Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 141 - 150
Ps. 142,5
„Herr, Du bist mein Teil!“
Sieh sein Erbteil an, gläubige Seele, und vergleiche dein Eigentum mit dem Besitz deiner Nebenmenschen. Ihrer etliche haben ihr Teil in ihren Äckern; sie sind reich und ihre Ernten gewähren ihnen eine goldene Zulage. Aber was sind ihre Vorräte gegen deinen Gott, der auch der Gott der Ernten ist? Was sind doch überfüllte Kornkammern gegen Den, der der rechte Hausvater ist und dich mit Himmelsbrod nährt? Etliche haben ihr Teil in der Stadt; ihr Reichtum ist mächtig und fließt ihnen in ununterbrochenen Strömen zu, bis sie selber zu goldenen Schatzkammern werden; aber was ist Gold gegen deinen Gott? Vom Gold kannst du nicht leben, es vermag dein geistliches Leben nicht zu fristen. Lege jenes Gold auf ein böses Gewissen, vermag es, seine bangen Zuckungen zu beruhigen? Lege es auf ein verzweifelndes Herz, und siehe, ob es auch nur einen einzigen Seufzer zu stillen, oder einen seichten Kummer zu erleichtern im Stande ist? Du aber besitzest Gott, und in Ihm hast du mehr, als Alles, was je mit Gold und Schätzen kann erkauft werden. Etliche haben ihr Teil in dem, wonach die meisten Menschen streben: Beifall und Ruhm; aber frage dich, ist dir dein Gott nicht noch mehr wert als das? Was nützte dirs, wenn tausende von Posaunen zu deinem Lob ertönen würden; würde dich dies stärken auf den Durchgang durch den Jordanstrom, oder dich trösten im Angesicht des Gerichts? Nein, schon im Leben gibts Schmerzen, die kein Reichtum mildern kann; und dann kommt ein tiefes Bedürfnis für die Stunde des Todes, das keine Schätze befriedigen können. Wenn aber Gott dein Teil ist, so besitzest du mehr, als dies Alles zusammen. In Ihm wird jedes Bedürfnis gestillt, im Leben wie im Tode. Hast du Gott zu deinem Teil, so bist du wahrhaft reich; denn Er sorget für dich, tröstet dein Herz, stillt deinen Kummer, leitet deine Tritte, geht mit dir durch das dunkle Tal, und nimmt dich endlich zu Sich heim, damit du dich in Ihm, als deinem Teil, ewiglich freuen kannst. „Ich habe genug,“ sprach Esau; das ist das Beste, was ein weltlich gesinnter Mensch kann sagen; aber Jakob antwortete: „Ich habe alles genug,“ und das ist ein Laut, der irdischen Gemütn zu hoch und unerreichbar ist. (Goldstrahlen Mai 13)
Ps. 145,19
Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren, und hört ihr Schreien, und hilft ihnen.
Sein eigner Geist hat dies Begehren in uns gewirkt, und deshalb wird Er es erfüllen. Es ist sein eigenes Leben in uns, was zum Schreien antreibt, und deshalb will Er es hören. Die, welche Ihn fürchten, sind Menschen, die unter dem heiligsten Einfluss stehen, und deshalb ist ihr Begehren, Gott zu verherrlichen und sich Seiner auf ewig zu erfreuen. Gleich Daniel sind sie Männer des Begehrens, und der Herr wird ihre Wünsche verwirklichen.
Heiliges Begehren ist Gnade im Halme, und der himmlische Ackersmann wird desselben pflegen, bis er zur vollen Kornähre wird. Gottesfürchtige Menschen begehren, heilig zu sein, nützlich zu sein, andren zum Segen zu werden und so ihren Herrn zu ehren. Sie begehren das zum Unterhalt Nötige, Hilfe unter Bürden, Leitung in schwierigen Fällen, Befreiung aus Nöten; und zuweilen ist dies Begehren so stark, und ihre Not so dringend, dass sie in Angst aufschreien, wie kleine Kinder in Schmerzen, und dann wirkt der Herr sehr kräftig, und tut alles, was nötig ist, nach diesem Wort - “und hilft ihnen”.
