Spurgeon, Charles Haddon - Ein Stoßgebet.
Gehalten am Sonntag Abend, den 9. September 1877.
„Da bat ich den Gott vom Himmel.“
Neh. 2,4.
Wie wir schon bei der Schriftverlesung gesehen haben, hatte Nehemia sich nach dem Zustand der Stadt Jerusalem erkundigt, und die Nachrichten, welche er hörte, verursachten ihm bitteren Gram. „Sollte ich nicht übel sehen?“ sprach er zum König, „die Stadt, da das Haus des Begräbnisses meiner Väter ist, liegt wüst und ihre Tore sind mit Feuer verzehrt.“ Er konnte es nicht ertragen, dass sie ein Trümmerhaufen war die Stadt, die einst so schön und die Freude der ganzen Erde war. Da die Sache ihm auf dem Herzen lag, so begann er nicht mit andern Leuten davon zu sprechen, was sie tun wollten, und entwarf auch nicht einen trefflichen Plan von dem, was getan werden könnte, wenn so und so viele Tausende sich zu einem Unternehmen vereinigten; sondern es kam ihm in den Sinn, dass er selber etwas tun wollte. Dies ist gerade, wie praktische Leute eine Sache anfangen. Die Unpraktischen machen Pläne, ordnen an und spekulieren über das, was getan werden könnte, aber der echte, gründlich zu Werk gehende Liebhaber Zions legt sich diese Frage vor: „Was kannst du tun? Nehemia, was kannst du selber tun? Komm, es muss getan werden und du bist der Mann, es zu tun wenigstens tu dein Teil. Was kannst du tun?“ So weit gekommen, sonderte er eine bestimmte Zeit zum Gebet ab. Es kam beinahe 4 Monate lang nicht aus seinem Sinn. Tag und Nacht schien Jerusalem auf seinem Herzen geschrieben, als wenn der Name auf seinem Augapfel gemalt wäre. Er konnte nur Jerusalem sehen. Wenn er schlief, so träumte er von Jerusalem. Wenn er erwachte, so war sein erster Gedanke: „Armes Jerusalem!“ und ehe er sich schlafen legte, war sein Abendgebet für die zerstörten Mauern Jerusalems. Der Mann Einer Sache, wie ihr wisst, ist ein schrecklicher Mann; und wenn eine einzige Leidenschaft seinen ganzen Menschen ergriffen hat, so wird sicher etwas danach kommen. Verlasst euch darauf. Der Wunsch seines Herzens wird sich in einer offenen Tat kund tun, besonders, wenn er die Sache Gott im Gebet vorträgt.
Etwas kam heraus. Nicht lange, da hatte Nehemia eine Gelegenheit. Ihr Gottesmänner, wenn ihr Gott dienen wollt und nicht die geeignete Gelegenheit finden könnt, wartet eine Weile im Gebet und die Gelegenheit wird wie ein Sonnenstrahl auf eurem Pfad hervorbrechen. Es gab niemals ein aufrichtiges und tapferes Herz, dem es nicht gelang, einen geeigneten Wirkungskreis hier oder da in seinem Dienst zu finden. Jeder fleißige Arbeiter ist nötig in irgend einem Teil seines Weinberges. Ihr mögt zu warten haben, es mag scheinen, als ob ihr müßig am Markt ständet, weil der Herr euch nicht anstellen will, aber wartet im Gebet, mit einem Herzen, das von warmen Vorsätzen übersprudelt, und eure Zeit wird kommen. Die Stunde wird ihren Mann brauchen, und wenn du fertig bist, wirst du als ein Mann nicht ohne deine Stunde sein. Gott sandte dem Nehemia eine Gelegenheit. Diese kam zwar in einer Weise, wie er sie nicht erwarten konnte. Sie kam durch seine eigene Herzenstraurigkeit. Die Sache nagte an seinem Gemüt, bis er sehr unglücklich auszusehen begann. Ich kann nicht sagen, ob Andere es wahrnahmen, aber der König, dem er diente, bemerkte, als er mit dem königlichen Becher vor dem Hofe stand, die Traurigkeit seines Mundschenken und sprach zu ihm: „Warum siehst du so übel? Du bist ja nicht krank. Das ist es nicht, sondern du bist schwermütig.“ Nehemia dachte wenig, dass sein Gebet ihm die Gelegenheit machte. Das Gebet prägte sich auf seinem Gesicht aus. Sein Fasten ließ Spuren auf seinem Antlitz zurück; und obgleich er es nicht wusste, bereitete er sich so die Gelegenheit, als er zum König hinein ging.
Aber ihr seht, als die Gelegenheit kam, kam auch Schwierigkeit, denn er sagt: „Ich aber fürchtete mich gar sehr.“ Du willst Gott dienen, junger Mann, du willst Arbeit. Vielleicht weißt du nicht, was diese Arbeit mit sich bringt. Sie ist nicht lauter Vergnügen. Du sehnst dich nach der Schlacht, junger Soldat, du hast noch kein Pulver gerochen, aber wenn du in der Schlacht gewesen bist und ein paar Hiebe empfangen oder eine Kugel dich durchbohrt hat, so fühlst du nicht so heißes Verlangen nach dem Kampf. Doch drängt der Mutige all dieses bei Seite und ist bereit, seinem Vaterland oder seinem Fürsten zu dienen; so drängt der mutige Christ alle Schwierigkeiten zurück und ist bereit, seinen Kameraden und seinem Gott zu dienen, koste es, was es wolle. Was tuts, wenn ich mich sehr fürchte? Lass es so sein, mein Gott, wenn nur so eine Gelegenheit für deinen Knecht da ist, die Wohlfahrt Jerusalems zu suchen und zu sicheren, die er von ganzem Herzen zu fördern wünscht.
