Stiller, Erich - Psalm 1.
Wir sind Christen, Geliebte! Eines Christen erste Sorge aber muss sein, dass er recht glaube, christlich lebe und selig sterbe; hierzu geben nun die Psalmen, welche meistens vom Könige David verfasst sind, herrliche Anweisung. Sie sind ein edles Kleinod und ein kurzer Inbegriff der ganzen göttlichen Lehre, darin Alles enthalten ist, was zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit und zum Troste dienlich ist, und jeder Christ kann sie heilsam gebrauchen, er sei reich oder arm, vornehm oder gering, alt oder jung, er befinde sich in Leibes- oder Seelen-Not, in Glück oder Unglück, im Leben oder Sterben. Deswegen sollte aber auch das Psalmbuch jedem Christen lieb und wert sein, und er sollte mit Freude und Lust in demselben lesen.
Der erste Psalm handelt von dem Hauptzwecke des ganzen Psalmbuches, ja der ganzen heiligen Schrift, er spricht. von der Seligkeit der Frommen und von der Strafe der Gottlosen.
Wohl dem, sagt David, der nicht wandelt im Rate der Gottlosen, noch sitzt, wo Spotter sitzen. Es ist gefährlich zu sitzen, wo die Spötter, die Verächter des göttlichen Wortes sitzen! Eine Kohle zündet die andere an, und ein grüner, saftiger Zweig beginnt zu brennen, wenn er mit dürrem Holze zum Feuer kommt, - so verdirbt böse Gesellschaft gute Sitten. Kein Gift ist so gefährlich, keine Krankheit so ansteckend, als das böse Beispiel, denn ehe man es sich versteht, wird die arme Seele verführt! Anfangs hört man schädliche Worte und Anschläge, und achtet nur leicht auf die sündliche Tat, aber bald lässt man sich zu gleicher Sünde verleiten, wandelt im Rate der Gottlosen, und hat Lust daran; darum meidet der rechte Christ den Umgang mit leichtfertigen, unwiedergebornen Menschen und sucht bekannt zu werden mit solchen, welche die Gnade Gottes in Christo Jesu schon erkannt haben, und die man wohl Kundschafter des Landes der Lebendigen nennen könnte, weil sie das Land der Lebendigen ausgekundschaftet haben und aus eigner Erfahrung Nachricht zu geben vermögen. Er flieht die Gottlosen und spricht mit David: „ich lasse die Versammlung der Boshaften und sitze nicht bei den Gottlosen; ich sitze nicht bei den eitlen Leuten, und habe nicht Gemeinschaft mit den Falschen!“ Er hat nicht lieb, was in der Welt ist, nämlich Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Wesen, sondern hat seine Lust am Gesetze des Herrn, und redet von seinem Gesetze Tag und Nacht.
Unter dem Gesetze versteht David die Bücher Mosis, welche damals fast das einzige Buch waren, aus dem die Erkenntnis Gottes geschöpft werden konnte. Wir haben, geliebte Christen! die ganze heilige Schrift, und mit ihr ein köstliches unschätzbares Kleinod. Die heilige Schrift ist die wohlgestimmte Harfe Davids, durch deren Spielen die unruhige Seele erquickt wird; - sie ist die grüne Aue und das frische Wasser, zu dem der treue Hirte seine durstende Herde führt; sie ist die blumenreiche Wiese, auf welcher die hungrigen Bienen den Honig des Trostes finden; der Gnadenstuhl, von dem der Herr mit uns redet; - sie ist ein Licht in der Finsternis, und ein Fernglas, durch das man Blicke in das Jenseits tun kann. Es gibt in unsern Tagen leider viele, welche keine Lust am Gesetze des Herrn haben, die das Wort Gottes wohl gar verachten und sagen in ihrem Herzen, wie die Israeliten vom Manna: Unsere Seele ekelt über dieser losen Speise! Ihre Ohren sind unbeschnitten, sie mögen es nicht hören! Sie halten des Herrn Wort für einen Spott und wollen sein nicht! Sie halten es nicht für eine Wohltat, dass sie Gottes Wort hören können, sondern für eine Beschwerde, dass sie es hören müssen; und wenn schon wider ihren Willen die Kraft des Wortes zuweilen zu ihrem Herzen dringt, so dämpfen sie doch die Bewegung im Innern bald wieder, und gehen hin und widerstreben mutwillig dem heiligen Geiste. Andere wollen den Namen nicht haben, dass sie Verächter des göttlichen Wortes wären, halten es vielmehr lieb und wert, hören es oft und viel, lesen es in der heiligen Schrift selbst und in andern frommen Büchern; aber sie lassen es nicht zu seiner vollen Wirkung gelangen, ihre Herzen sind im Grunde unverändert, sie sind vergessliche Hörer und einem rinnenden Gefäße gleich, in dem wenig oder nichts bleibt; sie sind wie ein Papier, das mit Öl getränkt ist, auf das man nichts Ordentliches schreiben kann; sie sind wie die Fliegen, welche um die Blumen her schwärmen, zuweilen sich auch darauf setzen, aber keinen Honig daraus zu ziehen wissen. Sie lassen das Wort wohl ihr Herz berühren, aber nicht einnehmen und beherrschen; sie lieben es als ein Mittel zur Seligkeit, aber nicht als ein Mittel ihrer gänzlichen Bekehrung und Heiligung; sie wollen das Wort wohl hören, aber nicht in allen Stücken danach tun; sie maßen sich die Verheißungen an, die Gebote aber und den Unterricht lassen sie fahren!
