Stiller, Erich - Psalm 12.
In diesem Psalme findet sich eine schmerzliche Klage zu Gott, dass so wenig fromme Leute seien, die recht lehren, christlich glauben, gottselig leben, und aufrichtig und redlich mit ihren Nebenmenschen umgehen; zugleich drückt aber auch David seine Hoffnung aus, dass der Herr Hilfe schaffen werde durch sein göttliches Wort.
Wir betrachten die Wahrheit:
Gott schafft dem kleinen Häuflein Hilfe durch sein Wort!
Hilfe tut Not, denn die Klage geht auch in unsern Tagen: Hilf, Herr, die Heiligen haben abgenommen und der Gläubigen ist wenig unter den Menschenkindern! Seht die christliche Kirche zu dieser Zeit an, so werdet ihr gestehen müssen, es ist dahin gekommen, dass man mit allem Rechte die Worte des Propheten Jes. 1,8 gebrauchen kann: Was noch übrig ist von der Tochter Zion, ist wie ein Häuflein im Weinberge, wie eine Nachthütte im Kürbisgarten, wie eine verheerte Stadt; wenn uns nicht der Herr Zebaoth ein wenig ließe übrig bleiben, so wären wir wie Sodom und gleich wie Gomorra. Die Kirche steht da wie eine verwüstete, zerrüttete und betrübte Stadt! Verwüstet durch die Ungerechtigkeit, Heuchelei, Unbußfertigkeit und Sicherheit, welche allenthalben überhand genommen; zerrüttet durch so mancherlei Spaltungen und Sekten; betrübt durch so mancherlei Strafen und Plagen, mit denen der gerechte und heilige Gott die Christen um ihrer Sünde willen heimgesucht und belegt hat. Seines Augenlichtes müsste der Mensch nicht mächtig sein, der den Schaden Josephs nicht sähe; - ungläubig und unempfindlich aber derjenige, welcher ihn nicht zu Herzen nehmen und täglich beseufzen sollte! Ja ich weiß nicht, ob ich den für einen Christen halten darf, der in unsern Tagen an der Kirche Christi nichts findet, was sein Herz bekümmern, seine Augen mit Tränen, seinen Mund mit Klagen und Seufzen erfüllen sollte! Es finden sich im Predigerstande solche, die kein Vorbild der Gläubigen sind im Worte, im Wandel, in der Liebe, im Geiste, im Glauben, in der Keuschheit, - die das Werk eines evangelischen Lehrers nicht tun und ihr Amt nicht redlich ausrichten. Es finden sich bei denen, die unterwiesen werden, so viele, die das Wort nicht auf- und annehmen, sondern glauben und tun wollen nach den Eingebungen ihres verkehrten Herzens. Es gibt viele, die den Küchlein gleich sich verhalten, welche manchmal von ihrer Mutter sich entfernen, und so in Gefahr geraten, ihr Leben zu verlieren! Es gibt viele, die sich in die Welt vertiefen, der Eitelkeit nachgehen, von der Nachfolge Christi sich wenden, das Gebet unterlassen, oder kaltsinnig verrichten und in andern Pflichten des Christentums säumig und nachlässig sind.
Die Heiligen haben abgenommen und die Zahl der Heuchler und Gottlosen nimmt mit jedem Tage zu! Der Haufe derer ist groß, die miteinander reden von unnützen Dingen, die nicht Gottes Wort lehren, sondern Menschen Tand; die da heucheln, gute Worte aus falschem Herzen geben, nur den Schein der Aufrichtigkeit und Redlichkeit haben, und schön von außen glänzen, während ihre Sache nichts als Betrug und Lüge ist; die mit einander nicht übereinstimmen, indem der Eine dieses, der Andere jenes will; die mit ihrer Zunge stolz reden, von Niemanden sich wollen belehren und unterweisen lassen, sondern meinen, es sei alles recht, was sie tun, und weise, was sie reden; die da sagen: Unsere Zunge soll Überhand haben, uns gebührt zu reden: Wer ist unser Herr?
