Spurgeon, Charles Haddon - Stärkende Worte von des Heilandes Lippen.
Gehalten am Sonntag, den 2. April 1876.
„Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.„
2. Kor. 12, 9.
Paulus richtete sein Gebet, als er von des Satans Engel mit Fäusten geschlagen ward, an den Herrn Jesum Christum, und nicht, wie er gewöhnlich tat, an den himmlischen Vater. Dies ist eine einigermaßen bemerkenswerte Tatsache, aber sie erhellt aus der vorliegenden Stelle. Er sagt: „Dafür ich dreimal zu dem Herrn gefleht habe;“ und dass der Herr hier der Herr Jesus ist, ist ziemlich klar, weil er im nächsten Verse sagt: „auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.“ Sein Gebet war nicht an Gott im Allgemeinen gerichtet, er spricht auch nicht von der Kraft Gottes, sondern sein Gebet war an den Herrn Jesum Christum gerichtet, und es war die Kraft des Herrn Jesu Christi, von der er wünschte, dass sie bei ihm wohnen möge. Es ist ein unfehlbarer Beweis der Gottheit unsers Herrn, dass Gebet an ihn gerichtet werden kann, und dies ist ein Beispiel unter mehreren andern, das uns zeigt, dass wir unsre Bitten nicht nur an den hochgelobten Vater, sondern auch an seinen Sohn Jesus Christus richten dürfen. Es scheint mir etwas ganz besonders Passendes in einem Gebete zu Jesu zu sein, wenn die Versuchung von einem Satansengel kam, weil der Herr Jesus die gleiche Versuchung erduldet hat und den Versuchten beizustehen weiß; überdies ist er darum in die Welt gekommen, dass er die Werke des Teufels zerstöre. Während seines Lebens offenbarte er besondere Macht über die unreinen Geister und trieb sie beständig aus denen aus, die damit gequält wurden. Es war einer von seinen wenigen freudigen Aussprüchen: „Ich sahe den Satan vom Himmel fallen als einen Blitz.“ In dem Namen Jesu wurden die Teufel ausgetrieben, nachdem Christus in die Herrlichkeit hinaufgegangen war. „Jesum kenne ich,“ sagten die Geister, welche die Söhne Skevä vergeblich auszutreiben suchten. Die Teufel fühlten die Macht Jesu, und deshalb war es weise und natürlich, dass der Apostel Paulus sich wenn der Satan ihn schlug, an Jesum wandte und ihn bat, den bösen Geist von ihm weichen zu heißen.
Es ist auch nicht wenig merkwürdig, dass dies Gebet nicht allein an Jesum gerichtet war, sondern auch fast in derselben Art dargebracht ward, als das Gebet unsers Herrn in dem Garten. Der Apostel betete dreimal, eben wie unser Herr es tat, als auch er von den Mächten der Finsternis mit Fäusten geschlagen ward. Der dreimal wiederholte Schrei war sehr dringlich, denn er „flehte“ den Herrn dreimal. Und Paulus, sonderbar genug, erhielt beinahe dieselbe Antwort wie sein Meister, denn unserm Herrn ward nicht verstattet, den Kelch bei Seite zu setzen (er konnte nicht vorübergehen, er trinke ihn denn), aber ein Engel erschien und stärkte ihn, und so ward Paulus nicht von dem Leiden befreit, aber er wurde durch freundliche, tröstende Worte gestärkt und ihm wurde gezeigt, dass Gott durch sein Ertragen der Trübsal verherrlicht werden würde. Ich sehe daher den Herrn Jesum in seinem Diener Paulus wie in einem Spiegel wiederstrahlen; ich höre das dreimal wiederholte Gebet, ich nehme den Kelch wahr, der unverrückt dasteht und ich sehe die Kraft, die in der Schwachheit mitgeteilt wird.
Unser Text fiel von den Lippen Jesu Christi selber, und wenn etwas seine Sprache noch süßer machen könnte, als sie an sich schon ist, so würde es dies sein, dass er selber diese Worte zu seinem auserwählten Apostel sprach. Es ist Jesus, der in den Worten des Textes spricht: „meine Gnade ist genügend für dich, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollendet.“ Diese Wahrheit wirft ein sanftes, mildes Licht auf die Worte, hilft uns, sie zu deuten und macht uns fähig , noch größeren Trost aus ihnen zu schöpfen. Wenn Jesus spricht, so umgibt ein besonderer Reiz jede Silbe.
Es ist nicht leicht, die Zeit des griechischen Zeitworts genau wiederzugeben. Der Apostel sagt uns nicht nur, dass sein Herr diese Worte vor vierzehn Jahren zu ihm sprach, sondern die hier gebrauchte Zeit verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart, als wenn er fühlte, die Antwort sei nicht bloß etwas Vergangenes, sondern etwas, das in seiner tröstenden Kraft fortwährte. Das Echo von dem, was sein Herr gesagt, tönte noch immer durch seine Seele. Ich würde die Meinung des Apostels nicht unrichtig wiedergeben, wenn ich übersetzte: „Er hat gesagt und sagt: Meine Gnade ist genügend für dich.“ Die Worte hatten eine bleibende Wirkung auf des Apostels Gemüt, sie söhnten ihn nicht bloß damals mit dem besonderen Leiden aus, dass ihn quälte, sondern heiterten ihn sein ganzes übriges Leben hindurch auf, nötigten ihn, in allen künftigen Anfechtungen, sich seiner Schwachheit zu rühmen und Gott zu preisen. Es ist etwas Süßes, wenn ein Schriftwort unsern Herzen zu gegenwärtigem Gebrauch eingedrückt wird, aber wenn Gott, der Heilige Geist, eine Verheißung so einprägt, dass sie für die ganze übrige Lebenszeit in unserm Herzen bleibt, dann sind wir in der Tat begünstigt. Die Speise des Elias gab ihm Kraft für 40 Tage, aber was ist die Speise, die bis ins ewige Leben währet? Was für ein Brot muss das sein, das mich die ganze Periode meiner Pilgerschaft ernährt? Hier haben wir also Speise vor uns, die Jesus selbst bereitet, so nahrhaft, dass sein Geist uns an dies Fest bis an unsern Todestag gedenken lässt. O Herr, speise uns jetzt und gib uns Gnade, innerlich dein gnädiges Wort uns anzueignen.