Ja, wenn wir Gott fürchten, haben wir nichts andres zu fürchten; wenn wir zu dem Herrn schreien, ist unsre Errettung gewiss. Möge der Leser diesen Spruch auf seine Zunge legen und ihn den Tag im Munde behalten, dann wird er ihm wie “Semmel mit Honig” sein.
Ps. 146,7
Der Herr löset die Gefangenen.
Er hat es getan! Denkt an Joseph, an Israel in Ägypten, Manasse, Jeremia, Petrus und viele andre! Er kann es immer noch tun. Er zerbricht die ehernen Riegel und zerreißt die eisernen Fesseln mit einem Blick. Er tut es. An tausend Orten kommen die, welche in Nöten sind, heraus zu Licht und Freiheit. Jesus verkündet immer noch den Gebundenen dass Öffnen des Gefängnisses. In diesem Augenblick fliegen Türen auf und Fesseln fallen zu Boden.
Er wird dich gern frei machen, lieber Freund, wenn du eben jetzt über Leiden, Zweifeln und Furcht trauerst. Es wird für Jesus eine Freude sein, dir Freiheit zu geben. Es wird Ihm ebenso großes Vergnügen machen, dich zu lösen, als dir, gelöst zu werden. Du hast nicht das eiserne Band zu zerreißen: der Herr selber will es tun. Vertraue Ihm nur, so wird Er dein Befreier sein. Glaube an Ihn trotz der steinernen Mauern und der eisernen Handschellen. Der Satan kann dich nicht halten, die Sünde kann dich nicht ketten, selbst die Verzweiflung kann dich nicht binden, wenn du jetzt an den Herrn Jesum glauben willst, an Seine freie Gnade und an Seine volle Macht zum Erretten.
Biete dem Feinde Trotz und lass das vorliegende Wort dein Befreiungslied sein: “Jahwe löset die Gefangenen.”
Ps. 146,8
Der Herr macht die Blinden sehend. Der Herr richtet auf, die niedergeschlagen sind.
Bin ich niedergeschlagen? Dann lasst mich dieses Gnadenwort vor dem Herrn geltend machen. Es ist Seine Weise, Seine Gewohnheit, Seine Verheißung, Seine Freude, die aufzurichten, die niedergeschlagen sind. Ist es ein Gefühl der Sünde und eine daraus entspringende trübe Gemütsstimmung, an der ich leide? Dann ist das Werk Jesu dazu getan und vorher versehen, dass es mich in die Ruhe emporheben soll. O Herr, richte mich auf, um Deiner Barmherzigkeit willen!
Ist es ein trauriger Todesfall oder ein großer Verlust an Vermögen? Hier hat der Tröster wiederum übernommen, zu trösten. Wie gut für uns, dass eine Person der heiligen Dreieinigkeit der Tröster geworden ist! Dies Werk wird gut getan werden, da ein so Glorreicher es zu seiner besonderen Sorge gemacht hat.
Manche sind so niedergeschlagen, dass nur Jesus sie von ihrer Schwachheit freimachen kann, aber Er kann und will es tun. Er kann uns aufrichten, dass wir gesund, hoffnungsvoll und glücklich werden. Er hat dies oft in früheren Prüfungen getan, und Er ist derselbe Heiland und will seine Taten der Freundlichkeit wiederholen. Wir, die wir heute niedergeschlagen und voll Traurigkeit sind, sollen noch erhoben werden, und die, welche jetzt über uns spotten, sollen sich noch schämen. Was für eine Ehre, von dem Herrn aufgerichtet zu werden! Es ist der Mühe wert, niedergeschlagen zu sein, damit wir seine aufrichtende Macht erfahren mögen.