So sind wir dem Nehemia bis zu dem Punkt gefolgt, wo unser Text von ihm redet. Der König Artaxerxes fragte ihn, warum er traurig sei, und er hatte so eine Gelegenheit, ihm zu erzählen, dass die Stadt seiner Väter eine Ruine sei. Darauf fragt der König ihn, was er denn fordere; durch die Art seiner Frage scheint er eine Versicherung geben zu wollen, dass er ihm zu helfen beabsichtigt. Und hier sind wir überrascht, zu finden, dass, anstatt dem König schnell zu antworten die Antwort wird nicht augenblicklich gegeben - ein Zwischenfall eintritt, eine Tatsache erzählt wird. Obgleich er ein Mann war, der sich kürzlich dem Fasten und Gebet gewidmet, so kommt doch dieser kleine Zwischensatz: „Da bat ich den Gott vom Himmel.“
Der Eingang meiner Predigt führt bis zu diesem Satz. Über dieses Gebet habe ich im Sinn zu predigen. Drei Gedanken kommen mir hier, die ich weiter ausführen will: die Tatsache, dass Nehemia gerade dann betete; die Weise seines Betens und die treffliche Art von Gebet, die er brauchte.
I. Die Tatsache, dass Nehemia betete,
heischt Aufmerksamkeit von uns. Sein Herrscher hatte ihm eine Frage getan. Ihr würdet denken, es gehöre sich, darauf zu antworten. Nicht so. Ehe er antwortete, betete er zu dem Gott vom Himmel. Ich denke nicht, dass der König die Pause bemerkte. Wahrscheinlich war sie nicht lang genug dazu, aber lang genug für Gott, um sie zu bemerken, lang genug für Nehemia, um Gottes Leitung zu suchen und zu erhalten, wie er seine Antwort an den König stellen sollte.
Seid ihr nicht überrascht, zu finden, dass ein Mann Gottes Zeit hat zu beten zwischen einer Frage und Antwort? Doch fand Nehemia die Zeit. Wir staunen umso mehr über sein Beten, da er so augenscheinlich beunruhigt im Gemüt war, denn, nach dem zweiten Vers, er fürchtete sich sehr. Wenn ihr verwirrt und beängstigt seid, vergesst ihr leicht, zu beten. Rechnen es nicht Einige von euch als gültige Entschuldigung um die gewöhnliche Andacht zu unterlassen? Wenigstens, wenn Jemand dich gefragt: „Du betetest nicht bei jenem Geschäft?“ so hättest du erwidert: „Wie konnte ich? Es war eine Frage da, die ich beantworten musste. Ich durfte nicht zaudern. Es war ein König, der sie tat. Ich war in Verwirrung. Ich war wirklich so erschreckt und betrübt, dass ich nicht Herr meiner eigenen Bewegungen war. Ich wusste kaum, was ich tat. Wenn ich nicht betete, gewiss, die Versäumnis kann entschuldigt werden. Ich war in einem Zustand wilden Schreckens.“ Nehemia indes fühlte, wenn er erschreckt sei, so sei dies eine Ursache zum Beten, nicht zum Vergessen desselben. So sehr war es seine Gewohnheit, mit Gott in Gemeinschaft zu sein, dass er, sobald er sich in einer Verlegenheit befand, hinweg zu Gott floh, wie die Taube in die Felsspalten fliegt, um sich zu verbergen.
Sein Gebet war umso bemerkenswerter bei dieser Gelegenheit, weil er so sehr viel Eifer für seinen Zweck hatte. Der König fragt ihn, was er wünscht, und sein ganzes Herz ist auf die Erbauung Jerusalems gerichtet. Seid ihr nicht überrascht, dass er nicht sogleich sprach: „O, König, mich verlangt, die Mauern Jerusalems zu bauen. Gib mir so viel Hilfe, als du kannst.“ Aber nein, voll Eifer wie er war, sich auf den gewünschten Gegenstand zu stürzen, zieht er doch seine Band zurück, bis es heißt: „Da bat ich den Gott vom Himmel.“ Ich bekenne, dass ich ihn bewundere. Ich wünsche ihn auch nachzuahmen. Ich möchte, jedes Christen Herz hätte die heilige Vorsicht, welche ihm nicht erlaubte, solche Eile zu haben, dass sie seiner Sache schadete. „Gebet und Vorrat hindern keine Reise.“ Gewiss, wenn der Wunsch unseres Herzens nahe vor uns ist, so sind wir begierig, ihn zu erfassen, aber wir werden umso sicherer sein, den Vogel in unsere Hand zu bekommen, den wir im Busch erspähen, wenn wir ruhig pausieren, unser Herz erheben und zum Gott vom Himmel beten.