Mit dieser Einleitung, die ich euch während der Rede zu erinnern bitte, da sie meine Gedankenreihe bezeichnet, kommen wir nun zu dem Text selber eine Diamantenreihe, glänzend und kostbar. Im Text bemerken wir dreierlei - erstens allgenügende Gnade; zweitens vollendete Kraft und drittens in wohnende Macht.
I.
In dem Text bemerkt selbst der oberflächlichste Beobachter eine Verheißung allgenügender Gnade. Auf unserm Herrn Jesus ruhte der Geist so, dass er ihm jederzeit genügend war. Niemals verfehlte der Geist, den Menschen Christus Jesus aufrecht zu halten unter der heißesten Arbeit, den furchtbarsten Versuchungen und den bittersten Leiden, und deshalb vollendete er das Werk, das der Vater ihm zu tun gegeben und im Tode konnte er ausrufen: „Es ist vollbracht.“ Der Herr versichert hier seinen erwählten Knecht, dass es mit ihm ebenso sein solle. „Meine Gnade,“ sagt er, „ist genügend für dich.“
Um die volle Bedeutung dieser wenigen Worte ins Licht zu stellen, will ich euch vier Lesarten derselben geben. Die erste, die streng grammatische, ist die erste Meinung, die darin liegt. Wenn wir das Wort, welches „Gnade“ übersetzt ist, als Gunst oder Liebe nehmen denn das liegt auch in dem Worte charis eingeschlossen - wie lautet die Stelle dann? „Meine Gunst ist genügend für dich.“ Bitte nicht um Befreiung von deinen Leiden, bitte nicht um Ruhe, Behaglichkeit oder eine andere Form des Glücks, meine Gunst ist genug für dich, oder wie Dr. Godge es übersetzt: „Meine Liebe ist genug für dich.“ Wenn du wenig anderes hast von dem, was du wünscht, doch gewiss ist es genug, dass du mein Begünstigter bist, ein auserwählter Gegenstand meiner Gnade. „Meine Liebe ist genug für dich.“ Was für ein köstlicher Ausdruck. Ihr braucht keine Erklärung. Wiederholt diese Worte euch selber und fühlt es eben jetzt, dass der Freund eurer Seele auf euch niederblickt und flüstert: „Meine Liebe ist genug für dich.“ Wenn ihr ihn dreimal gebeten habt, euch von euren gegenwärtigen Leiden zu befreien, hört ihn erwidern: „Warum brauchst du mich länger zu bitten? Meine Liebe ist genug für dich.“ Was sagt ihr dazu? Antwortet ihr nicht: „Ja, Herr, das ist sie in der Tat. Bin ich arm, willst du, dass ich arm sein soll, so bin ich es zufrieden, hart geprüft zu werden, denn deine Liebe ist genug für mich: bin ich krank, so lange du kommen und mich besuchen und mir dein Herz offenbaren willst, bin ich zufrieden, denn deine Liebe ist genug für mich. Bin ich verfolgt, ausgestoßen und verlassen, freudig will ich es tragen, wenn ein Gefühl deiner Liebe mich aufrecht hält; denn deine Liebe ist genug für mich. Ja, und wenn ich so allein gelassen werden sollte, dass ich Niemand in der ganzen Welt hätte, der sich um mich kümmerte, wenn mein Vater und meine Mutter mich verlassen sollten und jeder Freund sich als ein Judas erweisen, deine Liebe ist genug für mich.“ Versteht ihr die Bedeutung und seht ihr, wie Paulus dadurch getröstet werden musste, wenn er die Worte in ihrem ersten und natürlichsten Sinne verstand? „O, Paulus, es ist genügend für dich, dass ich dich zu einem auserwählten Rüstzeug gemacht habe, meinen Namen vor den Heiden zu tragen; es ist genug für dich, dass ich dich geliebt habe, ehe denn die Welt gegründet ward, dass ich dich mit meinem kostbaren Blute erlöst habe, dass ich dich berufen, als du ein Lästerer warst und Schaden tatest, dass ich dein Herz verwandelte und machte, dass du mich liebtest, dass ich dich bis auf diesen Tag erhalten habe und dich bis ans Ende erhalten will durch meine unnachahmliche Liebe. Meine Liebe ist genug für dich; bitte nicht darum, von diesen Faustschlägen befreit zu werden; bitte nicht, von Schwachheit und Leiben befreit zu werden, denn diese werden dich in Stand setzen, besser meine Gunst zu genießen, und die ist genug für dich.“
Wir wollen nun unsern Text anders. lesen, indem wir bei unserer Übersetzung bleiben, aber den Ton auf das erste Wort legen - „Meine Gnade ist genügend für dich.“ Welche Gnade ist dies? Bemerkt, wer es ist, der hier verspricht. Es ist Jesus, der redet; deshalb ist es die Gnade des Mittlers, die Gnade, die Jesu Christo als dem Bundeshaupt seines Volkes gegeben ist, die hier gemeint wird. Denkt einen Augenblick daran. Es ist das Haupt, dass zu dem Glied spricht und erklärt, dass seine Gnade genug für den ganzen Körper ist. Das Salböl ist auf das Haupt ausgegossen, so dass es in den Bart hinunter läuft und auf die Gewänder hinab, und siehe, ein armes Glied des Körpers trauert und klagt, weil es fürchtet, bei der reichlichen Salbung übergangen zu werden, aber das Haupt tröstet es, indem es sagt: „Meine Salbung ist genug für dich, da sie genug für alle meine Glieder ist.“ Es ist das Haupt, Christus, in dem alle Fülle wohnt, das zu einem der Glieder seines Leibes sagt: „Die Gnade, die Gott mir ohne Maß gegeben hat für alle Glieder meines Leibes, ist genügend, sowohl für dich als für alle übrigen.“ Geliebte, ergreift diesen Gedanken. Der Herr hat Christo alles übergeben, was die ganze Menge seines Volks nur nötig haben kann; nein, mehr als dieses, denn es ist das Wohlgefallen gewesen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte.“ Und aus seiner Fülle haben wir alle genommen, Gnade um Gnade, und aus dieser Fülle hoffen wir beständig und für immer zu schöpfen. Dies ist die Gnade, welche für uns genügend ist. Es hilft sehr zur Stärkung des Glaubens, wenn ihr die Verbindung sehen könnt, die zwischen euch und eurem Erlöser stattfindet; denn Jesus ist euer Bundeshaupt und es hat Gott gefallen, sich selber und all seine unendlichen Reichtümer dem Herrn Jesu Christo als eurem bundesmäßigen Vertreter zu geben; und als euer Bundeshaupt versichert der Herr Jesus euch, dass die Vorräte, die in ihn für euch niedergelegt sind, für euch genügen. Könnt ihr die Kraft des Mittleramts Christi begrenzen? Wisst ihr nicht, dass Gott durch ihn den Geist nicht nach dem Maße gibt? Seid denn gewiss, dass Christi Gnade für euch hinreichend ist.
