Stephan von Lantzkrana - Büchlein von den vier letzten Dingen
Leider habe ich dieses Buch nur in Stücken in der angegebenen Quelle gefunden - und leider auch nicht in der richtigen Reihenfolge. Ich habe die Absätze hier durch Linien getrennt.
Es ist zu scheiden zwischen Sondergericht und allgemeinem Gericht. Wie schrecklich wird das letztere sein!
Das zweite unter den letzten Dingen, das wir in allem unserem Thun bedenken sollen, ist das Gericht. Das Gericht ist ein doppeltes, ein Sondergericht, das nach dem Tode des Menschen statt hat, und ein allgemeines, das am Weltende nach der Auferstehung Aller statt hat. „Wenn auch der Tag des (allgemeinen) Gerichtes lange warten läßt, läßt wohl dein Tag lange warten?“ fragt Augustin. Sind nicht viele gesund eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht? Trägt nicht ein jeder seinen Tod in einem Fleische mit sich? Sind wir nicht zerbrechlicher als Glas? Denn obwohl ein Glas zerbrechlich ist, so hält es doch lange, wenn man es in acht nimmt.
Vom ersten, vom Sondergericht, sagt Cyrill in seinem Briefe an Augustin: „Es läßt sich darüber wenig reden, weil uns wenig darüber offenbart ist, doch will ich nicht verschweigen, wie ich mir dies Gericht denke. Zunächst wird meine von vielen Drangsalen und Schmerzen erlöste Seele plötzlich in Einem Augenblicke vor ihren Richter, vor Gott gestellt sein. Bedächten wir doch, daß diesem Richter keine unserer Sünden verborgen sein kann, die wir zeitlebens begangen haben. Ja, auch ihnen allen, die vor ihm stehen, wird Alles, was sie gethan haben, so klar sein, als wenn es eben geschähe; selbst der kleinste unserer Gedanken wird, gerade so wie er war, vor der Seele schweben. Ach, wie viele, wie große Schrecken werden uns dann überfallen! Und die Menge der Dämonen, die dabei steht, wird Art und Ort und Zeit unserer Sünden bezeugen; wir aber werden nicht den geringsten Widerspruch erheben können. Was für ein furchtbares Urtheil müssen wir dann erwarten. Sünde über Sünde ruft den Richter zur Rache aus. Wir sind verloren, wenn wir keinen Fürsprecher haben.“
Von solchen Erwägungen erschüttert ruft Bernhard in einer seiner Reden aus: „Wo nehmen wir nur unsere so große Fahrlässigkeit her? Woher nur nehmen wir diese so gefährliche Lauigkeit? Woher kommt uns diese fluchwürdige Sicherheit? Warum verführen wir Armen uns selbst? Warten auf unsern Tod nicht höllische Geister? Was wird das für ein Schrecken sein? O liebe Seele, wenn du alles verloren hat, dessen Besitz dir so angenehm, dessen Anblick dir so lieblich war, wirst du in unbekannte Regionen ganz allein eintreten und jene gräulichen Ungeheuer haufenweise dir entgegenstürzen sehen. Wer wird am Tage so großer Bedrängniß dir zu Hülfe kommen? Wer wird dich schirmen, wer dich trösten, wer dich in Sicherheit bringen?“ Bernhard fügt noch hinzu: „Meine Kindlein, laßt uns dieser letzten Dinge gedenken, auf daß wir nicht sündigen. Wir müssen durchs Feuer, und welcherlei eines jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren. Der Richter, der wird uns nach unserer Gerechtigkeit richten. Aber alle unsere Gerechtigkeit wird wie ein besudeltes Kleid geachtet werden. Das alles, was wir jetzt geringschätzig übersehen, gewandt verdecken, nachlässig verachten, wird dort im Flammengericht uns große Pein bringen.“ Wie groß wird Scham und Verwirrung sein, wenn wir nach dem Genusse so großer Wohlthaten so lau, so halb, so leer vor dem Angesichte unseres Gottes erscheinen? Nach dem Genuß eines außer einzigen Apfels floh Adam, um sich vor ihm zu verbergen; was sollen wir wohl thun nach so vielen Missethaten?
Der allmächtige Gott nämlich beobachtet alle unsere Wege und zählt alle unsere Schritte so genau, daß auch der geringfügigste Gedanke und das kleinste Werk, das wir für nichts achteten, in einem Gerichte nicht unerwogen bleiben wird. Darum sollen wir auch an der zeitlichen Freude uns also ergötzen, daß uns dabei nie die Bitterkeit des nachfolgenden Gerichtes aus dem Gedächtniß kommt, nach dem Rathe, den Ammonius einem Bruder auf seine Bitte um ein erbauliches Wort gab: Gehe hin und mache dir gerade solche Gedanken, wie die Missethäter, die im Gefängnisse liegen. Sie fragen: wo ist wohl der Richter, wann wird er wohl kommen? und in Erwartung ihrer Strafe vergießen sie Thränen; gleich also muß ein Christ sich immer wie ein Verdächtiger vorkommen und seine Seele schelten und sprechen: Wehe mir! Wie soll ich bestehen vor dem Richterstuhle Christi und wie soll ich Rechenschaft geben von allen meinen Thaten?
Von den Schrecken des allgemeinen Gerichtes.
Von dem zweiten, dem allgemeinen Gerichte, das am Ende dieser Welt gehalten wird, und von seinen Schrecken sagt der Herr, Luc. 21 : „Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein, und werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte sich bewegen werden.“ Mit den letzten Worten sind die erschrecklichen Diener gemeint, die dem erschrecklichen Herrn vorhergehen werden. „Und als dann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke, mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Darum sagt Hieronymus in seinem Briefe an Heliodorus: „Wenn der Herr zum Gerichte erscheint, wird ihn die Welt empfangen mit Trauern und Seufzen, Mann für Mann werden sie an ihre Brust schlagen; die vormals mächtigsten Könige werden wie arme Bettler erzittern. Dann wird die Venus mit ihren Verehrern ihr Urtheil empfangen. Der blitzegebietende Jupiter und die Klugheit des Plato sammt ihren Schülern muß dann das Gericht erleiden. Dann helfen die Aristotelischen Beweise nichts mehr, wenn kommen wird der arme und geringe Menschensohn, um die Enden der Erde zu richten.
Wenn nach dem untrüglichen Ausspruche unsers Erlösers, den wir oben anführten, die Menschen schon bei den Zeichen, die dem Gerichte selbst vorangehen, vor Furcht verschmachten werden, was werden sie wohl thun, wenn er selbst, der Richter, herbeikommt und Himmel und Erde beweget? „Noch einmal“, sagt er, „will ich bewegen, nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel.“
Was wird dann der arme Sünder anfangen, der sich weder durch schreckliche Drohungen, noch durch lockende Verheißungen bewegen ließ, durch ein rechtschaffenes Leben das sanfte Joch und die leichte Last des Herrn auf sich zu nehmen? Noch einmal: Was soll dann der arme Sünder beginnen? Blickt er aufwärts, so sieht er, wie Anselm sagt, über sich den strengsten und gerechtesten Richter, der keine Entschuldigungen gelten läßt; blickt er unter sich, so sieht er dort die weit geöffneten Pforten der Hölle bereit, ihn alsbald zu verschlingen; blickt er in sich hinein, so sieht er vollkommen deutlich alle seine Sünden, die nun auch allen andern offenbar werden, und die ihn als der ewigen Verdammniß schuldig anklagen; blickt er um sich, so sieht er den Brand der ganzen Welt und die unermeßlichen Schaaren der unsaubern und überaus schrecklichen Geister, und mitten darin die unübersehbare Menge aller Verdammten, mit denen er in ewiger Pein und ewigem Tode für immer leben soll. Wo soll sich dann inmitten so großen Jammers und so unsäglichen Elendes der arme Sünder hinwenden? Sich verbergen wird unmöglich, offenbar werden erschrecklich sein, was also soll an jenem Tage, da kaum der Gerechte Rettung findet, ein armer Sünder beginnen?
Ueber das Wort Matth. 25: „Da kam der Bräutigam; und welche bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit; und die Thür ward verschlossen,“ sagt Gregor: O wer dies Wort im innersten Herzen verstünde! Wie ist das wunderbar: „Da kam der Bräutigam!“ Wie ist das süß: „Sie gingen mit ihm hinein zur Hochzeit!“ Wie ist das bitter: „Und die Thüre ward verschlossen.“ Denn er ist gekommen, bei dessen Ankunft die Elemente erbeben, bei dessen Anblick Himmel und Erde erzittern. Darum auch der Prophet spricht: Noch einmal will ich bewegen nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel. Vor seinem Gerichte muß alles erscheinen, was Mensch heißt, und zur Rache über die Uebelthäter und zu Lobe der Frommen folgen ihm Engel, Erzengel, Thronen, Fürstenthümer und Herrschaften.“ Gregor fügt noch hinzu: „Bedenket, meine lieben Brüder, jetzt, ehe der große Richter erscheint, was das an jenem Tage für ein Schrecken sein wird, wenn es dann keine Rettung vor der Strafe mehr gibt; was für eine Verwirrung wird über alle kommen, die Rechnung thun sollen von ihrem Haushalte und nun vor den Augen aller Menschen und Engel schamroth dastehen müssen; was wird das für ein Grausen geben, den sogar im Zorne zu sehen, den der menschliche Geist sich nicht einmal in der Ruhe recht zu denken vermag. Im Hinblick auf jenen Tag; spricht der Prophet das treffliche Wort: Ein Tag des Zornes ist jener Tag; ein Tag des Jammers und Elendes; ein Tag der Finsterniß und des Dunkels; ein Tag der Nebel und des Sturmwindes; ein Tag der Trommete und der hellen Posaune. Bedenket, meine Brüder, diesen Tag des letzten Gerichtes, den der Prophet so viel Schweres und Bitteres bringen sieht, daß er ihm nicht genug Namen geben kann.“
Das alles wohl erwägend sagt Hieronymus von sich selbst: „So oft sich meine Gedanken auf jenen Tag richten, erzittern alle meine Glieder; ob ich esse oder trinke, oder irgend etwas anderes thue, immer glaube ich in meinen Ohren zu hören den schrecklichen Hall der Posaunen: Ihr Todten steht auf, herbei zum Gericht.“
Und Bernhard sagt: „Es kann keinen grauenhafteren, angstvolleren und beunruhigenderen Gedanken geben, als den: ich muß vor dem Richterstuhle des großen Richters stehen und von ihm, der so streng richtet, ein Urtheil empfangen, von dem ich noch nicht weiß, wie es ausfällt.“
Wenn nun so vollkommene und heilige Männer dies so schreckliche und strenge Gericht so fürchteten, was sollten erst so unvollkommene und schwache Sünder anfangen? Darum sagt Hieronymus: „Unselig die Herzen, unselig die Seelen, die nicht täglich den Tag des so furchtbaren Gerichtes bedenken. Wenn sie aber daran denken, dann ist es mehr als thöricht, wenn sie noch irgend ein Verlangen nach der Welt und ihrer Pracht tragen.“ Und weiter unten sagt er: „An keinem Tage, zu keiner Stunde darf euch dies alles aus dem Sinne kommen. Jede Wand und jeder Winkel im Hause müsse es euch immer vor Augen setzen, immer müsse euch jene schreckliche Posaune in die Ohren tönen: Ihr Todten stehet auf, herbei zum Gericht! Siehe, dein König kommt mit mächtigem Arm und will von allen Rechenschaft fordern, auch über den kleinsten unnützen Gedanken. Und wenn ihr nur auf Eine Frage nicht antworten könnt, so werdet ihr in den tiefsten Kerker geworfen. So viele von euch sich diese ernsten Worte zu Herzen gehen lassen, die finden keinen Gefallen mehr an köstlichem Gewande, denen ist ein gewöhnliches und geringes Kleid lieber als Purpur und köstliche Leinwand, denen gilt ein grobes und rauhes Kopftuch eben so viel als eine seidene Kappe.“ So weit Hieronymus.
Ueber die Worte des Herrn, Matth. 25: „Wenn aber des Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit; und es werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“ c. sagt Augustin: „Ich bitte euch, lieben Brüder, daß ihr aufmerksamen Herzens und Geistes unablässig diese Worte aufs sorglichste beachtet, und weil sie nicht schwer zu verstehen sind, sie immer im Gedächtniß traget, und die Mahnung, die sie enthalten, ohne Unterlaß bedenket. Denn wer das mit allem Fleiß thut, dem gibt es einen genügenden Antrieb alles Gute zu thun und alles Böse zu fliehen, auch wenn ihm die ganze übrige Schrift nicht bekannt wäre.“ Und zu Ende derselben Homilie sagt er: „Aber und aber ermahne ich euch, meine Brüder, daß ihr jene Worte stets treu im Gedächtnis behalten möget, und mit allen Kräften unter Gottes Hülfe dahin trachtet, dem ewigen Feuer zu entrinnen und das selige Himmelreich zu gewinnen.“
Die Schrecken des Jüngsten Gerichtes werden dadurch sehr erhöht, daß von Allen öffentlich Rechenschaft abgelegt werden muß.
Das Maß der Schrecken wird dadurch voll, daß bei jenem so furchtbaren Gerichte nicht heimlich und im Verborgenen, sondern öffentlich und vor aller Welt Rechenschaft abgelegt werden muß; will sagen vor den Engeln und allen Heiligen, vor den Dämonen und allen Verdammten. Der Psalmist sagt: „Er rufet dem Himmel von oben,“ d. h. Engel und Heilige, „und die Erde,“ d. h. Dämonen und Verdammte, „daß er richte sein Volk,“ d. h. im Endgericht. Daran dachte ein alter Mann, als er einen Jüngling lachen sah, und sprach zu ihm: „Vor Himmel und Erde müssen wir Rechenschaft geben von unserem ganzen Leben, und du lachst?“ Und fürwahr, wenn ein Mensch, wie er sollte, bedächte, was das für ein Gericht ist, das auf ihn wartet, so müßte man sich wundern, wenn er noch wahrhaft fröhlich sein, wahrhaft lachen könnte.
Dann werden jedes einzelnen Menschen Sünden allen offenbar und bekannt werden, nicht nur die That-, auch die Wort- und Gedankensünden; so nämlich legt man aus die Stelle 1. Cor. 4: „Der Herr wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rath der Herzen offenbaren.“ Dann wird vieles, was hier den Menschen gut erscheint und wofür sie Lohn hoffen, als böse offenbar werden und Strafe verdienen. Es ist so, wie Gregor sagt: „Bisweilen kommt den Augen des Richters recht schmutzig vor, was den Augen des Thäters recht glänzend vorkommt.“ Und Bernhard schreibt in seinem Briefe an Robertus: „Es steht sehr zu befürchten, daß vor so scharfer Prüfung viele unserer Thaten, die wir für gerechte hielten, als Sünden erscheinen werden.“
Dann wird Rechenschaft gegeben werden nicht allein über die großen, sondern auch über die kleinsten Sünden, über die unnützen, leichtfertigen Worte, selbst über den kleinsten unnützen Gedanken. Von den Worten ist das klar aus der Stelle Matth. 12: „Ich sage euch, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am Jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben.“ Von den Gedanken gilt nach dem vorhin Gejagten dasselbe.
Dann wird Rechenschaft gegeben werden nicht allein von einem ganzen Jahre, Monate oder Tage, sondern auch von der ganzen Zeit des menschlichen Lebens, ja selbst von jedem Augenblicke. Bernhard sagt: „Wie kein Haar von deinem Haupte verloren geht, so geht kein Augenblick deiner Zeit verloren,“ über jeden einzelnen wird Rechenschaft verlangt werden.
Im Schrecken hierüber ruft Anselm: „Du dürres und unnützes Holz, das reif für das ewige Feuer ist, was willst du antworten an jenem Tage, da dir Rechenschaft abverlangt werden wird über die Verwendung deiner ganzen Lebenszeit bis zum kleinsten Augenblicke?“ Und Bernhard klagt: „Mein Herr und mein Gott! Wie viele Tage meines Lebens sind fruchtlos verflossen! Wie soll ich vor dir bestehen? Wie werde ich zu dir mein Antlitz erheben dürfen an jenem großen und erschrecklichen Gerichtstage, da ich dir alle meine Tage vorzählen muß und du bei mir Früchte suchen wirst?“
Ach, daß doch Alle das recht bedächten, die in einer Art Seelenschlaffheit und Trägheit ihre Zeit so unnützlich zubringen; denn gerade so viel Zeit, als sie für das Wohl ihrer Seele verlieren, könnten sie für dasselbe gewinnen; ist doch keine Stunde so kurz, daß in ihr der Mensch nicht ein geistliches Gut gewinnen könnte, das ungleich werthvoller als alles Irdische wäre. Es wird uns dereinst, wie Augustin sagt, kein gutes Bekenntniß vergessen werden, aber uns gegenüber wird stehen, was wir Böses begangen, ja auch, was wir Gutes hätten thun sollen und haben's nicht gethan. Gerade über die Hochgestellten wird dann das überaus harte Gericht ergehen, von dem Weish. 6 geschrieben steht: „Die Gewaltigen werden gewaltiglich gestraft werden.“
Denn nicht allein von sich selbst, auch von allen Denen, die ihnen anvertraut waren, müssen sie Gott Rechenschaft geben, wie denn Augustin an einen seiner Mitarbeiter schreibt: „Ich bitte dich, lieber Bruder, daß du Allen, die dir in deinem Hause untergeben und vertrauet sind, vom Größten bis zum Kleinsten, die Liebe und Lieblichkeit des himmlischen Königs, die Schauerlichkeit und Schrecklichkeit der Hölle verkündigt, und für ihr Heil wachsamste Sorge trägt, denn für Alle, die dir untergeben, für Alle, die in deinem Hause sind, wirst du dem Herrn Rechenschaft geben müssen. Predige, lehre, befiehl, ermahne, daß sie sich hüten vor Stolz, vor Verleumdung, Trunkenheit und Hurerei, vor Zorn, Lüge und böser Lust, die aller Uebel Wurzel ist.“ So weit Augustin.
Aber noch viel mehr und stärker sind hiezu die Bischöfe und Geistlichen verpflichtet; darum sagt auch zu ihnen Augustin in der Rede, die er zur Feier seiner Ordination hielt: „Alle Tage und alle Stunden, also fortwährend muß ein Bischof mit Sorgen daran denken, was für ein schweres bürdevolles Amt er zu Lehn trägt und was für eine schwere Rechenschaft davon er seinem Herrn schuldet.“ Und an demselben Tage sprach er sich in einer andern Rede so aus: „Obschon ich Tag und Nacht an die schwere Bürde denken muß, die mir auferlegt ist, so wird mir doch im Kommen und Gehen der Jahre, die mich dem letztern Tage näher bringen, der doch endlich einmal kommen muß, der Gedanke immer drückender und peinlicher werden, daß ich dem Herrn unserem Gotte von euch Allen Rechenschaft geben muß. Denn das ist der große Unterschied zwischen uns und euch, daß ihr wohl von euch Rechenschaft ablegen müßt, wir aber von uns und von euch; darum ist unsere Bürde größer, denn eure, aber wenn wir sie treu tragen, bringt sie uns auch eine größere Herrlichkeit zu Wege; wer hingegen untreu sie trägt, den zieht sie in einen Abgrund von Strafen hinab, die über alle menschlichen Begriffe gehen.“ Von sich selbst aber soll Augustin gesagt haben: „Ach, was soll ich an jenem Tage beginnen, da von mir wird Rechenschaft verlangt werden über so viele Seelen, die mir aufs Herz gelegt sind?“
Isidor sagt: „Die Pastoren werden um der Sünden willen ihrer Gemeinden verdammt, wenn sie entweder die Unwissenden nicht gelehrt, oder die Sünder nicht gestraft haben“; und Prosper: „Wem die Predigt des Wortes vertraut ist, der muß, auch wenn er selbst ein rechtschaffenes Leben führt, aber doch der schlechte Wandel seiner Gemeindeglieder ihn anklagt, entweder Buße thun oder mit allen Denen zu Grunde gehen, die durch sein Schweigen zu Grunde gehen.“
Auch Hieronymus schreibt einmal: „Vergiß nicht, liebe Seele, was für eine schwere Last deinen Schultern auferlegt ist, denn unausbleiblich mußt du von den Seelen und Leibern, den Werken und Sitten deiner Untergebenen vor Gottes Gericht Rechenschaft geben.“
Vieles von dem, was wir über das letzte Gericht und die Rechenschaft, die unsrer wartet, gesagt haben, berührt Augustin in einem Briefe, der an einen Amtsbruder gerichtet ist. Er sagt dort: „Es kommt der Tag des Gerichtes und mit ihm der gerechteste unter allen Richtern, der die Person nicht ansieht und dessen Dienerschaft kein Bischof und sonstiger Würdenträger mit Gold oder Silber für sich gewinnen kann; alle Seelen werden vor ihm dargestellt und müssen alles bekennen, was sie bei Leibesleben gethan haben, es sei gut oder böse. Es wird auch zugegen sein unser Widersacher, der Teufel, und wenn einerseits jedes gute Bekenntniß, das wir gethan haben, verlesen werden wird, so wird er andererseits uns nach Tag und Ort alle unsere Begehungs- und Unterlassungssünden ins Antlitz vorwerfen, und wenn wir überwiesen sind, wird der Widersacher uns vor dem allerheiligsten Richter verklagen und den Prozeß betreiben. Er selbst, der Teufel, hat dann Ursach, zu sagen: Gerechtester Richter, richte selbst, daß dieser da mein ist wegen seiner Schuld, weil er nicht dein sein wollte aus Gnaden; dir war er ungehorsam, mir gehorsam; dein Kleid hat er verloren, in meinem Kleide ist er hierhergekommen.
Zu was für Thaten hat ihn die Schamlosigkeit verleitet, die Unmäßigkeit, der Geiz, der Zorn, der Stolz und was dergleichen mehr ist? Er hat dich verlassen, er ist zu mir geflohen, er hat sich den Zorn gehäuft auf den Tag des Zornes. Gerechtester Richter, richte du selbst, daß dieser da mir gehört und mit mir verdammt werden muß. Er wollte mein sein, er verlangte nach dem, das mein ist, er muß mit mir Pein leiden: du freilich hat ihn werth geachtet, ihn mit dir selbst als einem theuern Lösegelde loszukaufen, er selbst aber wollte hernach gar gern mein Knecht werden.“
So viel von jenem zweiten unter den letzten Dingen, von den furchtbaren Gerichte, an das wir in allem unserem Thun stets denken sollen. Amen.