Es ist umso überraschender, dass er gerade dann so bedachtsam betete, weil er schon die letzten 3 oder 4 Monate in derselben Sache gebetet hatte. Einige von uns hätten gesagt: „Da ist es, um was ich gebetet; nun ist Alles, was ich zu tun habe, es zu nehmen und zu brauchen. Warum mehr beten? Nach all den Mitternachtstränen und täglichem Schreien, nachdem ich gefastet habe und zum Gott des Himmels gebetet, nach solch ängstlichem Suchen, gewiss, da ist endlich die Antwort gekommen. Was ist zu tun, als das Gute zu nehmen, das Gott für mich bereitet und mich daran zu freuen?“ Aber nein, ihr werdet immer finden, dass der Mann, welcher viel gebetet hat, der Mann ist, der mehr beten kann. Wer da hat, dem wird gegeben, auf dass er die Fülle habe. Wenn du nur die süße Kunst des Gebets kennst, so bist du der Mann, der sie oft ausüben wird. Wenn du mit dem Gnadenstuhl vertraut bist, so wirst du beständig ihn aufsuchen. Obgleich Nehemia diese ganze Zeit über gebetet hat, muss er doch noch eine Bitte darbringen. „Da bat ich den Gott vom Himmel.“
Noch Eins ist der Erinnerung wert, nämlich, dass er in des Königs Palast war, und in dem Palast eines heidnischen Königs dazu; und er war gerade im Begriff, dem König einen Becher Wein zu reichen. Er erfüllte seine Pflicht bei dem Hoffest, ich zweifle nicht, unter dem Schein der Lampen und dem Glanz des Goldes und Silbers, in der Mitte der Fürsten und Großen des Reichs. Oder selbst, wenn es eine Privattafel war, wo nur König und Königin waren, so fühlen doch die Menschen bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich so sehr die Verantwortlichkeit ihrer hohen Stellung, dass sie leicht das Gebet vergessen. Aber dieser fromme Israelit, zu solcher Zeit und an solchem Ort, wenn er vor dem König steht und den goldenen Becher aufhebt, beantwortet des Königs Frage nicht eher, als bis er zu dem Gott vom Himmel gebetet hat.
II. Die Weise seines Gebetes
Das ist die Tatsache, und mich dünkt, sie scheint zu weiterer Nachfrage aufzufordern. So gehen wir weiter, um die Weise dieses Gebetes zu betrachten.
Wohl, in Kurzem, es war, was wir ein Stoßgebet nennen - ein Gebet, was so zu sagen, einen Pfeil abdrückt und dann getan ist. Es war nicht das Gebet, das klopfend vor der Gnadentür steht und klopft, klopft, klopft; sondern es war die Zusammenfassung langen Klopfens in einen Schlag. Es war begonnen und beendet, so zu sagen, mit Einem Streich. Dieses Stoßgebet möchte ich euch empfehlen als eine der besten Formen des Gebets.
Bemerkt, wie sehr kurz es gewesen sein muss. Es ward hineingelegt, hineingebracht, hineingeschoben zwischen des Königs Frage und Nehemias Antwort; und wie schon gesagt, ich glaube nicht, dass es überhaupt eine wahrnehmbare Zeit dauerte - kaum eine Sekunde. Wahrscheinlich bemerkte der König gar kein Pausieren oder Zögern, denn Nehemia war in solchem Zustand der Furcht bei der Frage, dass ich denke, er gestattete keinem Zweifel oder Schwanken sichtbar zu werden, das Gebet muss aufgestiegen sein wie ein elektrischer Funke, sehr rasch in der Tat. In gewissen Zuständen der Erregung ist es wunderbar, wie Vieles durch die Seele gehen kann in kurzer Zeit. Du hast vielleicht geträumt und dein Traum währte nach deiner Meinung wenigstens 1 oder 2 Stunden, doch ist wahrscheinlich - nein, ich glaube, gewiss dass alles Träumen in den Augenblick geschieht, wo du erwachst. Du träumtest gar nicht so lange du schliefst: es war gerade in dem Augenblick, wo du erwachtest, als das Ganze an deiner Seele vorüberging. Da Ertrinkende, wenn sie gerettet wurden, erzählt haben, dass in dem Augenblick, wo sie sanken, das ganze Panorama ihres Lebens an ihnen vorübergegangen sei in Zeit von wenigen Sekunden, so muss die Seele fähig sein, Vieles in kurzem Zeitraum zu vollenden. So ward das Gebet hinaufgesandt wie der Blick eines Auges; es war ein unmittelbares, doch es war eins, das Macht bei Gott hatte.
Wir wissen auch, dass es ein stilles Gebet war; und nicht nur ohne Ton, sondern auch ohne äußeres Zeichen vollkommen verborgen. Artaxerxes wusste nicht, dass Nehemia betete, obgleich er wahrscheinlich nur 2 bis 3 Fuß von ihm stand. Er bewegte nicht einmal seine Lippen, wie Hanna es tat, noch hielt er es für recht, seine Augen zu schließen, sondern das Gebet war ganz und gar ein innerliches. An dem ersten Altar des Tempels - in dem Allerheiligsten seiner eigenen Seele - da betete er. Kurz und still war das Gebet. Es war ein Gebet auf der Stelle. Er ging nicht in seine Kammer wie Daniel und öffnete das Fenster. Daniel hatte Recht, aber dies war eine andere Sache. Nehemia konnte nicht gerade da sich von dem Palast zurückziehen. Er kehrte nicht einmal sein Gesicht zur Wand, und suchte keinen Winkel des Zimmers auf. Nein, sondern da und dann, mit dem Becher in der Hand, betete er zu den Gott vom Himmel und beantwortete dann die Frage des Königs.
