Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 131 - 140

Spurgeon, Charles Haddon - Andachten über den Psalter - Psalm 131 - 140

Ps. 138,5

„Sie singen auf den Wegen des Herrn.“

Die Christen fangen an zu singen auf den Wegen des Herrn, wenn sie ihre Last am Fuße des Kreuzes los geworden sind. Selbst das Loblied der Engel erschallt nicht so lieblich, wie der erste Preisgesang des Entzückens, der aus der innersten Tiefe der Seele eines Kindes Gottes hervorquillt, wenn es Frieden gefunden hat. Ihr wisst, was Bunyan in seiner Pilgerreise davon schreibt: Er sagt, als der arme Pilger am Kreuze sich seiner Last entledigt habe, sei er vor Freuden hoch aufgesprungen und singend weiter gezogen:

„Heil Dir, o Kreuz und Tod!
Heil Dem, der hat erduldet
Des Todes bittre Not Für mich,
der ichs verschuldet!“

Du gläubige Seele, erinnerst du dich der Stunde, da deine Fesseln fielen? Gedenkst du noch der Stätte, wo der Herr Jesus dir begegnete und zu dir sprach: „Ich habe dich je und je geliebt; ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke und deine Sünde wie den Nebel, und soll deiner Sünde nicht wieder gedacht werden ewiglich.“ O, was ist das doch für eine selige Zeit, wenn der Herr Jesus die Sündenschuld wegnimmt. Als mir der Herr zuerst die Sünden vergab, war ich so voller Freude, dass ich sprang und tanzte. Als ich aus dem Hause heimkehrte, wo mir meine Freiheit war zur Gewissheit geworden, da meinte ich, ich müsste den Steinen auf der Straße die Geschichte meiner Erlösung verkündigen. So voller Freude war meine Seele, dass ich hätte mögen jeder Schneeflocke, die vom Himmel fiel, von der wunderbaren Liebe Jesu erzählen, der die Sünden eines seiner ärgsten Widersacher ausgetilgt hatte. Aber nicht nur im Anfang des christlichen Lebens haben die Gläubigen allen Grund zu Lobgesängen; so lange sie auf Erden pilgern, finden sie Ursache, zu singen auf den Wegen des Herrn; und alles, was sie von seiner beständigen Liebestreue erfahren, nötigt sie zu dem Bekenntnis: „Ich will den Herrn loben allezeit, sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.“ Sieh zu, lieber Bruder, dass du heute den Herrn erhebst.

„So lange wir auf Erden wallen,
Soll für und für Sein Lob erschallen!“

Ps. 138,7

Wenn ich mitten im Leide wandle, so willst Du mich wieder lebendig machen: Du wirst Deine Hand ausstrecken über den Zorn meiner Feinde und Deine Rechte wird mich erretten.

Elendes Wandeln mitten im Leide. Nein, gesegnetes Wandeln, weil eine besondere Verheißung dafür da ist. Gebt mir eine Verheißung, und was ist das Leid? Was lehrt mein Herr mich hier sprechen? Nun, dies: „Du willst mich wieder lebendig machen“. Ich werde mehr Leben, mehr Kraft, mehr Glauben haben. Ist es nicht oft so, dass das Leid uns wieder belebt wie ein Hauch kalter Luft, wenn wir einer Ohnmacht nahe sind?

Wie zornig sind meine Feinde und besonders der Erzfeind! Soll ich meine Hand ausstrecken und gegen meine Feinde kämpfen? Nein, meine Hand ist besser beschäftigt im Dienst meines Herrn. Außerdem ist keine Notwendigkeit dafür da, denn mein Gott will seinen weitreichenden Arm gebrauchen und wird mit ihnen weit besser fertig werden, als ich es könnte, wenn ich es auch versuchte. „Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.“ Er will mich mit seiner eignen rechten Hand der Macht und der Weisheit mich erretten, und was kann ich mehr wünschen?

Komm, mein Herz, rede über diese Verheißung mit dir selber, bis du sie als das Lied deiner Zuversicht, den Trost deiner Einsamkeit gebrauchen kannst! Bete, dass du selbst wieder lebendig werdest, und überlass das andre dem Herrn, der alles für dich vollbringt.