Das dritte unter den letzten Dingen, an das wir in allem unserm Thun zu denken haben, ist die höllische Pein; darum sagt Fortunat: „Es gibt nichts, was den menschlichen Geist zum Kampfe gegen Fleisch und Sünde mächtiger stärken könnte, als die Furcht vor den Strafen und Qualen der Hölle. Was soll wohl. Einer noch fürchten, der davor nicht erzittert, erschrickt, in Furcht erbebt? Denn in der Hölle ist gar kein Trost mehr, sondern ein ewiges Wehe, Heulen, Jammern und Zähneklappen.“
Das vierte unter den letzten Dingen, dess wir in allem unserm Thun gedenken sollen, ist die Herrlichkeit des Himmels, oder die Lieblichkeit und Wonne der ewigen Seligkeit. Hiervon redet Augustin im Enchiridion und nach ihm Gregor: „Wenn wir bedächten, was und wie groß das ist, was den Heiligen am Tage des Gerichtes zu Theil werden soll, was und wie groß das ist, das uns im Himmel verheißen wird, so würden unsere Seelen Alles, was die Erde bietet, für nichts achten. Denn im Vergleich mit der Seligkeit droben ist alles irdische Gut nur eine Last und keine Lust; im Vergleich mit dem ewigen Leben ist dies zeitliche vielmehr ein Tod, als ein Leben zu nennen.“
Und Hieronymus sagt: „Keine Arbeit darf hart, keine Zeit lang erscheinen, wenn sie zum ewigen Leben verhilft.“
Diese beiden letzten Dinge, die himmlische Herrlichkeit und die höllische Pein, sind freilich Gegensätze, denn in der ewigen Herrlichkeit findet sich nur, was gefällt, erfreut und Genüge bringt, in der höllischen Pein dagegen ist nichts zu ersehen und wahrzunehmen, als was mißfällt, Schmerz und Qual macht; aber weil Gegensätze, wenn man sie neben einander stellt, mehr Licht gewinnen, wollen wir zugleich über beide mit einander reden, obwohl keins von beiden in Worte gefaßt, ja nicht einmal vom Verstande erfaßt werden kann, nach dem Ausspruche Bernhards in einer Predigt über die Auferstehung des Herrn: „Die ewige Seligkeit der himmlischen Heimath, und hin wiederum, die Qualen der Hölle, die den Gottlosen bereitet sind, liegen weit hinaus über die fünf Sinne des Menschen, auch weit hinaus über alles menschliche Verstehen und Begreifen. Daran zweifelt. Keiner, der einigermaßen an das glaubt, was geschrieben steht. Aber daß doch dieser Schriftglaube in Allen ein wahrhaft lebendiger wäre. Denn freilich ein lauer und todter Glaube kann uns keinen Antrieb geben, wenn es sein müßte selbst mitten durch Schwerter und Feuer so großer Pein zu entrinnen und hinanzueilen zu so großer Herrlichkeit.“
Darum soll Niemand glauben, daß durch das, was über die Strafe der Verdammten und die Herrlichkeit der Seligen sich sagen und predigen läßt, diese Dinge erst Gewicht gewinnen müßten; vielmehr soll man glauben und nicht daran zweifeln, daß das, was geschrieben steht, und wie es geschrieben steht, noch unter der Wirklichkeit bleibt. Denn wie vermöchte die Zunge auszusprechen oder der Verstand zu begreifen, wie bitter die Strafleiden der Hölle sind, wo die geringe, kurze, nur augenblickliche Ergötzung, welche die Sünde bietet, mit unerträglicher Pein und dem ewigen Tode Leibes und der Seele vergolten wird, der keine Hoffnung mehr auf Gnade und Erbarmen bleibt. Darum sagt Augustin: „So groß ist die Schönheit der Gerechtigkeit und so groß die Lieblichkeit des ewigen Lichtes, daß man, auch wenn man nicht länger als einen einzigen Tag darin verweilen dürfte, schon um deswillen mit vollsten Rechte ungezählte Lebensjahre voller Reichthum und wilder Lust und Ueberfluß zeitlicher Güter daran geben müßte.“ Eben so ist hin wiederum die Pein der Hölle so groß und schwer, daß gewiß jeder Sterbliche, der sie aus eigner Erfahrung kennte, viel lieber hier bis zum Ende der Welt mit allen Strafen, die alle Menschen von Adam bis auf diese Zeit erduldet haben, sich zu gleich peinigen lassen würde, als daß er nur Einen Tag lang in der Hölle Qual leiden wollte.
Ein frommer Mann, den diese Betrachtungen bewogen hatten, ein sehr strenges Leben zu führen, pflegte zu sagen: Alle Mühe und Arbeit meines ganzen Lebens kann nicht einmal von ferne verglichen werden mit einem Tag der Qual, die jenseits auf die Sünder wartet. Thomas, Durandus, Petrus de Palude lehren einmüthig: Wie die Herrlichkeit und Freude der Geretteten und Seligen sich zu den Freuden und Gütern dieses Lebens verhält, so verhält sich Jammer und Pein und Schmerz und Trübsal der Verdammten zu Pein und Elend und Schmerz und Trübsal des gegenwärtigen Lebens. Dagegen übertrifft die Herrlichkeit und Freude der Seligen unermeßlich weit alle Freude und alles Gut dieses Lebens, und ebenso übertrifft Pein und Jammer, Schmerz und Trübsal der Verdammten weit alle Leiden und Strafen, Schmerzen und Trübsale des gegenwärtigen Lebens.
Anselm erläutert das einmal noch näher mit den Worten: „Gleichwie in der zukünftigen Welt die Schönheit und Herrlichkeit der Gerechten dem schönen Glanze der Sonne zu gleichen sein wird, die siebenfach heller leuchtet, als jetzt, wie denn das Wort der Wahrheit Matth. 13 davon zeugt: „Die Gerechten werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich;“ gleich also wird auch die Häßlichkeit der Verdammten gräulicher sein, als aller Moder, und abscheulicher, als alle Verwesung.“
Gleichwie die Gerechten in der Beweglichkeit ganz gleich sein werden den Engeln Gottes, die schneller, als man ein Wort spricht, vom Himmel auf die Erde und wiederum von der Erde in den Himmel gelangen, so daß sie nach Augustin durch diese Gabe leichter Beweglichkeit die Fähigkeit erlangen, sofort auch den Leib dahin zu versetzen, wohin sich die Seele begeben will; gleich also werden die Bösen und Verdammten mit einer so schweren Bürde von Strafen belastet, daß sie weder Hand noch Fuß noch sonst ein Glied regen können. Darum stehet in den Evangelien das Wort: „Bindet ihnen Hände und Füße und werfet sie hinaus in die äußerte Finsterniß, da wird sein Heulen und Zähnklappen.“
Ferner wird in der zukünftigen Welt die Kraft der Auserwählten so groß sein, daß keinem unter ihnen irgend etwas zu widerstehen vermag, sondern was auch versuchen sollte sie von ihrem Orte zu bewegen und zu verdrängen, das müßte alsbald von dannen weichen und würde nicht länger als einen Augenblick sich mit so vergeblichem Beginnen abmühen. Denn es steht doch außer Zweifel, daß die Engel durch ihre Kraft ausrichten können, was sie wollen. Wenn wir aber nach der Verheißung des Wortes ihnen ähnlich sein werden, sollten wir dann wohl schwächer sein, als sie? Doch gewiß nicht. Darum wird in der zukünftigen Welt der Gerechte so voll Kraft sein, daß er auch die Erde zu bewegen vermöchte. Der Gottlose hingegen wird so hinfällig und kraftlos sein, daß er nicht einmal eine Mücke von seinem Auge hinwegzuscheuchen vermag.
Wie ferner den Engeln sich nichts entgegenstellt und nichts sie hindern kann, Alles, was sie wollen, mit Leichtigkeit zu durchdringen, so gibt es auch kein Hinderniß, das die Gerechten aufhalten könnte; kein Schloß und Riegel, der ihnen widerstehen dürfte; kein Element, das ihnen den Durchgang zu verweigern wagen würde: kurzum, im zukünftigen Leben werden die Guten nichts leiden dürfen, was sie nicht wollen, aber Alles thun dürfen, was sie nur wollen; die Bösen hingegen werden gerade zu dem, was sie nicht wollen, gezwungen, und gerade das zu thun verhindert, was sie wollen.
Und wie glühendes Eisen in jedem seiner Theile Feuer enthält, gleich also wird im zukünftigen Leben unaussprechliche Freude die Frommen gleichsam trunken machen und mit ihrer unsäglichen Süßigkeit in unbeschreiblicher Fülle sie ganz durchströmen und sättigen, also daß Augen, Ohren, Mund, Hände und Füße, Herz, Leber und Lunge, Mark und Bein und alle ihre einzelnen Gliedmaße ein jedes für sich von einem so wundersamen Gefühl der süßesten Freude erfüllt werden, daß fürwahr der ganze Mensch mit Wonne aus Gott getränkt wird, wie mit einem Strome. Es hat kein Sterblicher gelebt und wird auch keiner leben, der diese Wonne in Wahrheit zu fühlen und zu schmecken vermöchte, und dann ihre Art und Eigenthümlichkeit Andern klar beschreiben könnte. Die Gottlosen dagegen werden voll sein bis oben an von allen Arten von Qual. Anselm braucht folgendes Beispiel: Wenn einem Menschen die Augensterne und eben so alle einzelnen Glieder von feurigem glühenden Eisen durchstoßen sind, so bleiben nicht Mark und Eingeweide, kurz kein einig Pünktlein am ganzen Menschen frei von der unmenschlichen Qual jener Marter, oder fühlen sie auch nur um ein Geringes weniger, als die Augen; wer mag ermessen, wie groß solch eines Menschen Pein und Schmerz sein muß? Und dennoch ist auch ein so großer Schmerz wie nichts gegenüber der Pein der Gottlosen in der zukünftigen Welt.
Sie werden dermaleinst von empfindlichem Schmerze gepeinigt werden, und zwar durch das höllische Feuer, in dem sie auf ewig liegen müssen, und das eine so heftige Hitze hat, daß ihm gegenüber das Feuer, das wir kennen, nicht heiß genannt werden kann; es verhält sich, wie Augustin sagt, jenes Feuer zu dem unsern gerade wie wirkliches Feuer zu gemaltem.
Aber nicht allein vom Feuer werden sie zu leiden haben, sondern auch von den andern Elementen, von Wasser, Luft und Erde, ja selbst von fernen Gestirnen aus wird es auf sie einstürmen und von Allem, was unrein heißt, von allen Enden der Welt her. Sowohl Basilius als Thomas sind der Meinung, daß, wenn zuletzt die Welt im Schmelztiegel liegen wird, eine gewisse Scheidung der Elemente eintritt: Alles, was rein und edel, bleibt obenauf zur Herrlichkeit der Seligen; Alles hingegen, was schmutzig, unfläthig und garstig, wird mit Allem, was Moder und Verwesung heißt, im letzten Gericht alle Gottlosen zu. Einem Bündlein umbinden und umwinden und jammt ihnen hinweggeworfen und zu ihrer ewigen Pein in die Hölle hinabgestoßen werden; auf daß, gleichwie alle Creatur Gottes den Seligen Ursache zur Freude gibt, also auch alles Geschaffene die Qual der Verdammten mehren muß nach dem Worte der Weisheit: „Die Welt wird mit ihm zum Streit ausziehen wider die Unweisen.“
Es ist auch der göttlichen Gerechtigkeit wohl angemessen, daß die Verdammten, gleichwie sie in diesem Leben von dem Einen, von Gott, durch die Sünde sich immer weiter entfernt, und in handgreiflichen Dingen, deren es so viele und verschiedene gibt, ihre Befriedigung gesucht haben, dann auch vielfältig und von vielen Seiten her gepeinigt werden, und als Menschen, die zeitlebens in angenehmsten und auserlesensten Genüssen und Ergötzlichkeiten die Dinge dieser Welt nur gemißbraucht haben, in der Hölle fortwährend den bittern Hefensatz und schmutzigen Moder zu schmecken bekommen, den die Dinge dieser Welt zurückzulassen pflegen, wie denn hievon die Offenbarung Johannis mit den Worten redet: „Wie viel sie sich herrlich gemacht und ihren Muthwillen gehabt hat, so viel schenket ihr Qual und Leid ein.“ Und gleich wie bei den Seligen alle Sinne ihren Lohn erhalten werden durch Darreichung der ihnen wohlthuendsten Dinge, so werden im Gegentheil die Verdammten nach allen fünf Sinnen, Gesicht, Gehör, Geschmack, Geruch und Gefühl empfindlichen Schmerz fühlen, und nicht bloß äußerlich, sondern auch inwendig in allen ihren Gliedern und in der Tiefe aller ihrer Eingeweide; denn jenes Feuer wird alle Glieder der Verdammten, und alle ihre Eingeweide, und Mark und Bein, und alle Theile des ganzen Leibes, so verborgen sie auch sein mögen, mit überaus heftiger Hitze durchdringen.
Das Gesicht wird sehen die schrecklichen Einrichtungen des höllischen Kerkers, und das schwarzqualmende Feuer, und die Verdammten mit ihren mehr als leichenhaften Leibern, und die Dämonen mit ihren furchtbaren Gesichtern, deren Anblick eben so peinvoll als schreckenerregend sein wird. So erzählt Cyrill unter Anderem vom Eusebius, dem Schüler des Hieronymus, daß er, als es mit ihm zum Sterben kam, vor seinem Ende zwei Stunden lang so furchtbare Bewegungen zu machen anfing, daß die Umstehenden vor Schrecken wie todt zur Erde fielen. Denn er verdrehte von Zeit zu Zeit die Augen, faltete die Hände fest in einander, machte ein furchtbares Gesicht und schrie mit schrecklicher Stimme: Das thue ich nicht, das thue ich nicht, du lügst, du lügt. Hernach warf er sich mit dem Gesicht auf die Erde und schrie was er konnte. Weinend und zitternd fragten ihn Alle, die das sahen: Was ist dir, was hast du nur? Er antwortete: Seht ihr nicht die Schaaren von Dämonen, die auf mich eindringen wollen? Jene sagten: Was wollten sie dir denn thun, als du rieft: Das thue ich nicht! Er erwiederte: Sie suchten mich zur Lästerung des göttlichen Namens zu zwingen, darum rief ich: Das thue ich nicht. Hierauf jene: Warum warfst du dich mit dem Gesicht zur Erde? Er sprach: Um nicht den Anblick der Dämonen zu haben, der so gräulich und grausig ist, daß im Vergleich damit alle Strafen der Welt wie nichts sind.
Das Gehör wird vernehmen das Seufzen der Verdammten, ihr fortwährendes Heulen und Zähneklappen, die Worte der Lästerung gegen den allmächtigen Gott und andere schreckliche Töne, die schmerzlich berühren. Der Geruch wird die häßlichen Gerüche zu ertragen haben von all den Unreinigkeiten, die in der Hölle zusammengehäuft sind, denn die Hölle wird gleichsam die Hauptkloake alles Scheußlichen dieser Welt sein, das dort für immer bewahrt wird zur Strafe der Verdammten, die den schrecklichsten und unerträglichsten Gestank verspüren werden, wenn schwefliche Flammen in der Tiefe zu brennen beginnen, die mit dem Schmutze aller Elemente erfüllt ist.
Das Gefühl wird empfinden heftigste Hitze des Feuers und heftigste Kälte des Wassers und ein gewaltiges zusammengepreßt-werden und das Nagen der Würmer, die nicht sterben. Zu der Stelle. Matth. 8: „Sie werden ausgestoßen in die äußerste Finsterniß“ bemerkt Gregor: „Sie werden ausgestoßen in die äußerste Finsterniß, daß dort mit den Zähnen klappen sollen, die hier an der Gefräßigkeit ihre Freude hatten. Da Heulen durch Hitze, Zähneklappen durch Kälte hervorgerufen zu werden pflegt, so geht hieraus hervor, daß es eine doppelte Hölle gibt: Eine mit übermäßiger Kälte, eine andere mit unerträglicher Hitze. Es wird in der Hölle geben eine unerträgliche Kälte, ein unauslöschliches Feuer, einen Wurm, der nicht stirbt, einen unleidlichen Gestank, eine mit Händen zu greifende Finsterniß, Geißelhiebe, schreckliche Gesichte der Dämonen, Verzweiflung der Sünder, Ersterben aller Hoffnung. Die Elenden dort erleiden einen Tod, der nicht erstirbt, eine Armuth, die nie verarmt, denn der Tod dort fängt immer von neuem an und die Armuth dort kennt keine Verarmung.“ Desgleichen sagt Anselm: „In diesem Leben gibt es Niemand, der die höchste Traurigkeit oder die höchste Freude und Seligkeit empfände; in jenem Leben aber wird der Mensch vollkommen erfüllt sein entweder mit der höchsten Freude oder mit der höchsten Traurigkeit. Denn die Guten haben dann die vollkommene Seligkeit und ein Wohlsein, das kein Leid mehr stört; dagegen aber die Bösen werden voll höchster Traurigkeit und höchsten Jammers sein, denn ohne Ende und unaufhörlich müssen sie alle Arten von Jammer erleiden, mit denen sie ohne Hoffnung auf Erlösung umgeben sind.“
Es ist, wie Hugo sagt: „Die Hölle ist breit und weit ohne Maß, tief ohne Grund, voll Feuer, dem kein Feuer gleicht, voll unerträglichen Stankes, voll ungezählter Schmerzen. Dort ist Jammer und Finsterniß und Verwirrung, dort ist ewiger Schrecken, dort ist gar keine Hoffnung mehr, daß es je besser werden, gar keine Hoffnung mehr, daß das Leid je aufhören könnte.“
Und Bernhard: „Denke nur, was das für eine Trauer, für eine Betrübniß, für ein Wehklagen sein wird, wenn die Bösen von der Gemeinschaft der Gerechten und von dem Angesichte Gottes hinweggethan werden, und hingegeben in die Gewalt der Dämonen mit ihnen in das ewige Feuer gehen und dort ohne Ende bleiben werden in Heulen und Seufzen. Fern von der Heimath des Paradieses werden sie von ewiger Höllenqual gepeinigt, nie wieder werden sie das Licht sehen, nie wieder eine Erquickung erlangen, sondern durch die tausendmal Tausende der Jahre müssen sie im Gefängniß Pein leiden und werden von dannen nimmer herauskommen. Dort wird, der da quält, nimmer müde, und der gequält wird, nimmer sterben. Denn also brennt dort das Feuer, daß es nimmer verbrennt, also quält dort die Qual, daß sie immer wieder neu wird. Ein Jeglicher aber wird nach dem Grade seiner Schuld die Strafe der Hölle leiden; er wird dort nichts Anderes hören, als Weinen, Seufzen, Wehklagen und Jammergeschrei, als Heulen und Zähneklappen; er wird dort nichts Anderes sehen als Würmer und Schattenbilder der Gequälten, als Greuelgestalten der Dämonen, grausige Würmer, die sein innerstes Herz benagen; daher der Schmerz, daher der Schrecken, das Seufzen, das kalte Erstarren und das schauerliche Weh. Die Armen werden brennen im ewigen Feuer auf ewig ohne Ende, dem Fleische nach werden sie gepeinigt durchs Feuer, dem Geiste nach durch den Wurm des Gewissens.“
„Dann wird,“ wie Gregor sagt, „die nimmersatte Flamme Alle brennen, die jetzt in unreiner Lust des Fleisches entbrennen; dann wird der weit geöffnete Abgrund der Hölle. Alle verschlingen, die jetzt in eitlem Hochmuth sich brüsten, und die Gottlosen, die hier dem listigen Versucher in allerlei Lastern zu Willen waren, werden dort jammt ihrem Lehrmeister in die Qual eingehen.“ Hieronymus aber sagt einmal: „Es kann nicht bezweifelt werden, daß unter drei ganz gottlosen Sündern, von denen einer ein Heide ist, der andere abseits der christlichen Kirche, der dritte mitten darin steht, gerade der der größten Strafen werth ist, der der größten Gnaden gewürdigt wurde, denn wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern.“
So haben wir nun davon gehört, wie groß die Pein der Hölle sei. Wer aber vermag hinlänglich zu ermessen, wie überaus traurig und schmerzlich es sein muß, auf das Schauen des seligen dreieinigen Gottes und auf den Genuß einer Gemeinschaft und Herrlichkeit für immer verzichten zu müssen? Chrysostomus sagt hierüber: „Wohl weiß ich, daß die Meisten nur die Hölle fürchten, ich aber erachte den Verlust der Herrlichkeit droben für viel bitterer, als selbst die Strafe der Hölle. Ja freilich, die Hölle ist etwas Unerträgliches und die Strafe darin etwas Schreckliches; und doch, nimm tausend Höllen, sie sind nicht so furchtbar, als von den Ehren der ewigen Herrlichkeit verstoßen zu werden, Christo verhaßt zu sein, und von ihm das Wort zu hören: Ich kenne euch nicht. Tausend Höllen sind nicht so schlimm, als von jener Gemeinschaft voll Lieblichkeit und Herrlichkeit zurückgewiesen zu werden.“ Weiter sagt er: „O Seele! Schrecklich ist die Hölle, aber noch viel schrecklicher ist das Angesicht des erzürnten Richters; das Allerschrecklichste aber ist, auf ewig von dem Anschauen der allerseligsten und allerbeseligendsten Dreieinigkeit ausgeschlossen zu werden; und viel besser wäre es tausendmal tausend Flammen zu erleiden, als das holdseligste Angesicht Christi im Zorne zu sehen und von ihm auf ewig geschieden zu werden.“
Wie gern sollte darum der Mensch. Alles thun und Alles lassen, wodurch er dem ewigen Verderben zu entgehen und die ewige Seligkeit zu erlangen hoffen könnte. So sagt Chrysostomus: „Wenn man täglich Qual erdulden, ja selbst eine kleine Zeit die Hölle erleiden müßte, um Christum in seiner Herrlichkeit sehen und seinen Heiligen beigesellt werden zu können, würde man nicht gern das Traurigste erdulden, nur um so großen Gutes, so großer Herrlichkeit theilhaftig zu werden?“
Augustin sagt: „So mögen die Dämonen mir nachstellen, sie mögen ihre Pfeile nach mir schießen, Fasten mag meine Kraft brechen, Kleidung mich drücken, Arbeit mich beschweren, Nachtwachen mich ausdörren, der Eine mag mich kratzen, der Andere beißen, Frost mich kälten, das Gewissen mich verklagen, Hitze mich brennen, das Haupt mich schmerzen, die Brust mag glühen, der Magen schwellen, der Leib ermagern; und wenn ich ganz dahinfalle, und wenn mein Leben in Schmerzen vergeht und meine Zeit in Seufzen, wenn Eiter meine Gebeine durchwühlt und ich mein Bette schwemme mit Thränen, wenn ich nur Ruhe finde am Tage des letzten Gerichtes, an dem Alle, die hier in Herrlichkeit und Freude den breiten und bequemen Weg gewandelt sind und mit dem reichen Manne im Evangelium ihr Gutes in ihrem Leben empfangen haben, das Wort hören müssen: Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Zu denen aber, die den engen und schmalen Weg erwählten, der durch rauhe und harte Stellen, durch Mühen und Arbeiten und leibliche Leiden hindurch zum Leben führt, die also in ihrem Leben mit dem armen Lazarus Böses empfangen haben, zu denen wird der Herr sprechen: Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters! Denn wenn Christus unser Herr, der keine Sünde gethan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden worden, leiden, und also zu seiner Herrlichkeit eingehen mußte, was müssen wohl wir, die wir in Sünden empfangen und geboren und aufgewachsen sind, leiden und thun, um in die Herrlichkeit einzugehen, die nicht unter, sondern Gottes ist? Sollten wir aber den Reif fürchten, so wird über uns Schnee kommen, das heißt, wenn wir hier Weniges und Leichtes zu ertragen uns scheuen, so müssen wir in Zukunft Vieles und Schweres ewiglich erdulden.
