Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Das Gastmahl des Satans

Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Das Gastmahl des Satans

Es wird zur Warnung dienen, einen Blick auf die Behausung zu werfen, in welcher Satan seine Feste zu feiern pflegt; denn wie die Weisheit ihr Haus erbaut und wie sie ihre sieben Pfeiler ausgehauen hat, so besitzt die Narrheit ihren Tempel und ihr Gasthaus, um darin fortwährend solche zu verführen, die sich nicht davor warnen, sondern sich in dieselben hineinlocken lassen. Wenn ihr mir in diese Festhallen folgen wollt, so werde ich euch die Gäste zeigen, die daselbst an vier verschiedenen Tischen verteilt sind, auch werde ich euch die Speisen zeigen, die an den verschiedenen Tischen gereicht werden.

I. Die Lasterhaften.

An dem ersten Tische, auf den ich eure Aufmerksamkeit lenke, indem ich euch jedoch zugleich beschwöre, euch nur nicht daran nieder zu sehen, um mit zu trinken, findet ihr die Lasterhaften. Dieser Tisch der Lasterhaften ist ein lustiger Tisch, mit roten Fahnen geziert, seine Schüsseln sind gar schön und einladend und die Gesellschaft daran ist zahlreich genug. Aber die Verführten wissen nicht, dass sie die Gäste der Hölle sind, und dass alle ihre Feste in der Tiefe der Verdammnis ihr Ende erreichen. Sehet dort den großen Gastgeber eintreten! Er lächelt so glatt, und sein Gewand hat vielerlei Farben. Schwarz sieht er wahrlich nicht aus, vielmehr hat er honigsüße Worte auf den Lippen und seine Augen glänzen bezaubernd. Indem er den Becher schwingt, dessen Wein rot funkelt, ruft er einladend: „Herein, junges Volk ich reiche dir den Becher der Lust und des Vergnügens.“ Das ist der erste Becher. Der junge Mann tut den ersten Zug mit Vorsicht, er will nur einige Tropfen genießen und dann einhalten, denn er will sich ja nicht der Lust völlig hingeben, will nicht kopfüber ins Verderben stürzen. Doch drüben am Abhange blüht eine Blume, die möchte er pflücken, ohne sich der Gefahr auszusehen, in die Tiefe zu stürzen, und dann will er den Becher wieder lassen. Nur einen einzigen Zug daraus und dann soll's vorbei sein. Wer denkt denn daran, sich zu berauschen! Und der eine Trunk zeigt erst, wie süß der Trank ist! O, dass man nicht längst daraus gekostet hat dass man sich diese Freude versagte! Wie das Blut vor Entzücken durch die Adern rinnt! Und der Jüngling setzt nochmals an, er tut einen tiefen Zug und ihm wird heiß, so berauschend heiß und wohl, dass er anfängt, den Bacchus zu preisen und der Venus sein Lob zu sagen, so wie es Beelzebub nur immer wünscht. Nun wird die Sünde in all ihrer verstrickenden Form verherrlicht. Sie ist schön, sie ist angenehm, und Verdammnis scheint ebenso interessant als die Freuden des Himmels. Dann trinkt der Betörte noch einmal und noch einmal und abermals, bis das umnebelte Gehirn in dem Taumel der Sünde ganz verwirrt wird, und es auf die erste Stufe der Versunkenheit hinab geht. Ja, trinkt nur, ihr Trunkenbolde von Ephraim und setzt euch die Krone des Stolzes auf euer Haupt, um uns Narren zu nennen, weil wir euren Becher von uns stoßen. Trinkt mit den Hurern und speist mit den Lüstlingen, und dünkt euch weise, indem ihr es tut; wir wissen aber, dass nach diesen Dingen etwas andres kommt. Euer Wein ist Sodomswein, der auf Gomorrhas Feldern wächst, eure Trauben sind bittere Trauben, deren Wein zum Drachengifte wird, zu dem Gifte der Ottern.

