt, dass seine Gebeine auseinander gewichen, und man alle hätte zählen können; sie hätten ihm Hände und Füße durchbohrt, und so zugerichtet, dass ihm das Herz im Leibe gleichsam versunken sei; es sei kein Saft und keine Kraft mehr in ihm, ja er sei so ausgetrocknet gewesen, dass er vor Durst fast nicht mehr habe reden können, und es habe nichts weiter gemangelt, als dass man ihn in das Grab gelegt hätte; endlich hätten sie gar noch das Los um seine Kleider geworfen, und ihm sei zu Mute gewesen, als ob Gott ihn verlassen hätte!
Was David hier in der Person des Messias sagt, ist alles an dem Herrn Christus erfüllt worden! Warum aber, fragen wir, warum musste Christus leiden? Und die Antwort ist: Auf dass wir könnten selig sein! Als er am Ölberge im Garten auf seinem Angesichte lag, und so heftig kämpfte, dass sein Schweiß wie Blutstropfen auf die Erde fiel, um was war es ihm wohl anders zu tun als um unsere Seelen? Er wurde mit Angst und Traurigkeit so sehr überfallen, dass er sagte: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod, und das alles, auf dass er unsere Seelen mit der Fülle der Freuden ewig überschütten möchte. Er hat gerufen: Mein Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen? er fühlte sich von Gott verlassen, auf dass wir im Leben und im Sterben von Gott nicht verlassen wären. Er wählte das Kreuz, denn er wollte erhöht sein von der Erde, auf dass er uns alle möchte zu sich ziehen. Er wollte zwischen Himmel und Erde sterben, um anzuzeigen, dass er sei ein Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er wollte mit ausgespannten Armen sterben, um seine Willigkeit anzudeuten, die zu ihm fliehenden Seelen zu umfangen. Er hat sein heiliges Blut vergossen zum Lösegeld für unsere Seelen, denn dieses Kleinod war mit Gold und Silber, ja mit allen Schätzen der Welt nicht zu erkaufen; er hat die Höllenangst gekostet, auf dass er unsere Seelen davon erretten möchte.
Die Seele ist eine Braut Jesu Christi, um die er gearbeitet, die er endlich durch einen blutigen Kampf sich erworben hat; darum, mein Christ! wenn die Welt dir liebkoset, und dich zur Sünde verleiten will, so sprich mit einem freudigen und männlichen Herzen: Was? Ich? Ein Kind Gottes, mit dem teuren Blute Jesu Christi erkauft und von der Sünde Gewalt errettet, ich sollte mich wieder unter das Joch der Sünde begeben? Ich sollte den Sohn Gottes mit Füßen treten, und das Blut seines Bundes, durch das ich geheiligt bin, unrein achten? Sollte ich das, was Christus im blutigen Kampfe erworben hat, in schnöder Lust und vergänglicher Narrenfreude verschwenden? Sollte ich für die süße, reine und heilige Liebe Christi die unreine Liebe der Welt erwählen? Fleisch! was willst du? Ich soll tauschen? Soll den Himmel fahren lassen und die Hölle nehmen? Ich soll den Bund der Gnade verlassen, und mich an die Welt und Sünde hängen? Nein, das sei ferne! Verflucht sei Alles, was mich von meinem Erlöser abreißen, und mich von ihm abwendig machen will! Meinen Jesum lass ich nicht! Dabei bleibts in Ewigkeit!
Ja ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen, denn der Herr hat Großes getan; er hat nicht verachtet, noch verschmäht das Elend der Armen, sagt David, und denkt bei diesen Worten an die Dankopfer der Juden, bei denen immer auch Mahlzeiten gehalten wurden, wobei nicht nur die opfernden Leviten, sondern auch die Armen und Fremdlinge gespeist und erquickt wurden; er stellt das Reich Christi als eine himmlische Mahlzeit dar, bei der die Elenden, die busfertigen Seelen essen, dass sie satt werden. Das Evangelium ist die himmlische Speise, die Trost und Erquickung bringt. Die Gäste bei dieser himmlischen Mahlzeit, sagt der Seher, seien alle Völker auf dem ganzen Erdboden. Es werde gedacht aller Welt Ende, heißt es, oder mit andern Worten, es werde gepredigt, dass sich zu dem Herrn bekehren sollen alle Ende des Erdbodens, es sollen sich vor ihm niederwerfen und ihn anbeten alle Geschlechter der Heiden; wie er die Armen nicht verachtet, sondern denselben das Evangelium predigen lässt, so sollen aber auch alle Fetten, d. h. alle Großen und Gewaltigen der Erde kommen, die Predigt des Evangeliums hören, sich bekehren und an Christum glauben. Der Prophet fährt dann fort zu melden, wie sich die Gäste bei der himmlischen Mahlzeit verhalten würden; vor ihm, sagt er, vor dem Herrn des Gastmahls werden sich alle Kniee beugen, alle werden ihn als ihren Herrn erkennen und anbeten. Endlich versichert David, es würden Männer auftreten, die von dem Herrn verkündigen würden zu Kindeskind, und würden seine Gerechtigkeit predigen den nachkommenden Völkern, - es würden Botschafter ausgehen in alle Lande bis an das Ende der Welt, und würden alle Völker einladen zur himmlischen Mahlzeit.
Wir sind alle geladen, ihr christlichen Seelen! O lasst uns das Beste und Beständige, das Himmlische und Ewige erwählen, und dasselbe allein in und bei Christo Jesu, dem Gekreuzigten, suchen, denn er allein hat uns eine Mahlzeit bereitet, da man essen und satt werden kann für alle Ewigkeit. Lernt nur immer mehr die Welt, und ihren eitlen Tand verschmähen, und nach den vergänglichen Dingen nicht mehr so begierig rennen und laufen. Kommt, kommt Alle zur himmlischen Mahlzeit! Amen.