In Bezug hierauf sagt Bernhard in seinem Briefe an Robertus: „Du fürchtet Wachen und Fasten und Arbeiten. Das aber ist ein Geringes dem, der an das ewige Feuer denkt. Der Gedanke an die äußerste Finsterniß vertreibt die Furcht vor der Einsamkeit. Wenn du die zukünftige Rechenschaft über die unnützen Worte bedenkt, wird dir das Schweigen nicht mehr mißfallen. Wenn du das ewige Heulen und Zähneklappen zu Herzen nimmt, so dünkt dich alsbald dein kärgliches Lager gar sanft und lieblich.“
Es bleibt wahr: „Die Beschwerden des ganzen Lebens können gar nicht in Betracht kommen gegenüber einem einzigen Tage der Qual, die in der zukünftigen Welt den Sündern bereitet ist.“
Durch solche Betrachtungen erschreckt, entschloß sich ein vornehmer, üppig erzogener junger Mann ernstlich fromm zu werden. Einer seiner Genossen suchte ihn von seinem Vorsatze abwendig zu machen und hielt ihm vor: Du bist so weichlich und üppig erzogen, daß du den Ernst des Christenthums gar nicht aushalten wirst. Jener entgegnete: Du kluger Kopf du, gerade weil ich weiß, daß es meinem Leben am rechten Ernte fehlt, und daß die höllische Pein etwas unerträglich Ernstes sein wird, gerade darum will ich mich Christo zuwenden. Amen.
„Dein Eifern ist falsches Eifern, sobald es das rechte Maß übersteigt.“
Die vermeintlich wohlüberlegten Worte und Werke, die sich gegen die richten, denen gegenüber uns Uebelwollen, Zorn oder Unwille erfüllt, wollen doch mit großer Sorgfalt in Erwägung gezogen sein. Denn in diesem Punkte täuscht sich das menschliche Urtheil gar zu leicht, so daß man im Eifer für das Recht oder für das Heil des Bruders zu handeln glaubt, während man doch wohlerwogen in seinem Thun und Reden allein, oder wenigstens vorzugsweise von Zorn, Unwillen oder böser Aufwallung geleitet wird. Aber Gott läßt sich nicht täuschen, wenn auch das sündige Menschenherz sich noch so gut zu belügen versteht.
Gewiß wird Silber prüfen können, wer selbst das Gold als gut oder schlecht zu erkennen versteht, sagt Bernhard. Keinem, der zürnt, scheint sein Zorn ungerecht zu sein, sagt Augustin. Der Zorn spricht: Wie man gegen dich handelt, kannst du geduldigen Muthes nicht länger mit ansehen, ja solches zu tragen wäre Sünde; widerstehst du jetzt nicht mit aller Gewalt, so wird die Frechheit gegen dich maßlos werden. Und Gregor sagt: „Der Zorn hebt die Gerechtigkeit auf: Denn während der empörte Geist ohne rechte Untersuchung ein allzu scharfes Gericht hält, hält man Alles, was uns die Wuth eingibt, für gut und recht. Der Zorn löscht das Licht der Wahrheit aus: Denn wenn zornmüthiges Wesen den Geist verwirrt und überschattet, bestrahlt uns Gott nicht mehr mit dem Lichte seiner Erkenntniß. Im Zorn geht die Geduld verloren, daß man gar nicht mehr weiß, was und wie man thun soll.“
Und Chrysostomus sagt: „So lange die Freundschaft dauert, wird nicht leicht etwas geglaubt, nicht leicht etwas aufgefaßt, was Zwietracht hervorrufen könnte. Wenn aber einmal die Feindschaft von den Seelen Besitz genommen hat, werden alle unsere Handlungen, alle unsere Worte so ausgelegt und so verstanden, daß die Feindschaft dadurch nur verlängert und vergrößert wird. Denn wenn man vom Feinde etwas Gutes reden hört, so glaubt mans nicht; hört man aber etwas Böses, das gerade wird geglaubt und als wahr anerkannt.“
„Leicht hält der Mensch einen Jeden, den er für einen Feind erkennen muß, auch für einen Gottlosen und Ungerechten“, wie Gregor sagt: „Und wenn die Wuth Jähzornige aufs Aeußerste treibt, wissen sie nicht, was sie im Zorne thun, wissen auch nicht, wie schwer sie selbst unter ihrem Zorne zu leiden haben. Bis weilen, und das ist der schwerere Fall, halten sie auch den Zorn, der sie stachelt, für ein Eifern um Gerechtigkeit willen, und während sie ihr Laster für eine Tugend ansehen, häufen sie ohne Scheu Schuld auf Schuld. So täuschen sich denn die Jähzornigen über die rechte Beschaffenheit ihres Eifers, und ihr Laster steht vor ihren Augen gleichsam als ein Ueberwallen der Tugend da, und ihrem von Wuth trunkenen Geiste erscheint jedes gute Wort, womit ihnen zugeredet wird, durchaus verkehrt.“ In dem selben Buche sagt auch Gregor von den Ungeduldigen: „daß sie, ihnen selbst unerwünscht, zu mancherlei Ungerechtigkeiten fortgerissen werden, indem wilde Aufwallung die offenen Auges auf Wegen vorwärts treibt, die zu beschreiten sie gar nicht Willens sind, und die Aufregung die gleichsam ohne Bewußtsein zu Handlungen treibt, die ihnen hernach bei vollem Bewußtsein leid sind.“
„Und während die Ungeduldigen im Sturme der Leidenschaft, gleich als wären sie außer sich, Hals über Kopf vor der vollendeten That stehen, begreifen sie kaum, was sie Uebles angerichtet haben, nachdem es bereits vollbracht ist. Weil sie ihrer Leidenschaft gar nicht zu gebieten gewohnt sind, so werden sie auch von ihr ergriffen, wenn sie ganz ruhigen Geistes etwa eine gute That gethan haben, und in plötzlicher Aufwallung reißen sie wieder ein, was sie vielleicht durch lange und sorgsame Arbeit aufgebaut haben.“
„Heilige Männer dagegen, wenn sie einmal auch mit geringeren Leuten in unangenehme Verhandlungen gerathen, fürchten sie sich, ihnen auch mit dem geringsten Worte zu viel zu thun, während sie keineswegs Anstand nehmen, sich gegen alle Gerechtigkeit behandeln zu lassen. Denn sie wissen, daß alle menschliche Gerechtigkeit sich als Ungerechtigkeit herausstellt, wenn sie Gott nach seiner Strenge richten will. Darum hüten sie sich, selbst die gerechtesten Forderungen mit Heftigkeit geltend zu machen, um so auch den leisesten Anschein zu vermeiden, als ob sie über die Gerechtigkeit Gottes zu Gericht sitzen wollten. Vielmehr lassen sie es meist ruhig über sich ergehen, wenn Menschenurtheil auch auf die ungerechteste Weise sie verdammt, um in Gottes Gericht als gerecht erfunden werden zu können.“
Weil sonach unser Feind, der Teufel, immer und überall in unsern Gedanken, Absichten, Gemüthsbewegungen, Worten und Werken, und zwar zu Anfang, in der Mitte und am Ende uns beizukommen sucht, so bedürfen wir einer großen Umsicht und Ueberlegung bei Allem, was wir thun und denken. Darauf deutet, was der Prophet Ezechiel von den heiligen vier Thieren schreibt: „Ihr ganzer Leib war voller Augen um und um.“ Beda sagt: „Die Leiber der heiligen Thiere sind nach jener Beschreibung darum voller Augen, weil der Wandel der Heiligen, nach allen Seiten umsichtig, sehnsüchtig nach allem Guten ausschaut, vorsichtig vor allem Bösen sich hütet. Uns aber widerfährt es gar oft, daß wir, während wir uns um das Eine bemühen, das Andere vernachlässigen; und wo wir etwas vernachlässigen, da haben wir ohne Zweifel unsere Augen nicht hingerichtet. So jener Pharisäer, der nicht war wie andere Leute, er hatte ein Auge für das Halten der Fasten, für die Uebung der Barmherzigkeit, für den Dank, den er Gott schuldete, aber er hatte kein Auge für Bewahrung der Demuth.“
Wenn man darauf achten wollte, gewiß man würde bis auf den heutigen Tag gar Viele finden, die Fleißanwenden, recht viel gute Werke zu vollbringen, aber wenn es gilt die wahre Demuth zu bewahren und zu bewachen, machen sie ihre Augen nicht weit genug auf, sonderlich die da reich sind und in Würden stehen. Das bezeugen Augustin und Bernhard, der Erstere mit dem Worte: „Der Stolz ist der Wurm in der Seele der Reichen;“ der Andere mit der Frage: „Kann wohl einem Manne, der eine hohe Stellung einnimmt, die Eitelkeit fern bleiben?“ Auch die Erfahrung selbst bezeugt, daß wahre Demuth schwerlich bei den Reichen und Mächtigen gefunden wird, und zwar darum, weil sie, wie Hugo lagt, sich allen denen an Weisheit überlegen glauben, denen sie sich an Macht überlegen sehen. Und Ambrosius sagt: „Wer in hohen Würden steht, muß sich großer Vorsicht befleißen; wer eine vornehme Stellung einnimmt, muß sich vornehmlich mit Wachsamkeit wappnen. Denn das ist die größte Kunst im Leben, hoch stehen und doch den Hochmuth unterdrücken; in der Macht sitzen, und doch nicht wissen, daß man mächtig ist; wohl wissen, daß man Gewalt hat reiche Gaben zu geben und doch nicht daran denken, daß man Gewalt hat, an allen Gegnern Vergeltung zu üben, was bei der Welt so unendlich viel gilt.“ Nach Gregor ist es sehr schwer und kommt fast gar nicht vor, daß Hochgestellte nicht hoch von sich halten; aber Bernhard fügt hinzu: „Je seltener es ist, desto ehrenvoller ist es. Der Fromme ist ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen. Wo fließen die Bäche? In Niederungen und Thälern. So wähle auch du ein Thal zu deinem Wandel, ein Thal zu deiner Pflanzung. Auf den Bergen ist es dürr und hart, auf den Bergen hat die alte Schlange ihre Wohnung genommen. In den Thälern ist es fruchtbar und frisch, da gedeihen die Bäume, da prangen volle Aehren, da erntet man hundertfältig. In das Thal der Demuth läßt Gott alle seine Gnade fließen, und darum bleibe fest in ihr gewurzelt und gegründet.
Du sprichst, o Herr, durch deinen Propheten: Ich will meine Ehre keinem Andern geben. Was willst du denn geben, was willst du uns geben? Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nun, daran lasse ich mir genügen. Dankbar nehme ich hin, was du lässest und lasse, was du dir vorbehältst. Also wird es mir gut und heilsam sein. Ich entsage der Ehre, damit ich mir nicht anmaße, was nicht mein ist. Oder wer wollte es der Wand glauben, wenn sie den Sonnenstrahl zu gebären vorgäbe, den sie durch das Fenster empfängt? Wer sollte nicht lachen, wenn sich die Wolken rühmten, als hätten sie den Regen erzeugt, der aus dem Meere kam? Den Frieden will ich, den Frieden begehre ich; nichts weiter. Wem der Friede nicht genügt, dem genügt auch du nicht, denn du bist unser Friede, der aus beiden Eins gemacht hat.“ Amen.
In Allem, was du denkst und thust, mußt du das rechte Ziel im Auge haben.
In allem deinem Thun mußt du das rechte Ziel vor Augen haben, denn Gott lohnt im ewigen Leben keine einzige That, die nicht auf ihn gerichtet ist, als auf ihr letztes Ziel und Ende; und in Allem, was wir thun, sieht Gott viel mehr auf die Absicht, in der wir etwas thun, als auf das Werk, das wir thun. Denn Alles, was geschieht, und wäre es noch so gut, ist böse, wenn es in böser Absicht geschieht. Das Böse aber ist böse, in welcher Absicht immer es geschehen möge. Das Erste macht Augustin in seinem Briefe gegen Julian mit folgenden Worten klar: „Das sollst du wissen, daß nicht der äußere Schein, sondern die innere Absicht darüber entscheidet, ob etwas ein Laster oder eine Tugend ist. Wenn also ein Mensch etwas thut, was keine Sünde zu sein scheint, aber er thut es nicht in der Absicht, in der es nach dem Willen der wahren Weisheit geschehen sollte, so ist es doch der Absicht nach nicht recht gethan, obschon es, oberflächlich betrachtet, gut zu sein scheint.“
Auch den zweiten Punkt macht Augustin klar in seinen Soliloquien, wo er zu Gott spricht: „Der du über Alles herrsche, alles Einzelne erfüllt, immer und allenthalben ganz gegenwärtig bist und für alle deine Geschöpfe Sorge trägt, du hältst so treu dein Auge auf meinen Gang und Weg gerichtet, als wenn du aller deiner Creaturen im Himmel und auf Erden vergessen hättest und nur allein an mich gedächtet und nicht für Andere sorgtest Dein unwandelbares Auge braucht ja nicht weniger Licht, wenn es nur einen Einzigen anschaut, es braucht nicht mehr Licht, wenn es das All anschaut und zugleich alles Einzelne. So bekenne ich denn, daß, was ich auch thue, das thue ich vor dir, und du siehst es besser, als ich selbst. O Herr, vor dir ist alle meine Begierde und meine Gedanken sind dir nicht verborgen. Du siehest, wo mein Geist herkam, wo er ist und wo er hingehen wird; du siehst, ob es eine süße oder bittere Wurzel ist, aus der die Kräutlein hervor wachsen, die so schön zu schauen sind. Du siehst in mein Herz, du kennst es am besten. Wie fein erforschest du den Ursprung meiner Werke bis in das innerste Mark hinein, und nicht allein die Absicht selbst, sondern auch den aller innersten Kern derselben, das Allerverborgenste erspäht, durchschaut und bemerkt du im Lichte deiner Alles erkennenden Wahrheit, um einem Jeden zu geben nicht nur nach seinen Werken und Absichten, sondern auch nach der geheimen innern Triebfeder seiner Beweggründe, aus denen der Entschluß zur That hervorging. Was meine Absicht ist, wenn ich etwas thue, was ich dabei denke, worüber ich mich dabei freue: du siehst es, deine Ohren hören es, du bemerkt und beachtet es, du zeichnet auf und schreibt ein in dein Buch, ob es gut oder böse war, um für das Gute Lohn, für das Böse Strafe zu geben. O wie schrecklich, wie gewaltig ist das Wort, das du gesagt hat: „Ich will merken auf ihr Ende!“ auch das Wort, das Einer von dir Herr, gesagt hat: Er schauet an das Ende aller Dinge, und bei Allem, was wir thun, sieht er vielmehr auf das Endziel in der Absicht dessen, der etwas thut, als auf das Werk, das er thut. Und wenn ich das mit Fleiß erwäge, o Herr, du erschrecklicher und gerechter Gott, so verwirrt mich gleich stark Furcht und maßlose Scham; denn daß wir wissen, Alles, was wir thun, das thun wir vor den Augen des Richters, der Alles sieht, das treibt am mächtigsten an ein gutes Leben zu führen.“
Gelingt dir eine große und herrliche That, so hast du die Sucht nach Ehre und Lob mit aller Macht zu unterdrücken.
So sehr es aber auch immer und überall nothwendig und heilsam ist, in der Weise, wie wir sagten, sein Herz zu bewahren und seinen Absichten die rechte Richtung zu geben, so ist das doch am allernothwendigsten in Stellungen, die mit einer gewissen Auszeichnung verbunden sind, oder bei den Menschen in Achtung und Ehren stehen, wie das Lehren, Predigen, Rathgeben, Strafen und derlei andere Dinge mehr, die Geistliche und Weltliche zu verrichten pflegen, und wofür sie sich gern loben und hoch halten lassen, weil ihr Herz verderbt und nur zu sehr auf der gleichen gerichtet ist.
In Bezug hierauf sagt Gregor: „Das Predigen geht kaum ab ohne etwelches Staubaufwirbeln. Denn entweder wird der Prediger zum Unwillen verleitet, wenn man auf ihn herabsieht, oder es kitzelt einen Ehrgeiz einigermaßen, wenn ihn seine Zuhörer ehren. Und wenn es auch für Jedermann leicht wäre, das Lob, das verweigert wird, nicht herbei zu wünschen, so ist es doch sehr schwer, sich nicht stolzer Freude hinzugeben wegen des Lobes, das uns entgegengetragen wird. Und Chrysostomus sagt: „In den Knechten des Teufels finden sich alle Laster; eitle Ruhmsucht findet sich auch noch in den Knechten Christi.“ Und Hieronymus schreibt: „Aller Sünde Anfang ist der Hochmuth, der Engeln des Himmels entstammend so gern in erhabenen Geistern wohnt und selbst unter Asche und härenem Gewande nicht erlischt.“ Und Isidorus: „Der Hochmuth ist in gleicher Weise der Urheber aller Laster und Verderber aller Tugenden; und deswegen ist er die größte unter den Sünden, weil er ganz eben so durch Tugenden wie durch Laster den Geist zu Grunde richtet.“
Im Schrecken hierüber spricht Augustin in seinen Confessionen zu Gott das klagende Wort: „Ob wohl von mir weichen wird, ob wohl, so lange ich hier unten lebe, von mir weichen kann die Versuchung, die darin liegt, daß ich nur um deswillen von Menschen gefürchtet und geliebt werden will, um daraus eine Freude zu empfangen, die keine Freude ist? Vor Allem daher kommt es, daß meine Liebe zu dir, daß meine Furcht vor dir nicht lauter ist. Um unsere Pflichten gegen die menschliche Gesellschaft erfüllen zu können, ist es freilich nothwendig, daß wir von den Menschen gefürchtet und geliebt werden, aber gerade diese Nothwendigkeit macht der Feind unseres wahren Heiles, der überall seine Schlingen stellt, uns zur Versuchung. Gerade das allzu eifrige Streben nach jenem Nothwendigen liefert uns unvermuthet in seine Ge- walt; unsere Freude hat nicht mehr deine Wahrheit, sondern die Täuscherei der Menschen zum Fundamente, wir gefallen uns darin, nicht deinetwegen, sondern neben dir geliebt und gefürchtet zu werden: aber du solltest unser Ruhm sein, um deinetwillen sollten wir geliebt und dein Wort sollte in uns gefürchtet werden. Denn wenn ein Mensch um irgend eines Gutes willen, das du ihm gegeben hat, gelobt wird, und er freut sich über dies Lob mehr, als über den Besitz deiner Gabe, derentwegen er gelobt wird, das Lob verdient deinen Tadel, und der da gelobt hat, ist dann leicht besser, als der da gelobt worden ist. O Herr, mit solchen Versuchungen werden wir täglich und ohne Aufhören angefochten; die menschliche Zunge ist ein Feuer, an dem wir uns täglich wärmen. Du kennst das Seufzen meines Herzens, das darum zu dir hinaufdrang, und die Thränen meiner Augen, die darum flossen. Denn es wird mir schwer, an ein Reiner werden von diesem Aussatz zu glauben und ich fürchte gar sehr, daß gerade hier meine verborgenen Sünden liegen, die deine Augen erkannt haben, aber nicht meine. Zwar vermag ich recht wohl nach Seiten anderartiger Versuchungen mich zu prüfen, nach Seiten des menschlichen Lobes vermag ichs fast gar nicht. Was also soll ich dir im Punkte dieser Versuchung für Bekenntnisse ablegen? Etwa nur, daß gespendetes Lob mich erfreut, aber viel mehr noch die Wahrheit selbst, als das gespendete Lob? Allerdings, wenn mir die Wahl gestellt würde, ob ich lieber als ein Dieb und Ketzer von allen Menschen gelobt, oder als ein beharrlicher Anhänger und treuer Zeuge der Wahrheit von Allen getadelt werden wollte, so wüßte ich wohl, was ich erwählte. Aber doch möchte ich nicht gern, daß das Lob irgend etwas Guten an mir, das aus fremdem Munde mir zu Theil wird, meine Freude daran so sehr erhöhte; und doch wird sie dadurch, wie ich offen bekenne, nicht allein erhöht, sondern auch durch Tadel herabgedrückt. Während ich mich dieser Elendigkeit schäme, drängt sich mir ein Milderungsgrund auf, dessen Natur du, mein Gott, recht wohl durchschaut. Oft glaube ich mich über das innerliche Wachsthum meines Nächsten zu freuen, wenn ich mich über sein gut begründetes Lob freue, und wiederum glaube ich über seine Sünde Trauer zu empfinden, wenn ich ihn an mir etwas tadeln höre, was er entweder nicht versteht, oder was wirklich gut ist. Manchmal betrüben mich auch Lobeserhebungen, wenn sie entweder an mir Dinge loben, die mir selbst mißfällig sind, oder auch das Gute geringerer Art höher schätzen, als recht ist. Ich bitte dich, mein Gott, zeige mir mich selbst, auf daß ich den Brüdern, die für mich beten wollen, die wunden Stellen meiner Seele zeigen könne. Noch einmal möchte ich mich fragen, wenn es denn in der That die Tüchtigkeit meines Nächsten ist, die mich so freudig erregt, wenn ich aus seinem Munde mein Lob höre, woher kommt es dann, daß der ungerechte Tadel, der irgend einem Andern widerfährt, mich weniger erregt, als wenn er mich trifft? Warum schmerzt mich die Schmach mehr, wenn sie auf mich, als wenn sie mit ganz derselben Ungerechtigkeit auf einen Andern gehäuft wird? Oder wüßte ich auch das nicht? Sollte ich mich wohl auch noch selbst verführen und nicht mit Herz und Mund vor dir wahr sein? Solchen Wahnsinn, o Herr, thue ferne von mir, damit ich nicht selbst in den Beifall einstimme, den mir die Sünder spenden, um mir dadurch den Kopf groß zu machen. Arm bin ich und elend, und gut steht es um mich, wenn ich unter stillen Seufzern mir mißfalle und um dein Erbarmen dich anrufe, bis mein Mangel erfüllt und endlich gestillt wird durch den Frieden, den ein stolzes Auge nicht kennt. Dem Worte, das aus meinem Munde geht, den Thaten, die Menschenaugen mich thun sehen, droht eine gefährliche Versuchung von Seiten der Lobsucht, die nach sonderlicher Auszeichnung begehrt, und darum den erheuchelten Beifall herausfordert: auch wenn ich ihn innerlich von mir zu rückweise, so wird mir gerade diese Zurückweisung wieder zur Versuchung; wie oft rühmt sich ein Mensch mit der allergrößten Eitelkeit gerade seiner Verachtung aller eitlen Ehre. Noch wohnt zu unserem Verderben in unserem Innern eine ähnliche schlimme Versuchung, die darin besteht, daß wir, auch wenn wir Andern entweder nicht gefallen, oder geradezu mißfallen, dennoch selbst an uns Gefallen tragen und dadurch in stärkster Weise dein Mißfallen erregen. Du siehst, wie in allen diesen und ähnlichen Gefahren und Kämpfen mein Herz erzittert und Wunden davonträgt.“
Aus diesen Worten des seligen Mannes geht klar hervor, wie sehr die Schwachen und Unvollkommenen Ursache haben zu wachen und sich zu fürchten diesen Versuchungen gegenüber, Angesichts derer ein so großer Mann so sehr erzitterte. „Darum hat man Sorge zu tragen,“ wie Gregor sagt, „und mit aller Sorgfalt darüber zu wachen, daß der Geist vor Stolz und aufgeblasenem Wesen bei wahret bleibe. Denn unsere Gedankensünden fliegen nicht unbemerkt vor den Augen Gottes vorüber, und kein noch so kleiner Theil der Zeit geht durch unsere Seele hindurch, ohne darin einen Zu stand zurückzulassen, der einst der Vergeltung anheimfällt. Meistens ergeben wir uns nur allzu achtlos und arglos hochmüthigen Gedanken hin, wenn wir dieselben auch nicht zu Worte kommen lassen. Aber wenn nicht schleuniger Widerspruch den heimlichen Stolz noch im Verstecke des Herzens, darin er entsteht, er stickt, so geht vor dem strengen Richter alles Verdienstliche unserer That rein verloren. Wenn also nicht einmal der Stolz. Entschuldigung findet, der an seiner Geburtststätte im Herzen ganz heimlich verborgen bleibt, wie schwere Ahndung erst wird der erleiden, der so lange gepflegt und gehegt wird, bis er kühn genug ist im Worte herauszubrechen.“
Herr, mein Gott, zu dir rufe ich, schaffe in mir ein reines, demüthiges, niedriges Herz, ein sanftmüthiges, friedfertiges Herz, ein gütiges und gottesfürchtiges Herz, ein Herz, das Niemandem schadet, nie Böses mit Bösem vergilt, das dich über alle Dinge liebt, von dir allezeit redet, dir immerdar danket, sich an Psalmen und geistlichen Lobgesängen ergötzt und schon hier im Himmel wandelt. Amen.