Der Gastgeber erhebt sich mit lauerndem Blick, und da sein Opfer hinlänglich von dem Wein getrunken hat, so vertauscht er den ersten mit einem zweiten, etwas weniger funkelnden Becher. In diesem perlt der Schaum des Vergnügens nicht mehr so frisch. Schal und abgestanden ist der Inhalt, denn er heißt: Übersättigung! Der Mensch hatte Vergnügen genug, er genoss so viel davon, dass er wie der übersättigte Hund das Genossene von sich geben musste, und doch auch wie das unverständige Tier zu dem Ekelhaften zurückkehrte, um abermals zu genießen. „Wo ist Weh? Wo ist Ach? Wo sind rote Augen?“ Wo man beim Wein sitzt. Doch muss man mich recht verstehen, denn ich rede hier nur gleichnisweise vom Wein, indem der Wein der Weltlust ja ebenso wohl die roten Augen bringt, als der wirkliche Wein, und der Lasterhafte muss nur zu bald entdecken, dass alle Lust und alles Vergnügen nichts hinterlässt, als Überdruss. „Es gibt nichts mehr,“ so spricht er zu sich selbst, „was ich nicht gekostet und ausgeführt hätte, ich bin vor keiner Schlechtigkeit zurückgeschreckt, und habe es mit jedem Freudenbecher versucht. Wer gibt mir etwas Neues!? Alle Theater nah und fern sind mir bekannt und ich gebe keinen Deut mehr um sie. Kein Vergnügen blieb mir ungenossen, aber nun ist alles fahl und verblichen, so dass jede Heiterkeit zur langweiligen Frage wird. Was soll man nur beginnen?“ so ruft der Sinkende, und Satan hat ihn schon zur zweiten Stufe hinab gebracht, auf welcher nur träge Unlust nach verflogenem Rausche bleibt.

Tausende trinken von diesem Wein, der niemals den Durst stillt, und die innere Öde wird so groß bei ihnen, dass sie alles darum geben würden, wenn sie nur irgend etwas Neues erfinden könnten, was ihnen eine Abwechselung, nur eine einzige Auffrischung der erschlafften Lebensgeister böte. Ja, es gälte ihnen nichts, ob's auch ein neues Laster, ein neuer Schritt zum Abgrunde wäre, wenn's nur die Nerven wieder aufregen könnte, den Geist wieder aufflackern lassen wollte. Hier unter den Zuhörern sind auch solche Gäste jener Teufelstafeln, an denen sie den Gifttrank schlürfen. O, ihr armen Seelen, ich weiß es, ihr seid die abgetriebenen Rosse des Feindes, ihr habt euch matt und müde gelaufen hinter den Irrlichtern der Lust und der Weltfreuden, und wenn ihr aufrichtig reden wolltet, so würdet ihr zugeben, dass ihr in aller Freude doch keine Freude fandet, dass ihr dem blinden Gaule gleicht, der sich im Kreise dreht. Ihr seid an die Sünde gebunden und könnt in dem Sündenleben doch keinen Genuss mehr finden, denn all ihre gleißende Herrlichkeit gleicht nur der welkenden Blume oder der wurmstichigen Sommerfrucht. Eine Weile schwimmt der betörte Gast in diesen trüben Wassern der Übersättigung, und wenn alsdann die neue Szene beginnt, da zapft der Gastgeber seinen Trank in einen schwarzen Becher. Jetzt schmeichelt er nicht mehr, sondern mit höllischem Triumph und verdammendem Befehle ruft er: „Jetzt musst du trinken,“ und das arme Opfer schreit entsetzt: „O, dass es so weit mit mir kommen musste!“ Arme Seele, hast du es denn nicht gewusst, dass der zweite und dritte Becher stets dem ersten folgen musst!? Nun bist du verloren. und Satan befiehlt: „Trinke weiter!