Ich will den Text wieder lesen und diesmal den Nachdruck auf die Mitte legen. „Meine Gnade ist genügend für dich.“ Sie ist nun genügend. Du wirst von diesem bösen Geist mit Fäusten geschlagen, aber meine Gnade ist genügend für dein gegenwärtiges Bedürfnis. Paulus, du bist mit Ruten geschlagen und gesteinigt und hast Schiffbruch gelitten und bist oft in Gefahren gewesen, und in all diesen ist meine Gnade für dich genügend gewesen; und nun sage ich dir, dass dies jetzige Leiden, obgleich es eine etwas andere Gestalt als die andern hat, doch eins ist, in dem ich dich aufrechthalten kann. Meine Gnade ist auch hierin genügend für dich. Die Nähe eines Gegenstandes vergrößert seinen Umfang für unser Auge, und so scheint die Trübsal, unter der wir gegenwärtig seufzen, uns größer, als irgend eine, die wir vorher gekannt haben. Vergangene Prüfungen scheinen, wenn wir sie überstanden haben, gering zu sein im Vergleich mit gegenwärtigen Nöten, und deshalb ist die Schwierigkeit die, die Genügsamkeit der Gnade für die jetzigen und bedrückenden Leiden zu sehen. Es ist leicht, an die Gnade für die Vergangenheit und Zukunft zu glauben, aber für dies unmittelbare Bedürfnis darauf zu trauen, ist wahrer Glaube. Gläubiger, eben jetzt ist die Gnade genügend; gerade in diesem Augenblick ist sie genug für dich. Sage nicht, dies ist eine neue Not, oder wenn du es sagst, gedenke daran, dass die Gnade Gottes immer neu ist. Klage nicht, dass etwas Seltsames dir widerfährt, oder wenn du es tust, denke daran, dass Segnungen in Gottes Gnade bereitet sind, die deine seltsamen Schwierigkeiten überwinden werden. Zittere nicht, weil der Pfahl im Fleisch so geheimnisvoll ist, denn die Gnade ist auch geheimnisvoll, und so wird ein Geheimnis das andere überwinden. In diesem Augenblick und in allen Augenblicken, die zwischen hier und der Seligkeit liegen, wird die Gnade Gottes genügend für dich sein. Diese Genügsamkeit ist ohne einschränkende Worte ausgesprochen, und deshalb glaube ich, dass die Stelle bedeutet, die Gnade unsers Herrn Jesus sei genügend, dich aufrecht zu halten, genügend, dich zu stärken, genügend, dich zu trösten, genügend, deine Trübsal dir nützlich zu machen, genügend, dich zu befähigen über sie zu triumphieren, genügend, dich aus ihr herauszuführen, genügend, dich aus zehntausend derselben Art herauszuführen, genügend, dich beim in den Himmel zu bringen. Was immer gut für dich ist, die Gnade Christi ist genügend, es zu verleihen; was immer dir schaden könnte, seine Gnade ist genügend, es abzuwenden; was immer du wünscht, seine Gnade ist genügend, es dir zu geben, wenn es dir gut ist; was immer du vermeiden möchtest, seine Gnade kann dich davor schirmen, wenn seine Weisheit es geböte. O, Kind Gottes, ich wünschte, es wäre möglich, diese Allgenügsamkeit in Worte zu fassen, aber es ist nicht. Lasst mich meine Rede widerrufen: ich bin froh, dass ich sie nicht in Worte fassen kann, denn dann würde sie endlich sein, aber da wir sie niemals aussprechen können, so ist sie, Gott sei gelobt, unerschöpflich und unsre Anforderung an sie kann nie zu groß sein. Lasst mich euch hier die angenehme Pflicht einschärfen, die Verheißung in diesem Augenblick auf euch persönlich anzuwenden, denn kein Gläubiger hier braucht irgend eine Furcht zu hegen, da auch für ihn, eben in diesem Moment, die Gnade des Herrn Jesu genügend ist.