Was irgend von den Strafen der Verdammten und den Freuden der Seligen gesagt werden kann, bleibt immer noch weit zurück hinter der Sache selbst.
Niemand möge so thöricht sein anzunehmen, daß die Strafen der Gottlosen nicht so unmenschlich und schwer, die Freuden der Seligen nicht so lieblich und ein so unschätzbares Gut sein sollten, als wir sagten; sagt doch der Apostel über die Herrlichkeit der Seligen das treffliche Wort: „Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben.“ Wie also könnte man von dem zu viel sagen und schreiben, was nach seiner vollen Wahrheit in keines Menschen Herz gekommen ist? Ist doch nur das die wahrhaftige und alleinige Freude, die nicht vom Geschöpf, sondern vom Schöpfer kommt, mit der verglichen, wie Bernhard sagt, alles sonstige Ergötzen nur Traurigkeit, alles Liebliche Schmerz, alles Süße bitter, alles Herrliche abscheulich, endlich alles Andere, was irgendwie vergnügen mag, eine Last genannt werden muß. So sagt auch Gregor in einer seiner Homilien: „Wer des himmlischen Lebens Süßigkeit, so weit das möglich ist, vollkommen geschmeckt hat, der verläßt gern. Alles, was er auf Erden liebte, denn jener Süßigkeit gegen über verliert alles Andere seinen Werth; er verachtet allen Besitz, er gibt mit vollen Händen, was er gesammelt hat, seine Seele erglüht von Liebe zum Himmlischen, alles Irdische gefällt nicht mehr, es erscheint ihm nur häßlich, was ihn zuvor durch äußere Gestalt und Schöne bestach; denn die Lichtfülle der Einen kostbaren Perle erfüllt seine Seele.“
Sodann, wenn die Leiber der Auserwählten nach dem Worte der Wahrheit „leuchten werden, wie die Sonne“, wer will ermessen, wie groß die Herrlichkeit und Klarheit der Seelen sein mag? Augustin sagt: „Keiner, der noch im Fleisch lebt, vermag die Herrlichkeit der himmlischen Güter mit Worten oder Gedanken zu begreifen und zu enthüllen; sie ist viel größer und höher, als unser Denken und Begreifen.“
Das Reich Gottes ist größer als alles Wort, das man dar über sagen kann, besser, als alles Lob, das man ihm spenden kann, unermeßlicher, als alles Wissen lehren kann, erhabener, als alle Herrlichkeit, die man erdenken kann. Desgleichen vermag. Niemand in Worten oder Gedanken die Wirklichkeit der Qualen der Hölle zu erreichen, denn sie sind um vieles schlimmer, als sie gedacht werden. So ist denn das Reich Gottes voller Licht und Frieden und Liebe, voller Weisheit, Ehren und Herrlichkeit, voller Süßigkeit und Lieblichkeit, voller Lobgesang und Freude, voller Seligkeit alles Gutes, das unaussprechlich ist, und weder mit Gedanken noch mit Worten erreicht werden mag. Der Ort der Hölle dagegen ist voll von allen Arten von Finsterniß, Haß, Zwietracht, Thorheit, Elend, Häßlichkeit, Bitterkeit, Schmerz und Stank, Brand, Durst, Hunger, unauslöschlichem Feuer, Traurigkeit, ewiger Strafe, voll alles Uebels, das unaussprechlich ist, und weder mit Gedanken, noch mit Worten erreicht werden mag.
Die Bürger des Himmels sind die gerechten Menschen und Engel, deren König der allmächtige Gott ist: die Bürger der Hölle sind die gottlosen Menschen und Dämonen, deren Fürst der Teufel ist. Die Gerechten erfreut der Anblick der gerechten Menschen und Engel, vor Allem Gottes selbst: die Gottlosen peinigt der Anblick der verdammten Menschen und Dämonen, und vor Allem des Teufels selbst. Im Reiche Gottes wird nichts begehrt, was nicht gefunden würde: in der Hölle wird nichts gefunden, was begehrt würde. Im Reiche Gottes wird nichts Anderes gefunden, als was gefällt, erfreut und Genüge gibt: dagegen am Orte des ewigen Elendes sieht man nichts und empfindet man nichts, als nur was mißfällt, was verletzt, was quält. Im Reiche Gottes ist Ueberfluß an allem Guten, aber gar nichts Böses: im Kerker des Satans ist Ueberfluß an allem Bösen, aber gar nichts Gutes.
Insonderheit aber sind in der Hölle zwei Uebel, unerträgliche Kälte und die Hitze des unauslöschlichen Feuers. Damit hängen unzählige Arten von Strafen zusammen: unerträglicher Durst, Furcht, Angst, Finsterniß, der grausige Anblick der Gequälten, die Gegenwart der Dämonen, die Grausamkeit der dienstbaren Geister, das Nagen der Würmer, die nicht sterben, der Wurm im Gewissen, heiße Thränen, klägliche Seufzer, Schmerz ohne Linderung, Fesseln ohne Erledigung, ewiger Tod, Strafe ohne Ende, nach dem Schauen Christi sein ewiges Ferne ein, das ganz allein viel schwerer wiegt, als all das Genannte, und viel unerträglicher ist, als all die andern Strafen. Darum ewiges Wehe über Alle, die alle diese endlosen Leiden erdulden müssen, weil sie eine einzige Stunde angenehm träumen wollten. Ja alle Herrlichkeit dieser Welt, so groß sie sein mag, ist nichts mehr und nichts weniger, als ein Traum, gegenüber der ewigen Herrlichkeit. Wie dem unseligen Judas, so wäre es auch jenen viel besser nie geboren worden zu sein, als um ihrer Sünden willen verdienter Weise die Qualen der Hölle ertragen zu müssen.
Was kann thörichter, was wahnsinniger sein, als sich nach Kinderweise durch den Schatten und die leere Gestalt und das Scheinbild der wahren Herrlichkeit, der wahren Schönheit, der wahren Hoheit und Ehre täuschen und verlocken zu lassen, und die wahre Herrlichkeit selbst nicht zu suchen, nicht zu begehren? Wenn Einer das Spiegelbild eines Goldstückes im Wasser dem Goldstücke selbst vorziehen wollte, würde er nicht sofort allgemein für einen Thoren und Wahnsinnigen gehalten werden? Gleich also verdient jeder verlacht, ja vielmehr beklagt zu werden, der die vergängliche Eitelkeit dieser Welt und die verderbliche Lust des Fleisches liebt, sucht und erstrebt, und darüber die ewige Herrlichkeit verachtet und die unaussprechlichen Freuden des Himmelreiches hintansetzt. Solch übeln Tausch könnte doch nur ein Mensch machen, der höchst unweise und verkehrt wäre und keine gesunden Sinne hätte, auch wenn die nothwendigen Folgen ausblieben, die Qualen der Hölle, die kein Mund aussagen und kein Verstand ausdenken kann.
Jene Qual aber besteht in zwei Stücken, einerseits im Ferne ein vom Reiche Gottes, andererseits im ewigen Verbleiben in der Hölle und im Verdammt sein mit dem Teufel; einerseits im Verluste der Gemeinschaft der Engel, andererseits im ewigen Erdulden der schrecklichen Gemeinschaft der Dämonen, vor der sich Jedermann, so sehr er irgend könnte, fürchten und hüten sollte. Es ist kaum glaublich, daß ein Mensch von gesunden Sinnen um der Freuden eines einzigen Tages willen hundertjähriger Strafe sich aussetzen sollte; und doch gibt es bedauernswerthe, ganz sinnlos den Lüsten des Fleisches ergebene Leute, die nicht aus dem Wege gehen und nicht entfliehen jenen unerträglichen Strafen, die nicht hundert Jahre, nicht tausendmal tausend Jahre, sondern durch alle Jahrhunderte hindurch ohne Ende erduldet werden müssen um der vierzig oder sechszig Jahre willen, die man in Herrlichkeit und Freude und mit allerlei jämmerlichen Vergnügungen verbrachte. Denn zwischen Einem Tage und hundert Jahren ist kein so großer Unterschied, als zwischen vierzig oder sechzig oder hundert Jahren und der endlosen Ewigkeit, die man entweder in Seligkeit oder in Verdammniß zubringen muß. Ein Tag ist ein kleiner, ja ein sehr kleiner Theil von hundert Jahren; hundert Jahre aber sind in jener Ewigkeit ein reines Nichts.
So widerstehet denn wacker der fleischlichen Lust, kämpft wacker gegen die trügerischen Lockungen dieser Welt, und wachet gegenüber den mancherlei listigen Anläufen des Teufels. Meidet mit allem Fleiße den breiten Weg der Kinder dieser Welt, der zum Tode führt. Dagegen laßt uns mit herzlichem Verlangen suchen und beschreiten den schmalen Weg, der zum Leben führt. Dieser schmale Weg ist der Weg der Enthaltsamkeit, der Keuschheit, der Demuth und rechtschaffenen Frömmigkeit, der Weg, den vor uns Christus betrat, der Weg, auf dem er zu seinem Reiche ein- ging. Seinen Fußtapfen wollen auch wir nachfolgen, bis wir endlich ihm nach in seine königliche Stadt gelangen, in die Stadt, von der Menschen wohl viel reden mögen, aber Alles, was sie sagen, ist gleich wie ein Tropfen im Meer, wie ein Funke im Feuer. In dieser Stadt werden die Gerechten leuchten, wie die Sonne, als der Herr gesagt hat; dort wird sein der tiefste Friede, die vollste Ruhe, keine Mühe noch Arbeit, kein Schmerz, gar kein Tod, gar keine Nacht mehr, kein bitterer Hunger, noch brennender Durst; dort wird offenbar werden, was uns hier noch verborgen ist; der Kleinste in dieser Stadt wird ohne Zweifel eine viel größere Herrlichkeit besitzen, als wenn er die Herrschaft über die ganze Welt besäße, selbst wenn sie ewig währte.
Die Schrecklichkeit der höllischen Qualen wird noch gesteigert durch ihre Ewigkeit.
Damit das Gesagte auf das harte Herz einen tieferen Eindruck mache, rufe man sich den größten Schmerz ins Gedächtniß zurück, den man Zeit seines Lebens in Krankheit oder grimmiger Kälte oder brennender Hitze je empfunden hat, und bedenke, wie überlästig und gleichsam unerträglich es wäre, wenn in der Art der Schmerz unausgesetzt und ohne irgendwelche Unterbrechung hundert oder zweihundert Jahre ertragen werden, oder wenn man im heftigsten Feuer brennen müßte, und doch nicht sterben könnte.
Sodann stelle man sich den größten Berg vor, den man je gesehen oder von dem man gehört hat, oder man denke ich, daß ein einziger Berg so hoch wäre, daß er von der Erde bis zum Himmel reichte, und daß von diesem Bergriesen alle hunderttausend Jahre immer nur ein Bröcklein so groß wie ein Senfkorn hinweggenommen würde und nicht mehr, so daß in tausendmal tausend Jahren nicht mehr hinweggethan würde, als zehn Senfkörnlein ausmachen, und so immerfort. Sodann rechne man aus, eine wie unmeßbare und menschlichem Verstande unfaßlich lange Zeit dazu gehören würde, den Berg abzutragen, und dann erwäge man und halte für ganz gewiß, daß nicht allein solch ein Berg, sondern selbst tausend, ja tausendmal tausend solche Berge so allmählich sich viel schneller abtragen lassen würden, als die Strafen der Verdammten zu Ende kämen.
O wie gerne würde ein Jeder unter den Verdammten die Ehren, die Wollüste und alle andern Güter dieser Zeit, die er hier so heftig liebte und so eifrig suchte und um deren willen er so oft seinen Gott beleidigte, wie gern, sage ich, würde er das Alles verdammen; und wie gern und mit Freuden würde er Alles, was ihm zuwider war und alle Beschwerden in Falten und Wachen und Beten und andern geistlichen Uebungen, die er zuvor so heftig scheute, und zu deren Uebernahme er durch keine Mahnungen zu bewegen war, wie gern, sage ich, würde er das Alles über sich nehmen; ja mit Freuden würde er noch viel Größeres und Schwereres thun, um wenigstens nach der unschätzbar langen Zeit, von der wir sprechen, von den Strafen, die wir aufzählten, frei werden zu können.
O, daß doch das im lebendigen Glauben. Alle erfassen wollten, die so viel Einwände und Schwierigkeiten erheben, wenn sie das thun sollen, was für das Heil ihrer Seelen durchaus nothwendig ist. Darum richtet ein weiser Mann in einer seiner Reden an die Verdammten folgende Worte: „Wo sind nun, die von Jugend auf dieser Welt so recht mit Herzenslust dienten, die lustig in den Tag hineinlebten und allerlei Wollüsten sich ergaben? Was nützt ihnen wohl das Alles, was wie ein flüchtiger Schatten entschwunden ist? Fürwahr das nenne ich eine kurze Freude, die die lange Kette des ewigen Verderbens nach sich schleppt. O ihr albernen Thoren, wo bleiben nun jene Worte, die ihr in jauchzender Freude und fröhlich klopfenden Herzens so oft wiederholtet: Wohlauf lasset uns essen und trinken, so lange was da ist; lasset uns dieser Welt genießen in Eile, so lange wir jung sind! Was helfen euch nun alle die süßen Genüsse, die ihr durchgekostet habt, da ihr nun auf ewig wehklagen und in eurem Wehe rufen und schreien müßt Wehe, Wehe über uns, jetzt und in Ewigkeit! Wehe, daß wir geboren sind! Wehe, daß wir nimmermehr sterben können! Wehe, daß wir so grausam gepeinigt werden und von unserer Pein nie erledigt werden! Ach, daß doch die Menschen dieser Strafen gedächten und diese Qual zu Herzen nähmen, so lange es Zeit ist.
Was hat der Uebermuth uns genützt, was hat das Vertrauen auf unsern Reichthum uns zu Wege gebracht? Das Alles ist vergangen wie ein Schatten, es ist vergangen. Alles, was irdisch heißt, und o wehe, nun ist uns geblieben, was ewig bleiben wird. O du ewige, endlose, unablässige Todespein! Du Ende ohne Ende! Du Tod schwerer, als aller Tod! Immer sterben, und doch nie sterben können! Schreckliches Zähneklappen! Geschrei, das immer dauern und nie ein Ende haben wird, das immer erneuert und nie erhöret wird! O ihr armen Augen, die ihr nie etwas Anderes sehen werdet als Elend; ihr armen Ohren, die ihr nie etwas Anderes hören werdet als Wehe, Wehe und ewiges Klagen!
O ihr frommen Herzen, gedenket an jenes endlose, grausige ewige Wehe, klaget und weinet, so lange ihr in diesem Leibe seid, auf daß ihr nicht ewiglich mit uns wehklagen müßt in der ewigen Verdammniß! Warum haben wir diese allergrößten Uebel, die uns drohen, nicht von uns abgewendet, so lange uns Kraft, so lange uns Zeit dazu gegeben war? Ach daß von jener ganzen unnütz vergeudeten Zeit uns nur noch ein einziges kleines Stündlein übrig wäre, das wir zur Rettung von so großer Pein benutzen dürften! Aber, wehe, durch Gottes gerechten Richterspruch ist uns der Weg des Heils verschlossen, Barmherzigkeit versagt, alle Hoffnung genommen. O des Schmerzes und Jammers, der ewiglich währen wird! O der Aengste in diesem Lande, da Niemand unserer gedenket, da der Schatten des Todes, Verwirrung, ewiger Schrecken wohnt! Was soll ich noch mehr sagen? Wir Armen leiden so schwer unter der Bürde des ewigen Wehes, daß schon der Gedanke, es könne irgend einmal von uns genommen werden, uns viel tröstlicher und erquicklicher dünken würde, als alle Freuden der Welt. Wenn wir denken dürften unser Leid wäre gleich einem Mühlsteine, der ringsher an den Himmel rührte, aber es käme alle hunderttausend Jahre ein kleines Vöglein und bisse davon mit seinem Schnabel nur so viel los, als der zehnte Theil eines Hirsekörnleins beträgt, so daß in zehnmal hunderttausend Jahren jener riesige Stein um nicht mehr als ein Hirsekorn verringert würde, wie unaussprechlich dankbar würden wir Armen sein, wenn nach der vollständigen, obschon endlos lange zu erwartenden Vernichtung jenes Steines unsere Verdammniß ein Ende gewönne; aber solchen Trost hat die göttliche Gerechtigkeit uns Armen schlechthin verweigert.“ O ewiger Zorn, komme nicht über mich!
Laß mich, o Herr mein Gott, lieber leiden in der Zeit, als daß ich jammern müßte in Ewigkeit! Suche mich in Frieden heim, löse meine Bande und errette meine Seele von dieser gegenwärtigen argen Welt. Dir sei Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Wie die Regungen und Bewegungen der Seele in Schranken gehalten werden können.
Liebe und Freude, Traurigkeit und Furcht sind nach Bernhard die vier Regungen des menschlichen Herzens, auf die alle andern zurückgeführt werden können, und über die eine sonderliche Wachsamkeit geübt werden muß. Darauf deutet auch das Wort des Herrn, der durch den Propheten spricht: „Bekehret euch zu mir von ganzem Herzen c.“ Zuerst und zunächst muß jeder Gläubige als sein Ziel ins Auge fassen und mit allem Fleiße dahin streben, daß er gleichsam ein Fundament alles Heiles in sein Herz hinein gründe, daß er in der Wahrheit und nicht in der Einbildung Gott über Alles liebe, ihm mehr als irgendwem sonst zu gefallen suche, sich mehr fürchte ihn zu beleidigen, als irgend wen sonst, daß er kein Geschöpf, weder sich noch wen anders, eben so oder noch mehr als Gott liebe. Denn ohne Gott über Alles zu lieben, kann man sich nicht im Heilstande befinden, und trotz aller Werke, so groß und gut sie auch seien, nicht zum ewigen Leben gelangen.