Ps. 148,14
„Das Volk, das Ihm nahe ist.“
Die Ordnung des Alten Bundes richtete heilige Schranken der Unnahbarkeit auf. Sogar wenn Gott seinem Knecht Moses erschien, sprach Er: „Tritt nicht herzu; ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen.“ Und als Er sich auf dem Berge Sinai seinem auserwählten und geheiligten Volk offenbarte, bestand eines seiner ersten Gebote darin: „Mache ein Gehege um den Berg, und heilige ihn.“ Sowohl in der gottesdienstlichen Ordnung der Stiftshütte, als in derjenigen des Tempels war stets der Gedanke der heiligen Absonderung vorherrschend. Die Menge des Volkes durfte nicht einmal den äußeren Vorhof betreten. In den inneren Vorhof durften sich nur die Priester begeben; während das Allerheiligste, der innerste Raum, einmal im Jahr vom Hohenpriester allein durfte betreten werden. Es war, wie wenn der Herr in jenen früheren Zeiten dem Menschen hätte zum Bewusstsein bringen wollen, wie sehr Er die Sünde verabscheue, und dass Er um ihretwillen die Menschen wie Aussätzige betrachten müsse, die vom Lager ausgestoßen seien; und auch wenn Er sich ihnen nahte, ließ Er sie den weiten Abstand fühlen zwischen einem heiligen Gott und einem unreinen Sünder. Als aber das Evangelium kam, wurden wir auf einen ganz andren Standpunkt gestellt. Das Wort „Gehe“ ward mit dem freundlichen „Komm“ vertauscht; die Entfernung musste der Nähe Raum machen, und wir, die wir weiland ferne gewesen, sind nun nahe geworden durch das Blut Christi. Die menschgewordene Gottheit hat keine feurige Mauer mehr um sich her. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,“ das ist die fröhliche Botschaft Gottes, da Er im Fleisch erschienen ist. Er lässt den Aussätzigen seine Krankheit nun nicht mehr entgelten durch Verbannung aus seiner Nähe, sondern gibt sie ihm nur dadurch zu fühlen, dass Er selbst die Strafe seiner Verunreinigung auf sich nimmt. Welch ein Gefühl der Sicherheit und der Bevorzugung wird uns doch durch die Nähe Gottes in Christo Jesu geschenkt! Kennt ihrs aus Erfahrung? Und wenn ihrs kennt, lebt ihr in seiner Kraft? Wunderbar ist diese Nähe, und doch soll noch eine innigere Annäherung erfolgen, wenn es einmal heißt: „Sieh da, eine Hütte Gottes bei den Menschen, und Er wird bei ihnen wohnen.“
Ps. 149,2
„Israel freue sich Des, der ihn gemacht hat.“
Sei fröhlichen Herzens, lieber Christ, aber habe acht, dass deine Freude ihre Quelle in dem Herrn habe. Du hast sehr viel Ursache zur Freude in deinem Gott, denn du kannst mit David singen: „Gott, der meine Freude und Wonne ist!“ Sei fröhlich, dass der Herr herrscht, dass Jehovah König ist! Freut euch, dass Er auf dem Stuhl sitzt und regiert alle Dinge! Jede Eigenschaft Gottes sollte ein neuer Strahl im Farbenbogen unserer Freude sein. Das sollte uns fröhlich machen, dass Er weise ist, dieweil wir unsre Torheit kennen. Das Er mächtig ist, sollte uns, die wir ob unserer Schwachheit mit Furcht und Angst erfüllt sind, zur Freude stimmen. Dass Er ewiglich bleibt, sollte allezeit unsres Lobliedes Inhalt sein, weil wir wissen, dass wir hinwelken wie das Gras und wie des Grases Blume. Dass Er unwandelbar ist, sollte uns einen unaufhörlichen Preisgesang in den Mund geben; denn wir verändern uns stündlich. Dass Er voller Gnade ist, dass Er von Gnade überströmt, und dass Er uns diese Gnade in seinem Bund und Testament geschenkt hat; dass sie für uns da ist zu unserer Reinigung, zu unserer Bewahrung, zu unserer Heiligung, zu unserer Vollendung und zu unserer Verherrlichung, das alles sollte uns zur Freude in Ihm auffordern. Solche Freude in Gott gleicht einem tiefen Strom; wir haben kaum erst seine Gestade berührt, wir wissen etwas Weniges von seinen klaren, lieblichen, himmlischen Fluten; aber droben fließt er majestätischer, tiefer, und seine Strömung ist gewaltiger und hinreißender. Der Christ fühlt, dass er sich nicht bloß freut über das, was Gott ist, sondern auch über alles, was Gott in den vergangenen Zeiten getan hat. Die Psalmen beweisen uns, dass in den vorigen Zeiten das Volk Gottes viel und oft eingedenk war der Taten Gottes, und für jede einzelne der herrlichen Offenbarungen seiner Macht einen Lobgesang besaß. So soll denn auch noch heute das Volk des Herrn erheben die Taten des Herrn, seines Gottes! Sie sollen erzählen die gewaltigen Siege seines herrlichen Arms und sollen rühmen: „Lasset uns dem Herrn singen, denn Er hat eine herrliche Tat getan!“ Gleichwie einen Tag um den andern ihnen neue Gnadenströme zufließen, so sollte auch ihre Freude über ihres Herrn Liebestaten in der Vorsehung und Gnadenführung sich erzeigen in anhaltendem Danken und Lobpreisen. Seid fröhlich, ihr Kinder Zions, und freut euch in dem Herrn, eurem Gott.