Ps. 138,8

„Der Herr wird es ein Ende machen, um meinetwillen.“

Ganz offenbar ist das Vertrauen, das der Psalmist mit diesen Worten ausspricht, ein göttliches Vertrauen. Er sagt nicht: „Ich stehe in solcher Gnade, dass ich es werde ein Ende machen können; mein Glaube ist so unerschütterlich, dass er nicht wankt; meine Liebe ist so warm, dass sie nie erkaltet; mein Entschluss ist so fest, dass ich durch nichts davon abzubringen bin;“ so spricht er nicht, sondern all seine Zuversicht und sein Vertrauen ist allein der Herr. Wenn wir auf irgend etwas unser Vertrauen setzen, was nicht auf den Fels der Zeiten gegründet ist, so ist unsre Zuversicht und Zuflucht von geringerem Halt als ein Traum, sie stürzt über uns zusammen und begräbt uns unter ihren Trümmern, zu unserm tiefsten Schmerz, zu unserer größten Bestürzung. Der Psalmist war weise, er baute seine Zuversicht auf nichts Geringeres als auf das Werk des Herrn. Der Herr allein ists, der das gute Werk in uns angefangen hat; Er ists, der es auch hinausführt; und wenn Er es nicht vollendet, so wirds stets unvollendet bleiben. Wenn an dem himmlischen Kleid unserer Gerechtigkeit auch nur ein einziger Stich ist, den wir selbst hineingeflickt haben, dann sind wir verloren; unsre Zuversicht aber steht darauf, dass der Herr das, was Er angefangen hat, auch vollendet. Er hat alles getan, Er muss alles tun, und Er wird alles tun. Unsre Zuversicht darf nicht auf das abstellen, was wir getan haben, noch auf das, wozu wir fest entschlossen sind, sondern ganz und gar nur auf das, was der Herr tun will. Der Unglaube flüstert uns zu: „Du wirsts nimmermehr hinausführen, du bist nicht standhaft genug. Sieh deines Herzens Tücke an, du kannst die Sünde nicht überwinden; denke an die sündlichen Vergnügungen und Versuchungen der Welt, die dich locken, sie werden dich gewiss betören und irre leiten.“ Ach ja, wir müssten wahrlich ins Verderben stürzen und umkommen, wenn wir auf unsre eigne Kraft angewiesen wären. Wenn wir ohne himmlischen Beistand unser gebrechliches Fahrzeug müssten über ein so wildes Meer steuern, so müssten wir die Fahrt verzweifelnd aufgeben; aber Gott sei Dank, Er wird es ein Ende machen um unseretwillen und uns landen am ersehnten Ziel. Wir vertrauen nie zu viel, wenn wir auf Ihn allein unser Vertrauen setzen; wir sind nimmermehr betrogen, wenn wir eine solche Zuversicht haben.

Ps. 138,8

Der Herr wird vollenden Sein Werk in mir.

Er, der das Werk, das in meiner Seele gewirkt wird, angefangen hat, wird es auch fortführen. Der Herr bekümmert sich um alles, was mich bekümmert. Über alles, was jetzt gut, aber nicht vollkommen ist, will der Herr wachen, es bewahren und zur Vollständigkeit bringen. Dies ist ein guter Trost. Ich könnte das Werk der Gnade nicht selbst vollenden. Des bin ich ganz gewiss, denn ich fehle jeden Tag und habe nur so lange fortgesetzt, weil der Herr mir geholfen hat. Wenn der Herr mich verließe, so wäre alle meine frühere Erfahrung nichts wert, und ich würde umkommen auf dem Wege. Aber der Herr will fortfahren, mich zu segnen. Er wird meinen Glauben vollenden, meine Liebe, meinen ganzen Charakter, mein Lebenswerk. Er will dies tun, weil Er ein Werk in mir begonnen hat. Er gab mir das Verlangen, dass ich fühle, und bis zu einem bestimmten Grade hat Er mein Sehnen erfüllt. ER lässt niemals ein Werk unbeendigt; dies würde nicht zu Seiner Ehre gereichen und würde Ihm nicht ähnlich sehen. Er weiß Seine Gnadenabsicht auszuführen, und obwohl meine eigne böse Natur und die Welt und der Teufel sich alle verschworen haben, Ihn zu hindern, so zweifle ich doch nicht an Seiner Verheißung. Er will vollenden sein Werk in mir, und ich werde Ihn ewiglich loben. Herr, lass Dein Gnadenwerk heute einigen Fortschritt machen!