Der Mensch trägt immer etwas in seinem Herzen, was er am höchsten liebt, worauf er sein ganzes Leben und Thun richtet, was mit einem Worte sein letztes Ziel ist. Ist es Gott, so befindet sich der Mensch im Heilstande; seine Werke zielen auf Gott und bleiben ins ewige Leben. Ist es aber ein Geschöpf, er selbst oder ein anderes, so befindet er sich im Stande der Verdammniß; er liebt dann als Stolzer aufs höchste eitle Ehre und Auszeichnung, und sucht nur die in Allem, was er thut, als Geiziger liebt er das Geld, als Schwelger und Schlemmer den Genuß, als Jähzorniger die Rache u.s.w.
Nun würde, wie Gregor sagt, ein Jeder von uns, wenn er gefragt würde, ob er Gott liebe, mit ganzer Zuversicht und in voller Seelenruhe antworten: Ich liebe ihn. Aber wie sehr das fraglich ist und wie. Viele hierin irren, darauf deutet Gregor ein wenig später mit den Worten: „Niemand soll sich Glauben schenken, wenn ihm sein Geist eine Antwort gibt, die nicht durch Werke bestätigt wird; die Liebe zum Schöpfer muß von Zunge, Geist und Leben bezeugt werden. Nimmermehr ist die Liebe zu Gott faul und müßig; ist sie wirklich vorhanden, so wirkt sie große Dinge, will sie aber nicht wirken, so ist sie auch nicht vorhanden, denn nur dadurch kann sich die Liebe beweisen, daß sie sich in Werken erweist. Darum sagt Johannes in seinen Briefen: Wer da sagt, ich liebe Gott, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner. Das ist die wahre Liebe zu Gott, daß wir eine Gebote halten, und uns von unsern bösen Lüsten enthalten. So lange wir noch auf verbotenen Wegen irren, lieben wir Gott nicht in der Wahrheit, sondern widersprechen ihm mit unseren Lüsten. Denn wir bleiben gerade in dem Grade von der himmlischen Liebe fern, als wir im Irdischen unsere Ergötzung suchen.
Ueber die Liebe des Nächsten aber sagt Gregor: „Der hat wahrhaftige Liebe, wer seinen Freund in Gott und seinen Feind um Gottes willen liebt. Es gibt nicht. Wenige, die wohl ihren Nächsten lieben, aber nur so weit, als sie durch Bande des Blutes und der Verwandtschaft mit ihnen verbunden sind. Freilich muß man das auch Nächstenliebe nennen, aber doch trägt diese den herrlichen Lohn der Liebe nicht davon, denn sie ist nicht geistlich, sondern fleischlich.“ Und von dem rechten Liebesbeweise sagt er an einer späteren Stelle: „Wie also können wir es beweisen, daß wir unsere Feinde lieben? Die Antwort lautet: Johannes sagt: „Wenn Jemand dieser Welt Güter hat, und siehet seinen Bruder darben, und schließet sein Herz vor ihm zu, wie bleibet die Liebe Gottes bei ihm?“ Und Johannes der Täufer sagt: „Wer zween Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat.“ Wer nun in ruhigen Zeiten nicht einmal seinen Rock um Gottes willen hinzugeben vermag, wie wird der zur Zeit der Verfolgung sein Leben hingeben wollen?“
Hiernach können wir sagen: Wer nicht um Gottes willen ein geringes Wort zu ertragen vermag, was wird der thun, wenn gegen ihn das Schwert gezückt wird? Wie aber kann Gott und den Nächsten wahrhaft lieben, wer um einer geringen Beleidigung willen, sei sie nun eine wirkliche oder am Ende nur eine eingebildete, nicht allein seinen Nächsten, sondern auch seinen Gott durch Ungeduld und andere Sünde beleidigt? Aber laß uns über diese Liebe um so sorgfältiger Erwägungen anstellen, je nöthiger sie dem Menschen ist.
Keine unserer Thaten ist wahrhaft tugendhaft und bleibt ins ewige Leben, wenn sie nicht irgendwie aus der vorerwähnten Liebe zu Gott hervorgegangen ist. Jede tugendliche Regung aber, die unter Vermittelung jener Liebe zu Gott frei aus dem Willen hervorgeht, ist Gott angenehm und bleibt ins ewige Leben, auch wenn sie aus irgend einem vernünftigen Grunde sich nicht zur äußerlichen That ausgestaltet. Dein Wille muß durchaus von der Liebe zu Gott bestimmt sein, wenn deine That irgend einen Werth haben soll. Dieser Liebe zu Gott aber ist gerade entgegengesetzt die ungeordnete Liebe des Menschen zu sich und dem, was sein ist; für einen Menschen, dem die Gnade nicht Beistand leistet, wird sie zur Kette, durch die er in sich selbst gefesselt und gebunden wird, so daß Fürsorge für Andere und Liebe zu den Brüdern niemals oder doch nur schwer ihn zu bewegen vermag aus sich selbst herauszugehen. Ein so gearteter Mensch hat nie eine andere Sorge, als nur die um sich selbst und um das Seine; er sucht lediglich und allein seinen eigenen Vortheil, den seines Nächsten vernachlässigt er, ja bisweilen verhindert er ihn. Diese ungeordnete Selbstliebe nennt Augustin das Fundament des teuflischen oder Babylonischen Reiches, zu dem Alle gehören, die verdammt sind und verdammt werden; sie ist gleichsam die Wurzel, aus der alle Sünden hervorwachsen, Nahrung und Kraft empfangen. Und gleichwie Pflanzen, die nicht gründlich ausgerottet, sondern nur abgehauen werden, sich bald genug aus ihrer Wurzel verjüngen, gleich also verfällt ein Mensch gar leicht wieder in die Sünden, um deren willen er Buße gethan hat, wenn nicht jene Wurzel der ungeordneten Liebe vertilgt wird.
Die ungeordnete Selbstliebe besteht aber darin, daß der Mensch gerade das thut oder läßt, was er will. Er will, thut oder läßt nicht was gerecht, oder Gott wohlgefällig ist, sondern was ihm selbst vortheilhaft, nützlich, ergötzlich und wohlgefällig ist. Hierbei ist ins Auge zu fassen, daß es dreifache Güter gibt, Güter höchster, mittlerer und untergeordneter Art. Nun begehret die geordnete Selbstliebe die höchsten Güter, d. i. die ewige Seligkeit, und zwar nicht lediglich um ihres Vortheiles und Nutzens willen, auf daß sie alles Leidens ledig werde, und alle Güter in ihren Besitz bringe; ihr letztes Ziel ist Gott, die höhere Erkenntniß, die vollkommenere Liebe, die nie endende Lobpreisung Gottes, die dort aller derer Theil sein wird, die ihn über Alles lieben. Sie begehret auch die mittleren Güter, d. i. Tugenden und gute Werke, nicht um sich damit zu zeigen, und darum gelobt zu werden, sondern um Gott zu gefallen, um dadurch hier in der Zeit seiner Ehre und seines Lobes immer mehr zu machen und hernach des ewigen Lebens theilhaftig zu werden, da wir Gott in höherem Chor und in vollkommenster Weise loben werden. Zuletzt endlich begehrt sie die untergeordneten Güter, d. i. Gesundheit, Wissen, Weisheit, Stärke rc:, nicht um sich zu zeigen und Lob und Ehre zu erlangen, und Andere in diesen Dingen zu übertreffen und in Schatten zu stellen, und aus ähnlichen schlechten Gründen, sondern um zu lernen und zu erkennen, was man glauben, was man thun oder lassen müsse, und das Alles, um selbst mehr gute Werke thun und Andere eben dazu anregen zu können. Sie begehrt auch zeitliche Güter, Reichthümer und derlei irdische Dinge, nicht um Lüste und Begierden zu befriedigen, oder um eine hohe und geehrte Stellung zu erlangen, auch nicht als letztes Ziel, sondern nur in so weit, als man sie für sich und die Seinen zum Unterhalte und zur Unterstützung der Armen nöthig hat, also in so weit die Stütze und Mittel der Tugend und guter Werke sind. Kurz gesagt, der Mensch hat dann die rechte Selbstliebe, wenn er das, was er will, thut und schafft, nicht allein um seinet- und der Seinen Willen will, wirkt und schafft, sondern vielmehr darum, weil es an sich gut und recht ist, weil es Gott gefällt, und er also sich selbst und all sein Thun auf Gott gerichtet hält, als auf sein letztes Ziel.
Wer hingegen der ungeordneten Selbstliebe ergeben ist, bezieht. Alles auf sich und seinen Vortheil oder ein Vergnügen. Und zwar gibt es nach Augustin zwei ganz verschiedene Arten von Liebe, die den zwei ganz verschiedenen Reichen, dem Reiche Gottes und dem Reiche des Teufels zur Grundlage dienen. Dem Reiche Gottes nämlich liegt zu Grunde die Liebe Gottes, die bis zur völligen Verachtung seiner selbst führt; dem Reiche des Teufels aber liegt zu Grunde die Selbstliebe, die bis zur völligen Verachtung Gottes führt.
Obschon es aber, wie bereits gesagt, auch eine berechtigte Liebe der zeitlichen Güter gibt, so will sie doch mit großer Vorsicht geübt sein, weil sie den Menschen auf dem Wege Gottes und in der Liebe der geistlichen Güter oft gewaltig hindert, nach den Aussprüchen des Augustin: „Der liebt Gott weniger, wer etwas neben Gott liebt, was er nicht um Gottes willen liebt. Die Liebe wächst mit der Abnahme der bösen Lust; die Vollkommenheit tritt ein mit der Vernichtung der bösen Lust.“ Und Gregor sagt: „Dein Wille wird so lange kein vollkommen wohlgefälliges Opfer werden, als du nicht die Lust dieser Welt zum Opfer bringt. Denn so lange du nach den Dingen dieser Welt strebt, neidest du sie ohne Zweifel. Andern. Liegt doch auf der Hand: dir entgeht, was der Andere gewinnt. Darum haben heilige Männer, um den Nächsten vollkommen lieben zu können, mit allem Fleiß dahin getrachtet, von den Dingen dieser Welt nichts zu lieben, nichts mehr zu wünschen.“ Und an einer andern Stelle sagt er: „Groß ist die Herzensruhe eines Menschen, der kein Verlangen trägt nach den Dingen dieser Welt. Denn wenn das Herz mit Heftigkeit auf irdischen Erwerb gerichtet ist, kann es von Ruhe und Frieden nichts wissen, weil es entweder von dem Verlangen bewegt wird, zu haben, was es nicht hat, oder von Furcht, zu verlieren, was es bereits besitzt. Im Unglück hofft es auf Glück, im Glücke fürchtet es Unglück und wird also wie die Meereswelle hin und hergetrieben und durch die Veränderlichkeit des wechselnden Geschickes wird es in die verschiedensten Stimmungen versetzt.“
Darum sagt auch der Herr: „Sammelt euch Schätze im Himmel,“ und fügt als Grund hinzu: „Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Hiezu bemerkt Chrysostomus: „Sammelst du Schätze auf Erden, d. h., liebst du die irdischen Dinge, so bringt dir das keinen geringen Schaden, denn was unter deinen Füßen liegen sollte, das hält dich gefesselt und macht dich zum Sclaven, an himmlischen Gütern aber wirst du arm, ja deine Gedanken können sich zuletzt gar nicht mehr zum Himmel erheben.“ So viel von der Liebe.
Auch eine andere Gemüthsbewegung, die der Furcht, ist so zu regeln, daß man nicht mehr, als recht ist, vor den Leiden dieser Zeit zurückschrecke, um sie zu vermeiden nicht etwa in Sünde falle und Gutes zu thun unterlasse, wie so Viele, die um des Gespöttes und Gelächters der thörichten Welt willen das Gute lassen und das Böse thun und also denen ähnlich werden, von denen Joh. 12. geschrieben steht: „Sie hatten die Ehre bei den Menschen lieber, denn die Ehre bei Gott.“
Gleichermaßen soll nicht einmal die Furcht vor der Strafe der Hölle der alleinige Beweggrund sein, das Gute zu thun, oder das Böse zu meiden, so daß man, wenn diese Strafe nicht wäre, das Gute nicht thun und das Böse nicht vermeiden würde. Solche Furcht macht die Strafe zum höchsten Uebel. Aber man sollte doch vor der Beleidigung Gottes und der Trennung von Gott sich viel mehr fürchten, als vor irgendwelchen Höllenstrafen, und zwar darum, weil eine Beleidigung Gottes oder eine Sünde, durch die Gott beleidigt wird, etwas viel Schlimmeres ist, als die Strafe, die auf die Schuld folgt. Schon daraus, daß die ewige Strafe, also etwas sehr Großes und ganz Unsägliches, auf jede einzelne Sünde gesetzt ist, sollte man erkennen, ein wie unsäglich großes Uebel es sein muß, durch irgend eine Sünde den Gott zu beleidigen, der, weil er der allergerechteste, aber doch auch allerbarmherzigste ist, die Sünde wohl hart und schwer, aber doch noch gelinder bestraft, als sie verdient.
Noch zwei andere Gemüthsbewegungen, die Freude und die Trauer müssen in die rechte Ordnung gebracht werden, nämlich also, daß man über Alles, was gut und Gott angenehm ist und was eine Ehre fördert, sich freut, und seine Liebe und Hoffnung darauf richtet; Alles aber, was Gott entgegen oder zuwider ist, oder was den Nächsten ärgert, soll in dem Grade unsere Trauer und unsern Schmerz erregen, daß neben diesen beiden gar keine andere Gemüthsbewegungen in unsern Herzen zu finden sind.
Anselm sagt: Gott allein weiß, was das für ein Segen sein und wie viele unberechtigte und nutzlose Gemüthsbewegungen uns das ersparen würde, wenn wir, so oft das Herz schneller schlägt, uns nach Seiten dieser vierfältigen Gemüthsbewegungen mit allem Ernste prüfen wollten. Anselm fügt auch den Grund hinzu: „Wenn wir dem Ursprunge unserer Gemüthsbewegungen mit Sorgfalt nachspüren wollten, so würde sich oft herausstellen, daß eitel Sünde ist, was wir für Tugend halten, und oft würden wir als einen Rückschritt erkennen, was uns ein Fortschritt zu sein schien.“ Damit stimmt überein, was Bernhard sagt: „Recht achtsam merke darauf, was du liebst, was du fürchtet, was dich freut und was dich traurig macht: und unter dem Mantel der Frömmigkeit wirft du eine weltliche Seele, unter den Lumpen der Bekehrung ein verderbtes Herz finden.“ Weil Viele diesem Rathe nicht folgen und statt dessen sich mit dem äußeren Scheine begnügen und den inneren Regungen ihres Herzens nur geringe Aufmerksamkeit schenken, betrügen sie nur zu oft sich selbst und thun gerade da Sünde, wo sie sich Verdienste erworben zu haben glauben. Ueber solche Alle spricht Bernhard das tadelnde Wort aus: „Das ist ein unglücklicher Mensch und der betrügt sich selbst, wer ganz in äußerlichen Dingen aufgeht und sich gar nicht um sein Inneres kümmert, wer da glaubt, er sei etwas, während er doch nichts ist. Weil er am äußerlichen Scheine haftet, denkt er, es stehe ganz gut um ihn, und er merkt den verborgenen Wurm nicht, der sein Inneres zerfrißt.“ Und in seiner Himmelfahrtspredigt sagt er: „Zuweilen sieht man Einen, der einen so dicken Pharisäermantel trägt, daß er auch sich selbst betrügt: nur die Hände regt er bei der Erfüllung der Gebote, sein Herz ist vertrocknet bis ins innerste Mark hinein, es leitet ihn nur eine Art von christlicher Gewöhnung. Im innersten Herzen ist er ein Sclave seines bösen Willens, hegt und pflegt den Geiz, trachtet nach eitler Ehre, liebt den Stolz; sein Inneres ist ein Nest aller dieser Laster oder doch einzelner von ihnen. Die Sünde belügt sich selbst, aber Gott läßt sich nicht spotten.“
Noch einmal, wer wirklich vorwärts will, der muß sein Herz wohl bewachen. Amen.
Nichts soll uns bewegen, vom Wege der Tugend abzutreten und die Buße zu verschieben.
Wenn uns Leiden treffen, so wollen wir uns dadurch nicht aus der Bahn lenken, oder von dem guten Wege, den wir betraten, abwendig machen lassen, sondern vielmehr des eingedenk bleiben, daß, was auch irgend uns begegnen möge, der gerechte Richter nichts ohne Grund geschehen läßt. „Gewiß liegt ein großer Trost darin, daß, wenn uns mißfällt, was uns widerfährt, der es uns verordnet hat, dem nur gefällt, was recht ist;“ so sagt Gregor zu den Worten Hiobs: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, es ist geschehen, was dem Herrn gefiel; der Name des Herrn sei gelobt.“ Nach dem Beispiele des Hiob that ein Greis, der in großer Leibesschwachheit viele Tage lang nichts hatte genießen können und den sein Schüler zum Essen ermunterte mit den Worten: Mein Vater, ich will dir ein kleines Gebackenes machen. Nun stand ein kleines Gefäß mit Honig da und daneben ein ganz ähnliches mit Leinöl, das nur noch in die Laterne taugte. Irrthümlicher Weise mengte der liebe Bruder die Speise für den Greis mit letzterem, in der Meinung, er habe den Honig genommen. Als aber der Greis ohne ein Wort zu sagen zwei Bissen genossen hatte, sprach er beim dritten: Ich kann nicht mehr, mein Sohn. Der nun wollte ihn aufmuntern und sprach: Siehe doch, lieber Vater, es ist gute Speise, und ich will mit dir essen. Da er aber aß, merkte er, was er gethan hatte, fiel nieder und klagte: Wehe, mein Vater, daß ich dir das thun konnte. Warum hast du mirs nicht gleich gesagt? Der Greis antwortete: Mache dir darüber keinen Kummer, mein Sohn. Hätte Gott gewollt, daß ich etwas Gutes essen sollte, so hättest du den Honig genommen.
So laßt uns denn bei allem Unangenehmen, was uns widerfährt, eben so denken, wie dieser Greis. Nach Anselm gibt es gar mancherlei, was vom Wege der Vollkommenheit zurückschreckt, so daß Viele nicht einmal wagen ihn zu betreten und ihn nicht suchen, wie sie sollten, gar mancherlei, was selbst noch jene, die ihn bereits zu beschreiten beginnen, oft so stark entmuthigt, daß sie die Hoffnung vorwärts zu kommen ganz aufgeben. Zuerst nennt Anselm die allzugroße Furcht wegen früher begangener Sünden. Aber wir dürfen uns von dieser Furcht nicht behindern lassen, denn wenn wir von unsern Sünden den rechten Gebrauch machen, müssen sie alle uns mithelfen zum Guten, sie geben uns Veranlassung zur Demuth, zur Erkenntniß der Güte unseres Gottes, zur Liebe und zum Lobe Gottes. Hast du gesündigt, so suche nur um so schneller der Sünde abzusagen, verschiebe es keinen Augenblick, wahrhaft, nicht blos zum Schein, dich zum Herrn zu bekehren, und in der Hoffnung auf den Beistand Gottes gewisse Schritte zu thun auf dem Wege des Lebens. Laß nie wieder hören das häßliche Wort: „Morgen, morgen, nur nicht heute, und aber nur nicht heute; nur um ein Kleines noch will ich warten, und noch um ein Kleines!“ So that Augustin vor seiner Bekehrung, wie er sich des in seinen Confessionen selbst anklagt und dabei gegen den Herrn in das Bekenntniß ausbricht: „Ich wußte nicht, was ich dir, o Herr, antworten sollte, als du mir zurieft: Stehe auf, der du schläfst, stehe auf von den Todten, so wird dich Christus erleuchten. Ich wußte dir gar nichts zu antworten, als langsam und schlaftrunken das Wort: Ja gleich, ja gleich, laß mich noch ein wenig; aber das „gleich, gleich“ fand kein Ende, und das „ein wenig“ zog sich in die Länge.
Bist du aber in dem eben berührten Punkte ein Nachfolger des heiligen Augustin gewesen, nun so werde auch sein Nachfolger durch entschiedene Bekehrung zu Gott und durch bittere Reue darüber, daß du so lange verschobst dich zu bekehren. Von dieser seiner Bekehrung sagt er selbst: Als tiefe Betrachtung, in die ich nach Gottes geheimem Rathschluß versenkt ward, mir mein ganzes Elend mit einem Male klar vor die Seele stellte, brach ein gewaltiger Sturm los, dem ein gewaltiger Thränenguß folgte. Mein ganzes Herz auszuschütten, warf ich mich unter einem Feigenbaum zur Erde, meine Augen ergossen Ströme und nicht den Worten aber dem Sinne nach sprach ich zu vielen Malen: Ach Herr, wie so lange? Wie lange soll es währen, bis dein Zorn abläßt? Gedenke doch nicht meiner vorigen Sünden. Ich fühlte deutlich, wie sie schwer auf mir lagen, und mit kläglicher Stimme rief ich: Warum willst du nicht gleich jetzt, warum willst du nicht noch zu dieser Stunde meiner Schmach ein Ende machen? Also sprach ich und gallenbittere, herzgründliche Reue machte mich weinen.“
So soll denn jedermann dahin streben und trachten, recht schnell zu thun, was klärlich irgend einmal gethan werden muß, weil alles Weiterhinausschieben das spätere Thun nur immer mehr erschwert. Darum spricht auch der weite Sirach das mahnende Wort: „Verziehe nicht, dich zum Herrn zu bekehren, und schiebe es nicht von einem Tage auf den andern. Denn sein Zorn kommt plötzlich, und wird es rächen und dich verderben.“
Eine zweite Schwierigkeit, die sich unserem geistlichen Fortschritte entgegenstellt, ergibt sich aus dem Umstande, daß die Hindernisse, die wir dabei zu überwinden haben, unsern Augen viel zu groß erscheinen. „Aber,“ sagt Anselm, „Gott nimmt sie hinweg; das dürfen wir für gewiß halten, sobald wir uns zur muthigen Nachfolge des Herrn entschlossen haben. Nimmt er irgend etwas nicht hinweg, so sollen wir es, in seinen Willen ergeben, gern ertragen. Denn unsere Thorheit hält oft gerade das für ein Hinderniß, was die verborgene Weisheit Gottes uns zugeordnet hat, um unsern Fortschritt zu fördern.“ Darum gibt Salome die Mahnung: „Verlaß dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlaß dich nicht auf deinen Verstand.“ Denn oft glauben wir uns gerade dann von der göttlichen Fürsorge verlassen, wenn sie sich unserer annimmt, und wir meinen, sie nehme sich unserer an gerade da, wo sie uns verläßt, so daß meist aus Gnaden geschieht, was man ein Zeichen des Zornes nennt, und bisweilen das Zorn ist, was man für Gnade hält.