“ Ja, trinke ob dir auch die Kehle verbrennt, ob der Trank auch so heiß sei wie die Lava des Ätna, trinke weiter! Du sollst trinken; wer sündigt, der soll auch in der Sünde leiden; wer seine Jugend in Unkeuschheit verbringt, der soll die Fäulnis in seinen Gebeinen fühlen und Krankheit in seinen Lenden. Wer gegen die Gebote Gottes anstürmt, der muss die Folgen davon meist auch am eignen Körper fühlen, und ich sage euch, ich könnte furchtbare Dinge von diesem dritten Becher des Satans erzählen. Das Haus Satans hat nach vorn hinaus ein Zimmer, das angefüllt ist mit verlockenden Dingen, allein das Hinterzimmer enthält solch grausige Schrecken, dass keine Worte sie beschreiben können. In dem geheimen Gemache hält er die armen Geschöpfe gefangen, deren Leben er zerstörte und die schon die Glut der Hölle unter ihren Füßen empfinden. Vielleicht könnte euch ein Arzt diese Qualen besser beschreiben als ich. Ich mag nicht so viel davon reden, aber dem liederlichen Verschwender will ich es laut zurufen, dass seine Sünde ihm die Armut einbringen wird und dass die Pein des Gewissens, die er sich selbst verschafft, nichts Zufälliges ist, das nur so von ungefähr kommt. nein, er hat sich das alles nur selber bereitet, denn die Sünde bringt später oder früher die bittere Frucht. Wir müssen im Herbste das ernten, was wir im Frühjahr gesät, und das Gesetz der Hölle ist das: „Zuerst der süße Wein und dann die faulen Treber.“ Nun aber haben wir an der Tafel des entsetzlichen Gastgebers noch den letzten Gang zu betrachten, und ihr starken Männer, die ihr so gern über die brüderlich warnende Stimme höhnt, kommt her und trinket auch aus der letzten Schale. Da wird der Sünder an den Rand des Grabes gebracht, nachdem ihm alle Hoffnungen schwanden, wie Goldstaub im Siebe. Jetzt höhnen ihn die eignen Sünden, jetzt starren ihn seine Übertretungen gespenstisch an, er kommt sich vor wie ein Schlachtvieh, das im Netz gefangen ist, und weiß nicht, wie er entrinnen soll. So stirbt er, um aus dem Leiden in endlose Qualen zu versinken. Soll ich es versuchen, den furchtbaren Trank der höllischen Pein zu beschreiben, den der Lasterhafte jetzt ewig hinunter schlingen muss? Blickt einmal hinab in den unergründlichen Abgrund und sehet das siedende Feuermeer. Ha! wie es knistert und glüht, wie das Zähneknirschen und Heulen der Verzweiflung so grausig klingt! Ich sehe hinab und höre die Worte: „Ewige Strafe!“ Der feurige Schlund ist von alters her zubereitet, da fehlt es nicht an Brennmaterial, und der Zorn Gottes entzündet dasselbe, und was dünkt euch von diesem letzten Gang an Satans Tafel? Wer unter uns mag wohnen bei dem verzehrenden Feuer? Du Wüstling dort, ich beschwöre dich im Namen Gottes, stehe auf, verlass diese Tafel, sei nicht so sorglos, wenn der Becher vor dir steht, schlafe nicht so leichtfertig in dem Wohlbehagen, dessen du dich jetzt noch erfreust! Mensch! der Tod steht vor der Tür. Verderben ist sein Geleitsmann! Und ihr lieben Seelen, die ihr aufgezogen seid von gottesfürchtigen Eltern mit warnenden Mutterworten, mit sorgfältiger Vatertreue, o, flieht das Haus der Sünde und der Torheit! Lasst die Worte des weisen Mannes euch ins Herz geschrieben sein und gedenket daran in der Stunde der Versuchung. „Lass deine Wege fern von ihr sein und nahe nicht zur Tür ihres Hauses, denn die Lippen der Huren sind süßer wie Honigseim, und ihre Kehle ist glätter denn Öl, aber hernach bitter wie Wermut, und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Ihre Füße laufen zum Tode hinunter, ihre Gänge erlangen die Hölle.“

