Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Einige allgemeine Irrtümer
Oft nimmt man an, die Erlösung könne nicht anders geschehen, als auf sehr unbegreifliche und sehr geheimnisvolle Weise, und der Prediger wie der Priester müssten unbedingt dabei beteiligt sein. Hierauf möchte ich euch allen das Eine entgegnen: wenn ihr niemals einen Prediger gehört hättet und niemals die Stimme eines Bischofs oder eines Ältesten der Kirche in euer Ohr gedrungen wäre, und ihr rieft den Namen des Herrn an, so würde darum eure Errettung ohne solche Vermittler doch ganz ebenso sicher sein, als wenn sie ihr Werk mit dabei gehabt hätten. Wir alle, die wir den Herrn Jesus lieb haben, wir sind alle Geistliche in gewissem Sinne, und sofern dir Gott die Fähigkeit dazu gibt und sein Heiliger Geist dich dazu beruft, so kannst du das Evangelium ebenso gut verkündigen, als irgend jemand auf der weiten Welt. Keine priesterliche Hand, kein Presbyterium, dessen Einsetzung noch so groß niedergeschrieben ist, keine Ordination von Menschen ist notwendig, sondern wir nehmen das einfache menschliche Recht in Anspruch, davon reden zu dürfen, was wir glauben, und wir folgen dem Drange des Geistes, der uns Gottes Wahrheit zu bezeugen heißt. Kein Paulus, keine Engel vom Himmel, kein Apollo, kein Kephas kann dir bei deiner Erlösung helfen, sie kommt von keinem Menschen, von keiner Gemeinschaft her, und weder ein Papst, noch ein Erzbischof ist im Besitz der freien Gnade, die er dir oder andern mitteilen könnte. Jeder einzelne muss für sich selbst zur Quelle gehen und sich auf die Verheißung stützen: „Wer den Namen des Herrn wird anrufen, soll selig werden.“ Wenn ich in den sibirischen Bergwerken eingekerkert wäre, wo ich niemals das Evangelium hören könnte, und ich riefe Jesu Namen an, so wäre mir der Weg ohne jeden Priester zu Ihm doch jeden Augenblick offen, und der Himmelspfad ist mitten in der afrikanischen Wildnis oder in dem dumpfen Gewölbe des Gefängnisses gar nicht verschlossener oder weiter, wie in dem schönsten Gotteshause. Dies schließt aber keineswegs es aus, dass alle Christen den Gottesdienst und die Predigt von Herzen lieben, und dass ihnen das Predigtamt als zu ihrer Förderung stets achtbar und wichtig bleibt, wiewohl ihre Erlösung hiervon nicht abhängt. Ihr Vertrauen gründet sich nicht auf Priester oder Prediger, so wahr und teuer ihnen auch das Wort in seiner vollen Bedeutung bleibt, das da heißt: Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die den Frieden verkündigen.“
Ein andrer weit verbreiteter Irrtum besteht darin, dass man denkt, ein Traum sei etwas, das zur Errettung besonders wirksam sei, und viele von euch werden gar nicht ahnen, wie viele Anhänger diese Ansicht hat. Ich für meine Person weiß es nur zu gut. Wenn jemand zum Beispiel träumt, er habe den Herrn Jesum gesehen, so meint er, nun sei er wegen solchen Traumes erlöst, und wenn solch ein Traum euch fehlt, so vermeint ihr, nicht errettet sein zu können, weil ihr denkt, ihr müsstet Ihn am Kreuze sehen, oder ein Engel müsste erscheinen, oder eine besondere Stimme müsse euch zurufen, dass ihr Vergebung empfangen. Viele Seelen stehen in dieser Meinung, und wenn sie recht hätten, so würde es ja keinen besseren Rat geben, als gleich so viel Opium, wie nur möglich, zu nehmen. Dann könnten die Prediger ja lieber mit Opium handeln, welches sie reichlich unter ihre Leute verteilten, damit sie sich in den Himmel träumten. Hinweg mit diesen Torheiten! sie enthalten nichts Verständiges. Wie können denn Träume, als ungeordnete