In der letzten Lesart, die ich gebe, will ich den Ton auf das erste und das letzte Wort legen: „Meine Gnade ist genügend für dich.“ Ich habe in der Schrift von dem heiligen Lachen Abrahams gelesen, da er auf sein Angesicht fiel und lachte; aber ich weiß nicht, dass ich je dieses heilige Lachen erfahren, bis vor ein paar Abenden, wo dieser Spruch mir mit solcher Heiligen Gewalt ins Herz geprägt ward, dass er mich buchstäblich lachen machte. Ich hatte ihn durchgesehen, seine Meinung im Original nachgeschlagen, und versucht, ihn zu ergründen, bis ich ihn zuletzt in dieser Weise ergriff: Meine Gnade,“ sagt Jesus, „ist genügend für dich,“ und es sah beinahe aus, als wenn es meinen Unglauben lächerlich machen sollte, denn gewiss, die Gnade eines Solchen, wie mein Herr Jesus ist, ist in der Tat genügend für ein so unbedeutendes Wesen wie ich bin. Es schien mir, als ob ein kleines, sehr durstiges Fischlein von der Furcht gequält würde, dass es den Fluss ganz austrinken möchte, und die alte Themse spräche zu ihm: „Armes Fischlein, mein Strom ist genügend für dich.“ Ich sollte denken, er wäre es, und unausdenkbar mehr noch. Mein Herr schien zu mir zu sagen: „Armes, kleines Geschöpf, das du bist, bedenke, welche Gnade in mir ist, und glaube, dass alle diese dein ist. Gewiss, sie ist genügend für dich.“ Ich erwiderte: „Ach, mein Herr, sie ist es in der Tat.“ Setzt Eine Maus nieder in allen Kornkammern Ägyptens, wenn sie am vollsten sind nach den sieben reichen Jahren, und stellt euch vor, die Eine Maus klagte, dass sie vor Hunger sterben würde. „Sei guten Muts,“ sagt Pharao, „arme Maus, meine Kornkammern sind genügend für dich.“ Stellt euch einen Mann vor, der auf einem Berg steht und spricht: „Ich atme so viele Kubikmeter Luft in einem Jahre ein, ich fürchte, dass ich zuletzt allen Sauerstoff einatmen werde, der die Erdkugel umgibt.“ Gewiss, die Erde, auf welcher der Mann steht, könnte antworten: „Meine Atmosphäre ist genügend für dich.“ Ich sollte das meinen; lass ihn seine Lungen füllen, so sehr er nur kann, er wird niemals allen Sauerstoff einatmen, noch wird der Fisch den Fluss austrinken oder die Maus alle Vorräte in den Kornkammern Ägyptens aufessen. Lässt es euch nicht den Unglauben ganz und gar lächerlich erscheinen, so dass ihr ihn aus dem Hause lacht und sagt: „Komme nie wieder herein, denn mit der Mittleramtesfülle, zu der ich gehen kann, mit einem solchen Erlöser, in dem ich ruhen kann, wie kann ich einen Augenblick lang denken, dass für meine Bedürfnisse nicht gesorgt werden sollte.“ Unser großer Herr ernährt alle Fische der See und die Vögel der Luft und das Vieh auf den Bergen und führt die Sterne und erhält alle Dinge durch die Kraft seiner Hand, wie kann es uns denn an Vorrat mangeln oder wie können wir von Hilfe entblößt sein? Wenn unsre Bedürfnisse tausendmal größer wären als sie sind, so würden sie der Größe seiner Macht zum Versorgen nicht nahe kommen. Der Vater hat ihm alle Dinge übergeben. Zweifle nicht mehr an ihm. Höre zu und lass ihn dir sagen: „Meine Gnade ist genügend für dich. Was tuts, wenn du wenig Gnade hast, ich habe viel: es ist meine Gnade, auf welche du zu blicken hast, nicht deine eigene, und meine Gnade wird sicher genügend für dich sein.“ Bei John Bunjan findet sich folgende Stelle, die genau ausdrückt, was ich selbst erfahren habe. Er sagt, dass er voll Traurigkeit und Schrecken war, aber plötzlich leuchteten diese Worte in ihm auf mit großer Kraft, und dreimal tönte das Wort in sein Ohr: „Meine Gnade ist genügend für dich; meine Gnade ist genügend für dich; meine Gnade ist genügend für dich.“ „O, mir schien,“ sagt er, „dass jedes Wort ein mächtiges Wort für mich war, wie „Meine“ und „Gnade“ und „genügend“ und „für dich;“ diese waren damals und sind mitunter jetzt noch viel größer, als andere Worte.“ Wer da weiß, der Biene gleich, Honig aus den Blumen zu saugen, kann wohl bei jedem einzelnen Wort verweilen und unaussprechliche Befriedigung einsaugen.
„Der Christ im Glaubenslichte
Weiß, wo das Manna fällt,
Den Heiland im Gesichte,
Trotzt er der ganzen Welt;
Ist eigne Kraft zerronnen
Und geht er Jesu nach,
Alsdann hat er gewonnen,
Dann ist er stark, weil schwach.“
II.