Ich zweifle nicht nach der Ausdrucksweise des Textes, dass es ein sehr inniges und direktes Gebet war. Er sagt: „Da bat ich den Gott vom Himmel.“ Das war Nehemias Lieblingsname für Gott - der Gott vom Himmel. Er wusste, zu wem er betete. Er nahm nicht aufs Geratewohl einen Bogen und schoss seine Gebete irgendwie ab, sondern er betete zum Gott im Himmel - ein rechtes gerades Gebet zu Gott um das, was Not tat; und sein Gebet stieg empor, obgleich es vielleicht weniger als eine Sekunde währte.
Es war ein Gebet merkwürdiger Art. Ich weiß, es war so, weil Nehemia niemals vergaß, dass er es tat. Ich habe hundertemale und tausendemale gebetet und erinnerte mich keiner genauen Einzelheit nachher, weder des Anlasses, der mich dazu trieb, noch der Bewegungen, die es erregte; aber es sind ein oder zwei Gebete in meinem Leben, die ich niemals vergessen kann. Ich habe sie nicht in ein Tagebuch geschrieben, aber ich erinnere mich, dass ich betete, weil die Zeit so besonders und das Gebet so dringend war und die Erhörung so merkwürdig. Nun, Nehemias Gebet ward nie, nie aus seinem Gedächtnis ausgelöscht; und als diese Worte der Geschichte niedergeschrieben wurden, schrieb er: „Da bat ich den Gott vom Himmel“ ein klein Stückchen Gebet, hineingepresst zwischen Frage und Antwort ein bloßes Bruchstück der Andacht, wie es schien, und doch so wichtig, dass es in einem historischen Dokument niedergeschrieben ist als ein Teil der Geschichte der Wiederherstellung und des Aufbaues der Stadt Jerusalem, und ein Glied in der Kette von Umständen, die zu diesem wichtigen Ereignis führten. Nehemia fühlte, dass es dies war, und deshalb gibt er den Bericht „Da bat ich den Gott vom Himmel.“
III. Die treffliche Art des Gebetes
Nun geliebte Freunde, ich komme, drittens, um euch diese vortreffliche Art des Gebetes zu empfehlen. Ich werde hauptsächlich zu den Kindern Gottes sprechen, zu euch, die ihr Glauben an Gott habt. Ich bitte euch, oft, nein stets, diese Stoßgebete zu gebrauchen. Und ich wollte zu Gott, dass Einige hier, die nie früher gebetet haben, ein Stoßgebet zu dem Gott vom Himmel hinaufschicken möchten, ehe sie dies Haus verlassen - dass eine kurze, aber brünstige Bitte, ähnlich der des Zöllners im Tempel, von euch hinaufgesandt würde - „Gott, sei mir Sünder gnädig.“
Um nun diese Sache praktisch ins Auge zu fassen: es ist Pflicht und Vorrecht jedes Christen, bestimmte Gebetszeiten zu haben. Ich kann nicht verstehen, wie Jemand lebendige Gottesfurcht aufrechthalten kann, ohne sich regelmäßig zum Gebet zurückzuziehen, Morgens und Abends zum allerwenigsten. Daniel betete dreimal täglich und David sagt: „siebenmal am Tage will ich dich loben.“ Es ist gut für euer Herz, gut für euer Gedächtnis, gut für eure Beständigkeit, dass ihr gewisse Zeiten einlegt und sagt: „Diese gehören Gott. Ich will mit Gott verhandeln zu der und der Zeit und versuchen, so pünktlich mit ihm zu sein, wie bei einer Verabredung mit einem Freund.“ Als Sir Thomas Abney Lord Major von London ward, setzte ihn das Festmahl etwas in Verlegenheit, denn er hatte immer zu einer gewissen Zeit Familiengebet. Die Schwierigkeit war, wie er das Fest verlassen sollte, um die Andacht zu halten; aber so mächtig war ihm dies, dass er seinen Sitz verließ und einem Nahestehenden sagte, er hätte eine Verpflichtung gegen einen lieben Freund, der er nachkommen müsse. Und er kam ihr nach, und kam zu seinem Platz zurück, keiner der Gesellschaft war klüger als zuvor, aber er selbst war besser daran, weil er seine gewohnte Andacht nicht versäumt. Miss Rone pflegte zu sagen, wenn ihre Gebetszeit käme, würde sie es nicht aufgeben, wenn auch der Apostel Paulus predigte. „Nein,“ sagte sie, „wenn alle 12 Apostel da wären und zu keiner andern Zeit gehört werden könnten, so wollte ich mich nicht aus meinem Kämmerlein entfernen, wenn die bestimmte Zeit da wäre.“ Wohl, ich bin nicht ganz gewiss, dass meine Bedenken so weit gehen würden, denn ich denke, wenn ich die Gelegenheit hätte, den Apostel zu der Zeit zu hören, wo ich gewohnt wäre zu beten, und ihn zu keiner andern Zeit hören könnte, so würde ich mein Gebet verschieben, um die Predigt zu hören, und es würde keine Ungehörigkeit in dieser Anordnung sein; wahrscheinlich würde sie von etwas Verstand zeugen. Doch im Allgemeinen ist es wünschenswert, pünktlich und genau zu sein, sowohl in der Privat-, als in der öffentlichen Andacht. Seid nicht nachlässig, sondern wachsam; nie träge, sondern regelmäßig im Halten eurer bestimmten Gebetszeiten.