Ein drittes Hinderniß liegt darin, daß man seinen Fortschritt nicht sofort bemerkt. Aber oft, wie Anselm sagt, zögert Gott unser Begehren zu erfüllen, um dadurch unsere Sehnsucht noch reger zu machen; also zögert er nicht darum, weil er nichts geben will, sondern nur um dem gesteigerten Verlangen, desto reichlichere Gaben geben zu können.
Ein viertes Hinderniß ist, daß wir täglich an uns Mängel wahrnehmen. Zu ihrer Bekämpfung räth Anselm an, täglich und regelmäßig eine Stunde auf Selbstprüfung zu verwenden, seinen innern und äußern Zustand gründlich zu erforschen, und wenn sich irgend etwas finden sollte, was unsern Fortschritt fördert, empfiehlt er den festen Vorsatz zu fassen, gerade nach dieser Seite mit zähester Beharrlichkeit sich fortzubilden. Wenn wir hingegen irgend etwas auffinden, was uns irgendwie hinderlich sein könnte, sollen wir es von uns abzuschütteln versuchen. Wir sollen nach dem Vorbilde des Hauptmannes im Evangelio die Vernunft zur Ruhe weisen, wie solches ein wohlgeordneter Seelenhaushalt erfordert, und im männlichen Kampfe gegen Versuchung und Sünde uns durch wer weiß was für zudringliche Gedanken und Fleischesregungen nicht vom rechten Wege abführen lassen, sondern nach unserm Gutdünken den bösen Einflüsterungen und Gedanken sagen: „Gehet hin, so gehen sie.“ Den guten aber und geistlichen: „Kommet her, so kommen sie:“ und dem Knechte, d. i. dem Leibe: „Thue das, so thut ers.“
Du mußt aber nicht allein dein Herz von schlechten und unnützen Gedanken zurückzuhalten verstehen, du mußt auch in guten Maß zu halten wissen, damit sie nicht durch allzu häufige Wieder kehr und allzulanges Verweilen mehr Zeit in Anspruch nehmen, als ihnen zukommt. Du mußt auch die Gemüthsbewegungen der Hoffnung, der Freude, der Furcht, des Schmerzes, wo sie kein Recht haben, unterdrücken, wo sie aber ihr gutes Recht haben, nach Stärke und Zeitdauer in rechter Weise beschränken können. Auch das Erkenntnißvermögen darf nicht länger, als in der Ordnung ist, sich mit dem Gegenstande seines Forschens beschäftigen. Albertus Magnus weist darauf hin, daß auch der Wille nach Richtung und Stärke recht zu regeln ist. Denn wer die Absicht hat, bald und leicht zur vollkommenen Selbsterkenntniß zu gelangen und sich in den Besitz des vollkommenen Gewissensfriedens zu setzen, der muß zunächst sein Herz von aller sinnlichen Liebe und Regung, die auf die Menschen und Dinge dieser Welt geht, gänzlich entleeren, also daß zwischen Gott und dem Herzen nichts mitten inne steht, daß es nichts liebt außer Gott und neben Gott; nur dann wird seine Erregbarkeit nicht mehr die Trennung von Gott, sondern die immer innigere Vereinigung und Verbindung mit ihm befördern.
Sodann soll man sein Herz von der ungezügelten Selbstliebe reinigen, die diebischer und räuberischer Weise nach Ehre und Ruhm, kurz nach dem greift, was einzig und allein Gott zukommt, „Ehre und Preis gebührt allein Gott, dem ewigen unvergänglichen unsichtbaren Könige.“ Auch nach irdischem Besitz darfst du nur dann streben, wenn du ihn zum Dienste Gottes braucht, oder zu Nutz und Frommen deiner Seele oder der deines Bruders; du mußt absagen allem Eigenwillen, mußt viel mehr darauf gerichtet sein, deinem Nächsten den Willen zu thun, als dir selbst, und deine Seele darf nichts Anderes wollen oder sich verstatten, als was Gott will und verstattet: mit einem Worte, du mußt in guter Ordnung halten deine Gedanken, daß sie nicht von Gott ab und in die Ferne schweifen, deine Neigungen, daß sie nicht zu sehr am Geschaffenen hangen bleiben, deine Willensregungen, daß sie sich nicht von Gott abwenden, deine Absichten, daß sie nicht verderbt, oder auch nur in etwas verunreinigt werden, deine Urtheile, deine Vermuthungen, daß sie Alles zum Besten wenden lernen. Gleichermaßen mußt du nach Wort und Werk und Wandel, überhaupt nach all deinem Gehaben und Gebahren dich in guter Zucht halten, damit Alles auf das eine nothwendige Ziel gehe und zum gemeinsamen Nutzen. Aller und zu ihres Lebens. Besserung diene. Dein Geist darf nicht allzusehr in Speise und Trank und Schlaf oder anderen irdischen Dingen seine Ergötzung suchen und also die warme Liebe zu Gott in sich erkalten lassen, fort und fort muß er ängstlich darum Sorge tragen, daß nicht durch irgendwelchen unerlaubten Gebrauch seiner Glieder, seiner äußeren Sinne, seiner inneren Kräfte eine Trennung von Gott, eine auch nur geringe Lockerung des nahen Verhältnisses zu ihm eintrete.
Wenn wir aber vielleicht einmal gegen unsere besseren Vorsätze gehandelt haben, so darf uns das nicht abhalten gute Vorsätze zu fassen und auf Fortschritt zu sinnen, denn wer aus Schwachheit gegen seinen Vorsatz handelte, wendet sich viel leichter wieder zu Gott, als wer seinen Mängeln gegenüber absichtlich blind noch nie den Vorsatz der Besserung faßte. „Es kann vorkommen,“ sagt Anselm, „daß eine Sünde viel mehr noch zur Strafe als zur Schuld gereicht, und daß die Güte Gottes unsere Fehltritte zum Besten zu lenken weiß: wie oft braucht er unsere Vergehungen zur Förderung unserer Demuth, so daß das Wort wahr wird, der Gerechte fällt an einem Tage siebenmal und wenn er wieder aufsteht, ist er nur um so stärker.“
Zu fünft wird unser Fortschritt dadurch behindert, daß wir die Güte Gottes nicht genugsam erwägen. Wenn wir im Gebete zu Gott reden, dürfen wir uns ihn nicht denken als einen Hartherzigen, der nicht gern erhört, sondern, nach Anselm, als den allergütigsten Vater, der schon ehe wir bitten weiß, weß wir bedürfen, und nach der ihm eignen Güte, so viel an ihm ist, eine ganz unsäglich größere Geneigtheit hat zu erhören, als wir zu beten. Es steht auch nicht zu befürchten, daß er nicht den Willen haben sollte, sich zu uns herabzulassen; vielmehr erfüllt es ihn mit Unwillen, wenn wir irgend etwas, sei es auch noch so gering fügig, ohne ihn thun wollen, und er erbietet sich uns in allen Dingen zum Helfer, wenn wir ihm nur gern und willig Gelegenheit dazu bieten. Denn seine Sehnsucht und ein Verlangen nach unserer Vollendung ist viel stärker als das unsrige, wie Bernhard jagt. Und Augustin sagt: „Die menschliche Trägheit sollte schamroth werden; denn Gottes. Bereitwilligkeit zu geben ist viel größer, als der Menschen Kühnheit zu verlangen; eine Bereitwilligkeit sich unseres Elendes zu erbarmen ist viel größer, als unser Sehnen von demselben frei zu werden.“ Der Mensch muß sich nur gewöhnen, fleißig in seinem Herzen einzukehren, er muß lernen dort zu herbergen und zu verweilen, und wenn er sich durch irgendwelche Abschweifung seines Geistes von dort hat wegziehen lassen, muß er immer wieder eilig dorthin zurückkehren. Das wird ihm dann ohne Zweifel, je häufiger er es thut, desto mehr zu einer süßen Gewohnheit werden, und zwar in dem Grade, daß er ohne alle Schwierigkeit und Anstrengung dort beständig zu verharren vermag, ja daß es ihm fast unmöglich wird, anderwärts zu verweilen.
Hugo sagt: Wer sich der Betrachtung ergibt, ihr öfter obzuliegen sucht und sie recht zu brauchen weiß, der steigert gar sehr die Annehmlichkeit dieses gegenwärtigen Lebens und schafft sich für Zeiten der Trübsal ein treffliches Trostmittel. Gerade die Betrachtung ist es, die vom Lärme irdischen Treibens uns am allermeisten abscheidet und schon in diesem Leben eine Art Vorschmack gibt von der Süßigkeit der ewigen Ruhe.
Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes, d. h. haltet nichts Anderes für wichtiger als Gottes Werk, sondern was auch für äußerliche Arbeit euch obliegen möge, unterlaßt deswegen das Gebet nicht, zu dem ihr verpflichtet seid, thut es deswegen nicht zerstreut oder mit weniger Sammlung. So viel Zeit wenigstens sollte man sich nehmen, als dazu gehört, um, wie sichs gebührt, fern von anstößiger Eile oder Zerstreutheit, fern von Beschäftigungen, die Leib und Seele für fremde Dinge in Anspruch nehmen, in Ruhe sein Gebet thun zu können, im festen Vertrauen auf das Wort: „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das Andere, nämlich das Zeitliche, alles zufallen.“ Wer darnach thut, der wird sich der glücklichsten Fortschritte erfreuen.
Das Uebel der Sattheit nämlich und der Ueberdruß gegenüber den geistlichen Dingen, auch die ungeordnete Liebe zum Weltlichen, oder der übertriebene Eifer, mit dem man Lieblingsgeschäfte betreibt, bewirkt oft selbst bei Gläubigen eine so große Eile, erst mit den äußerlichen Arbeiten, die unter Händen sind, fertig zu werden, daß sie ihre Gebetsstunden, während Glieder und Herzen ganz anders zu thun haben, einzig und allein mit den Lippen abhalten, und zwar in so großer Gedankenlosigkeit und Eilfertigkeit, daß sie gar nicht darauf Acht haben, was sie sagen oder mit wem sie reden. Zu allen andern Dingen, selbst zu den unbedeutendsten, nimmt man sich ausreichende Zeit, nur dann hält man seine Zeit gleichsam für verloren, wenn man sie pflichtschuldiger und gebührender Maßen auf das Gebet verwendet, und während seiner Dauer alles Andere, was stören könnte, bei Seite setzt. Was Wunder, wenn solche Beter nicht erhört werden? „Leichtsinnige, glaubenslose, unnütze, mit weltlichen Sorgen erfüllte, mit äußerlichen Dingen durchflochtene Gebete werden verworfen werden,“ meint Ambrosius. Gewiß würde ein Mann von auch nur geringer Macht und Würde sich eher für verachtet und verspottet halten, als für gebeten und geehrt, wenn ein seiner Hülfe Bedürftiger, gerade während er seine Bitte anbringt, sich anderwärts hin wenden, oder in seiner Gegenwart sich unanständig und ungebührlich betragen wollte. Darum muß erst recht von der Gebetszeit das Wort Bernhards gelten: „O wahrhaft selige Zeit, die alle Beachtung und Rücksicht verdient, weil sie, alle Zeit umspannend, für die nutzlos verbrachte Seufzer und Thränen, für die nützlich verwandte Lob und Ehre und Preis Gott darbringt.“ Wie tadelnswerth ist es also daß der Leib, nicht zufrieden mit der Zeit, die er auf sein Wohl verwendet, ungerechter Weise auch die Zeit des Gebetes für sich brauchen und so die Seele ihres Heiles berauben will. Darum sagt auch Gregor: „Je stärker in uns der Aufruhr der fleischlichen Gedanken ist, die uns bedrängen, desto eifriger sollen wir dem Gebete obliegen.“
Es ist wahr, was Augustin zum 65. Psalm sagt: „Viele ermatten im Gebet; zur Zeit ihrer Bekehrung war ihr Gebet so heiß, dann ward es lau, dann kalt, dann ganz vernachlässigt, weil sie sicher wurden.“ Auf den Ursprung aber dieser Erscheinung weist Bernhard mit folgenden Worten hin: „Ich weiß gar wohl, nicht. Wenige überkommt zuweilen beim Gebet eine Art geistiger Trockenheit und Stumpfheit, die sie nur mit den Lippen beten und nicht genug am darauf achten läßt, was sie sagen und mit wem sie reden, und zwar darum, weil sie sich gleichsam wie in todter Gewohnheit nicht mit der gehörigen Ehrfurcht und Herzensbewegt heit hiezu anschicken.“ Indeß wir bedürfen bei allem unserem Thun und sonderlich beim Gebet einer großen geistigen Wachsamkeit. Denn wenn wir auch selbstverständlich fort und fort von Gott gesehen werden, so stellen wir uns doch beim Gebet noch außerdem geradezu und offenbar vor ihn, wir reden gleichsam von Angesicht zu Angesicht mit dem Gotte, dem Ehre gebührt und Ruhm, Preis und Dank ohne Ende von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
„Gedenke ans Ende!“ Dies Wort muß tief ins Herz, fest ins Gedächtniß, oft in Erwägung genommen werden. Auf daß dies geschehe, laßt uns vom „Ende“, von den letzten Dingen reden. Von Allem freilich, was ich hierüber sagen werde, gilt das Petrinische Wort: „Gold und Silber habe ich nicht“, darum will ich auch sonderlich die Gedanken. Anderer zur Gabe darreichen. Der Herr aber wolle diese Blätter und Blüthen und Früchte eurer Seelen segnen.
Dies gegenwärtige Leben eilt schnell dahin, darum ist es nützlich und heilsam, häufig an den Tod zu denken.
„In allem deinem Thun gedenke ans Ende und du wirst ewiglich nicht sündigen!“ Dies Wort mahnt uns, häufig an die letzten Dinge zu denken, zugleich aber weit es darauf, daß dieser Gedanke ein treffliches Mittel gegen die Sünde ist. Solcher letzten Dinge aber, an die wir in allem unserem Thun denken sollen, gibt es nach Bernhard vier: „Tod, Gericht, Hölle und Herrlichkeit.“
„Vier Dinge sind, o Herz, vergiß sie nimmer nicht,
Es kommt dein Todestag, und darnach das Gericht,
Das bringt der Hölle Nacht, das bringt des Himmels Licht.“
Was ist schrecklicher als der Tod? Was fürchterlicher als das Gericht? Was unerträglicher als die Hölle? Was lieblicher als die himmlische Herrlichkeit? Zuerst also müssen wir in allem unserm Thun an den leiblichen Tod denken. Hierüber spricht Hieronymus in einem Briefe sich folgendermaßen aus: „Nach dem Ausspruche des Plato besteht das Leben aller Weisen im Gedanken an den Tod. Denn wer täglich sich daran erinnert, daß er sterben muß, verachtet die gegenwärtigen Güter und strebt nach den zukünftigen. Auch Seneca sagt: „Alles was du thut, thue im Hinblicke auf den Tod; es wird nichts dir so sehr dazu helfen, in allen Stücken Zucht zu halten, als wenn du häufig an die Kürze deines Lebens und an die Ungewißheit dieser Zeit denkst.“ Cassianus stimmt dem bei mit den Worten: „Schwerlich wird dein Leben hier in der Zeit von Verschuldungen frei bleiben, wenn nicht Sterben und Tod des Fleisches unablässig und fortwährend vor dem Auge deines Geistes steht.“ Und Augustinus spricht: „Täglich wollen wir eilends Buße thun; immer muß uns der letzte Tag vor Augen schweben; und wenn wir mit dem Zwielichte aufgestanden sind, dürfen wir noch nicht für gewiß nehmen, daß wir das volle Licht erleben werden. Denn nichts schirmt so vor der Sünde, als der häufige Gedanke an den Tod.“
Ein lebendiges Beispiel hierfür ist jener sündenbeladene Kriegsmann, den sein Beichtvater ganz vergeblich zur Buße mahnte. Da gab ihm der Beichtiger, ein Mann von weitreichendem Blicke, seinen Ring unter der Bedingung, daß er ihn am Finger tragen, und so oft er ihn ansehen würde, an den Tod gedenken sollte. Als der Soldat das einige Tage lang gethan hatte, kam er wieder zum Geistlichen und sprach: da will ich doch viel lieber Buße thun.
Bei diesem Gedanken an den Tod sind aber drei Stücke ins Auge zu fassen: zuerst, die Kürze und das Elend des menschlichen Lebens; sodann die Ungewißheit der Todesstunde; zuletzt, der Schrecken und die Bitterkeit des Todes.
Auf die Kürze des menschlichen Lebens deutet der Apostel Jakobus hin, indem er es mit einem Dampfe vergleicht. „Was ist euer Leben? Ein Dampf ist es, der eine kleine Zeit währet.“ Wer einen klaren Begriff von der Ewigkeit Gottes hat, der muß, wie Hieronymus sagt, erkennen, daß das menschliche Leben ganz kurz, ja nur eines Pünktleins groß ist, darum wird er auch immer ein Ende vor Augen haben, und demüthig und bußfertig bleiben.
Hierher gehört die Stelle aus der Moral des Gregor: „Heilige Männer haften mit den Gedanken ihres Herzens keineswegs an diesem gegenwärtigen Leben, dessen flüchtige Augenblicke sie mit Windes schnelle davoneilen sehen; sondern indem sie die erleuchteten Augen ihres Geistes auf die Betrachtung der Ewigkeit richten, erkennen sie, daß die Tage dieses Lebens wie nichts sind Indem sie aber die Kürze des Lebens unaufhörlich anschauen, ist ihr Leben gleichsam ein tägliches Sterben, und sie rüsten sich um so sorglicher auf das Ende, je mehr den Gedanken: es kommt einmal, der andere begleitet: es kann bald einmal kommen. Darum sagt auch der Psalmist im Hinblicke auf die schnelle Flucht des Lebens der Sünder: „Es ist noch um ein Kleines, so ist der Gottlose nimmer.“
Kurz ist, was ein Ende hat, unermeßlich aber, was ohne Ziel noch Ende darauf folgt. Unmöglich kann uns lang erscheinen, was seiner Zeit an einen Punkt gelangt, wo es nicht mehr ist. Darum können fleischliche Geister nur dann die zeitlichen Dinge lieben, wenn sie gar nicht darauf achten, daß das Leben im Fleisch so überaus flüchtig ist. Denn wenn sie eine Flucht und Vergänglichkeit recht betrachteten, so würden sie dies zeitliche Wohlleben weniger lieben. Wenn man aber dies gegenwärtige Leben gerade so liebt, als ob es ein lange dauerndes wäre, so weicht aus der Seele die Hoffnung des ewigen Lebens. Wie Mancher, der die vorstehende Zeit seines Lebens für noch lang hält, muß plötzlich das Leben verlassen und geräth dann unvermeidlich ins ewige Verderben. Während der Geist noch am Zeitlichen haftet, wird oft dem Leben ein Ziel gesetzt und unvermuthet sitzen plötzlich in der Qual, die in ihren falschen Voraussetzungen des Glaubens waren, das könne ihnen nie, oder doch erst spät passieren. Deswegen spricht der Mund der Wahrheit: Darum wachet, denn ihr wisset weder Zeit noch Stunde. Die Gottlosen nämlich hangen in ihrem Gemüthe so sehr an diesem Leben, daß sie nur immer hier bleiben möchten, und, so lange sie nur gesund sind, wünschen sie durchaus nicht, daß ihr Lebenslauf je ein Ende gewinne. Weil sie den Gedanken an die Zukunft verachten, setzen sie ihre ganze Hoffnung auf vergängliche Dinge; sie streben nur nach vorübergehendem Besitz.
Und weil ihre Gedanken allzu sehr auf das Vergängliche gerichtet sind und ihre Hoffnung gar nicht auf das Bleibende geht, wird das Auge ihres Herzens so unfähig zum Sehen und von Blindheit so fest verschlossen, daß es sich gar nicht mehr nach dem ewigen Lichte umschaut. So kommt es oft, daß ihre Weltsorge selbst dann nicht aufhört, wenn bereits der Leib von schwerer Krankheit erschüttert wird. Verhärteten Sinnes halten sie den Tod selbst dann noch für weit entfernt, wenn sie ihn bereits fühlen; und so löst sich die Seele vom Leibe und hält immer noch zähe fest ihre unmäßige Liebe des Irdischen, sie fährt schon in die ewige Qual, und weiß auch dann noch nicht, wohin sie fährt.
Der Fromme dagegen streckt sich im Geiste nach der Ewigkeit, auch wenn ihn ein freundliches Geschick durch dieses Leben geleitet; er freut sich großen irdischen Glückes, aber er traut nicht darauf und läßt sich dadurch nicht aufhalten. Noch ist der Augenblick des Todes nicht gekommen, aber täglich sieht er ihn vor Augen, als wäre er da. Jene freilich, die an die lange Ewigkeit des andern Lebens gar nicht denken, lieben das Leben im Fleisch, als währte es ewig. Sie erwägen die lange Dauer der Ewigkeit nicht, und halten darum die Fremde für das Vaterland, die Finsterniß für das Licht, den Weg für das Ziel; denn wer nichts. Höheres kennt, kann auch über die geringsten Dinge kein richtiges Urtheil haben. Zum Urtheilen ist es nämlich durchaus nothwendig, daß wir über dem stehen, was wir beurtheilen wollen. Wenn nun die Seele sich nicht über alle Dinge zu erheben vermag, so muß durch aus ihr Urtheil gerade über die Dinge, von denen sie sich hat unterjochen lassen, ein unsicheres sein. Je mehr aber heilige Männer das Herz zum Ewigen erheben, desto mehr erwägen die auch, wie kurz sei, was schließlich zu Ende geht; und je mehr in ihren Augen alles Vergängliche an Werth verliert, desto mehr lernen sie erleuchteten Sinnes die Gaben des Lichtes lieben, die, einmal gewonnen, niemals verloren gehen. Im Hinblicke auf die Unendlichkeit der Ewigkeit tragen sie kein großes Verlangen mehr nach alle dem, was durch ein Ende umschränkt wird, sondern ihr hoher Geist geht über die Grenzen der Zeit hinaus, auch wenn er noch im Fleische und in der Zeit festgehalten wird; und er verachtet um so tiefer das Endliche, je besser er das Unendliche erkennt.