Zweitens, in dem Text haben wir vollendete Kraft, „denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollendet.“ Nun, wenn wir wieder den Vergleich zwischen Jesus und Paulus ziehen, bedenkt, Geliebte, dass es so mit unserm Herrn Jesu Christo war. Er war stark seiner Gottheit nach, in ihm wohnt alle Kraft, denn er ist der mächtige Gott; aber wie ward seine Kraft als Mittler vollendet? Die Schrift sagt: „Durch Leiden vollkommen gemacht,“ das heißt, die Kraft Christi, sein Volk zu erretten, wäre nie vollkommen geworden, wenn er nicht die Schwachheit der menschlichen Natur auf sich genommen hätte und in dieser schwachen Natur tiefer und tiefer in Schwachheit hinabgestiegen wäre. Hätte er sich selbst errettet, so hätte er uns nicht retten können, aber indem er alles aufgab, was er hatte, ward er für uns reich, und indem er unsre Schwachheit annahm, war er stark uns zu erlösen. O, menschgewordner Gott, du konntest uns nicht erlösen, bis du zu Bethlehem als Kind in Windeln eingewickelt warst; nein, du konntest die Erlösung nicht vollenden, bis du als bloßer Leichnam an einem Galgen hingst; nein, es war sogar notwendig, dass du in das Grab gelegt warst; dein Werk war nicht erfüllt, bis du drei Tage und Nächte im Schoße der Erde unter den Toten geweilt hattest. Der Herr Jesus konnte sagen: „Meine Stärke ist vollendet in der Schwachheit.“ Dies sollte in Paulo sich verwirklichen und soll in allen Heiligen erfüllt werden. Natürlich ist die Kraft Gottes immer vollkommen; wir verstehen es nicht so, dass irgend etwas nötig ist, um die göttliche Macht vollkommen zu machen, aber die Worte fielen von den Lippen Jesu, als unserm Mittler und Stellvertreter, und es ist seine Kraft, die in Schwachheit vollendet wird. In uns ist dies wahr, zuerst weil die Macht Jesu nur vollkommen in seinem Volk offenbart wird, dadurch, dass er sie trägt, stützt und aufrecht hält, wenn sie in Leiden sind. Wer kennt die Vollendung der Kraft Gottes, bis er sieht, wie Gott arme schwache Geschöpfe stark macht? Da ist eine schüchterne, kränkliche Frau, die ein Leben voll Schmerzen lebt; beinahe jeder Atemzug ist krampfhaft und jeder Pulsschlag ein Schmerz; jedes Glied ihres Körpers ist Qualen unterworfen, von denen Andre kaum träumen; aber seht ihre heitre Geduld! So viel als möglich verbirgt sie ihre Pein, um Andre nicht zu betrüben; ihr hört keine murrende Klage, sondern oft tut sie so heitre Äußerungen, wie wir sie von Personen in voller Gesundheit hören; und wenn sie von ihren Leiben sprechen muss, tut sie es immer in solchem Tone, dass man fühlt, sie hat sie von der Hand des Herrn mit völliger Ergebung angenommen und ist willig, sie so viele Jahre zu tragen, wie der Herr es bestimmt. Ich wundre mich nicht, wenn starke Männer starke Dinge sagen, aber ich habe oft gestaunt, wenn ich solche heldenmütige Worte von den Schwachen und Zitternden gehört habe. Leidende Andere trösten zu hören, wenn ihr meintet, sie selber hätten Trost nötig; ihre Heiterkeit zu sehen, wo ihr und ich, wenn wir halb so viel litten, zur Erde gesunken sein würden - dies ist der Beachtung wert. Gottes Kraft wird vollkommen offenbar in den Leiden der Schwachen. Wenn ihr einen Mann Gottes in Armut geraten sehet, und doch in dieser Armut niemals klagen; wenn ihr seinen Charakter durch Verleumder angreifen hört und er doch unbewegt steht wie ein Felsen in den Wogen; wenn ihr den Frommen verfolgt und von Haus und Hof vertrieben seht um Christi willen und er freudig den Verlust seiner Güter, Verbannung und Schande erträgt, - dann ist die Kraft Gottes in der Schwachheit vollendet. Wenn der Mann Gottes leidet und mit Mangel, Schwachheiten und Not kämpft, dann wird Gottes Macht gesehen. Als die winzigen Geschöpfe Pharao zittern machten, da war es, wo seine Zauberer sprachen: „Das ist Gottes Finger,“ und stets noch kommt Gottes größter Ruhm aus den schwachen und verachteten Dingen.
Dies ist ebenso wahr für den Menschen selbst. Gottes Kraft wird, in des Heiligen eigner Wahrnehmung vollendet, wenn er schwach ist. Brüder, wenn euer ganzes Leben lang euer Geschäft wohl von Statten gegangen ist und ihr einen leichten Lebenspfad gehabt habt, so will ich euch etwas sagen: ihr wisst nicht viel von der Kraft Gottes. Wenn ihr euer Leben lang gesund gewesen seid und niemals gelitten, wenn eure Familien nie durch Verluste heimgesucht worden sind und euer Geist nie niedergeschlagen gewesen, so wisst ihr nicht viel von der Kraft Gottes. Ihr mögt davon in Büchern gelesen haben und es ist gut, dass ihr es habt; ihr mögt sie in Andern gesehen haben und Beobachtung ist nützlich; aber ein Quäntchen Erfahrung ist ein Pfund Beobachtung wert, und ihr könnt nur Kenntnis von der Macht Gottes erlangen durch erfahrungsmäßige Bekanntschaft mit eurer eignen Schwachheit, und ihr werdet diese nicht leicht gewinnen, es sei denn, dass ihr den dornigen, steinigen Weg geführt werdet, den die meisten Heiligen Gottes zu gehen gehabt haben, der beschrieben wird durch das Wort „Trübsal.“ Große Trübsal bringt die große Kraft Gottes zur Erscheinung. Wenn ihr niemals innere Kämpfe und ein Niedersinken des Gemütes fühlt, so wisst ihr nicht viel von der aufrechthaltenden Kraft Gottes; aber wenn ihr hinab geht, hinab in die Tiefen der Seelenangst, bis die Tiefe ihren Rachen über euch zu schließen droht, und dann der Herr auf einem Cherub daher fährt, und flieget, ja, fährt auf den Flügeln des Windes und eure Seele befreit und euch hinauf zu dem dritten Himmel der Wonne nimmt, dann nehmt ihr die Majestät der göttlichen Gnade wahr. O, es muss die Schwachheit des Menschen da sein, gefühlt, anerkannt und betrauert, sonst wird die Kraft des Sohnes Gottes nimmer in uns vollendet werden. So habe ich euch zwei Meinungen des Textes gegeben: Andere sehen die Kraft Gottes in unserer Schwachheit, und wir selber nehmen sie wahr, wenn unsere Schwäche am augenscheinlichsten ist.