Aber nun, nachdem ich die Wichtigkeit solcher regelmäßigen Übung euch ans Herz gelegt, möchte ich den Wert einer anderen Art von Gebet einschärfen; nämlich, die kurzen, schnellen, häufigen Ausrufungen, von denen uns Nehemia hier ein Beispiel gibt. Und ich empfehle dieses, weil es kein Geschäft hindert und keine Zeit wegnimmt. Ihr könnt euren Stoff abmessen oder eure Gewürze abwiegen, oder eine Rechnung aufmachen und zwischen den einzelnen Punkten könnt ihr sagen: „Herr, hilf mir.“ Ihr könnt einen Seufzer zum Himmel hinaufschicken und sagen: „Herr, erhalte mich.“ Es nimmt keine Zeit weg. Es ist Ein großer Vorteil für Personen, die mit Geschäften überhäuft sind, dass solche Gebete sie nicht im Geringsten unfähig machen zu den Geschäften, die unter ihren Händen sind. Ihr braucht nicht an einen besonderen Ort zu gehen. Ihr könnt stehen, wo ihr seid, in einer Droschke fahren, die Straße entlang gehen, der unterste Säger in einer Sägegrube sein, oder der oberste, und doch eben so gut Gebete wie diese beten. Kein Altar, keine Kirche, kein sogenannter heiliger Ort ist nötig, sondern wo du auch bist, wird solch kleines Gebet das Ohr Gottes erreichen und einen Segen gewinnen. Solch Gebet kann überall, unter allen Umständen hinaufgesandt werden. Ich kenne keine Lage, in der ein Mensch nicht solches Gebet darbringen könnte. Auf dem Land oder auf der See, in Krankheit oder Gesundheit, beim Verlust oder Gewinn, großem Unglück oder Glück, überall kann er seine Seele in kurzen, raschen Worten vor Gott ausströmen lassen. Der Vorteil dieser Gebetsweise ist, dass ihr oft beten und immer beten könnt. Wenn ihr euer Gebet auf eine Viertelstunde ausdehnen müsst, so ist es euch vielleicht nicht möglich, die Zeit zu erübrigen, aber wenn es nur eine Viertelminute braucht, nun, dann, dann kann es wieder und wieder und wieder kommen - hundertemal am Tage. Die Gewohnheit des Gebets ist segensreich, aber die Gebets-Stimmung ist besser; und diese ist es, die Mutter jener Ausrufungen ist, und ich liebe sie, weil sie eine fruchtbare Mutter ist. Viele Male am Tage können wir mit dem Herrn, unserem Gott sprechen.
Zu solchem Gebet kann jede Art von Umgebung uns antreiben. Ich erinnere mich, dass einst ein armer Mann mir ein Kompliment machte, das ich damals sehr schätzte. Er lag im Hospital und als ich ihn besuchte, sagte er: „Ich hörte Sie einige Jahre lang und jetzt erinnert mich alles, was ich sehe, an das Eine oder Andere, was Sie gesagt haben und kommt mir zurück, so frisch, als da ich es zuerst hörte.“ Nun, wer Stoßgebete betet, wird finden, dass Alles um ihn her ihm in der heiligen Gewohnheit hilft. Ist es eine schöne Landschaft? Sprich: „Gelobt sei Gott, der diese Schätze von Formen und Düften über die Welt ausgestreut hat, um das Auge zu erfreuen und das Herz fröhlich zu machen.“ Bist du in trüber Finsternis und ist es ein neblichter Tag? Sprich: „Erleuchte meine Finsternis, o Herr.“ Bist du in Gesellschaft? Du wirst daran erinnert werden, zu beten: „Herr, bewahre die Tür meiner Lippen.“ Bist du ganz allein? Dann kannst du sagen: „Lass mich nicht allein, sondern sei du mit mir, Vater.“ Das Ablegen eurer Kleider, das Niedersitzen am Frühstückstisch, das Einsteigen in den Wagen, das Gehen in der Straße, das Öffnen eures Lagerbuches, das Schließen eurer Laden - alles kann euch zu solchem Gebet veranlassen wie das, was ich zu beschreiben versuche, wenn ihr nur in der rechten Stimmung seid.
Diese Gebete sind lobenswert, weil sie wahrhaft geistlich sind. Wortreiche Gebete können auch windreiche Gebete sein. Es gibt viel Beten nach dem Buch, in dem nichts Empfehlenswertes ist. Wenn ihr den Nutzen eines Handbuches französischer Konversation für Jemanden, der in Frankreich reist ohne Kenntnis der Sprache, herausgefunden habt, dann versucht, wie viel ein Handbuch der Gebete einer armen Seele nützt, die nicht weiß, wie sie unseren himmlischen Vater um eine Gabe bitten soll, die sie braucht. Ein Manual, ein Handbuch, fürwahr! Still! Bete mit deinem Herzen, nicht mit deiner Hand. Oder, wenn du Hände im Gebet aufheben willst, so lass sie deine eigenen sein, nicht die eines Andern. Die Gebete, die aus der Seele hervorquellen die Ausbrüche starker Bewegung, innigen Verlangens, lebendigen Glaubens diese sind wahrhaft geistlich; und keine als geistliche Gebete will Gott annehmen.