Gebilde einer erregten Phantasie, das Mittel zur Erlösung sein? Ihr kennt ja Rowland Hill, und ich muss eine Antwort, die er einst gab, in Ermangelung von etwas Besserem, anführen: Als eine Frau ihm erzählte, sie sei erlöst, weil sie so und so geträumt habe, entgegnete er sehr ruhig: „Jawohl, meine gute Frau, es ist sehr hübsch, zu träumen, wenn man schläft, aber ich möchte nur erst beobachten, wie Sie handeln, wenn Sie wachen. Wenn Ihr tägliches Leben im wachen Zustande nicht mit der Religion übereinstimmt, so gebe ich keinen Deut für alle Ihre Träume; ich würde es früher gar nicht für möglich gehalten haben, dass Menschen so unsinniges Zeug zusammen bringen könnten, wie ich es gerade über Träume habe anhören müssen.“ Die armen, dummen Seelen träumten von offenen Himmelstoren, wo ihnen ein Engel die Sünden abwusch, und meinten dann, sie hätten niemals mehr einen Zweifel oder eine Furcht gehabt. Gehört ihr vielleicht zu diesen? so will ich euch nur sagen, dass ihr noch allen Grund zur Furcht habt, sofern eure Hoffnung auf keinem andern, als nur auf diesem Grunde ruht. Der Grund ist ein sehr unsicherer, und ich bitte euch, es ernstlich zu beherzigen, dass das Wort Gottes nicht sagt: „Wer von Gott träumt,“ sondern „wer den Namen Gottes anruft.“ Träume können bisweilen sehr dienlich sein, sie können die Menschen aus ihrem toten Zustande aufschrecken, so dass sie ganz außer sich geraten und in ihrer Aufregung nicht so viel Böses begehen, als im ruhigen Zustande; doch wenn wir unser Vertrauen auf Träume. setzen wollen, so bauen wir immer wieder unsre Hoffnungen auf Seifenblasen, die vom leisesten Winde zerplatzen. Beherzigt es doch, dass es gar keiner Visionen und keiner wunderbaren Erscheinungen bedarf, ob ihr es auch nicht zu verachten braucht, wenn euch eine Vision oder ein Traum geschickt wird. Sie können euch Nutzen bringen, aber ihr dürft euer Vertrauen nicht darauf setzen, und wenn ihr keine solche besonderen Dinge erlebt habt, so haltet euch doch getrost daran, dass die Verheißung ganz allein an das Anrufen des Namens Gottes geknüpft ist. Um auf etwas andres überzugehen, so gibt es manche Personen, welche durchaus glauben, sie müssten ganz besondere Gefühle haben, ohne die sie sich nicht als errettet ansehen dürften, denn ganz absonderliche Gedanken, oder sonst etwas, das sie früher niemals empfunden, müsse doch dazu gehören. Eines Tages suchte mich eine Frau auf, welche in unsre Gemeinde aufgenommen zu werden wünschte. Ich fragte sie daher, ob sie sich denn auch bewusst sei, dass eine Veränderung ihres Wesens stattgefunden habe, und sehr zuversichtlich antwortete sie mir: „O gewiss, mein Herr! Eine große Veränderung! Wissen Sie, ich fühlte es so seltsam durch meine Brust ziehen, und als ich eines Tages mitten im Gebet war, da wurde es mir so sonderbar zu Mute, dass ich gar nicht wusste, wie mir geschah. Es war ganz anders als sonst, und dann, an einem Abend aus der Kapelle zurückkehrend, fühlte ich mich so leicht und umgewandelt, wie niemals zuvor.“ „Jawohl, meine Liebe,“ entgegnete ich, „Sie fühlten sich leicht im Kopfe, und das war alles, wie ich fürchte.“ Die gute, einfältige Frau hatte irgend eine Erleichterung ihrer Lungen oder sonst ein körperliches Wohlbefinden empfunden und dann geglaubt, nun sei mit ihrer Seele alles in Richtigkeit, was viele von euch wohl kaum für glaublich halten mögen, allein ich kann euch versichern, dass es viele gibt, deren Hoffnung auf den Himmel gar keinen festeren Grund hat. Ich rede hier von Dingen, die sehr allgemein verbreitet sind. So erzählte mir unter andrem ein Mann, er sei in seinem Garten gewesen, wo er die Wolken beobachtet habe, und da sei ihm der Gedanke gekommen: „Sieh', der Herr kann deine Sünde hinweg nehmen, wie die Wolken“, und als diese gleich darauf verschwunden gewesen, da habe er sich gesagt: „Nun wäscht der Herr deine Sünden ab.