Und schon diese Betrachtung selbst der Kürze des menschlichen Lebens ist unserem Schöpfer ein angenehmes Opfer. Darum war es in Wahrheit dem Herrn ein süßer Geruch, als Hiob betete und sprach: Gedenke, daß mein Leben ein Wind ist. Das hieß so viel als: Blicke gnädig herab auf mein Leben, das eilends dahinfliegt; du wirst gerade in dem Grade mich voll Erbarmen an sehen, als ich von der Betrachtung der Kürze meines Lebens meine Augen nicht abwende.“ So weit Gregor. Aus Allem geht hervor, daß es dem allmächtigen Gotte aufs Höchste wohlgefällig ist, wenn wir die Kürze des menschlichen Lebens häufig betrachten.
Ein großes und beklagenswerthes Uebel ist es, daß Viele sich wohl ein langes Leben wünschen, aber durchaus nicht gut, sondern schlecht leben wollen. Augustinus spricht über sie das tadelnde Wort aus: „Niemand will lange bei einer schlechten Mahlzeit sitzen; im schlechten Leben wollen fast Alle recht lange verharren; und doch, wenn unser Leben einen Werth haben soll, kann es nur dadurch Werth erlangen, daß es gut ist. Willst du wohl etwas Schlechtes? Sag an! Ich glaube nicht. Mit all deinem Denken, Thun und Streben willst du dir nichts Schlechtes gewinnen; du willst keinen schlechten Acker, keine schlechte Ernte, viel lieber eine gute; du willst einen guten Baum, ein gutes Pferd, einen guten Diener, eine gute Frau, und was dergleichen gute Dinge mehr sind; ja nicht einmal einen schlechten Anzug willst du haben, sondern einen guten. Sogar nur gute Schuhe willst du haben an deinen Füßen; oder nenne mir irgend etwas Schlechtes, das du haben möchtest. Nur eine schlechte Seele willst du haben! Womit hast du dich beleidigt? Womit hast du das an dir selbst verdient? Willst du wirklich, daß nichts schlecht sei, als du allein?“
Dies gegenwärtige Leben ist großen Elends voll.
Wer vermag allen Jammer dieses so kurzen Lebens herzuzählen und zu beschreiben. Man muß mit Ambrosius sprechen: „Dies Leben ist von so großen Uebeln so durchaus erfüllt, daß man, recht betrachtet, den Tod vielmehr für ein Heilmittel, als für eine Strafe halten muß; aber darum hat es Gott so kurz gemacht, damit seine Mühsal, die durch kein Glück aufgewogen werden kann, nach einer kleinen Weile ein Ende fände.“ Hiob sagt: „Muß der Mensch nicht immer im Streit sein auf Erden?“
Und Hieronymus: „O Leben dieser Welt, du bist nicht Leben, sondern Tod; du bist trügerisch und lügnerisch; jetzt blüht und bald verdorrt du; du währet einen Augenblick und bist dem Tode geweiht; je mehr du zunimmt, desto mehr nimmst du ab. O Leben voller Stricke, so viel Menschen in der Welt sind, so viele verstrickst du! Wie viele von dir Betrogene ertragen bereits die höllischen Qualen! Wie selig, wer deine betrüglichen Künste erkannt hat, und sich um deine lügenhaften Schmeicheleien nicht kümmert; am seligsten, wer das Glück hat dich los zu sein!“
Damit stimmt überein, was Augustinus über jene Jakobus-Stelle sagt: „Was ist euer Leben? Ein Dampf ist es, der eine kleine Zeit währet.“ Er sagt: „Dies Leben ist ungewiß, es ist blind und mühselig, Thränen befeuchten es, heiße Tage dörren es aus, Schmerzen schwächen es, böse Lüfte machen es krank, Speise beschwert es, hungrige Zeit entkräftet es, lustiges Treiben fördert seine Auflösung, Trübsinn verzehrt es, sorgenreiche Unruhe verkürzt es, träge Sorglosigkeit macht es stumpf, Reichthum macht es übermüthig, Armuth mißmuthig, Jugend hochmüthig, das Greisenalter beugt es, die Schwäche bricht es, der Gram drückt es zu Boden, und nach dem Allen tödtet es der Tod, und macht allen Freuden ein so gründliches Ende, daß, wenn sie aufgehört haben werden, sie gar nicht dagewesen zu sein scheinen.“
In Anbetracht dessen sagt Bernhard in seinen Meditationen: „Warum doch trage ich so großes Verlangen nach diesem Leben, denn je länger ich lebe, desto länger sündige ich. Täglich nimmt das Böse zu, das Gute ab; beständig wechseln gute und böse Tage und Niemand weiß, wann er stirbt; denn wie ein Feuer funke plötzlich verlischt und in Asche zusammensinkt, so schnell wird diesem Leben ein Ende gemacht. Gerade wenn es dem Menschen angenehm und lieblich däucht in dieser Welt zu weilen und meint noch lange zu leben und macht auf lange Zeit hinaus gar vielerlei Pläne, wird er plötzlich vom Tode dahingerissen und unvermuthet muß die Seele vom Körper scheiden.“
Die Tage des Menschen sind wie ein Schatten, der über die Erde streichet und ist alsbald nichts mehr da, das übrig bliebe. Warum nur sammelt man Schätze auf Erden, da ohne Verzug davon muß, was da gesammelt wird und der, so es gesammelt hat? Du Menschenkind, was hoffst du für Frucht in einer Welt, deren Frucht Untergang, deren Ende Tod heißt? O, daß du weise würdest und verständig, die letzten Dinge ins Auge zu fassen. „Sage mir, wo sind die Liebhaber dieser Welt geblieben, die noch vor ganz Kurzem bei uns waren? Nichts blieb von ihnen zurück, als Würmer und Asche. Betrachte mit Fleiß, was sie jetzt sind und was sie einst waren. Sie waren Menschen gleich wie du: sie aßen, sie tranken, sie lachten, sie lebten in Herrlichkeit und Freuden und in Einem Augenblicke fuhren sie zur Hölle. Ihr Fleisch ist hier der Würmer, ihre Seele dort des Feuers Beute und Speise, bis sie von neuem zu unseliger Verbindung und Gemeinschaft geeinigt zusammen in die ewigen Flammen gestürzt werden, weil sie zusammen sündigten. Was half ihnen der eitle Ruhm, die kurze Freude, die weltliche Macht, das fleischliche Wohlleben, der trügerische Reichthum, die vornehme Verwandtschaft und die böse Begierde? Wo blieb Lachen und Scherz, wo Uebermuth und Anmaßung? Von so kleiner Freude kam große Trauer, auf so geringe Lust folgte schweres Elend. Was jenen geschah, kann dir geschehen, den du bist ein Mensch. Ein irdischer Mensch von Erde, bist du Erde und lebst du auf Erden und wirst du zur Erde zurückkehren, wenn der letzte Tag kommt, der so schnell kommen wird, vielleicht heute, vielleicht morgen. Denn das ist gewiß, daß du sterben mußt; ungewiß freilich ist das Wann und das Wie und das Wo. Weil aber der Tod überall auf dich wartet, so warte auch du überall auf ihn. Das heißt weise handeln.“ So weit Bernhard.
Zur Erwägung des eben Gesagten mahnt uns im Buche „Von Geist und Seele“ die Stelle: „Unsere Seele soll sich beständig der Betrachtung und dem Nachdenken ergeben über unser Elend und unsere Gebrechen, Mühsale und Schmerzen. Denn mit Wehklagen sind wir in dies Leben eingetreten, unter Schmerz und Schrecken werden wir von ihm scheiden. Laßt uns bedenken, wie kurz unser Leben ist, wie schlüpfrig der Weg, wie gewiß der Tod und wie ungewiß die Stunde. Laßt uns bedenken, wie Alles, was lieblich und angenehm scheint auf unserm Lebenswege, sein Spiel mit uns treibt, denn wenn es erreicht ist, ist ihm viel Bitterkeit beigemischt; wie trügerisch und verdächtig, wie unbeständig und vergänglich erweist sich oft viel verheißender Schein und Schimmer.“ Beides, die Kürze und das Elend des menschlichen Lebens, faßt Hiob in dem kurzen Worte zusammen, an das wir, damit wir es in sorgliche Erwägung ziehen sollen, häufig bei Begräbnissen erinnert werden: „Der Mensch vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe.“ Kaum hat Hiob von der Geburt des Menschen gesprochen, alsbald auch weist er darauf hin, daß er nur „kurze Zeit“ leben wird. Er sagt: „Der Mensch vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit.“ Und damit Niemand auf den Gedanken käme, wenn ich recht kurze Zeit lebe, werde ich von Unruhe frei bleiben, fügt er sofort hinzu: „Und ist voll Unruhe.“ Er sagt nicht „Unruhe“, sondern „voll Unruhe“. Und zur Erläuterung soll dienen, was folgt: „Er gehet auf wie eine Blume und fällt ab, fliehet wie ein Schatten und bleibet nicht.“ Was ist hinfälliger als eine Blume? Was ist flüchtiger als ein Schatten? Was unbeständiger, als was nicht bleibt?
„Kurz ist das Leben, ein Schatten, der flüchtig entflieht und dahin ist;
Also vergeht es und plötzlich verweht es, wenn kaum es Bestand hat.“
„Bist du klug,“ sagt Bernhard, „so laß ab, dem nachzujagen, das zu erreichen traurig ist, dessen Besitz belästigt, dessen Liebe befleckt, dessen Verlust ängstet.“
Aus dem Gesagten geht bereits hervor, daß man beim Gedanken an den Tod noch ein Zweites in Betracht ziehen muß, nämlich die Ungewißheit der Todesstunde. Hierüber sagt Bernhard: „Was ist dem Menschen sicherer als der Tod, was unsicherer als die Todesstunde? Der Tod hat kein Erbarmen mit der Armuth, keinen Respect vor dem Reichthum. Er schont kein Geschlecht, keinen Stand, kein Alter, es ist nur ein Unterschied, die Alten müssen sterben, die Jungen können sterben.“
Daß aber die letzte Stunde uns unbekannt bleiben sollte, hat Gott deswegen gewollt, damit wir immer auf sie warten und, weil wir sie nicht voraussehen können, uns unablässig auf sie vor bereiten sollten, wie Gregor sagt: „Unser Schöpfer hat darum gewollt, daß uns unser Ende verborgen und unser Todestag unbekannt bleiben sollten, damit er uns, weil wir ihn nie wissen, stets ganz nahe scheinen sollte. Es sollte jeder um so eifriger in seinem Berufe wirken, je ungewisser er über seine Heimberufung wäre und die Ungewißheit über die Stunde des Todes sollte uns antreiben, in steter Todesbereitschaft zu leben.“
Und Augustinus sagt: „Der letzte Tag ist verborgen, damit jeder einzelne Tag ausgekauft würde; es ist zu spät Arzenei zu zurüsten, wenn der Tod mit seinen Schrecken bereits da ist.“
Wie heilsam auch die Betrachtung der Ungewißheit der Todesstunde dem Menschen ist, zeigt folgendes Beispiel. Ein kluger Geistlicher rieth einem Sünder, er möge doch seinem Diener bei fehlen, ihm bei Tische mit der ersten Schüssel stets ein seiner Rinde beraubtes Rüthlein zu bringen und dabei zu sprechen: „Vergiß nicht, Herr, daß du sterben mußt, aber du weißt nicht wo und wie und wann.“ Als das einige Zeit geschehen war, wollte dem Manne ob solcher Mahnung kein Bissen mehr schmecken und er sprach zu seinem Beichtvater: es thut Noth, daß ich ein anderer Mensch werde.
Sage und bekenne mir, meine Seele, wenn du in diesem Augenblicke oder nach einer Stunde dem Leibe entrückt und vor den Richterstuhl Gottes gestellt würdest, was wolltest du antworten? zu wem deine Zuflucht nehmen? Thue doch also schon jetzt, wie du dann gethan haben möchtest und fliehe schon jetzt zum Throne der Gnade. Du weißt ja nicht, wie schwach du am Ende sein, oder wie geringe Zeit dir zur Reue übrig bleiben wird. Wenn du den Schatten eines Menschen erblickt, so weißt du, daß du nicht weit mehr von ihm bist. Siehe nun, so nahe ist der Tod, daß ein Schatten immerdar auf dich fällt. Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Amen.
Des Todes Schrecken und Bitterkeit, das ist das Dritte, was bei der Betrachtung des Todes ins Auge zu fassen ist. In Bezug hierauf erzählt Cyrill von einem Manne, der nach dem Tode wunderbarer Weise wieder ins Leben zurückgerufen ward und dann, man halte nun davon, was man wolle, Folgendes berichtete: In meiner Todesstunde war eine so große Menge Dämonen um mich her, daß ich sie nicht zählen konnte. Ihre Gestalt war über alle Begriffe schrecklich und traurig. Nur um sie nicht mehr ansehen zu müssen, hätte ich mich lieber lebendigen Leibes verbrennen lassen mögen. Alle meine Missethaten, mit denen ich mich je gegen meinen Gott versündigt hatte, standen hell und klar vor meinem Gedächtnisse, und jene riefen mir zu: Hoffe nicht länger auf Gottes Erbarmen, das du so schwer beleidigt hat. Und gewiß, hätte mir nicht mein gnädiger Gott beigestanden, ich hätte jenen nicht zu widerstehen vermocht. Hierauf verließ meine Seele den Leib unter so schweren und bittern Aengsten und Schmerzen, daß kein Mensch sich davon eine Vorstellung machen kann, wer's nicht erfahren hat. Was auch Menschenverstand sich von Aengsten und Schmerzen aus zudenken vermöchte, sie sind für nichts zu achten im Vergleich mit dem Scheiden der Seele vom Körper.
Zur sorgfältigen Erwägung des Vorhergehenden muß es uns veranlassen, daß in ziemlicher Uebereinstimmung hiermit Gregor in einer seiner evangelischen Homilien sich hierüber folgendermaßen ausspricht: „Mit Schrecken und ohne Aufhören müssen wir an unser letztes Ende denken, auf daß wir nicht in Sünde fallen. Wir müssen auch die Qual bedenken, die nach dem Tode auf die Sünde folgt. Bedenken wir sie, so müssen wir seufzen und seufzend die Sünde meiden, die uns anklebt; unablässig müssen wir sie anschauen, im Anschauen weinen, weinend sie ausrotten. Keine vergängliche Lust und Freude soll uns gefangen nehmen, gar nichts Vergängliches soll die Augen unserer Seele so verdunkeln, daß wir blindlings ins Feuer liefen. Mit allem Fleiß müssen wir erwägen, wie schrecklich für uns die Stunde unserer Auflösung sein wird, wie heftig die Seele erzittern, wie lebendig alle Sünde vor unserer Erinnerung stehen, wie gänzlich alles vergangene Glück vergessen, wie stark die Furcht und das Bangen vor dem Richter sein wird. Dann werden die bösen Geister in der scheidenden Seele nach ihren Werken forschen, dann werden sie ihr die Sünden vorwerfen, zu denen sie verführten, und zum Lohne dafür, daß sie sich verführen ließ, sie auf die Folterbank schleppen.“
Gregor fügt noch hinzu: „Aber warum beschränken wir das Gesagte nur auf die verworfenen Seelen, da sie auch zu allen Auserwählten kommen, die von dieser Welt abscheiden, und an ihnen das Ihre suchen, ob die Macht über dieselben gewinnen könnten? Unter allen Menschen hat es nur Einen gegeben, der vor seiner Leidenszeit das kühne Wort sprechen durfte: Es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an mir. Der Fürst dieser Welt glaubte schon darum an ihm etwas von den Seinen finden zu können, weil er sah, daß jener ein sterblicher Mensch war. Darum soll es uns mit Sorge erfüllen und täglich unter viel Thränen von uns bedacht werden, daß der überaus schreckliche und furchtbare Fürst dieser Welt am Tage unseres Hinganges zu uns kommen und in uns nach seinen Werken forschen wird; kam er doch selbst zu Christo, als er dem Fleische nach starb, suchte er doch etwas selbst in ihm, in dem er nichts finden konnte. Was sollen nun wir Armen lagen und thun, die wir unzählige Sünden begangen haben? Was sollen wir dem Widersacher sagen, der das Seine in uns sucht und es in Menge in uns findet, wenn nicht unsere einige gewisse Zuflucht und völlige Hoffnung, er ist, mit dem wir Eins worden sind und an dem der Fürst dieser Welt wohl etwas von dem Seinen suchte, aber durchaus nichts finden konnte. So viel steht fest, wir können nicht leugnen, müssen im Gegentheil offen bekennen, daß der Fürst dieser Welt in uns. Vieles hat, aber doch vermag er uns in der Todesstunde nicht mehr zum Raube dahinzunehmen, denn wir sind Glieder dessen geworden, an dem er nichts hat. So lasset uns zum rechtschaffenen Glauben auch rechtschaffene Werke fügen und durch tägliche Bußthränen die Sünden abwaschen, die wir gethan haben. An die Stelle unserer früheren Missethaten müssen vielmehr die rechtschaffenen Werke treten, die aus der Liebe Gottes und des Nächsten erwachsen; willig und gern wollen wir unsern Brüdern alles mögliche Gute erweisen, denn nur durch die Hingabe an Gott und durch Barmherzigkeit gegen unsern Nächten werden wir wahrhafte Glieder unseres Erlösers.“ So weit Gregor.
Auch in seiner 12. Homilie findet sich eine Stelle, die sich auf denselben Gegenstand, auf die Ungewißheit des Todes bezieht: „Darum wachet, denn ihr wisset weder Zeit noch Stunde. Weil Gott jeden bußfertigen Sünder zu Gnaden annehmen will, so könnte ein Jeder, wenn er die Stunde seines Ausgangs aus dieser Zeit wüßte, den einen Theil seiner Lebenszeit auf die Lust der Welt, den andern auf eine Buße verwenden. Aber derselbe, der dem Bußfertigen Gnade zusagt, jagt dem Sünder nicht einmal den morgenden Tag zu. So müssen wir denn den morgenden Tag immer fürchten, weil wir nie vorhersehen können, was er uns bringen wird. Auch dieser heutige Tag, da wir dies lesen, ist aus Gottes Hand eine Gnadenfrist zur Bekehrung und doch verschieben wir es, unsere Sünden zu beweinen. Nicht genug, daß wir unsere Vergehungen nicht beklagen, begehen wir im Gegentheil noch mehr beweinenswerthe Thaten. Aber wenn uns Krankheit überfällt, wenn die Krankheitsanzeichen den nahen Tod verkündigen, dann wollen wir noch Frist zu leben haben, um unsere Sünde zu beweinen, wir begehren sie mit dem heißesten Verlangen, obwohl wir sie, als wir sie hatten, so gut wie nichts achteten.“
Gregor führt hiervon auch ein Beispiel an mit folgenden Worten: „Lieben Brüder, wenn eure Liebe die Geschichte, die ich eben erzählen will, recht aufmerksam anhört, so kann sie eine sehr heilsame Lehre daraus ziehen. In Valeria lebte ein vornehmer Mann Namens Chrysaurius, der eben so reich an Lastern, als an Gütern war: er berstete fast vor Stolz, diente den Lüsten des Fleisches und war von heftiger Begier nach Besitz entzündet. Da aber Gott so großen Versündigungen ein Ende machen wollte, befiel seinen Leib schwere Krankheit. Als es mit ihm zum Aeußersten gekommen war, in der Stunde, da bereits die Seele vom Leibe scheiden sollte, sah er deutlich und klar, wie gräuliche, ganz finstere Geister an ihn herantraten und ihm heftig drohten, sie wollten ihn in den höllischen Kerker schleppen. Da begann er zu erzittern, zu erblassen und zu schwitzen und bat mit lauter Stimme um eine Gnadenfrist, auch rief er mit vielen ängstlichen Worten seinen Sohn Maximus herbei und sprach zu ihm: Lieber Maximus, ich habe dir nie etwas zu Leide gethan, hilf mir kraft deines Glaubens. Der erschrockene Maximus stand bald in tiefer Traurigkeit neben ihm und laut klagend versammelte sich die ganze Familie; die bösen Geister, deren Gegenwart für den Kranken so unerträglich war, konnten sie zwar nicht selbst sehen, aber sie sahen an der Verwirrung, dem Erbleichen und Erbeben des armen Geplagten, daß sie da waren. Der Schrecken vor ihren gräulichen Gestalten warf ihn in seinem Bette hin und her; bald lag er auf der linken Seite und konnte ihren Anblick nicht ertragen, bald wandte er sich zur Wand und auch da waren sie. Da er sich nun ganz umstrickt sah und die Hoffnung auf Befreiung schon aufgab, fing er an mit gewaltiger Stimme zu schreien: Frist nur bis morgen! Frist nur bis morgen! Aber als er so schrie, ward er mitten in seinem Rufen aus der Behausung des Fleisches hinweggerissen. Hieraus nun geht hervor, daß er, was er sah, nicht um seinetwillen, sondern um unsertwillen sah; sein Gesicht soll zu Gute kommen uns, auf die Gottes Geduld schon lange in Langmuth wartet. Denn was half es jenem, vor seinem Tode gräuliche Geister gesehen und um Frist gebeten zu haben, da er doch die Frist, um die er bat, nicht erhielt? Darum wollen wir, meine geliebten Brüder, diese Geschichte in sorgliche Erwägung ziehen, damit wir unsere Zeit nicht vergeblich verfließen lassen und etwa dann erst zu guten Thaten ein längeres Leben begehren, wenn wir bereits zum Auszuge aus diesem Leibe getrieben werden. Immer muß uns jene Stunde unseres Auszuges in den Gedanken liegen, immer muß vor den Augen unserer Seele jene Mahnung unseres Erlösers stehen, der da spricht: Darum wachet, denn ihr wisset weder Tag noch Stunde.“
Es gibt aber nur zu Viele, die ähnlich, wie jener Reiche, sich mit der Hoffnung auf ein längeres Leben betrügen und erst dann darauf denken, ein gutes Leben zu beginnen, wenn sie bereits aus dem Leibe von hinnen müssen. Sie Alle erfahren meist dasselbe, natürlich in unsichtbarer Weise, was sichtbarer Weise der Reiche erfuhr, von dem vorhin die Rede war und noch ein Anderer, von dem in den Lebensgeschichten der Väter die Rede ist. Ein Einsiedler war zur Stadt gegangen, um die von ihm gefertigten Gefäße zu verkaufen und hatte sich dort zufällig gerade vor der Thür eines Reichen niedergelassen, der eben im Sterben lag. Als der Alte so da saß, sah er ganz schwarze Rose mit schrecklichen Reitern darauf, die feurige Ruthen in ihren Händen hielten. Als sie eilig ins Haus getreten waren, sah sie der reiche Mann, der in seinem Elende da lag und rief mit lauter Stimme: Herr, hilf mir! Die Dämonen antworteten hierauf: Nun gedenkst du Gottes, da dir die Sonne untergegangen ist; warum hast du bis zum heutigen Tage nicht nach ihm gefragt, während dir noch das Tageslicht leuchtete? Nun aber zu dieser Stunde ists aus mit deiner Hoffnung und deinem Troste.