Diese Art Gebet ist frei von jedem Verdacht, dass es von dem schlechten Beweggrund eingegeben wird, den Menschen zu gefallen. Man kann nicht sagen, dass die geheimen Ausrufungen unserer Seele mit einem Blick auf unser eigenes Lob dargebracht werden, denn kein Mensch weiß, dass wir überhaupt beten; deshalb empfehle ich euch diese Gebete und hoffe, dass ihr viele derselben habt. Es hat Heuchler gegeben, die Stunden lang gebetet haben. Ich zweifle nicht, dass es Heuchler gibt, die ebenso regelmäßig in ihrer Andacht sind, wie die Engel vor dem Thron Gottes, und doch ist kein Leben, kein Geist, nichts Annehmbares in ihrer vorgeblichen Verehrung; aber der, welcher ein Stoßgebet spricht - Dessen Herz mit Gott spricht ist kein Heuchler. Es ist Wahrheit, Kraft und Leben darin. Wenn ich Funken aus einem Schornstein kommen sehe, so weiß ich, dass darinnen irgendwo ein Feuer ist und Stoßgebete sind gleich den Funken, die von einer Seele fliegen, die voll brennender Kohlen der Liebe Jesu Christi ist.
Kurze Stoßgebete sind von großem Nutzen für uns, liebe Freunde. Oft halten sie uns in Ordnung. Ihr heftigen Leute, wenn ihr immer betetet, ehe zornige Ausbrücke von euren Lippen fliegen, so würdet ihr oftmals diese hässlichen Worte gar nicht sagen. Man riet einer Frau, ein Glas Wasser zu nehmen und etwas davon 5 Minuten lang in ihrem Mund zu halten, ehe sie ihren Mann schelte. Es mag kein schlechtes Rezept gewesen sein, aber wenn sie, anstatt dieser Absonderlichkeit, ein kurzes Gebet zu Gott senden wollte, würde es gewiss wirksamer und weit schriftgemäßer sein. Ich kann es empfehlen als eine schätzbare Vorschrift für die Hastigen und Mürrischen; für Alle, die leicht beleidigt sind und schwer Scheltworte oder erlittenen Schaden vergeben. Wenn ihr im Geschäft im Begriff seid, ein Erbieten anzunehmen, an dessen Schicklichkeit ihr ein wenig zweifelt oder ein bestimmtes Bedenken habt, würde ein solches Gebet wie „Führe mich, guter Gott,“ oft euch zurückhalten von dem, was ihr nachher bereuen werdet.
Die Gewohnheit dieser kurzen Gebete würde auch euer Selbstvertrauen schwächen. Sie würde eure Abhängigkeit von Gott zeigen. Sie würde euch abhalten weltlich zu werden. Sie würde wie ein süßes Rauchwerk sein, das in der Kammer eurer Seele verbrannt würde, um das Fieber der Welt fern zu halten. Ich kann euch stark diese kurzen, lieblichen, gesegneten Gebete empfehlen. Möge der Heilige Geist sie euch geben!
Außerdem, sie bringen uns wirklich Segen vom Himmel. Stoßgebete, wie beim Elieser, dem Knechte Abrahams, wie bei Jakob, als er im Sterben sagte: „Herr, ich warte auf dein Heil.“ Gebete, wie Moses sie darbrachte, wenn wir nicht lesen, dass er überhaupt betete, und Gott doch zu ihm sagte: „Warum schreist du zu mir?“ Ausrufe, wie David sie häufig machte, diese wurden alle von dem Höchsten erhört. Deshalb habt reichlich davon, denn Gott liebt es, sie zu ermutigen und zu erhören.
Ich könnte so fortfahren, Stoßgebete zu empfehlen, aber ich will nur Eins noch zu ihren Gunsten sagen. Ich glaube, sie passen sehr für einige Personen von besonderer Gemütsart, die nicht lange Zeit hindurch beten könnten, und wenn 18 ihr Leben gälte. Ihr Gemüt ist rasch und schnell. Wohl, liebe Freunde, die Zeit hat nichts mit dieser Sache zu tun, Gott hört uns nicht wegen der Länge unseres Gebets, sondern wegen der Aufrichtigkeit desselben. Das Gebet wird nicht nach der Elle gemessen oder nach Pfunden gewogen. Es ist die Macht und Kraft desselben - die Wahrheit und Wirklichkeit desselben - die Energie und Innigkeit desselben. Ihr, die ihr entweder so geringen, oder so raschen Verstand habt, dass ihr nicht viele Worte brauchen könnt, und nicht lange an Eine Sache denken, es sollte euer Trost sein, dass Stoßgebete vor Gott annehmbar sind. Und es mag sein, lieber Freund, dass dein körperlicher Zustand ein solcher ist, dass du nicht anders beten kannst. Ein Kopfschmerz, wie Einige ihn den größten Teil ihres Lebens haben ein Zustand des Körpers, den der Arzt euch erklären kann - kann die Gedanken hindern, lange bei einem Gegenstand zu verweilen. Dann ist es erquickend, im Stande zu sein, wieder und immer wieder 50 der 100 Mal am Tage in kurzen, raschen Worten uns zu Gott zu wenden, wo die Seele voll Feuer ist. Dies ist eine segensvolle Art von Gebet.