Ps. 149,4
„Der Herr hat Wohlgefallen an seinem Volk.“
Wie allumfassend ist doch die Liebe Jesu! Es ist in dem, was Sein Volk angeht, nichts, was Er nicht berücksichtigt, und nichts, was sich auf ihr Wohlergehen bezieht, ist Ihm gleichgültig. Gläubiger Bruder, Er sieht in dir nicht nur ein unsterbliches Wesen, sondern Er denkt auch daran, dass du sterblich bist. Leugne es nicht und zweifle nicht daran, dass auch; „die Haare auf eurem Haupte alle gezählt“ sind. „Von dem Herrn wird des gerechten Mannes Gang gefördert, und hat Lust an seinem Wege.“ Es wäre traurig für uns, wenn dieser Mantel der Liebe nicht alle unsere Bedürfnisse bedecke, denn welcher Schaden könnte uns nicht erwachsen in dem Teil unserer Arbeit, der nicht unter des Herrn gnädiger Obhut stünde! Gläubige Seele, verlass dich darauf, dass das Herz Jesu sich auch deiner kleinen Anliegen annimmt. Der Odem Seiner zärtlichen Liebe ist so sehr von Mitleid erfüllt, dass du in allen Dingen deine Zuflucht zu Ihm nehmen darfst, denn wer euch ängstiget, der ängstiget Ihn auch, und wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmet, so erbarmet Er sich über euch. Die unbedeutendsten Angelegenheiten aller Seiner Heiligen ruhen in dem weiten Schoß des Sohnes Gottes. O, was hat Er doch für ein Herz, das nicht nur die Personen Seines Volkes umfasst, sondern auch die verschiedenen und zahllosen Anliegen jedes Einzelnen unter ihnen berücksichtigt! Meinest du, lieber Christ, du könnest die Liebe Christi ermessen? Denke daran, was Seine Liebe dir erworben hat: Rechtfertigung, Kindschaft, Heiligung, ewiges Leben. Der Reichtum Seiner Güte ist unausforschlich; du wirst nie im Stande sein, sie zu nennen, oder auch nur zu überblicken. Ach, welch eine Breite und Weite der Liebe Christi! Wird eine so große Liebe unsere Herzen auch nur halb besitzen? Wird ihr mit einer kalten Liebe vergolten werden? Soll Jesu wunderbare Leutseligkeit und zarte Sorgfalt nur einer schwachen Erwiderung und einer trägen Anerkennung begegnen? O, meine Seele, stimme deine Harfe zu freudigen Liedern des Dankes! Gehe ein zu deiner Ruhe mit Freuden, denn du bist kein verlassener Fremdling, sondern ein liebes Kind, das dein Herr überwacht, versorgt, behütet und beschützt. Die Heiligen sollen fröhlich sein, und preisen und rühmen auf ihren Lagern.„ (Goldstrahlen April 29)