„Der alte Feind,“ wie Gregor sagt, „kommt in der Stunde des Todes grausam und gewaltig daher und rafft die Seelen der Sünder dahin, wüthend reißt er die im Tode hinweg, die er im Leben mit seinen Schmeichelworten betrog. Den Gerechten dagegen wird zuweilen die Gnade zu Theil, daß sie bei ihrem Tode Gesichte der vorangegangenen Heiligen sehen, damit sie vor dem Todesurtheile sich nicht wie vor einer schweren Strafe fürchten, sondern damit sie, wenn nur die Menge der himmlischen Heerschaaren ihrem Geiste gezeigt wird, von den Banden ihres Fleisches erlöst werden, ohne vor Schmerz und Grausen zu vergehen.
Zuweilen erscheint er selbst, der Urheber und Geber des ewigen Lebens, der scheidenden Seele zum Troste, wie Gregor in seinen Dialogen sagt. Und in seiner Moral sagt er, daß die Seelen der Gerechten von geringen Flecken und Makeln oft durch den Todesschrecken selbst gereinigt werden und die Freuden der ewigen Seligkeit schon in der Stunde ihrer Auflösung empfinden. So wird von einem sehr frommen Manne erzählt, daß er nach dem Tode einem seiner besten Freunde erschienen und von demselben gefragt worden sei, wie es ihm erginge? Er antwortete: Aufs allerbeste! Auf die weitere Frage, warum er bei seinem Tode so voller Schrecken gewesen sei, daß er, wie alle Brüder gesehen hätten, sein Antlitz häufig abgewendet und heftig mit dem Kopfe geschüttelt habe, antwortete er: Hast du nicht gelesen, daß geschrieben steht, die er lieb hat, die züchtigt er? Und alsbald war er verschwunden.
Weiter wird in der Lebensgeschichte der Väter berichtet: In einer Stadt starb ein reicher Mann, der gottlos war und die ganze Bürgerschaft geleitete ihn feierlich mit Fackeln zu Grabe; ein Einsiedler aber, der Tag und Nacht seinem Gotte diente, ward von einem wilden Thiere verschlungen. Als nun ein Schüler des Einsiedlers um deswillen auf sein Antlitz niederfiel und Aufschluß von Gott erbat, ward seiner Seele die Antwort: Der Gottlose hat ein geringes gutes Werk gethan und dafür hier jene Leichenfeier empfangen, wird aber dort keine Ruhe finden; jener Einsiedler hingegen, der mit allen Tugenden geschmückt war, hatte doch ein geringfügiges Stäublein von Schuld an sich und darum widerfuhr ihm hier jenes Unglück, aber dort wird er vor seinem Herrn rein dastehen.
Mit dem Gesagten stimmt größtentheils auch Petrus Damiani überein: „Erwäge wohl, von wie heftigen Schrecken eine sündige Seele erschüttert wird, von wie scharfen Gewissensbissen sie zerrissen wird, schon wenn sie von den Fesseln des Fleisches sich loszulösen beginnt. Sie denkt an die Verbote, die sie übertrat, es stehen die Gebote vor ihr, die zu erfüllen sie versäumte; es schmerzt sie, daß sie die vergönnte Frist zur Buße vergeblich, empfangen hat; sie weint, weil der unausweichliche Augenblick strenger Vergeltung sie bedroht; um Alles möchte sie noch bleiben, aber unweigerlich muß sie gehen; sie sieht rückwärts und das ganze lange vergangene Leben kommt ihr vor wie ein einziger kleiner Schritt eines Wanderers; sie richtet ihre Augen vorwärts und die unübersehbare Länge der unendlichen Ewigkeit liegt vor ihr. Darum weint sie, denn in der so kurzen Zeit hätte sie alle Freude der Ewigkeit erwerben können; sie beweint es auch, daß sie über der so kurzen Lust, mit der die Welt lockt, die unsägliche Süßigkeit unausgesetzten Wohlseins verloren hat. Und während sie unter sich diese Welt wie ein grauenvolles finsteres Thal liegen sieht, über sich aber die Helligkeit des ewigen Lichtes an staunt, wird es ihr klar, daß Nacht war und Finsterniß, was sie liebte. Ach, wenn sie die Zeit zur Buße wieder zurückzurufen vermöchte, wie gern würde sie die rauhsten Lebenswege gehen, wie Vieles und Großes würde sie versprechen, mit wie schweren Eiden würde sie sich zur Frömmigkeit verpflichten! Aber die Augen werden dunkel, die Brust zittert, das Gesicht erblaßt, alle Glieder erstarren und während diese und andere Vorläufer des grausamen Todes ihre Dienste thun, stehen alle Thaten wider sie auf in langer Reihe und alle Worte, ja auch die Gedanken fehlen nicht und sie alle legen ein schweres Zeugniß ab gegen ihre Urheberin. Auf einer Seite steht der schreckliche Haufe der Dämonen, auf der andern die himmlische Heerschaar. Kann die Seele Zeichen der Frömmigkeit aufweisen, so laden die Engel die ein mit freundlichen Winken, die das Sterben erleichtern. Sprechen schwarze Thaten sie denen zur Linken zu, so wird sie alsbald von unerträglichen Schrecken geschlagen, niedergeworfen, überwältigt und mit Gewalt aus dem elenden Kerker des Fleisches hinweggerissen, um in die Pein der ewigen Strafen geschleppt zu werden. Und gleich nach ihrem Hintritte, wer will sagen, wie viel gewaffnete Schaaren böser Geister auf sie im Hinterhalte lauern, was für ein wüthendes Heer mit scharfen Geschossen gerüstet den Weg besetzt hält und, wie in Schlachten geschieht, in dichtem Haufen sich entgegenstellt, um die Seele nicht ungepeinigt ziehen zu lassen? Solches und Aehnliches häufig im Herzen bewegen, das heißt nichts Anderes, als die listigen Lockungen dieses Lebens verachten, der Welt den Abschied geben, die unerlaubten Regungen des Fleisches austreiben und allein den Vorsatz der Besserung unverrückt festhalten.“
So laßt uns denn in allem unserem Thun an das erste unter den letzten Dingen, an den Tod denken. Denn, wie Gregor sagt, wer bedenkt, was er im Tode sein wird, wird immer vorsichtig und gewissenhaft handeln. Wer in seinen eigenen Augen gleichsam nicht lebt, der lebt in den Augen seines Schöpfers wahrhaft: er sucht nicht das Vergängliche, er begehrt nicht, was dies gegenwärtige Leben bietet und sieht sich fast für todt an, weil er sehr wohl weiß, daß er einmal todt sein wird. Recht leben heißt an den Tod denken; so lange die Gerechten sorglich diesen Gedanken bewahren, entgehen sie den Schlingen der Schuld. Amen.
Der Seele soll thörichte Sicherheit fern, die Furcht des Herrn stets nahe bleiben.
Alles, was über die letzten Dinge, an die wir in allem unserm Thun gedenken sollen, gesagt werden kann, muß von allen Sterblichen, sonderlich von den Schwachen und Anfängern, die zur Vollkommenheit hindurchdringen möchten, fleißig und sorglich er wogen werden; das fördert in uns alles Gute, zumal mehr es die Furcht Gottes und mindert die thörichte Sicherheit, die sich vor den Gefahren und Feinden der Seele gar nicht fürchtet und das nöthige und sorgliche Achthaben auf sich selbst unterläßt oder vernachlässigt. Sicher nennt man den, der keine Sorge hat. Was aber kann thörichter sein, als wenn sich ein Mensch der trägen Sicherheit ergibt, der von so vielen und großen Gefahren und Feinden seiner Seele ringsher umgeben ist: es kämpfen gegen ihn der Teufel und sein eigenes Fleisch, dazu die Genossen und Gesellen des Teufels, die schlechten Menschen; es ist ungewiß, ob er der Liebe oder des Hasses werth ist, ob er die vorerwähnten so schrecklichen Strafen ewiglich ertragen muß, oder je zu jenen so unaussprechlichen Gütern der himmlischen Heimath gelangen wird.
Darum sagt Gregor zu den Worten: Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt: „Daß wir berufen sind, wissen wir; ob wir auserwählt sind, wissen wir nicht. Darum ist es nothwendig, daß sich ein Jeglicher unter uns desto tiefer in Demuth beuge, je weniger er weiß, ob er auserwählt ist. Wenige beginnen auch nur ein tugendliches Leben zu führen, noch Wenigere verharren darin. Der Eine lebt fast Zeitlebens in offenbaren Sünden, aber gegen das Ende seines Lebens bekehrt er sich durch rechtschaffene Buße von seinen bösen Werken. Der Andere scheint das Leben eines Auserwählten zu führen und dennoch geschieht es, daß er gegen sein Lebensende hin durch Lüfte in Irrthum sich verderbet. Der Eine macht einen guten Anfang und ein noch besseres Ende; der Andere erniedrigt sich von seiner ersten Jugend zu allerlei schlechten Thaten und wird durch solches sein Thun nur immer schlechter. Darum soll ein Jeder um so mehr für sich zittern und sorgen, je weniger er weiß, was noch bevorsteht. Man kann nicht oft genug wiederholen und nicht fest genug ins Gedächtniß fassen: Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt. Deswegen soll sich Niemand der sichern Freude über seine Werke hingeben, denn so lange er noch in diesem unsichern Leben weilt, weiß er doch nicht, was es mit ihm für ein Ende haben wird. Weil aber Keiner von sich gewiß sein kann, daß er zu den Auserwählten gehört, so bleibt nur Eins übrig: Alle müssen mit Furcht, Alle mit Zittern ihrer Seelen Seligkeit schaffen, Alle sollen sich nur über die göttliche Barmherzigkeit freuen; Keiner darf sich seines Verdienstes überheben.“
Wie sehr auch Augustin unter dieser Ungewißheit erzitterte, verrathen jene Gebetsworte in den Soliloquien, die er, nach Aufzählung der ihn bedrohenden Gefahren, also beschließt: „Du siehst, o Herr, wie mein Herz in diesen und ähnlichen Gefahren und Heimsuchungen zittert und zagt und Wunden davon trägt. Denn ehe ich aus meiner Mutter Leibe kam, hast du meinen ganzen Lebensgang nach deinem Wohlgefallen geordnet; aber ich weiß nicht, wie du ihn geordnet hast, darum habe ich Ursache mich zu fürchten. Du aber weißt schon, was von heute bis zu tausend Jahren hinaus im Wechsel der Tage und Zeiten auf mich wartet; vor deinem Auge, das die Ewigkeiten schaut, ist schon geschehen, was noch zukünftig ist, ja was noch zukünftig ist, ist vor dir schon geschehen. Ich aber stehe da, wie mitten in dunkler Nacht und weiß noch nichts davon. Furcht und Zittern überfällt mich, wenn ich sehe, wie ringsum zahlreiche Gefahren mich bedrohen, wie viele Feinde mich bedrängen und wie ein Heer von Leiden in diesem finstern Thale mich umgibt und ich müßte verzweifeln, wenn du mir nicht deine helfende Hand reichtet in den großen Nöthen, die mich betreffen. Meine ganze Hoffnung ruht auf dir, du gnädigster Herrscher, und die Betrachtung der unzähligen Erbarmungen, die ich bei dir finden soll, erquickt meine Seele; und die Zeichen, die deinem Erbarmen vorhergehen, beleben meine Hoffnung, daß mein Herz sich freut in dir, daß alle Kräfte meiner Seele und alle Glieder meines Leibes dir dienen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Reinigkeit, daß ich alle Tage meines Lebens frohlocke mit Zittern.“
Zum Erweise des schon Gejagten könnten wir aus der heiligen Schrift und anderwärts her viele Beispiele anführen, aus denen deutlich hervorgehen würde, daß jene thörichte Sicherheit etwas überaus Gefährliches, die ihr entgegengesetzte Furcht aber etwas überaus Heilbringendes und Segen volles sei; ist sie doch der Weisheit Anfang und, so zu sagen, unseres Lebens Schulz und Schirm, daß es sicher bleibt mitten in Gefahren und unter den Anläufen der Feinde. Darum sagt auch Cassiodorus zu den Psalmstelle: „Dienet dem Herrn mit Furcht rc.“ „Gleich wie die lässige Sicherheit der Sünde Thor und Thüre öffnet, also schließt die rechtschaffene Furcht Gottes die Thüren und Thore der Sünde zu.“ Es ist, wie Hieronymus sagt: „Die Gottesfurcht ist Schirmherr aller Tugenden, durch Sicherheit aber gleitet man zum Falle.“ Und Bernhard sagt: „Das weiß ich fürwahr, nichts, jetzt dich so sehr in den Stand die Gnade zu ergreifen, festzuhalten und wieder zu erlangen, als wenn du allezeit vor Gott erfunden wirst als Einer, der nicht hohe Weisheit, sondern Gottesfurcht sucht.“ Und anderwärts: „Ohne Gottesfurcht, die füglich die erste aller Gnaden und der Anfang aller Frömmigkeit heißen mag, kann nichts Gutes wachsen und gedeihen. Denn das ganze Gebäude der Tugenden neigt sich zum Einsturz, wenn es das Fundament dieser Gnadengabe verliert. Was soll ich noch weiter sagen? Gottesfurcht und Frömmigkeit sind so eng mit einander verbunden, daß Eins ohne das Andere nicht bestehen kann.“ Sehr wahr sagt Gregor: „Gleichwie bei den Weltkindern die Kühnheit die Mutter der Tapferkeit, so ist bei Gottes Kindern die Kühnheit die Mutter der Schwachheit und gleich wie bei den Weltkindern die Furcht Schwachheit, so gebiert bei Gottes Kindern die Furcht Tapferkeit. Wer Gott fürchtet, hat Ursach seinem Muthe zu trauen.“
Diese so heilsame Furcht aber vermag nichts so sehr im Menschen zu wecken, als die häufige und aufmerksame Erwägung der letzten Dinge. Diese Furcht heißt der „Anfang der Weisheit“, denn sie macht geschickt zur Weisheit, zu der wahren Weisheit, die die Sünde meidet und das Gute thut; wie die Schrift sagt: „Die Furcht des Herrn macht der Sünde ein Ende; die den Herrn fürchten, suchen, was dem Herrn gefalle; die den Herrn fürchten, bewahren seine Gebote.“
Aber vielleicht fragt Einer noch weiter, wie man denn mittelst dieser Gottesfurcht kürzesten Weges zur Weisheit gelangen, wie und auf welche Weise man am schnellsten im Guten fortschreiten und am leichtesten zur Vollkommenheit hindurchdringen könne? Hierauf gibt Bonaventura in seinem Reisehandbüchlein eine dreifache Antwort: 1) wache sorgfältig über dein Herz; 2) wende deine Zeit gut an; 3) was du auch thust, behalte das Ziel fest im Auge.
Ueber den ersten Punkt steht in den Sprüchen das Wort: „Bewahre dein Herz mit allem Fleiße, so wirst du leben.“ Dein Herz nämlich, die Burg deiner Seele, liegt mitten in einem feindlichen Lande und hat von allen Seiten Stürme zu bestehen. Darum ist diese Burg mit aller Sorgfalt zu verwahren, nach allen Seiten, unten und oben, vorn und hinten, rechts und links muß sie befestigt werden.
Ob eine äußerliche Handlung verdienstlich oder sträflich sei, darüber entscheidet das innerliche Handeln, die That des Willens, die verdienstlich oder sträflich ist. Nur das Freiwillige kann sträflich sein nach dem bekannten Worte des Augustin: „Die Sünde ist so sehr etwas Freiwilliges, daß sie nicht Sünde wäre, wenn sie nicht freiwillig wäre.“ Gleichermaßen kann nur das Freiwillige verdienstlich sein. Nur einer That des Willens kommt ganz unmittelbar Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit zu, bei einer äußerlichen Handlung kann nur mittelbar von Freiwilligkeit die Rede sein. Denn eine äußerliche Handlung ist stets vermittelt durch eine innerliche That des Willens und allein darin liegt ihre Freiwilligkeit. Wenn also eine äußerliche Handlung nur dann sündlich ist, wenn sie ruht auf einer That des Willens, die auf Begehen oder Unterlassen gerichtet ist, wenn hingegen eine That des Willens schon sündlich ist, auch wenn sie gar nicht zur äußerlichen Handlung wird, so folgt hieraus, daß ein äußerliches Handeln nur dann verdienstlich sein kann, wenn es durch ein innerliches vermittelt ist. Die weitere Folge ist, daß ein Mensch um eines äußerlichen Werkes willen, das er mit Willen that, nicht mehr wirklichen Lohn verdient, als er schon um seines Willens willen verdient hatte. Augustin sagt: „Es ist unmöglich, daß schlechte Werke hat, wer gute Gedanken hat.“ Niemand kann etwas thun, oder um etwas zu thun seine Glieder regen, wenn es nicht zuvor die Gedanken befohlen haben; darum soll man sonderlich über seine Gedanken wachen und über das Herz, aus dem nach der Schrift gute und arge Gedanken kommen.
Darum sagt Gregor: „Vor der Thür des Herzens muß Wache halten ein starker und männlicher Muth, den weder der Schlaf der Lässigkeit überfällt, noch der Irrthum der Unwissenheit täuscht. Das ist ein verrathener und verkaufter Mann, der sich nicht mit geistlicher Tapferkeit und Wachsamkeit wappnet; denn während er sich einbildet tugendhaft zu leben, bringen ihm, ohne daß er es weiß, die neben einschleichenden Laster den Tod. Der Eingang zur Seele ist also mit aller Kraft zu bewahren, damit nicht durch das Löchlein eines unbewachten Gedankens die Feinde in die Seele dringen. So wollen wir denn thun, was noth ist, wir wollen unsere Tugenden von ihrem ersten Entstehen an mit höchster Aufmerksamkeit verfolgen, damit sie nicht etwa aus böser Quelle fließen, ob sie auch äußerlich noch so sehr gut scheinen.“ Weiter sagt Gregor: „Auf dreierlei Weise stellt der alte Feind unsern guten Werken nach, um, was vor Menschen recht gethan scheint, vor den Augen des Richters zu beflecken, der das Herz ansieht. Das eine Mal schiebt er einem guten Werke schon eine schmutzige Absicht unter und natürlich kann dann alles Weitere, was noch folgt, nicht rein sein, weil es einen trüben Ursprung hat. Ein ander Mal gelingt es ihm nicht die gute Absicht zu beflecken, die man bei einem guten Werke hat, aber während man es thut, so gleichsam unterwegs, findet er sich her zu und dem Geiste, der durch einen guten Vorsatz allzusicher geworden war, wird durch heimliche Einschwärzung lasterhafter Gedanken meuchlerischer Weise der Todesstoß versetzt. Wieder ein ander Mal hängt er weder der guten Absicht einen Makel an, noch stört er im weiteren Verlaufe das gute Werk mit seinen bösen Künsten, sondern stellt seine Schlingen erst auf, wenn das gute Werk seiner Vollendung naht. Je mehr der Feind sich den Anschein gibt, als sei er von dem Hause deines Herzens und von dem Werke, das du thust, in weite Ferne zurückgewichen, desto mehr rechne darauf, daß er mit schlauester List auf die Vollendung des guten Werkes paßt, um dich zu Falle zu bringen; und je sicherer und unvorsichtiger er dich durch sein scheinbares Zurückweichen gemacht hat, desto häufiger wird er dir plötzlich eine schwere und unheilbare Wunde beibringen. Wenn also der böse Feind sieht, daß dein Herz leicht zu berücken ist, so bläst er die Reinheit deiner guten Absichten durch die böse Luft der vergänglichen Weltgunst hinweg und befleckt das gute Werk schon bei seinem ersten Entstehen. Gelingt ihm das nicht, so legt er dir verborgene Schlingen auf den Weg, er verleitet mit List dein Herz zur Sünde durch die hochmüthige Freude über den guten Fortgang deines Werkes und sorgt also dafür, daß es im weiteren Verlaufe einen ganz anderen Charakter gewinnt, als bei seinem Beginne. Oft wird durch das menschliche Lob, das einem guten Werke entgegengetragen wird und das, obschon es nicht gesucht war, dennoch, wenn es entgegenbracht wird, freudig erregt, der Geist dessen, der es thut, ganz wie umgewandelt; diese Freude erschlafft den Geist, alle Kraft des festen Willens entweicht ihm. Oft schleicht sich in ein wohl begonnenes Werk der Gerechtigkeit unversehens ein zorniger Eifer ein, der, indem er für das Rechte eifert, die Seele mit einer maßlosen Unruhe erfüllt und die innere Ruhe, die alle Heilsgnaden in sich schließt, ganz aus ihr verbannt. Oft auch überkommt uns bei einem guten Werke eine unmäßige Freude, die den Geist mehr als sie sollte zur Fröhlichkeit stimmt und so unserem Gutesthun allen Ernst und alle Würde nimmt. Wenn aber der alte Feind weder zu Anfang die gute Absicht zu Schanden macht, noch im weiteren Verlaufe seine Künste spielen läßt, so stellt er desto festere Schlingen ans Ende. Darum mußt du ein gutes Werk, das aus dem Quell reiner Gedanken entsprang, in seinem ganzen Verlaufe mit aller Sorgfalt bewachen. Mit allem Fleiße mußt du das Auge deines Herzens vor dem Staube der Bosheit behüten, damit nicht das, was vor Menschen recht gethan erscheint, in sich selbst durch den Makel schlechter Absicht verderbt werde. Du mußt Sorge tragen, daß nicht etwa deiner Werke nur wenige seien, Sorge tragen, daß sie nicht etwa nichts taugen.“ Herr, beschirme mich nach deiner Barmherzigkeit und laß mich Unwürdigen und Armen endlich dahin gelangen, wo man dein Antlitz schauet in Ewigkeit. Amen.