Ps. 139,17

„Wie köstlich sind vor mir, Gott, Deine Gedanken.“

Gottes Allwissenheit gewährt dem Gemüt des Gottlosen keinen Trost, aber dem Kinde Gottes spendet sie Ströme voll süßer Zuversicht. Gott denkt allezeit an uns, Er wendet Sein Gemüt nie von uns ab, Er hat uns beständig unter Seinen Augen; und das ists gerade, was wir brauchen, denn es wäre schrecklich, wenn wir auch nur einen Augenblick von der Obhut unseres himmlischen Vaters ausgeschlossen wären. Seine Gedanken sind immer zärtlich, liebevoll, weise, umsichtig, fernblickend, und sie gewähren uns unsägliche Segnungen: darum ist es eine auserwählte Freude, darüber nachdenken zu dürfen. Der Herr hat stets Seine Gedanken auf Sein Volk gerichtet gehabt: daher ihre Erwählung und der Gnadenbund, durch welchen ihre Erlösung besiegelt wird; Er wird ihrer auch stets eingedenk bleiben: daher ihr Beharren bis ans Ende, dadurch sie wohlbewahrt zu ihrer letzten Ruhe eingehen dürfen. In all unsern Verirrungen ist der wachsame Blick des ewigen Hüters unabwendbar auf uns gerichtet, wir können uns nie aus des guten Hirten Aufsicht verlieren. In unsern Ängsten beobachtet Er uns unausgesetzt, Ihm entgeht auch kein einziger Seufzer; in all' unserm Streit achtet Er auf unser Ermatten, und verzeichnet in Seinem Buch jeden Kampf Seiner Getreuen. Diese Gedanken des Herrn begleiten uns auf allen unsern Wegen, und durchdringen unser innerstes Wesen. Kein Nerv und keine Muskel, keine Fiber und keine Ader unseres kunstreich gebauten Leibes ist sich selbst überlassen, über alle kleinsten Teile unserer kleinen Welt wacht der Gedanke unseres großen Gottes.

Liebe Seele, ist dieser Gedanke dir teuer? dann halte ihn fest. Lass dich nimmer verführen von den weltklugen Toren, die einen unpersönlichen Gott verkündigen und von einer ewigen, sich selbst bestimmenden, toten Materie reden. Der Herr lebt und ist unser eingedenk; das ist eine Wahrheit, die viel zu köstlich für uns ist, als dass wir sie uns so leichten Kaufs rauben ließen. Wer eines Vornehmen Aufmerksamkeit auf sich sieht, schätzt sich glücklich und hält sein Glück für gesichert; aber was ist doch das gegen die Obhut des Königs der Könige! Wenn der Herr an uns denkt, so ists ganz gut, und wir freuen uns des ohn' Ende. (Goldstrahlen April 30)

Ps. 140,14

Auch werden die Gerechten deinem Namen danken, und die Aufrichtigen werden vor Deinem Angesicht bleiben.

O, dass mein Herz aufrichtig wäre, damit ich stets den Namen des Herrn loben könnte! Er ist so gut gegen die, welche gut sind, dass ich gern unter ihnen sein und mich jeden Tag voll Dankbarkeit fühlen möchte. Vielleicht werden die Gerechten auf einen Augenblick stutzig, wenn ihre Lauterkeit schweres Leiden zur Folge hat; aber sicherlich wird der Tag kommen, wo sie ihren Gott loben werden, dass sie nicht bösen Einflüsterungen nachgegeben und den Weg ränkevoller Klugheit eingeschlagen haben. Auf die Länge werden wahrhafte Männer dem Gott des Rechtes dafür danken, dass Er sie einen rechten Weg führte. O, dass ich unter ihnen wäre!

Was für eine Verheißung ist in diesem zweiten Satze beschlossen: „Die Aufrichtigen werden vor Deinem Angesichte bleiben!“ Sie sollen angenommen werden, wenn andre nur erscheinen, um verurteilt zu werden. Sie sollen die Hofleute des großen Königs sein und Gehör bei Ihm finden, so oft sie es wünschen. Sie sollen die Begünstigten sein, auf denen Jahwehs Wohlgefallen ruht und mit denen Er gnädig verkehrt. Herr, ich begehre diese hohe Ehre, dieses köstliche Vorrecht: es wird ein Himmel auf Erden für mich sein, es zu genießen. Mache mich in allen Dingen aufrichtig, damit ich heute und morgen und jeden Tag vor Deinem Angesichte bleiben möge. Dann will ich Deinem Namen stets danken. Amen.

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