Ich denke, der Ausdruck „wird vollendet“ bedeutet auch „führt ihren Zweck aus.“ Leset es so: „Denn meine Kraft führt ihre Absicht in der Schwachheit aus.“ Brüder, Gott hat nicht für uns getan, was er zu tun beabsichtigt, wenn wir nicht unsere eigne Straflosigkeit gefühlt haben; so lange ein Teil von Kraft bleibt, sind wir nur teilweise geheiligt. Wenn unser Herr das in uns zu Stande bringt, worauf er abzielt, so wird das Resultat sein, dass er uns ausleert und uns die gänzliche Nichtigkeit unsers Ich entdecken lässt. Wenn der Herr dich je nimmt wie eine Schüssel und dich von oben nach unten kehrt, dich ganz auswischt und dich aufs Gesimse setzt, dann wirst du fühlen, wie er will, dass du fühlen sollst: das heißt, du wirst fühlen, als wenn du dort auf den Herrn wartetest, dass er dich herunternehme und dich brauche, und dann, sei gewiss, wird er zu seiner Zeit kommen und dich für seine ehrenvollen Dienste brauchen, dir Speise geben für sein hungriges Volk, und dich zu einer Zier bei seinen Liebesfesten machen. Wenn du fühlst, dass du eine volle Schüssel bist, so will ich dir sagen, was in dir ist: du enthältst nichts, als den Spülicht und die Unreinigkeiten der verderbten Natur. Der Herr wird dich nie gebrauchen, bis all das ausgegossen ist und du rein ausgewischt bist und hinweggesetzt, mit nichts vom eignen ich in dir übrig gelassen, dessen du dich rühmen könntest. Alle Heiligen, die bereit sind, zum Himmel zu gehen, fühlen, dass sie weniger als der Geringste sind, aber die Bekenner Jesu, die noch durchaus für die Herrlichkeit nicht bereit sind, sind sehr selbstbewusst und fühlen, dass sehr viel Lobenswertes in ihnen ist. Die, welche in den Himmel eingehen, tragen nichts von ihrem Ich mit sich, auch wird Keiner von uns dort eingehen, so lange wir stolz von unsern Vorzügen reden. Die, welche behaupten, „das höhere Leben“ zu besitzen, haben sich ihrer Reinheit gerühmt, aber die, welche das höchste Leben in der Herrlichkeit genießen, rufen: „Nicht uns! Nicht uns sei Ehre!“ Es ist ein Zeichen unserer Reife für den Himmel, wenn das Selbst tot ist und die Gnade allein herrscht. Die Kraft Gottes ist niemals vollendet, bis unsre Schwachheit vollendet ist. Wenn unsre Schwachheit uns bewusst ist und gründlich gefühlt wird, dann hat die Kraft Gottes ihr Werk in uns getan.
Es ist noch eine andere Meinung da. Die Kraft Gottes wird am meisten vervollkommnet oder am meisten verherrlicht, indem sie unsre Kraftlosigkeit gebraucht. Nehmt an, die Welt wäre durch zwölf Kaiser zu Christo bekehrt worden; die Gründung der christlichen Kirche hätte leicht erklärt werden können, ohne Gott zu verherrlichen. Denkt euch, das Christentum wäre den Menschen aufgezwungen worden mit den harten Beweisen, die Muhamed in die Hand seiner ersten Jünger gab, die Ehre wäre dem menschlichen Mute beigemessen und nicht der Liebe Gottes. Wir wundern uns nicht, dass die Götter der Heiden in Stücke geschlagen wurden, wenn die Säbel so scharf waren und von solchen wilden Kriegern geschwungen wurden; aber wenn wir wissen, dass zwölf niedere Fischer, ohne Waffen oder Rüstung, ohne Schutz oder Ansehen, ohne Wissenschaft oder Philosophie, großartige Systeme des Irrtums umstürzten und das Kreuz Christi an ihre Stelle setzten, so rufen wir anbetend aus: „Das ist Gottes Finger.“ Und so vor Kurzem, als der Herr einen gottseligen Schuhflicker nahm und ihn nach Hindostan sandte, was für ein Werk auch durch William Carey getan ward, das erkannte man klar als durch den Herrn getan. Wenn Missionsgesellschaften hervorragende Gelehrte aussenden wollten, so meinen Einige, dass aller Wahrscheinlichkeit nach der heidnische Geist ihre Fähigkeiten und ihr Genie anerkennen und achten würde, und durch Vernunftgründe überzeugt, wie durch das Talent beeinflusst, würden die Heiden der höheren westlichen Kultur sich beugen. Ja, und dann würden sie bekehrt sein in einer Bekehrung, durch welche Gott nicht verherrlicht würde, sondern der stolze Mensch würde den Ruhm haben. Auf welche Weise würde dies die Ehre Gottes mehren? Gott gebraucht Schwachheit mehr als Kraft, und so wird seine Macht geoffenbart. Alle Stärke, die du hast, mein Bruder, wird von wenig Nutzen in der Sache sein, denn der Herr will nicht deine Kraft erhöhen und dich stolz auf deine Vorzüge machen; deine Schwachheit und Gebrechen wird der Herr wahrscheinlich für geeignet zum Gebrauch ansehen, denn es ist seine Freude, das was niedrig und verachtet ist, zu nehmen und dies zu brauchen, um seinen Zweck auszuführen, damit die Vortrefflichkeit der Macht all sein eigen sei.