Ein solcher Zustand geht dem Freunde Gottes und Jesu Christi zu Herzen, und er seufzt über solche Zerstörung. Aber seht, liebe Christen, der Herr naht sich auch tröstend. Weil denn die Elenden zerstört werden und die Armen seufzen, will ich auf, spricht der Herr, ich will eine Hilfe schaffen, dass man getrost lehren soll. O herrliches Wort des Trostes! Gott lässt seine Kirche und die reine Predigt des Evangeliums von den Feinden und Verfolgern nicht ganz und gar unterdrückt werden; wenn er auch über seine Treuen oft viel Trübsal verhängt, so dass sie oft zu manchen Zeiten und an manchen Orten die Freiheit nicht haben, ihre wahre, seligmachende Religion zu üben, - so wacht er doch endlich auf, nimmt sich seines Volkes an, und schafft Friede und solche Freiheit, dass man freudig und getrost öffentlich die Lehre der Kirche bekennen und verbreiten kann. Der Herr hat einst einen Abraham erwählt, dass in ihm gesegnet werden sollen alle Geschlechter auf Erden; er zeigte Jakob sein Wort, Israel seine Sitten und Rechte; das Volk Israel wurde der Träger von Gottes Wort und von der Verheißung des Messias; als die Zeit erfüllt war, sandte Gott den Verheißenen, aber das Volk verwarf seinen Herrn und kreuzigte ihn und rief den Fluch auf sich herab. Sie haben den Herrn der Herrlichkeit verworfen, und der ist ihnen zum Felsen geworden, an dem sie zerschellt sind. Jerusalem ist zerstört, und Israel ist als ein lebendiges Ganzes aus der Reihe der Völker ausgestoßen und in elenden Trümmern unstet über den ganzen Erdboden zerstreut, in Trümmern, die darum so schauerlich sind, weil sie nicht leben und nicht sterben können, weil sie sich weder zu einem lebendigen Volkskörper wieder zusammenziehen, noch mit den Völkern, unter denen sie leben, sich zu vereinigen, und in ihnen aufzugehen vermögen. Diesen Fluch haben sie angezogen, wie ein Hemd; er ist ihnen vorgelegt 5. Mos. 28. Das ist ein schauerliches Exempel der Strafgerichte Gottes und des Feuereifers, mit dem er die Widerwärtigen zerschmeißt; insbesondere aber ist es uns ein Zeugnis für Christus und seine Kirche, und ein Grund unserer Hoffnung, dass Gott ferner den Feinden Christi Widerstand leisten und dem Häuflein der Gläubigen, die das Kreuz als ihr Panier vorantragen, den Sieg verschaffen wird. Wir brauchen nicht zu kämpfen mit menschlicher Kraft, unsere einzige Waffe ist das Wort Gottes.
David sagt in dieser Beziehung: Die Rede des Herrn ist lauter, wie durchläutert Silber im irdenen Tiegel, bewährt siebenmal. Das reine Wort Gottes ist ein köstlicher Schatz; es ist viel köstlicher, als das reinste Silber! Gottes Wort ist mit keiner Lüge, mit keinem Menschenbande vermengt; es lügt und trügt nicht; der Mensch kann darauf bauen, - das Herz kann sich darauf verlassen! Wenn auch Himmel und Erde vergeht, so bleibt das Wort Gottes in Ewigkeit, und erhält auch die, welche sich darauf verlassen, dass sie den Tod nicht schmecken ewig! Das Wort Gottes ist der Magnet, durch den der heil. Geist kräftig wirkt und zur Kirche hinführt; das Wort Gottes ist der Same, aus dem der Glaube Gottes zuerst entspringt, es ist aber auch der Saft, aus dem er ernährt und erhalten wird.
O, so trachtet denn danach, dass ihr das Wort Gottes nicht nur herzlich liebt, und fleißig hört und lest, sondern dass ihr auch seine Kraft im Herzen empfindet und das innerliche Zeugnis des heiligen Geistes erlangen mögt. Vertraut nicht dem Worte der Menschen, sondern dem geoffenbarten Worte Gottes; seid nicht Freunde eures eigenen Lichtes, sondern lasst das Wort Gottes eures Fußes Leuchte und ein Licht auf euern Wegen sein.
David betete: Du, Herr, wollest den Elenden bewahren und uns behüten vor diesem Geschlechte ewig, denn es wird allenthalben voll Gottloser, wo solche Leute unter den Menschen herrschen. Tut desgleichen, liebe Christen! Wendet euch zu Gott, und ruft ihn mit Eifer und Andacht täglich an, dass euch mit seinen Augen leite, mit seinem Geiste regiere, vor Ärgernis und Verführung der Welt, vor Unglaube, Sicherheit und andere Sünden behüte; bittet, dass er seine Gnade nicht von euch wende, in eures Herzens Dinkel euch nicht verlasse, wider alle Versuchungen euch stärke, in eurer Schwachheit euch unterstütze, eure guten Vorsätze befestige und das gute Werk, das er in euch angefangen hat, auch vollende. Gewöhnt euch daran, am Morgen und am Abend zu beten: Wende meine Augen ab, dass sie nicht sehen nach unnützer Lehre.
Es herrschen allenthalben viele Gottlose; meidet und flieht alle, die mit ihrem Herzen von Gott und seinem Worte gewichen sind, bei denen kein wahres Christentum, keine rechtschaffene Gottseligkeit, kein gottseliger Eifer, kein Verlangen sich und andere zu erbauen sich findet! Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind. Lasst euch nicht wiegen und wägen von allerlei Wind der Lehre durch Menschen Schalkheit und Täuscherei! Verwahrt euch, dass ihr nicht durch den Irrtum der ruchlosen Leute samt ihnen verführt werdet und aus der Festung entfallt! Wacht, betet, kämpft, ringt! Seht euch vor! Haltet was ihr habt, dass Niemand eure Krone nehme! Amen.
Mutig trag' ich meine Ketten,
Herr mein Gott, und hoff' auf dich!
Du, du wirst mich einst erretten,
Sturm und Wetter legen sich.
Steh' ich einst vor deinem Thron,
Reichst du mir die Ehrenkron'!
Auf den Abend folgt der Morgen,
Und die Freude nach den Sorgen!
Amen.