II. Die selbstgerechten Gäste.

Bitte, folgt mir weiter und werft eure Blicke einmal auf jenen Tisch drüben in der Mitte des Palastes. Das hättet ihr wohl nicht geglaubt, ihr leichtfertigen Seelen mit eurer gepriesenen Gutmütigkeit, dass überhaupt einige von euch an den Festen der Hölle teilnehmen würden, aber seht ihr es nicht, wie auch für euch der Tisch dort bereitet ist? Ein weißes Tuch bedeckt denselben und alle Gerichte darauf sehen äußerst hübsch und sauber aus.

Dieser Wein kann doch kein Wein von Gomorrha sein, sieht er doch gerade so aus, als hätte man ihn aus Eskols Trauben gedrückt, und als könne er gar keinen bösen Rausch hervorbringen. Er gleicht dem Weine der Alten, die den Rebensaft direkt in den Becher drückten, so dass kein tödliches Gift darin entstehen konnte. Und seht ihr jene Leute an der Tafel, wie sie so selbstbefriedigt drein schauen. Wenn ihr die weißen Teufel fragt, die hier als Diener auftreten, so werden sie euch sagen, dass dies der Tisch für die Selbstgerechten ist, dass hier die Pharisäer sitzen. Ihr könnt den Pharisäer schon erkennen an seinem Denkzettel, an dem breiten Saume seines Kleides, der seinem Bekenntnis entspricht, und Satan verbirgt die Gesellschaft der Lasterhaften hinter einem Vorhang, indem er spricht: „Verhaltet euch still und macht nicht zu großes Geräusch, damit die scheinheiligen Heuchler hier nicht merken, in welcher Gesellschaft sie sind. Dies selbstgerechte Volk ist ebenso wohl bei mir zu Gast, wie ihr, und ich habe sie gerade so sicher, wie euch.“ Und indem er also spricht, verstellt sich Satan in einen Engel des Lichts, erhebt einen vergoldeten Becher, der sogar einem Abendmahlskelche gleicht. Es sieht aus, als enthalte er den Wein des heiligen Sakraments, während es nur der Wein der Selbstzufriedenheit ist, auf welchem die Blasen des Stolzes schäumen. „Ich danke Dir, Gott, dass ich nicht bin wie andre Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.“ Ihr kennt diesen Becher ganz gut, ihr selbstbetrogenen Leser, und ich wünschte nur, ihr kenntet auch den tödlichen Schierling, den er enthält. „Sünde, wie andre Menschen sie haben?“ O nein, wer könnte es von euch behaupten, dass sie euch anklebte? „Warum solltet ihr euch die Gerechtigkeit Christi aneignen, da ihr sie gar nicht bedürft?“ Seid ihr doch ebenso gut wie eure Nachbarn, und wenn ihr nicht selig werdet, so steht es nach eurer Meinung doch fest, dass ihr hättet selig werden müssen. Ihr bezahlt ja alles auf Heller und Pfennig, niemals im Leben habt ihr irgend jemand beraubt, ihr erweist eurem Nächsten Gefälligkeit und seid ebenso gut wie andre Leute.

Dieser erste Becher des Teufels lässt euch von selbst geträumter Würde aufschwellen, und wenn seine Wirkung euer Herz erfüllt, so wird es von verfluchtem Stolze berauscht. Ja, da sehe ich euch so schön, so wohl gesittet, so geputzt in diesem Raume sitzen, wo euch die Bewunderer und sogar manche Gotteskinder umgeben, welche sprechen: „Ach, wenn ich auch so fromm sein könnte wie jener!“ so dass selbst die Demut eurem Stolze noch Nahrung gibt. Wartet ein wenig, ihr salbungsvollen Heuchler, es kommt auch der zweite Gang. Satan blickt ebenso befriedigt auf diese Gäste, als auf die Schwelger dort, und hämisch spricht er: „Diese munteren Gesellen betrog ich mit dem Becher des Vergnügens, den ich dem Überdruss folgen ließ, und euch habe ich ebenso schlau hintergangen. Ihr denkt wohl, es stände ganz richtig mit euch, und weil ihr so denkt, so konnte ich euch doppelt betrügen.“ Und indem er also spricht, setzt er den Becher der Unzufriedenheit und der Gemütsunruhe vor, wiewohl er diesen Trank meistens nicht gern verabreicht, und viele sind es, die ihn nach all ihrer selbstbefriedigten Täuschung zu trinken haben. Betörte Seelen, ich frage euch, ob ihr, wenn ihr allein seid und wenn ihr euch in eurer erträumten Größe vielleicht einmal herablasst, an die Abrechnung der Ewigkeit zu denken, dass ihr dann finden müsst, wie die Rechnung nicht stimmt und wie ihr sie nicht auszugleichen wisst. So wenig Interesse ihr sonst für Christum habt, so werdet ihr euch in solchen Augenblicken doch sagen müssen, dass die Sache ohne Ihn nicht ganz so leicht in Richtigkeit zu stellen ist, als ihr es euch sonst einbildet. Habt ihr nicht zuweilen. empfunden, dass der Felsen, auf dem ihr zu stehen wähnt, bebt? Habt ihr nicht ein Zittern und Knistern unter euren Füßen vernommen? Ihr hörtet den freudigen Klang, wenn Christen sangen:

„Christi Blut und Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott besteh'n,
Wenn ich zum Himmel werd' eingeh'n.
Er schenkt mir weiße Seide,
Gerechtigkeit zum Kleide,
Die bringet stolze Ruh'.“