Lasst mich zuletzt noch das bemerken: die ganze Geschichte zeigt, dass die große Kraft Gottes immer sich entfaltet und fortgesetzt habe in menschlicher Schwachheit. Brüder, was machte Christumso stark? War es nicht dies, dass er sich herabließ, so schwach zu sein? Und wie gewann er seinen Sieg? Durch seine Geduld, durch sein Leiden; das ist, durch die Dinge, in welchen die menschliche Schwachheit erscheint. Nun, seht auf den mystischen Christus, nämlich die Kirche. Wie ist die Kirche von jeher stark gewesen? Natürlich antwortet ihr: „Durch die Kraft Gottes!“ Ich weiß es; aber was hat die Kraft Gottes zum Vorschein gebracht, so dass sie unleugbar offenkundig ward und demgemäß auf die Menschheit wirkte? Ist das die Kraft der Kirche gewesen? Nein, sondern die Schwachheit der Kirche, denn wenn die Menschen Gläubige haben leiden und sterben sehen, dann haben sie die Kraft Gottes in seinem Volk erblickt. Die Leiden der Heiligen sind die Siege der Wahrheit. Die Märtyrer führten die Reihe an; sie litten am meisten und sind folglich die Vorkämpfer des auserwählten Heeres; die Schwachheit, in der sie elend, leidend, gequält waren, ist die Streitaxt und Kriegswaffe gewesen, womit der Herr den Triumph des Evangeliums bewirkt hat. Als einer der Pastoren einer Gemeinde in London zu Smithfield verbrannt ward, früh am Morgen, da der Frost noch nicht von der Sonne hinweggeschmolzen war, stand um den Scheiterhaufen herum eine Anzahl junger Leute, die gewohnt gewesen waren, seinen Lehren zu lauschen. Sonderbares Ding für junge Gläubige, so früh aufzustehen, um ihren Pastor verbrennen zu sehen! Weshalb meint ihr, seien sie gekommen? Müßige Neugier konnte sie nicht zu einem solchen Schauspiel geführt haben. Es steht geschrieben, dass sie kamen, um den Weg zu lernen. Seht ihr? Sie sahen ihn verbrennen, und kamen in der Absicht, den Weg zu lernen, um selber für Christum zu sterben. Die Kirche Roms konnte nichts mit Leuten anfangen, die aus der Schwachheit, die sie dem Leiden unterwarf, Kraft gewannen, triumphierend zu sterben. Die Schwachheit des Märtyrers, wenn er litt, offenbarte die Kraft Gottes in ihm, die ihn bei seinen Grundsätzen festhielt, während er allmählig von den grausamen Flammen verzehrt ward. Wenn nicht die Menschen arme Würmer gewesen wären, fähig, zertreten zu werden, und fähig, Qualen zu erleiden, so hätte die aufrechthaltende Gnade Gottes nicht so sichtlich offenbart werden können. Gelobt sei der Name des Allmächtigen, er entfaltet seine Macht in unserer Schwachheit, eben wie er aus dem brennenden Busche hervorleuchtete. Er sprach, und siehe! die Himmel und die Erde standen da. Eine wunderbare Schöpfung! Aber damals war nichts da, das sich dem fiat seiner Macht entgegenstellte; sein allvermögendes Wort ward nicht durch den Gebrauch schwacher Werkzeuge gehindert. Wie soll Gott denn noch größere Macht zeigen? Wie soll all macht oder alle Art von Macht gesehen werden? Wie? Brüder, er will nicht nur sein ungefesseltes Wort allein brauchen, sondern er will es beschweren und hindern, indem er schwache und gebrechliche Werkzeuge braucht. Er will in dem Reich der Gnade durch Menschen wirken, die voller Gebrechen sind und seine Absichten ausführen durch Mittel, die in sich selbst ganz untauglich für seine Zwecke sind und dann wird seine Macht doppelt gesehen. Der berühmte Quentin Matsys hatte eines Morgens einen eisernen Brunnendeckel zu machen. Er war ein Meister in der Kunst, das Metall zu formen und konnte es gestalten, als wenn es Wachs wäre. Seine Mitarbeiter waren eifersüchtig und deshalb nahmen sie ihm seine Werkzeuge weg, und doch brachte er mit seinem Hammer ein unvergleichliches Kunstwerk zu Stande. So tut der Herr mit Werkzeugen, die ihm keine Hilfe verleihen, sondern ihn eher hindern, größere Gnadenwerke zu seiner eignen Ehre und Herrlichkeit. Er nimmt uns Arme, die wir Nichts sind und so schwach wie Wasser, und gebraucht uns, um seine Zwecke zu vollführen, und dies ist eine herrliche Entfaltung seiner Allmacht. Die Allmacht, wenn sie tut, was sie will, durch ihr bloßes Wort ist Eins, aber wenn sie mit der Schwachheit einen Bund macht und ihre mächtigen Taten durch Mittel der Schwachheit vollbringt, so ist sie zweifach und offenbart sich doppelt durch die Schwachheit.
III.
Der Beste Teil des Textes ist noch nach: inwohnende Macht. Dr. Adam Clarke gibt uns beim letzten Teil unsers Textes eine höchst nützliche Bemerkung. „Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.“ Das griechische Wort, das hier „wohnen“ übersetzt ist, ist dasselbe Wort, das Johannes braucht, wenn er sagt: „Das Wort ward Fleisch und wohnte (nach dem Griechischen: zeltete) unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Die Stelle, die wir vor uns haben, bedeutet dies: „Ich rühme mich meiner Schwachheit, dass die Kraft Christi in mir zelten möge. Gerade wie das Licht der Schechinah in dem Zelt in der Wüste wohnte unter den groben Dachsfellen, so rühme ich mich ein armes, gebrechliches Zelt und eine Hütte zu sein, dass die Schechinah Jesu Christi in meiner Seele wohnen möge. Erfasst ihr den Gedanken? Ist er nicht voller Schönheit? Seht denn, was Paulus meint, - zuerst stellt er die Kraft Christi im Gegensatz zu seiner eignen Kraft, denn, wenn er nicht schwach ist, so hat er eigne Stärke; wenn also das, was er tut, durch seine eigne Stärke getan wird, so ist kein Raum da für Christi Stärke; das ist klar, aber wenn seine eigne Kraft dahin ist, dann ist Platz da für die Kraft Christi. Wenn mein Leben durch meine eigne Kraft erhalten wird und meine guten Werke in eigner Kraft getan, so ist kein Raum da für Christi Kraft, aber der Apostel fand es nicht so und sagte deshalb: „Ich rühme mich meiner Kraftlosigkeit, dass die Kraft Christi in mir zelten möge.“
Aber was ist die Kraft Christi? Lasst die Stelle, die ich ausführte, es euch sagen die Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Welche Kraft war es denn, von welcher Paulus erwartete, dass sie in ihm gelten würde, als die Kraft der Gnade und die Kraft der Wahrheit? Es muss so sein, weil Gott gesagt hat, „Meine Gnade ist genügend für dich.“ Paulus ergreift diese Verheißung und ruft aus: „Dies ist die Wahrheit und ich baue darauf;“ und deshalb erwartet er, dass die Gnade Gottes und die Treue Gottes in ihm zelten werden und in seiner Seele leuchten. Dies ist die Kraft Christi, die nach seiner Erwartung bei ihm wohnen würde. Was mehr könnten wir wünschen?