Nun will ich schließen, indem ich einige Gelegenheiten erwähne, wann wir, meine ich, diese Stoßgebete brauchen sollten. Rowland Hill war um der Tiefe seiner Frömmigkeit willen ein merkwürdiger Mann, aber als ich in Wotton nach seinem Studierzimmer fragte, erhielt ich keine befriedigende Antwort, obgleich ich dringend forschte. Zuletzt sagte der Pastor: „Die Wahrheit ist, wir fanden keins. Hill pflegte im Garten, im Wohnzimmer, Schlafzimmer, in den Straßen, in den Wäldern, überall zu studieren.“ „Aber wohin zog er sich zurück zum Gebet?“ Man antwortete, vermutlich in sein Schlafzimmer, aber er hätte immer gebetet einerlei, wo er gewesen, der gute, alte Mann betete beständig. Es schiene, als wenn sein ganzes Leben, obgleich es mitten unter Andern mit Gutes tun zugebracht wurde, ein beständiges Gebet gewesen. Ihr kennt die Geschichte von seinem Predigen in Walworth, wo er in den Gängen der Kapelle gesehen ward, nachdem Alle fortgegangen und er auf seinen Kutscher wartete. Man sah ihn auf und nieder geben und als Einer horchte, hörte er ihn für sich singen:
„Getrost, mein Gott, du führest mich,
Ins ew'ge Leben wand're ich,
Mit Fried' und Freud', ich fahr' dahin,
Ein Gotteskind ich all'zeit bin.“
Und mit solchen Reimen und Sprüchen und köstlichen Worten füllte er jeden Augenblick seines Lebens aus. Man hat ihn in Blackfriars Road gesehen, seine Hände unter den Rockschößen, in ein Ladenfenster blickend, und wenn man zuhorchte, konnte man bald wahrnehmen, dass er seine Seele vor Gott in einem Gebet aushauchte. Er war in einen Zustand immerwährenden Gebetes gekommen. Ich glaube, es ist der Beste, in dem ein Mensch sich befinden kann immer betend, betend ohne Unterlass, immer sich Gott nahend mit solchen Ausrufen.
Aber wenn ich euch eine Auswahl passender Zeiten geben muss. so würde ich diese erwähnen. Wenn ihr je eine große Freude habt, ruft: „Herr, mache dies zu einem wirklichen Segen für mich.“ Ruft nicht mit Andern aus: „Hab' ich nicht Glück?“ sondern sprecht: „Herr, gib mir mehr Gnade und mehr Dankbarkeit, nun du deine Gaben so vermehrst.“ Wenn ihr ein großes Unternehmen oder schwieriges Geschäft habt, greift es nicht an, bis ihr eure Seele in einem kurzen Gebet ausgehaucht habt. Wenn ihr eine Schwierigkeit vor euch habt und sehr in Verlegenheit seid, wenn das Geschäft in eine Verwicklung oder Verwirrung geraten ist, die ihr nicht auseinander wirren und ordnen könnt, haucht ein Gebet aus. Es braucht keine Minute zu dauern, aber es ist wunderbar, wie viele Schlingen sich auflösen nach einem kurzen Wort des Gebets. Sind die Kinder besonders unartig, gute Frau? Scheint es dir, dass deine Geduld fast zu Ende ist bei den Plagen und dem Getümmel? Nun ein Stoßgebet. Du wirst sie umso besser zur Ordnung bringen, und ihre Unarten umso ruhiger ertragen. Jedenfalls wird dein eigenes Gemüt weniger unruhig sein. Glaubst du, dass eine Versuchung vor dir ist? Beginnst du zu argwöhnen, dass Jemand gegen dich ein Komplott schmiedet? Nun ein einfaches Gebet: „Führe mich auf ebener Bahn um meiner Feinde willen.“ Arbeitest du auf der Bank, in einem Laden oder Warenlager, wo liederliche Unterhaltung und schändliche Lästerungen dein Ohr beleidigen? Nun ein kurzes Gebet. Hast du eine Sünde beobachtet, die dich betrübt? Lass dich das zum Gebet bewegen. Diese Dinge sollten euch zum Gebet mahnen. Ich glaube, der Teufel würde die Leute nicht so viel fluchen lassen, wenn die Christen jedesmal beteten, wenn sie einen Fluch hörten. Er würde dann sehen, dass es sich nicht rentierte. Ihre Lästerungen möchten etwas zum Schweigen gebracht werden, wenn sie uns zum Beten anspornten. Fühlt ihr euer eigenes Herz vom Pfad weichen? Beginnt die Sünde, euch zu betören? Dann ein Gebet - ein warmer, ernster, Leidenschaftlicher Schrei: „Herr, hilf mir auf.“ Sahst du etwas mit deinem Auge und hatte dein Auge Einfluss auf dein Herz? Fühlst du, als „hättest du schier gestrauchelt mit deinen Füßen und deine Tritte wären beinahe geglitten?“ Nun ein Gebet: „Halte mich, Herr, bei meiner rechten Hand.“ Ist etwas ganz Unerwartetes geschehen? Hat ein Freund euch schlecht behandelt? Dann sprecht wie David: „Herr, mache den Rat Ahithophels zu nichte.“ Schicke ein Gebet hinauf. Wünschest du, etwas Gutes zu tun? Dann bete ja deshalb. Willst du zu jenem jungen Mann heute Abend, wenn er aus dem Tabernakel geht, über seine Seele sprechen? Bete erst, Bruder. Willst du die Mitglieder deiner Klasse anreden und ihnen diese Woche einen Brief schreiben über ihr geistliches Wohl? Bete über jeder Zeile, Bruder. Es ist immer gut, das Gebet fortgehen zu lassen, während du von Christo redest. Ich finde immer, dass ich besser zu predigen vermag, wenn ich beten kann, während ich predige. Und die Seele ist sehr merkwürdig in ihren Tätigkeiten. Sie kann beten, während sie studiert; sie kann zu Gott aufblicken, während sie zu Menschen spricht; und die eine Hand kann emporgehalten werden, um Vorrat von Gott zu erhalten, während die andre dieselben Vorräte austeilt, welche es ihm zu geben gefällt. Bete so lange du lebst. Bete, wenn du in großen Schmerzen bist; je schärfer die Qual, desto dringender und heißer sollte dein Schreien zu Gott sein. Und wenn die Todesschatten über dich kommen und seltsame Gefühle von Hitze oder Frost dich durchbeben, und deutlich sagen, dass du nah am Ende deiner Laufbahn bist, dann bete. O! das ist die Zeit für Stoßgebete. Kurze und kräftige Gebete wie dies: „Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, o Herr;“ oder dies: „Sei nicht fern von mir, o Gott;“ werden dir ohne Zweifel angemessen sein. „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf,“ waren die Worte des Stephanus an seinem Ende, und „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist,“ waren die Worte, die unser Herr selber sprach, ehe er sein Haupt neigte und verschied. Ihr mögt wohl denselben Ton anschlagen und ihm nachahmen.