Aber ihr konntet nicht mitsingen, und wenn man euch fragte, so hieß es missmutig: „Ich bin immer ein guter Kirchgänger gewesen, in all diesen Jahren habe ich niemals den Gottesdienst versäumt, wenn ich auch nicht sagen kann, dass ich solch feste Zuversicht besitze.“ Jawohl, einst hattest du eine Hoffnung die sich auf deiner Selbstzufriedenheit gründete, aber jetzt, wo die zweite Seite folgt, da fühlst du dich nicht mehr so ganz behaglich, und dein andrer Genosse, der die Gottesdienste so fleißig besuchte, der sich taufen ließ, und der sich zu einem besonderen Bekenntnis hielt, obwohl er den Herrn in Wirklichkeit und Wahrheit niemals recht gekannt hatte, auch er muss jetzt gestehen, dass ihm ein Etwas fehlt, was er selbst nicht genau zu beschreiben weiß. Jetzt erbebt das Herz so angstvoll, und man muss es erleben, dass es doch nicht ganz so herrlich ist, wie man geglaubt hatte, auf die eigne Gerechtigkeit zu bauen. Ja, so geht es, wenn der zweite Gang kommt! Doch wartet nochmals ein wenig, so werdet ihr finden, dass Satan noch nicht ruht, sondern dass er in der Todesstunde noch einen dritten Becher für euch in Bereitschaft hat, der euch euren verlorenen Zustand rückhaltlos offenbart. O, wie mancher, der sein Leben in Selbstgerechtigkeit verbracht hat, musste zuletzt diese Erfahrung machen, dass alle die Dinge, auf die er seine Hoffnung gesetzt hatte, ihn trügerisch im Stiche ließen. Einst hörte ich von einer Armee, die in der Schlacht geschlagen war und die dann einen guten Rückzug zu machen versuchte. Die Soldaten flohen hierbei so schnell sie konnten nach der Richtung eines Flusses, wo sie eine Brücke vermuteten, die ihnen den Übergang ermöglichen sollte. Doch als sie an die Brücke gelangten, hallte die Luft von dem Schrei ihres Entsetzens wieder, denn die Brücke, die ihnen zur Rettung dienen sollte, war abgebrochen. Diejenigen, die zuerst an den Rand des Stromes gelangt waren, schrien umsonst, so laut sie konnten: „Die Brücke ist zerstört! die Brücke ist zerstört!“ Die Nachfolgenden drängten in wilder Flucht unaufhaltsam heran; die einen schoben die andern den Abhang hinab, und bald war der Fluss von den Leichen der Ertrunkenen angefüllt. Das Schicksal der Selbstgerechten wird ganz diesen Verunglückten gleichen. Sie dachten: Die Zeremonien und Formen, in denen sie lebten, würden eine Brücke bewerkstelligen, die auch im Tode sich haltbar beweisen müsste, und so versuchten sie es denn mit Taufen und Konfirmieren, mit dem heiligen Abendmahl und mit allerlei guten Werken und Pflichten, allein die Brücke hält nicht aus, und wenn der Tod kommt, so ertönt der Schrei: „Sie ist zerbrochen!“ sie ist zerbrochen!“ Dann gibt es kein Umkehren mehr, der Tod steht dicht hinter euch, er drängt euch vorwärts, und nun könnt ihr euch nur noch sagen, dass ihr die Rettung versäumt habt, indem ihr den törichten Versuch machtet, euch selbst mit euren guten Werken zu erretten. Das ist der letzte Gang und der letzte Becher, und den letzten Trank, den er enthält, werdet ihr nun ewig trinken müssen, gerade so wie die Gräulichen und Lasterhaften, so fromm und gut ihr euch selbst dünktet, so stolz ihr Christum, den Heiland der Sünder, von euch stießt. Jetzt bleibt euch nichts als der Zornwein Gottes. Die Gottlosen werden die Hefe dieses Bechers trinken, und wie hoch ihr euch dünktet, ihr werdet sic mit ihnen teilen. O, lasst euch warnen, o, hütet euch, so lange es noch Zeit ist! Tut euren Stolz hinweg und demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, glaubt an den Herrn Jesum Christum, und ihr sollt errettet werden.