Der rechte Christ hat seine Lust am Gesetze des Herrn, er liest, hört und betrachtet dasselbe mit eifriger Andacht, bewahrt es in einem feinen und guten Herzen, und bringt Frucht in Geduld; er nimmt das Wort Gottes zu Herzen, und schärft es seinen Kindern ein, und redet davon, wenn er in seinem Hause sitzt, oder auf dem Wege geht, wenn er sich niederleget, oder wenn er aufsteht!
Selig, selig der Mann, der Lust hat zum Gesetze des Herrn und redet davon, überdenkt, betrachtet es Tag und Nacht, der ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl! Wie ein solcher Baum durch seine Wurzeln verborgener Weise immer aus dem nahen Bache Kraft und Saft zum Laube und zu den Früchten holt, so holt der rechte Christ aus dem Bache des göttlichen Wortes Kraft und Saft für seinen Glauben und für sein Leben, oder wie Johannes sagt, er nimmt aus seiner Fülle Gnade um Gnade! Sein Glaube wächst und seine Gottseligkeit auch; die Gottseligkeit aber ist zu allen Dingen nütze, und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens!
So sind die Gottlosen nicht, sondern wie die Spreu, die der Wind verstreut; darum bleiben die Gottlosen auch nicht im Gerichte, noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten! Ein Gottloser mag sich brüsten und groß machen, wie er immer kann; die Welt mag ihn ansehen, wie sie will, - der heilige Geist macht nichts aus ihm; sein Glück und seine Freude ist nichts, als leichte Spreu, die gegen den Wind nicht bestehen kann, sondern von demselben aufgehoben, zerstreut und verworfen wird! Die Sünde ist eine Abkehr von Gott! Wenn der Mensch von dem Lichte der Sonne sich abkehrt, so ist und hat er nichts, als Finsternis, und so wenn man sich von Gott wendet, hat man nichts, als Schaden und Schande! So lange der Zweig am Baume bleibt, hat er Nahrung aus demselben, wenn er aber abgerissen wird, muss er verdorren, und hat nichts als Feuer zu erwarten; so hat ein Mensch, der außer der Gnade Gottes und der Gemeinschaft des Herrn Jesu Christi ist, kein geistiges, göttliches Leben in sich, und gehört in das höllische Feuer. Der Ruhm der Gottlosen besteht nicht lange, und die Freude des Heuchlers währt einen Augenblick! Wenn gleich seine Höhe in den Himmel reicht, und sein Haupt an die Wolken rührt, so wird er doch zuletzt umkommen! Wie ein Traum vergeht, so wird auch er nicht gefunden; seine Leuchte wird verlöschen, und Unglück wird über ihn kommen!
Freilich scheint es oft, als ob dem Gottlosen das Los gefallen wäre aufs Lieblichste, als ob er nicht wäre wie Spreu, die vom Winde verweht wird; aber wenn Gott auch eine Zeitlang zusteht, so sind die Sünden doch nicht vergessen. Gott kennt den Weg der Gerechten, und das Tun der Gottlosen ist ihm auch bekannt, wenn gleich der Weg, ihr Wesen und Tun vergeht. Alle Sünden kommen hinauf vor Gott und zeugen wider den Sünder! Alle Sünden sind in Gottes Buch eingetragen, und in versiegelte Bündlein gefasst, und beigelegt bis zu jenem großen Tage, da es heißt: Tue Rechnung von deinem Haushalten, und wo der Herr einem Jeden sein Sündenregister vorhalten wird, wenn er sich derselben nicht mehr erinnern sollte! Was ist dann das Ende? Tod und Verdammnis! Die Gottlosen bleiben nicht im Gerichte, noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten; sie werden in die ewige Pein gehen!
Fragt ihr noch, gel. Christen! was ihr wählen sollt? Du stehst, o Mensch! zwischen zwei Wegen, von denen einer auf ewiges Wohl, der andere auf ein ewiges Wehe hinausläuft; tue deine Augen auf, und wähle den besten! Schreibe dir allezeit auf die Tafel deines Herzens die Anfangsworte des ersten Psalms: Wohl dem, der nicht wandelt im Rate der Gottlosen, noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat seine Lust zum Gesetze des Herrn und redet von ihm Tag und Nacht. Bitte Gott mit David: Erhalte meinen Gang auf deinen Fußsteigen, dass meine Tritte nicht gleiten! Wer aber abgewichen ist von dem schmalen Pfade, den bitte ich um seiner Seligkeit willen: Ach kehre wieder! Kehre wieder, du Abtrünniger, gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße! Amen!
Dein Nam' ist mir ins Herz geschrieben
Dich, Jesum, lass ich ewig nicht,
Auch wenn mich Alles will betrüben,
Bleibst du doch stets mein Trost und Licht,
Erkenn' ich dich als meinen Herrn,
Bleibt jeder böse Geist mir fern!
Herr Jesu, du allein sollst bleiben
Mein Herr und Gott, mein Trost und Mut!
Mag auch die Welt Gespötte treiben
Und Scherz mit äußerm höchsten Gut,
Soll's doch kein Andrer anders seh'n,
Als „Jesus“ hier im Herzen stehn!
Amen.