Was ist die Kraft Christi? Ich antworte zunächst, es ist Christusartige Kraft: die Art von Macht, die wir in dem Leben Jesu hervortreten sehen. Es war in Christo eine Kraft, die ihm eigentümlich war, wie Alle sehen können, die das neue Testament lesen; eine einzigartige, ihm ganz eigne Macht. Ihr wisst, was die Macht Alexanders war; es war die Macht, Menschen zu beherrschen, sie mit Mut für große Unternehmungen zu begeistern und sie in guter Stimmung zu erhalten, wenn sie Beschwerden zu ertragen hatten. Ihr wisst, was die Macht des Demosthenes war; es war die Macht der Beredsamkeit, die Macht, die patriotischen Griechen zu erregen, um die Fesseln Makedoniens zu brechen. Aber was war die Kraft Jesu? Es war die Kraft, zu leiden, die Kraft, geringgeschätzt zu werden, die Kraft, in die tiefsten Tiefen aus Liebe zu Gott und Liebe zu den Menschen herabzusteigen. Da lag seine Kraft, in jenen fünf siegreichen Wunden, in jenem majestätischen trauervollen Angesicht, „mehr entstellt als das anderer Menschen,“ in jenem großen, mit Angst ringenden Herzen, von dem blutiger Schweiß ausströmte, als er die Menschen vor dem Herren vertrat. Liebe und Geduld waren Christi Macht, und jetzt noch unterwerfen diese sich die Herzen der Menschen und machen Jesum, den Leidenden, zu Jesu, dem König. Deshalb sagt Paulus: „Ich rühme mich meiner Schwachheit, dass die Kraft Christi in mir wohnen möge.“ Ich triumphiere in Schwachheit, in Schmach, in Dürftigkeit, in Verfolgung, in Leiden, um Christi willen, dass ich leiden möge und mich demütigen und gehorsam sein und meine Liebe zu Gott beweisen, eben wie Jesus es tat. Wenn ich schwach bin, so bin ich stark stark, meine Lieben zu beweisen, indem ich die Schwachheit und Trübsale ertrage, die ich um meines Meisters willen annehme.
Was war diese Kraft Christi? Ich antworte wieder: es war ein Teil jener „Macht,“ die nach der Erklärung unsers Herrn ihm gegeben war im Himmel und auf Erden; „Geht hin und lehrt alle Völker.“ Paulus wünschte, dass diese Kraft in ihm zelten möge, denn er wusste recht gut, dass wenn er hingehen sollte und alle Völker lehren,“ er dabei zu leiden haben würde und deshalb, nimmt er das Leiden freudig an, damit er die Macht haben möge. So wie unter den Dachsfellen der Stiftshütte die Herrlichkeit des Herrn schien, so ward die mächtige bekehrende Kraft, die in Paulus wohnte, herrlich geoffenbart, während er Schmach und Verfolgung, Leiden und Tod um Jesu willen erduldete.
Was war ferner die Kraft Christi? Ich antworte, um meine Predigt abzuschließen, seine Kraft lag in seiner Schwachheit, seiner Demütigung, seinem Vertrauen auf Gott, seinem Glauben an Gott, seiner Selbstverleugnung, seiner vollkommenen Hingabe an den Vater; und Paulus sagt, dass er leiden müsse und schwach sein, damit diese selbe Kraft, Nichts zu werden, auf dass Gott verherrlicht werde, in ihm wohnen möge.
Ich bin fertig, wenn ich noch dies sage: Lieben Brüder und Schwestern, geht beim und bittet nie den Herrn, euch stark in euch selber zu machen, bittet ihn nie, euch zu Etwas zu machen, sondern seid zufrieden, Nichts zu sein. Danach bittet, dass seine Kraft in euch Raum haben möge, und dass Alle, die in eure Nähe kommen, sehen mögen, was Gott durch ein Nichts tun kann. Lebt mit diesem Wunsche, Gott zu verherrlichen. Manchmal, wenn Gott uns in seinem Dienste Ehre verleiht, steht ein großes „Ich“ in des Herrn Wege. Zittert, wenn ihr einen armen, schwachen Prediger wirksam sehet im Bekehren von Seelen; dann beginnen alle Zeitungen und Journale seinen Namen auszuposaunen, und alberne Christen, denn deren gibt es die Fülle, fangen an, von ihm zu reden, als wenn, er ein Halbgott wäre, und sagen so große Dinge von ihm und beschreiben ihn als weise und beredsam und groß. So tun sie alles, was sie können, um den guten Bruder zu verderben. Wenn der Mann vernünftig ist, wird er sagen: „Hebe dich hinter mich, du Satan, denn du meinest nicht, was göttlich ist;“ und wenn Gott ihm große Gnade gibt, so wird er sich mehr und mehr in den Hintergrund zurückziehen und tiefer und tiefer vor seinem Gott im Staube liegen; aber wenn sich ein Mann je groß und gut zu fühlen beginnt, so wird entweder ein Fall darauf folgen oder die Kraft Gottes wird von ihm weichen oder der Herr wird in irgend einer andern Weise sein Volk fühlen lassen, dass er seine Ehre keinem Andern geben will. Die besten der Menschen sind Fleisch und Blut und sie haben keine Kraft, ausgenommen, wenn Gott ihnen Kraft leiht, und er wird sie dies erkennen und fühlen lassen. Deshalb erhebt weder Andere noch euch selber, sondern bittet den Herrn euch die Schwachheit selbst sein und bleiben zu lassen, dass in euch seine Kraft sich erzeigen möge. Gebe Gott, dass es so sei, um Christi willen. Amen.