III. Die Weltklugen.

Vorhin seid ihr weisen Leute der Rute und dem Verderben entronnen, aber wir kommen jetzt an einen Tisch, an welchem die redlichen Gäste sich niedergelassen haben, und ich denke, wir finden hier namentlich mehr Fürsten und Könige und Hauptleute und Bürgermeister, mehr Kommerzienräte und Aristokraten als sonst wo. Ihre Tafel nennt man den Tisch der Weltlichkeit. „Pfui,“ höre ich hier einen Mann sagen, „ich verachte das lasterhafte Volk da draußen. Ich habe mein Leben lang tüchtig gearbeitet und habe mir ordentlich etwas erspart, aber nun sehen Sie sich hier diesen jungen Menschen an, der zu keinem Geschäft Lust hat und der ganz auf die liederliche Bahn gekommen ist, und dann stellen Sie sich vor, dass es mein ältester Sohn ist. Ich freue mich nur, dass der Prediger vorhin so scharf predigte, da hat er es doch einmal ordentlich gehört. Mich selbst geht das sonst weniger an; ich habe ja mit diesen Sachen nichts zu tun, denn ich kümmere mich nicht um Religion, und für mich ist es von größerer Wichtigkeit, rechtzeitig zu erfahren, welche Papiere steigen oder fallen, als zu behalten, was der Pastor predigt. Doch für ihn war es gut.“ Jawohl, mein lieber Weltling, rede nur so; ich habe von einem deiner Freunde gelesen, der kleidete sich in Purpur und köstliche Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Kannst du mir vielleicht sagen, was aus ihm wurde? Oder weißt du vielleicht, welches Ende dir bevorsteht? Ich denke, der Beschluss seines Festes wird auch dem Beschluss deines Lebens gleichen, und sofern der Gott dieser Welt dein Gott ist, wird das Ende deines Weges ein gar bitteres und entsetzliches sein. Sieh dir doch nur den Tisch des Weltmenschen an, der nur lebt, um zu gewinnen. Siehst du nicht den überfließenden Becher, den Satan heranbringt, indem er ruft: „Was wollt ihr euch noch um die alten, verbrauchten Regeln der Redlichkeit, oder um die altmodischen Ideen der Religion bekümmern?! Ihr jungen Leute, schlagt euch diese Dinge doch aus dem Sinn und seht nur zu, dass ihr reich werdet, gleichviel auf welche Weise!“ Ja, so spricht der Satan: „Erwerbt Geld, viel Geld! Genießt, nehmt hier den schäumenden Trank!“ Und der junge Mann sieht schon seine Träume verwirklicht. Er schlürft von dem besten Wein der Weltlust und sieht sich von vielen beneidet. „Ach, dass ich auch so viel Glück im Geschäft hätte, wie dieser Mann!“ seufzt da das Herz, das sich von der vergänglichen Herrlichkeit versuchen lässt: „Ich bin so gewandt wie jener; meine Religion lässt mir vieles nicht zu. O, dass ich auch so vorankommen könnte wie er, dass ich ebenso schnell reich zu werden wüsste!“

Komm, lieber Bruder, urteile nicht vor dem Ende. Die Sache hat eine Rückseite, und sie trägt die Überschrift: „Sorgen des Reichtums!“ Der Mann hat Geld genug erlangt; allein, es steht nicht umsonst geschrieben: „Die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke.“ Schlecht erworbener, oder schlecht gebrauchter, oder unnütz aufgespeicherter Reichtum wird mottenfräßig, und der Rost, der sich an das Silber und Gold setzt, zerfrisst nicht nur das kalte Metall, nein, er zernagt das Herz des Menschen, und ein Herz, das solchen Krebsschaden in sich trägt, ist das größte Elend, davon der Mensch geplagt werden kann. Seht euch doch nur einmal diesen Geldwolf an und beobachtet die peinigende Sorge, die ihn belastet, und dann seht jene arme, alte Frau daneben, die nicht weit von seinen Toren wohnt. Im Besitz ihrer paar Pfennige, die sie wöchentlich einnimmt, spricht sie ganz fröhlich: „Herr, ich habe genug.“ Sie fragt niemals, wie es ihr im ferneren Leben ergehen werde, wie sie sterben oder wie man sie begraben werde; sie verbringt ihre Tage wohlgemut und ruht sanft auf dem Kissen des Glaubens. Wie ist dagegen der erbärmliche Tor so unglücklich, der sein ungezähltes Gold bewachen muss, und wie sehen wir ihn so aufgeregt, wenn er das Unglück hatte, fünf Groschen aus der Tasche zu verlieren, oder wenn ein Anspruch an seine Mildtätigkeit gemacht wurde, den er nicht zurückweisen konnte, weil irgend jemand zugegen war, dessen Urteil er scheute. Vielleicht seufzt er auch darum so tief, weil ihm sein eigner Rock zu früh verschleißt.