Diese Gedanken und Ratschlüsse. sind so ausschließlich an die Heiligen und gläubigen Brüder in Christo gerichtet, dass ihr geneigt sein werdet, zu fragen: „Soll nicht etwas zu den Unbekehrten gesagt werden?“ Wohl, was sie gehört haben, kann von ihnen zu ihrem eigenen Vorteil benutzt werden. Aber lasst mich zu euch reden, meine liebe Freunde, so bestimmt, wie ich nur kann. Obgleich ihr nicht errettet seid, müsst ihr doch nicht sagen: „Ich kann nicht beten.“ Wie, wenn das Gebet so einfach ist, welche Entschuldigung könnt ihr haben, wenn ihr es vernachlässigt? Es braucht nicht einmal eine Zeit, die sich messen lässt. Solche Gebete, wie diese, wird Gott hören, und ihr habt Alle die Fähigkeit und Gelegenheit, sie zu denken und auszusprechen, wenn ihr nur jenen Anfangsglauben an Gott habt, der glaubt, dass „er sei und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.“ Kornelius war, denke ich, ungefähr so weit gekommen, als er von dem Engel angewiesen ward nach Petrus zu senden, der ihm den Frieden durch Jesum Christum zu der Bekehrung seiner Seele predigte. Ist ein solch' sonderbares Wesen heute Abend hier im Tabernakel, ein Mann oder Weib, das niemals betet? Wie soll ich mit euch verhandeln? Darf ich eine Stelle von einem lebenden Dichter stehlen, der, obgleich er nichts zu unseren Gesangbüchern beigetragen hat, doch eine Strophe singt, die meinem Zweck so entspricht und meinem Ohr so gefällt, dass ich sie gerne anführe:
„Mehr Dinge werden durchs Gebet bewirkt,
Als diese Welt sich träumen lässt. Drum lass die Stimme
Aufsteigen gleich dem Quell, der Tag und Nacht fortströmt.
Worin sind Menschen besser denn, als Schaf' und Ziegen,
Die blindes Leben im Gehirne nähren,
Wenn sie, Gott kennend, doch die Hände nicht erheben
Für sich und die, die Freund' sie nennen?
Denn überall ist so die Erd' gebunden
Mit gold'nen Ketten an die Füße Gottes.“
Ich meine nicht, dass hier ein Geschöpf ist, das niemals betet, weil die Leute gewöhnlich zu dem Einen oder Andern beten. Der, welcher nie zu Gott solche Gebete betet, wie er sollte, betet solche, wie er nicht sollte. Es ist etwas Furchtbares, wenn ein Mensch Gott bittet, ihn zu verdammen; und doch gibt es Leute, die das tun. Gesetzt, er hörte dich, er ist ein Gott, der Gebet erhört. Wenn ich einen lästerlichen Flucher hier anrede, möchte ich ihm dieses klar vorlegen: Wenn der Allmächtige dich hörte. Wenn deine Augen blind würden und deine Zunge stumm, während du einen wilden Fluch ausstößt, wie würdest du das plötzliche Gericht über deine gottlose Rede ertragen? Wenn einige von diesen deinen Gebeten für dich selber erhört würden, und einige, die du in deiner Leidenschaft für dein Weib und dein Kind gesprochen hast, nun zu ihrem Schaden und deinem Kummer erfüllt würden, wie furchtbar würde das sein. Wohl, Gott erhört Gebet, und eines Tages mag er deine Gebete zu deiner Scham und ewigen Schande erhören. Würde es nicht gut sein, nun, ehe du deinen Sitz verlässt, zu beten: „Herr, sei mir gnädig; Herr, errette mich; Herr, ändere mein Herz; Herr, lass mich an Christum glauben; Herr, gib mir einen Anteil an dem kostbaren Blut Christi; Herr, errette mich jetzt?“ Will nicht Jeder von euch ein solches Gebet hinaufseufzen? Möge der Heilige Geist euch dahin führen, es zu tun, und wenn ihr einmal beginnt, recht zu beten, so ist mir nicht bange, dass ihr je aufhören werdet, dann ist Etwas da, was die Seele fest hält in wirklichem Gebet. Vorgebliche Gebete wozu sind sie gut? Aber wirkliches Bitten des Herzens der Seele Reden mit Gott - wenn es einmal beginnt, wird niemals enden. Ihr werdet beten, bis ihr Beten mit Preisen vertauscht und vom Gnadenstuhl hienieden zum Throne Gottes dort oben geht.
Möge Gott euch Alle segnen; euch Alle, sage ich; alle, die ihr mir in Christo verwandt seid, und alle, nach deren Errettung ich mich sehne. Gott segne euch Alle und jeden Einzelnen, um unseres lieben Erlösers willen. Amen.