“ Da denkt ihr wieder, wie kann man nur solch leichtfertige Ideen haben? aber ich versichere euch, sie kommen leider sehr häufig vor, und es ist durchaus keine Seltenheit, dass die dümmsten Geschichten, die man nur erdenken kann, als Beweise der göttlichen Gnade hingestellt werden. Wenn aber von Gefühlen die Rede ist, so will ich nur sagen, dass ich gar keines andren Gefühls bedarf, als das meiner Sündhaftigkeit, und das Gefühl der Gewissheit, dass Christus für meine Sünden gestorben ist. Behaltet eure Visionen und Erregungen und Ekstasen, eure Freudenausbrüche mag nichts von alledem, denn ich wünsche mir nur die tiefe Empfindung der Demütigung und der Buße, die sich am Glauben anklammert, und weiß, dass jeder arme Sünder, der dieses erlangt, sich als gerettet ansehen darf. Ich wiederhole es noch einmal, dass keine elektrischen Schläge und keine wunderbaren Zeichen dazu gehören, und mit Nachdruck erinnere ich an das Wort: Das Wort ist dir nahe in deinem Munde und in deinem Herzen. „So du von Herzen glaubst, dass Jesus Christus der Herr sei, und so du mit dem Munde bekennst, so wirst du selig.“ Wozu bedarf es da noch all der Träume und der übernatürlichen Gedanken? Als schuldbeladener Sünder habe ich nur zu kommen und mich Jesu zu übergeben.
Ist das geschehen, so ist die Seele errettet und alle Träume der ganzen Welt können diese Tatsache nicht fester machen, als sie auf Gottes Wort gegründet ist. Und nun habe ich noch einem Irrtum zu begegnen, der gerade unter den Armen sich einschleicht, und den ich sehr viel bei den Ungelehrten zu bekämpfen habe. Dieser Irrtum besteht nämlich darin, dass arme, meist ungelehrte Leute denken: die Gelehrten hätten es viel leichter, selig zu werden. Gar oft haben mir die Armen auf all mein Reden mit dumpfer Ergebung geantwortet: „Herr, das ist nichts für so arme, unwissende Geschöpfe wie wir sind! Worauf soll ich denn hoffen? Ich kann ja nicht einmal lesen. Wissen Sie denn nicht, dass ich nicht einmal einen Buchstaben kenne? Wenn ich nur etwas lesen könnte, so könnte ich vielleicht auch selig werden, aber nun weiß ich ja nichts und verstehe ja nichts.“ Diese Entschuldigungen brachten mir in ländlichen Gegenden auch solche Leute vor, die das Lesen hätten recht gut lernen können, wenn sie nur gewollt hätten, und ich glaube, es gibt überhaupt nicht viele, denen die Gelegenheit gar nicht geboten wäre. Sie sind nur zu gleichgültig, zu kalt und träge und geben sich mit der Idee zufrieden, dass der Prediger wohl gut reden hat, weil er die Bibel so schön lesen kann, und dass ein andrer gewiss selig wird, weil er immer so laut Amen sagt; dass der Patron gewiss in den Himmel kommt, weil er so viel weiß und weil er so viele Bücher in seiner Bibliothek besitzt; dass sie, die Armen, aber all diese Güter nicht erlangen können, und dass es darum auch unnötig wäre, über dieselben nachzudenken. Meine lieben, armen Freunde, ihr gebraucht nicht viel, um in den Himmel zu gelangen, aber ich möchte euch doch bitten, dasjenige zu lernen, was möglich für euch ist. Seid nicht träge in dem, was ihr euch geistig aneignen könnt, aber wisset das Eine, was Gottes Wort sagt: „Es wird daselbst eine Bahn und ein Weg sein, dass auch die Toren nicht irren können.“