Und damit gelangen wir zu dem Geiz. Aus diesem Giftbecher werden wohl viele getrunken haben. Möchte Gott uns behüten, dass wir von den feurigen Tropfen keinen in uns aufgenommen hätten. Ein großer amerikanischer Prediger hat einmal gesagt: „Die Habgier brütet das Elend aus.“ Der Anblick vou Häusern, die schöner sind als die unsrigen, von Kleidern, von Juwelen, die wir nicht haben können, von Karossen und allerlei Schätzen, die wir nicht zu erreichen wissen, dieser Anblick und das Verweilen bei demselben lässt die Viper der Habsucht in unsren Gedanken entstehen. Sie raubt dem Armen seine bescheidene Zufriedenheit, quält den Reichen mit dem Gedanken, noch reicher werden zu müssen, und peinigt den Menschen so durch immer wachsende Begier, dass er gar keine Freude und kein Vergnügen mehr mit ansehen mag. Da wird man trübsinnig, wenn man mit Fröhlichen zusammen kommt, und selbst die Weltfreuden und Lustbarkeiten, mit denen sich die Weltlinge ihr leeres Dasein auszufüllen wissen, bestehen für den Geizhals nicht. Mich wundert es nicht, dass Gott dies Laster so besonders in seinem Wort als gräulich bezeichnet. Der Herr sieht das Herz des Geizigen an als eine Höhle, in welcher Nachtgevögel und Schlangenbrut nisten, und Er verabscheut dieses kriechende Getier. Das Leben des Geizigen ist ein Nachtleben, und Gott lässt ihn mit seinem Plunder tun, wie er will, da er ja doch nichts Besseres begehrt. Wenn auch Mammon seinen schönsten Palast in solch einem Herzen errichtete, wenn die Lust alle ihre Künste daran versuchte und die Ehre alle ihre Lorbeerkränze daran verschwendete, solch ein Herz würde doch stets der Totengruft gleichen, in der die Kränze vermodern. Wenn der Geiz bei einem Menschen anfängt, so scheint ihm zuerst alles das, was er besitzt, gar nichts zu sein. „Mehr! mehr! mehr!“ schreit es in ihm, als ob ihn ein schreckliches Fieber plagte, und ob du ihm zu trinken gibst und auf sein Begehren antwortest: Trinke! trinke! trinke nur!“ so wird doch der Durst, der in ihm brennt, trotzdem nur immer wachsen. Seine Begierde gleicht derjenigen der Pferde-Egel, und der Geiz ist ein Wahnsinn, der die ganze Welt an sich reißen möchte, während er das verachtend übersieht, was er bereits ergriffen hat. Er ist ein Fluch, unter welchem Tausende sterben. Manch einer fuhr dahin, indem seine Finger noch das Geld umkrallten und indem sich seine Züge verzerrten, weil er den Schatz nicht mit in den Sarg und in die andre Welt nehmen konnte. Aber auch hiernach folgt noch ein andrer Gang, und mir fällt dabei ein, wie Baxter und andre unter den alten gefürchteten Predigern den Geizhals zu zeichnen pflegten, der nur dafür lebt, um Gold aufzuhäufen und sich dann mitten in der Hölle wieder zu finden. Sie stellten diesen Elenden ihren Zuhörern vor Augen, wie Mammon ihm das geschmolzene Gold in die Kehle gießt, und wie höhnende Teufel, die dabei stehen, schadenfroh rufen: „Nun hast du, was du begehrtest, trinke nur immer zu!“ Und das glühende Gold fließt immer zu. Ich mag mich jedoch nicht weiter in diesen schrecklichen Vorstellungen ergehen, nur weiß ich das ganz gewiss, dass derjenige verloren geht, der hienieden nur sich selber lebt. Wer alle seine Wünsche auf das Irdische richtet, der hat nicht tief gegraben, sondern er baut sein Haus auf den Sand, und wenn der Platzregen kommt, so muss das Haus einen großen Fall tun. Der Geiz verlangt den besten Wein zuerst; zuerst ist er der geachtete Mann, den jeder respektiert und ehrt, dem aber nachher, wenn Gemeinheit die Schätze immer und immer noch zu vergrößern strebte, das jämmerliche Ende nicht ausbleibt, weil die Habgier zuletzt das Gehirn verrückt macht. Und diese entsetzlichen Früchte müssen geerntet werden, wenn du nicht aufhörst, dich dem Weltsinn zu ergeben.

IV. Die geheimen Sünder.

Außer dem allen finden wir aber noch in dem verborgensten Raum von Satans Palast einen vierten Tisch, der für die geheimen Sünder bestimmt ist und an dem althergebrachte Sitte herrscht. In dem dunklen Zimmer sehe ich einen jungen Mann an der Tafel sitzen, und Satan, der selbst den Diener macht, schleicht so leise hinein, dass niemand ihn hört. Abermals kredenzt er einen Becher Nr. 1, der wiederum so unendlich süß ist und nichts andres enthält, als die verborgene Sünde. Gestohlene Wasser sind süß und heimlich verzehrtes Brot ist vergnüglich. Hei, wie süß dies Stückchen war, das ich so ganz für mich allein genoss! Ob jemals etwas Delikateres über die Zunge ging? Es war der erste Schluck, und nach demselben kommt der Wein des beunruhigten Gewissens. Da gehen dem jungen Mann die Augen auf, und er ruft erschreckt: „Was habe ich getan?“ Da heißt es bei Achan: „Als ich den ersten Becher gekostet hatte, sah ich die goldene Zunge und den babylonischen Mantel, und ich dachte: Dies musst du haben.“ Aber nach dem zweiten Trunk heißt es: „Was soll ich tun, um es zu verbergen? Wohin soll ich es bringen? Ich muss graben, so tief graben wie die Hölle ist, denn gar zu leicht kann es entdeckt werden.“

Jetzt bringt der grausige Festgeber einen großen Krug, der mit schwarzem Inhalt angefüllt ist. Und nachdem der geheime Verbrecher auch hieraus getrunken hat, erfasst ihn vollends die Furcht vor der Entdeckung. Er hat keinen Frieden, keine glückliche Stunde mehr. Eine unheimliche Angst treibt ihn von einem Ort zum andern, überall steht das Gespenst der Entdeckung. Auch im Traum sieht er sich verfolgt und eine Stimme flüstert ihm ins Ohr: „Ich weiß alles, ich werde es sagen!“ Da denkt er, dass es seine Freunde vielleicht erfahren, oder dass sein Vater oder seine Mutter es hören werden, was er so heimlich begangen hat. Am Ende kann es auch der Arzt nicht für sich behalten und plappert das unglückselige Geheimnis aus. Solch ein Mensch hat keine Ruhe, denn stets verfolgt ihn die Angst vor dem Gefängnis, und er gleicht jenem Manne, von dem ich einmal las. Derselbe schuldete jemandem eine große Summe, weshalb er stets in dem Gedanken zitterte, dass der Gläubiger hinter ihm her sei. Und als er darum eines Tages mit dem Ärmel an einem Pfahl hängen blieb, ward er davon so erschreckt, dass er laut rief: „Lass mich los, ich muss eilen! Morgen will ich bezahlen!“ In eben solche Lage und Seelenverfassung, wie sie dieser arme Schuldner tragen musste, versetzt sich der Mensch, der sich in heimliche Vergehen locken lässt, die seinen Fuß flüchtig machen. Und endlich kommt doch die Entdeckung als letzte bittere Schale. Zuweilen wird sie schon auf Erden getrunken, da die Sünde meistens schon hienieden ihren Mann ausfindig macht, aber welche schrecklichen Offenbarungen wird es vor dem großen Richterthron der Menschen geben, wo der letzte Becher des Offenbarwerdens eingeschenkt ist.

Der Mann, der den religiösen Versammlungen vorstand, der als ein Heiliger verehrt wurde, er wird doch zuletzt ganz nackt und offenbar ohne Maske erscheinen müssen, um das Urteil des Richters und das Urteil der Welt zu vernehmen. Dann wird er der Ausgestoßene und der Verachtete sein, der überall die Verurteiler findet. Nehmen wir an, der vorgeschlagene Vertreter brächte es fertig, in diesem ganzen Leben unentdeckt zu bleiben obwohl ich kaum glaube, dass es möglich wäre - welch ein Trank wird ihm werden, wenn er ohne Hülle im Lichte Gottes seine wirkliche, schwarze Gestalt zeigen muss. „Kerkermeister, führe ihn hinaus! Du gefürchteter Höllenbeschließer, wirf ihn in das Gefängnis!“ Die ganze Welt ist versammelt, und nun kommt der Mann, der sich so sein verstellen konnte, und es dröhnt ihm die Frage entgegen: „Hast du dich nicht auf dein religiöses Bekenntnis gestützt? Wurdest du nicht von jedermann für einen Heiligen gehalten?“ Und der schlaue Betrüger steht sprachlos da, während es aus der Menge zu ihm herüber schallt: „Wir haben es immer gedacht!“ Das Buch ist geöffnet, die Taten werden verlesen, Übertretung auf Übertretung wird offen dargelegt und die Gerechten erheben ihre Stimme mit Abscheu gegen den Mann, der sie betrog und der unter ihnen wohnte, wie ein Wolf im Schafspelz. Ha, wie furchtbar muss es sein, den Zorn der ganzen Welt über sich losbrechen zu sehen! Wohl kann der Gerechte den Zorn des Gottlosen tragen; allein, wenn der Ungerechte die Verachtung und den verdienten Abscheu für ewig tragen muss, so wird dies eins der schrecklichsten Dinge aus. machen, welche die Verdammnis in sich fasst, und ich brauche nicht hinzuzufügen, dass diese Pein zu dem letzten Todestrank gehört, den der Teufel dem heimlichen Sünder ohne Aufhören ewig einfüllt.

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